LG Karlsruhe, Urteil vom 05.05.2006 - 6 O 508/05
Fundstelle
openJur 2012, 65535
  • Rkr:

1. Ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als in der Regel erforderlich und ob die entsprechenden Aufwendungen als in der Regel erstattungsfähig angesehen werden können, erscheint im Bereich des Betriebsrentenrechts des öffentlichen Dienstes fraglich.

2. Die bloße Vorlage der Kostennote genügt nicht zur substantiierten Darlegung, welche Tätigkeiten der Anwalt außergerichtlich und abgesehen von der Prozessvorbereitung an den Tag gelegt hat.

3. Bei der Durchführung einer (fiktiven) Rentenberechnung handelt es sich um eine reine, wenn auch komplizierte Rechtsanwendung, zumindest wenn das zugrunde gelegte Zahlenmaterial vorliegt und unstreitig bleibt. Entsprechende Gutachten sind keine Sachverständigengutachten, deren Kosten zu erstatten wären, sondern reine Rechtsgutachten. Die Abschätzung, ob ein Streit aus rechtlicher Sicht vor das Gericht gebracht werden soll und wie hoch der absehbare wirtschaftliche Erfolg wäre, hätte vom Anwalt ohne weiteren Kostenaufwand mit erledigt werden können.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bei Eintritt des Versicherungsfalles mindestens eine Betriebsrente zu gewähren, die dem geringeren Betrag der Berechnung der Zusatzrente nach ihrer Satzung in der Fassung der 41. Änderung zu folgenden Zeitpunkten entspricht:

a) 31.12.2001

b) Eintritt des Versicherungsfalles.

2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin und die Beklagte dürfen jeweils die Vollstreckung durch die Gegenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die vormals im öffentlichen Dienst beschäftigte Klägerin wendet sich mit ihrer Klage nach Umstellung der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst von einem Gesamtversorgungssystem auf ein Punktesystem gegen die ihr von der beklagten Zusatzversorgungseinrichtung erteilte Startgutschrift für eine rentennahe, Altersteilzeit beschäftige Person bzw. die ihr gewährte Betriebsrente.

Die Klägerin ist am ....1946 geboren. Bis zum 31.12.2001 hat sie als Beschäftigte im öffentlichen Dienst 406 Umlagemonate bei der Beklagten zurückgelegt (AH 17). Ihre Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung außerhalb des öffentlichen Dienstes - sogenannte Vordienstzeiten - belaufen sich auf 78 Monate (AH 27). Bereits vor dem 14.11.2001 hat die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber die Abänderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit einem vorgesehenen Ende zum 01.09.2011 (Vollendung des 65. Lebensjahres) vereinbart.

Die Beklagte hat mit Mitteilung vom 12.11.2003 die Rentenanwartschaft der Klägerin zum 31.12.2001 auf EUR 331,60 errechnet und ihr dementsprechend eine Startgutschrift von 82,90 Punkten erteilt (AH 11 ff.). Die Mitteilung über die Startgutschrift beruht auf der Neufassung der Satzung der Beklagten zum 01. Januar 2001 (im Folgenden: VBLS n. F.), dabei kam § 79 Abs. 3 VBLS n.F. zur Anwendung. Bei der Errechnung der Startgutschrift wurde die Steuerklasse III/0 zugrunde gelegt (AH 31).

Die Klägerin erhält seit dem 01.05.2003 von der BfA eine Altersrente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von zunächst EUR 1.317,76/brutto = EUR 1.199,82/netto (AH 61/59). Durch Mitteilung vom 27.05.2005 (AH 93) wurde ihr durch die Beklagte ab dem 01.05.2003 eine monatliche Betriebsrente von zunächst EUR 350,26 (brutto und ohne Anwendung der Ruhensvorschriften) errechnet (AH 111). Nach Anwendung der Ruhensvorschriften im Zusammenhang mit dem Bezug von Krankengeld (vgl. AS 55) verblieben im Zeitraum vom Mai 2003 bis zum April 2004 monatliche Bruttorentenbeträge zwischen EUR 287,77 und EUR 351,06 (AH 117-119).

Die Beklagte hat auf Verlangen des Gerichts mit Schriftsatz vom 26.02.2006 (AS 45 ff.) Fiktivberechnungen vorgelegt, die den Vergleich mit den Beträgen ermöglichen, die sich bei Anwendung der bisherigen Satzung in der Fassung der 41. Änderung (im Folgenden VBLS a. F.) ergeben würden. Die Beklagte hat folgende Beträge errechnet (vgl. AH 135 ff., 159 ff., 181 ff. und 193 ff.):

1. Erste Fiktivberechnung nach VBLS a. F. zum 31.12.2001: EUR 702,03 (AH 149), wobei der Betrag nach § 40 Abs. 1 VBLS a. F. maßgeblich war;

2. Zweite Fiktivberechnung nach VBLS a. F. zum 01.09.2011 (Vollendung des 65. Lebensjahres der Klägerin): EUR 430,36 (AH 179), wobei der Betrag nach § 40 Abs. 4 VBLS a. F. maßgeblich war;

3. Dritte Fiktivberechnung nach VBLS n. F. zum 01.09.2011 (Vollendung des 65. Lebensjahres der Klägerin): EUR 482,95 (AH 211);

4. Vierte Fiktivberechnung nach VBLS a. F. zum 01.05.2003 (tatsächlicher Rentenbeginn): EUR 482,95, wobei der Betrag nach § 40 Abs. 1 VBLS a. F. maßgeblich war (AH 211).

