OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.08.2006 - 14 U 90/06
Fundstelle
openJur 2012, 65318
  • Rkr:

1. Die Pressefreiheit gewährleistet auch das Recht der Presse, weitgehend selbst zu entscheiden, ob Anlass zur Recherche besteht und welche Recherchemaßnahmen zur Klärung eines Sachverhalts geeignet und erforderlich sind.

2. Recherchemaßnahmen der Presse, die das Persönlichkeitsrecht des davon Betroffenen berühren, sind dann gerechtfertigt, wenn sie von einem vertretbaren Informationsinteresse getragen sind und der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht außer Verhältnis zum Rechercheanlass steht.

3. Wer mit Veröffentlichungen hervorgetreten ist, muß sich eine Überprüfung seiner Werke dahingehend gefallen lassen, ob es sich um eine eigene geistige Leistung handelt.

Tenor

1. Das Rechtsmittel des Antragstellers gegen den Beschluß des Landgerichts Freiburg vom 21.03.2006 - 14 O 111/06 - wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 25.000EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, ein Schweizer Staatsbürger mit Wohnort in der Schweiz, ist derzeit stellvertretender Oberarzt an der Universitätsklinik .... in der Schweiz. Zuvor arbeitete er auch im Ausland, unter anderem an der Universitätskliniken und wissenschaftlichen Instituten in Schweden und Deutschland. Seit mehr als 10 Jahren ist er auch in der Forschung tätig. Er ist mit nahezu 70 Veröffentlichungen hervorgetreten.

In Ausgabe 09/2005 der von der Antragsgegnerin Nr. 1 verlegten und herausgegebenen Zeitschrift L. ist ein von dem der Redaktion des Blattes angehörenden Antragsgegner Nr. 2 verfaßter Artikel mit der Überschrift Der Publikator erschienen, in dem gegen den Antragsteller Plagiats-Vorwürfe erhoben wurden.

Nachdem in Heft 01-02/2006 des L. eine diese Vorwürfe zurückweisende Gegendarstellung des Antragstellers abgedruckt worden war, hat der Antragsgegner Nr. 2 unter Verwendung von Geschäftspapier der Antragsgegnerin Nr. 1 mit zwei an die Universitätsklinik .... gerichteten Schreiben vom 16. 02. 2006 unter Hinweis auf den im L. 09/2005 und mit dem Zusatz, es hätten sich neue Gesichtspunkte zu Herrn S. ergeben, Gesprächswünsche mit dem Antragsgegner und zweien seiner Vorgesetzten mitgeteilt. Nach erfolglosen schriftlichen Abmahnungen durch den Antragsteller (Anwaltsschreiben vom 06.03.2006) hat sich der Antragsgegner Nr. 2 mit Schreiben vom 08.03.2006 direkt mit Fragen an einen der Vorgesetzten des Antragstellers gewandt. Daraufhin hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegnern im Wege der einstweiligen Verfügung

aufzugeben, es künftig zu unterlassen, Vorgesetzte, Arbeitgeber oder Mitarbeiter des Antragstellers anzuschreiben oder diese sonst zu kontaktieren und hierbei auf den Artikel über den Antragsteller im L. 09/2005, S. 166 ff., Bezug zu nehmen und/oder zu behaupten, es hätten sich inzwischen neue Gesichtspunkte zu Herrn Dr. S. ergeben, ohne einen konkreten Bezug auf ein den Adressaten direkt betreffendes Geschehen von öffentlichem Interesse.

Wegen des vom Antragsteller verfolgten Anspruchs und des zugrundeliegenden Sachverhalts im einzelnen wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen (§ 540 ZPO).

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und hierzu ausgeführt, eine Abwägung des durch das Vorgehen der Antragsgegner berührten Rechts des Antragsteller auf informationelle Selbstbestimmung und des durch das Presserecht verbürgten Rechts der Antragsgegner auf Beschaffung von Informationen ergebe, daß das beanstandete Verhalten der Antragsgegner nicht als rechtswidrig anzusehen sei.

Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung weiter. Er ist der Auffassung, durch das Verhalten der Antragsgegner werde sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und sein Recht auf freie Berufsausübung verletzt, ohne daß dieser Eingriff durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gerechtfertigt sei.

Die Antragsgegner beantragen Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die von Antragsteller und Antragsgegnern eingereichten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Mit Recht hat das Landgericht die Voraussetzungen für den Erlaß der beantragten einstweiligen Verfügung verneint. Der vom Antragsteller geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht nicht.

1. Der von zu erwartenden Eingriffen Dritter in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht Betroffene kann in entsprechender Anwendung der §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB vom potentiellen Störer deren Unterlassung verlangen, wenn der Eingriff nicht seinerseits gerechtfertigt wäre.