Bei den Fiktivberechnungen Nr. 2. und Nr. 3. zum 65. Lebensjahr sind die zum 31.12.2001 maßgebenden Berechnungswerte übernommen worden. Bei der zweiten Fiktivberechnung wurde die Zeit vom 01.01.2002 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres der gesamtversorgungsfähigen Zeit als weitere Umlagemonate und Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde gelegt. Bei der Errechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wurde unterstellt, dass eine gleiche Zahl von Entgeltpunkten wie im Jahre 2001 in den Folgejahren bis zur Vollendung des 65.Lebensjahres erzielt werden würde. Bei der dritten Fiktivberechnung wurde das zusatzversorgungspflichtige Entgelt aus dem Jahre 2002 für die Folgejahre bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zugrunde gelegt. Ebenso wie bei der zweiten Fiktivberechnung wurde eine Dynamisierung des Entgelts nicht vorgenommen. Bonuspunkte sind nicht berücksichtigt worden.

(Vom Abdruck des Urteils in der gesamten Länge wurde an dieser Stelle abgesehen.)

Die Klägerin trägt vor:

Bei der Errechnung der Startgutschrift und der Rente sei der Vordienst in vollem Umfange anzurechnen. Die Berechnungen müssten auf der Grundlage der Verdienste der letzten drei Jahre vor Rentenbeginn erfolgen. Bei der Startgutschrift müsse die gesetzliche Rente in der Höhe zugrunde gelegt werden, wie sie sich zum 31.12.2001 und nicht zur Vollendung des 63. Lebensjahres ergebe.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, der klägerischen Partei für Zeiten ab 01.12.2005 laufend monatlich im voraus weitere 383,19 EUR zuzüglich Zinsen 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz ab jeweiliger Fälligkeit als Betriebsrente zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der klägerischen Partei rückständige Betriebsrentenleistungen für die Zeit vom 01.05.2003 bis 30.11.2005 in Höhe von 11.720,15 EUR zuzüglich Zinsen 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz ab 01.07.2005 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der klägerischen Partei den nicht anrechenbaren Teil der außergerichtlichen Gebühren in Höhe von 1.122,30 EUR sowie Kosten des zur Bezifferung der Klageanträge notwendigen Parteigutachtens in Höhe von 1.067,20 EUR zu zahlen.

Ferner stellt die Klägerin folgenden Hilfsantrag:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bei Eintritt des Versicherungsfalles mindestens eine Betriebsrente zu gewähren, die dem geringeren Betrag der Berechnung der Zusatzrente nach ihrer Satzung in der Fassung der 41. Änderung zu folgenden Zeitpunkten entspricht:

a) 31.12.2001

b) Eintritt des Versicherungsfalles.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor:

Die Startgutschrift für rentennahe Pflichtversicherte werde in enger Anlehnung an die Berechnung der Versorgungsrente nach dem bisherigen Gesamtversorgungsmodell errechnet. Die Hochrechnung auf das 63. Lebensjahr sei eine von den Tarifvertragsparteien getroffene Grundentscheidung. Das Abstellen auf das 65. Lebensjahr wäre für diejenigen nachteilig gewesen, die bereits vorher die höchstmögliche Gesamtversorgung erreicht hätten, da bei Hochrechnung auf das 65. Lebensjahr die gesetzliche Rente weiter angestiegen wäre. Mit dem Abstellen auf das 63. Lebensjahr hätten die Tarifvertragsparteien einen pauschalen, aber sachgerechten Interessenausgleich gewählt.

(Vom Abdruck des Urteils in der gesamten Länge wurde an dieser Stelle abgesehen.)

Gründe

I.

1. Die bereits in der Klageschrift angekündigten Anträge wurden im Lichte des im Kammertermin gestellten zusätzlichen Hilfsantrags Ziff. 1 ausgelegt und sind ebenso zulässig, wie es dieser Hilfsantrag ist. Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsverhältnis in Form eines privatrechtlichen Gruppenversicherungsvertrages, bei dem die Beklagte Versicherer, der Arbeitgeber des Klägers Versicherungsnehmer und der Kläger Begünstigter ist (so schon BGH VersR 1988/577).

Die Klage ist jedoch nur in dem Umfang des Hilfsantrages Ziff. 1 begründet (Im Folgenden soll nur noch von diesem Hilfsantrag die Rede sein).

2. (Vom Abdruck des Urteils in der gesamten Länge wurde an dieser Stelle abgesehen.)II.

(Vom Abdruck des Urteils in der gesamten Länge wurde an dieser Stelle abgesehen.)III.

Anspruch auf die Erstattung der halben anwaltlichen Geschäftsgebühr und der Aufwendungen für das Rentengutachten besteht nicht. Insbesondere bestehen insoweit keine verzugsrechtlichen Ansprüche. Zwar bedurfte es, zumindest soweit es um die ab 01.05.2003 zu zahlenden und gemäß Tenor Ziffer 1 zu errechnenden höheren Rentenbeträge geht, keiner Mahnung zum Eintritt des Verzugs, da für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, § 47 VBLS n.F.). Die geltend gemachten Positionen sind als Verzögerungsschaden (§ 280 Abs. 2 BGB) jedoch nicht schlüssig dargelegt (vgl. AS 15).

1. Hinsichtlich der anwaltlichen Geschäftsgebühr ist zwar zutreffend, dass im Falle der Entstehung einer solchen und eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahren die Geschäftsgebühr nur noch zur Hälfte, höchstens zu 0,75, auf die anschließende Verfahrensgebühr angerechnet wird (Vorbemerkung 3 IV VV zum RVG). Nach zutreffender Ansicht kann der nicht durch Anrechnung erledigte Anteil der außergerichtlichen Geschäftsgebühr nicht im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden, sondern muss - soweit eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage vorhanden ist - mit der Hauptforderung eingeklagt werden (Schons, NJW 2005, 3089, 3091; Schiebel, NJW-Spezial 2004 Heft 3, 103, 104;OLG Frankfurt a.M.,NJW 2005, 759).

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts mag im allgemeinen Zivilrecht als in der Regel erforderlich und die entsprechenden Aufwendungen mögen als in der Regel erstattungsfähig angesehen werden (Palandt, BGB, § 286, Rn. 47). Ob ein solcher Grundsatz jedoch auch im Bereich des Betriebsrentenrechts des öffentlichen Dienstes Platz greifen kann, erscheint fraglich: Zumindest wurde bei der Kammer in keinem anderen bisher entschiedenen oder zur Entscheidung anstehenden Verfahren ein derartiger Aufwendungsersatzanspruch wegen behaupteter außergerichtlicher anwaltlicher Tätigkeit geltend gemacht.

Jedenfalls ist in keiner Weise dargelegt, welche Tätigkeiten der Anwalt außergerichtlich und abgesehen von der Prozessvorbereitung an den Tag gelegt hat. Die bloße Vorlage der Kostennote (AH 131) genügt nicht zur Substantiierung. Insbesondere das außergerichtliche Beanstandungsschreiben stammt von der Klägerin selbst (AH 53).

2. Das vorgelegte Rentengutachten (AH 1-9) und der damit verbundene Kostenaufwand war für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung nicht nötig (vgl. Palandt, BGB, § 249, Rn. 40).

Derartige Gutachten sind keine Sachverständigen-, sondern reine Rechtsgutachten. Denn bei der Durchführung einer (fiktiven) Rentenberechnung handelt es sich um eine reine, wenn auch komplizierte Rechtsanwendung, zumindest wenn das zugrunde gelegte Zahlenmaterial vorliegt und unstreitig bleibt. Insofern besteht beispielsweise und regelmäßig auch kein Raum zur Einholung von Fiktivberechnungen im Wege eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens (vgl. Kammerurteil vom 16.07.2004, AZ. 6 O 924/03, sub I.2.c(2)).

Die Abschätzung, ob ein Streit aus rechtlicher Sicht vor das Gericht gebracht werden soll und wie hoch der absehbare wirtschaftliche Erfolg wäre, hätte vom Anwalt ohne weiteren Kostenaufwand mit erledigt werden können. In diesem Rechtsgebiet erfahrene Rechtsanwälte, zu denen auch der Klägervertreter zählt, sind zur überschlägigen Berechnung der Anwartschaft nach altem Satzungsrecht in der Lage. Dabei können sich ggf. auch frei erwerblicher Hilfsmittel bedienen. Entsprechende Software zum alten Satzungsrecht ist weiterhin verfügbar (z.B. bei der Fa. Homedata für EUR 54,00 einschließlich Mehrwertsteuer und Versandkostenpauschale; s. AH 247-251; vgl. http://www.homedata.de/htm/pzvk0.htm; unter Verwendung der Suchbegriffe VBL Software finden sich weitere Angebote im Internet mit Hilfe der Suchmaschine Google). Die Kosten für die Anschaffung derartiger Hilfsmittel hat der Anwalt ebenso selbst zu tragen wie die Kosten für die Anschaffung von Rechtsliteratur oder für den Zugriff auf juristische Datenbanken.IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Obsiegensquote der Klägerseite war hier deutlich geringer als in Parallelfällen, denn nach dem Klageantrag konnte der Streitwert nicht, wie sonst von der Kammer praktiziert, aus der Differenz der Anwartschaftshöhen zum Umstellungsstichtag gebildet werden.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.