2. Die vom Antragsteller beanstandeten - zumindest wegen Verwendung ihres Geschäftspapiers auch der Antragsgegnerin Nr. 1 zuzurechnenden - Verhaltensweisen des Antragsgegners Nr. 2 sind geeignet, die private und berufliche Reputation des Antragstellers zu beeinträchtigen. Sie stellen deshalb einen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2. Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 GG) und in sein Recht auf freie Berufsausübung dar. In beiden Rechten - hinsichtlich des Rechts auf freie Berufsausübung zwar nicht über Art. 12 Abs. 1 GG, wohl aber über Art. 2 Abs. 1 GG (Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl. 2005, Rdn. 264 zu Art. 12 m.w.N.) - ist auch der Antragsteller als im Ausland lebender und im Ausland berufstätiger Nicht-EG-Ausländer geschützt; das gilt jedenfalls dann, wenn die im Raum stehende Beeinträchtigung - wie hier - aus dem Inland kommt. Beschränkt wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen freilich durch die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der Rechte anderer. Dazu gehört das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG). Die Pressefreiheit gewährleistet dabei nicht nur die Freiheit, Nachrichten und Meinungen zu verbreiten. Sie umfaßt vielmehr auch den gesamten Bereich der publizistischen Vorbereitungstätigkeit, zu der insbesondere auch die Beschaffung von Informationen gehört (BVerfGE 66, S. 116 ff., 133; BVerfG, NJW 1999, S. 2880 ff.; NJW 2001, S. 503 ff., 504).

3. Die durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Presse einerseits und die durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gleichfalls grundrechtlich geschützte Position des von Recherchemaßnahmen der Presse Betroffenen andererseits sind - wie das stets bei widerstreitenden Grundrechten der Fall ist (vgl. z.B. BVerfGE 106, S. 28 ff., 49) - gegeneinander abzuwägen und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen (BVerfG, NJW 2001, 503 ff., 505). Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Informationsinteresse der Presse mit deren öffentlicher Aufgabe zusammenhängt, die Öffentlichkeit zu informieren und zur Meinungsbildung beizutragen. Dabei ist es weitgehend Sache der Presse selbst, darüber zu entscheiden, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht (BVerfG, NJW 2001, S. 503 ff., 505). Das Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen berührende Recherchemaßnahmen sind demnach dann gerechtfertigt, wenn sie von einem vertretbaren Informationsinteresse getragen sind, wobei es genügt, wenn einem auch nur schwachem Verdacht nachgegangen wird.

4. Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, daß die vom Antragsteller beanstandeten Recherchemaßnahmen rechtmäßig sind und daher nicht unterlassen zu werden brauchen.

Rechtswidrig wären sie dann, wenn sie sich - wie vom Antragsteller behauptet - als Racheaktion darstellen würden, nachdem sich die Antragsgegner nach Veröffentlichung des Artikels Der Publikator zum Abdruck einer Gegendarstellung des Antragstellers verpflichtet sahen, und wenn sie allein den Zweck hätten, den Antragsteller sittenwidrig zu schädigen. Hierfür ist aber nichts ersichtlich. Vielmehr ist erkennbar, daß die Kontaktaufnahme der Antragsgegner mit Arbeitgebern, Vorgesetzten und Kollegen des Antragstellers zur Klärung der Frage, ob diese zur Beantwortung von Fragen bereit sind, den Zweck hatten und haben sollen, den im Artikel Der Publikator erhobenen Plagiatsvorwurf nachzurecherchieren, ferner, zu überprüfen, wieweit die - angeblich plagiierenden - Veröffentlichungen für den beruflichen Lebensweg des Antragstellers von Bedeutung waren oder sind. Ein anzuerkennendes Interesse der Fachöffentlichkeit an diesen Fragen ist - was keiner näheren Ausführungen bedarf - zu bejahen.

Es liegt in der Natur der Recherche, daß ihr keine Gewißheit, sondern nur ein Verdacht, dem noch nachzugehen ist, zugrunde liegt. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG garantiert, daß die Presse grundsätzlich selbst entscheiden kann, ob ein Verdacht die eine Recherche rechtfertigende Dichte aufweist, und welche Recherchemaßnahmen als geeignet und erforderlich anzusehen sind, um einen Sachverhalt zu klären. Je geringer allerdings auf der einen Seite der Verdacht ist, den die Presse zum Anlaß für die in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifende Recherchen nimmt, und je gravierender auf der anderen Seite diese Eingriffe sind, umso eher werden derartige Maßnahmen unverhältnismäßig und vom Betroffenen nicht hinzunehmen sein.

Im hier zu entscheidenden Fall ist eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht glaubhaft gemacht. Der Umstand, daß in zwei Fällen die Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften sich für die Veröffentlichung vom Antragsteller und je einem Mitautor stammender Artikel bei den Lesern mit der Begründung entschuldigt hatten, Passagen seien zu einem Artikel zweier anderer Autoren excessively similar, bzw. there were significant portions taken from another manuscript, stellen starke Verdachtsmomente dar, die Anlaß zu einer Recherche zum Thema geistiges Eigentum geben können. Da der Antragsteller - der sich in seiner den Artikel Der Publikator betreffenden Gegendarstellung über unzureichende Recherche beklagt hatte - mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen hervorgetreten ist, muß er sich wie jeder andere Autor eine Überprüfung seiner Werke dahingehend gefallen lassen, ob es sich dabei um eigene geistige Leistung gehandelt hat. Eine Überprüfung des Plagiatsverdachts und seiner Auswirkungen durch die Antragsgegner und die damit verbundenen Eingriffe in sein berufliches Umfeld - und notwendigerweise auch in seine Reputation - sind von ihm hinzunehmen. Anders wäre es nur, wenn die Recherchen der Antragsgegner mit unnötigen und außer Verhältnis zu dem mit ihnen verfolgten Zweck stehenden Belastungen des Antragstellers verbunden wären. Dafür ist hier jedoch nichts ersichtlich.III.

Das Rechtsmittel des Antragsgegners war deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Das Urteil ist rechtskräftig (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO), so daß es keines Ausspruchs über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf.