OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.10.2006 - 2 VAs 33/06
Fundstelle
openJur 2012, 65035
  • Rkr:

Therapiebereitschaft eines Drogenabhängigen ist dann zu bejahen, wenn er ernsthaft gewillt ist, eine Therapie zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer geeigneten Einrichtung nach den dort geltenden Regeln, Anweisungen und Bedingungen anzutreten und durchzustehen, um eine bestehende Drogenabhängigkeit zu beseitigen, und an diesem Ziel aktiv mitzuarbeiten.Eine klare Zieldefinition für den weiteren Lebensweg kann nicht verlangt werden.

Tenor

Auf den Antrag des Verurteilten M. N. werden die Entschließung der Staatsanwaltschaft K. vom 09.05.2006 - 811 VRS 610 Js 948/05 und 811 VRS 63 Js 7185/99 - und der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft K. vom 25.08.2006 aufgehoben.Die Staatsanwaltschaft wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.Das Verfahren ist gebührenfrei. Von den außergerichtlichen Kosten des Antragstellers hat die Staatskasse die Hälfte zu tragen.Der Geschäftswert wird auf 3.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Verurteilte wurde durch das Urteil des Landgerichts K. vom 29.03.2001 wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit der Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten belegt. Nach zwischenzeitlicher Bewährungsaussetzung eines Strafrestes und deren Widerruf verbüßt er gegenwärtig diese Strafe noch bis zum 01.02.2007. Anschließend ist die Vollstreckung des Restes (726 Tage) der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten vorgesehen, die das Amtsgericht K. durch das Urteil vom 09.06.2005 gegen ihn wegen mehrfachen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, z.T. in nicht geringer Menge, verhängt hat.

Am 06.03.2006 stellte der drogenabhängige Verurteilte hinsichtlich beider Reststrafen den Antrag, gemäß § 35 BtMG von der weiteren Vollstreckung zum Zwecke der Durchführung einer stationären Drogentherapie abzusehen. Diesem Antrag versagten das Amtsgericht K. mit Beschluss vom 12.04.2006 und das Landgericht K. mit Beschluss vom 03.05.2006 die Zustimmung, und die Staatsanwaltschaft lehnte ihn mit der Verfügung vom 09.05.2006 deshalb und wegen fehlender Therapiebereitschaft des Verurteilten ab. Der von ihm gegen diesen Bescheid eingelegten Beschwerde gab die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Bescheid vom 25.08.2006 keine Folge. Neben dem Fehlen der gerichtlichen Zustimmungen stützt die Generalstaatsanwaltschaft ihren Bescheid darauf, dass die Vollstreckungsbehörde dem Verurteilten schon durch die Verfügung vom 19.08.2005 auf seinen Antrag die Zurückstellung der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts K. vom 09.06.2005 bewilligt hatte, der Verurteilte aber die Therapie in der Einrichtung F., die am 24.10.2005 hätte beginnen sollen, gar nicht erst angetreten hatte. Nachdem die Therapieeinrichtung dies mitgeteilt hatte, widerrief die Staatsanwaltschaft die Zurückstellung und erließ einen Vorführungsbefehl, der aber nicht vollstreckt werden konnte. Der Verurteilte stellte sich erst am 09.01.2006 zum weiteren Strafvollzug. Schon früher, im Jahre 2001, hatte er eine stationäre Therapie nach nur zwei Tagen abgebrochen.

Gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft K. vom 25.08.2006 wendet sich der Verurteilte mit seinem am 01.09.2006 eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das Oberlandesgericht.II.

Der gemäß §§ 23ff. EGGVG zulässige Antrag ist begründet.

Der Vollstreckungsbehörde steht bei ihrer Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie gemäß § 35 BtMG ein Ermessen und hinsichtlich der dabei zu prüfenden Tatbestandsvoraussetzungen, Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit für die abgeurteilten Taten und Therapiewilligkeit des Antragstellers (Körner BtMG, 5. Aufl., § 35 Rdnr. 123), ein Beurteilungsspielraum zu. Gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG hat der Senat die Entschließung der Vollstreckungsbehörde auf Ermessensfehler und darauf zu überprüfen, ob ihr ein zutreffend und vollständig ermittelter Sachverhalt unter Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums zugrunde gelegt ist (ständige Senatsrechtsprechung, z.B. StV 2002, 263).

Der Bescheid der Vollstreckungsbehörde, der in derjenigen Gestalt der Prüfung des Senats unterliegt, die er durch das Vorschaltverfahren gewonnen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil er besorgen lässt, dass die Anforderungen an den Nachweis der Therapiewillens des Verurteilten sowohl von der Vollstreckungsbehörde als auch von den beteiligten Gerichten ermessenfehlerhaft überspannt worden sind.

Die Begründung, mit der die Therapiebereitschaft des Antragstellers verneint wird, begegnet deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sie zunächst zwar zutreffend darauf hinweist, im Ergebnis dann aber unberücksichtigt lässt, dass auch mehrfache Therapieabbrüche noch nicht den Schluss auf einen fehlenden Therapiewillen zulassen (ständige Senatsrechtsprechung, z.B. StV 1983, 112; NStZ 1999, 253), dass sich vielmehr ein Behandlungserfolg häufig erst nach mehreren Therapieversuchen einstellt, so dass sich der Weg aus der Sucht als ein auch von Rückschlägen begleitetes prozeßhaftes Geschehen darstellt (Körner, BtMG, 5.Aufl., § 35 Rdn 125 mit zahlreichen Beispielen und Rechtsprechungsnachweisen). Maßgeblich ist, ob das Verhalten des Verurteilten über die Tatsache des Scheiterns früherer Therapieversuche hinaus konkrete Zweifel an einem ernsten Therapiewillen begründet. Solche Gründe können unter Umständen durchaus auch in einer besonders verantwortungslosen und leichtfertigen Weise gefunden werden, mit der ein Verurteilter Therapiechancen vergibt. Der Vollstreckungsbehörde ist vorliegend zuzugeben, dass der Umgang des Verurteilten mit der ihm im Oktober 2005 im Therapiezentrum F. gewährten Therapiechance und sein anschließendes Untertauchen nicht für ein konsequent und zielstrebig verfolgtes Behandlungsinteresse sprechen, denn die von ihm für den sofortigen Therapieabbruch gegebene Begründung, er habe sich von dieser Einrichtung aus nicht um seine kranke Mutter kümmern können, belegt zumindest ein hohes Maß an Ahnungslosigkeit von den Bedingungen und Anforderungen einer stationären Drogentherapie. Hinzu kommt, dass der Verurteilte bereits im Jahre 2001, als ihm erstmals gemäß § 35 BtMG eine Zurückstellung der Strafvollstreckung bewilligt wurde, die Therapie nach nur zwei Tagen abgebrochen hat. Indessen kann nicht übersehen werden, dass dieses erste Scheitern einer Therapie nun fünf Jahre zurückliegt und deshalb für die Beurteilung der gegenwärtigen Therapiewilligkeit des Verurteilten kaum noch aussagekräftig ist. Immerhin hat sich der Verurteilte im Januar 2006 selbst zum weiteren Strafvollzug gestellt und sich erfolgreich um einen neuen Therapieplatz und die erforderliche Kostenzusage bemüht. Auch hält er, wie er durch Bescheinigungen belegt hat, regelmäßigen Kontakt zu der Drogenberatungsstelle in der JVA H. und nimmt an einer Suchtakupunkturgruppe der JVA teil. Bei dieser Sachlage besteht auch unter Berücksichtigung des krassen Versagens des Verurteilten bei dem Therapieversuch im Oktober 2005 gegenwärtig keine ausreichende Tatsachenbasis, auf die der schwierige Beweis fehlenden Therapiewillens (Körner aaO, Rdn 126) gegründet werden könnte.

Ferner stellt es nach Auffassung des Senats eine Überspannung an die Anforderungen an die Therapiewilligkeit des Verurteilten dar, wenn ihm insoweit, wie aus der Stellungnahme der JVA H. vom 09.08.2006 ersichtlich, angelastet wird, er habe seinen Antrag gemäß § 35 BtMG nicht zugunsten der Fortsetzung einer zunächst zu absolvierenden Kochlehre zurückgestellt, und - so auch der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft - er verfüge über keine klare Zieldefinition für seinen weiteren Lebensweg. Therapiebereitschaft eines Drogenabhängigen ist dann zu bejahen, wenn er ernsthaft gewillt ist, eine Therapie zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer geeigneten Einrichtung nach den dort geltenden Regeln, Anweisungen und Bedingungen anzutreten und durchzustehen, um eine bestehende Drogenabhängigkeit zu beseitigen, und an diesem Ziel aktiv mitzuarbeiten (Körner BtMG, 5.Auflage, § 35 BtMG Rdnr. 24f). Eine klare Zieldefinition für den weiteren Lebensweg mag im günstigen Falle das Ergebnis einer Therapie sein; sie als Voraussetzung für den Beginn einer Therapie zu verlangen, würde die meisten Drogenabhängigen, die mit der Bewältigung ihrer alltäglichen Suchtprobleme kämpfen, überfordern.

Die eine Zurückstellung der Strafvollstreckung ablehnenden Bescheide der Staatsanwaltschaft K. und der Generalstaatsanwaltschaft K. waren deshalb aufzuheben. Die Vollstreckungsbehörde wird über den Antrag des Verurteilten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu befinden haben.

Die gemäß § 35 Abs. 1 BtMG erforderlichen Zustimmungen der Gerichte des ersten Rechtszuges, Amtsgericht und Landgericht K., sind durch diese Entscheidung ersetzt.III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 2 EGGVG; die Entscheidung über die Festsetzung des Geschäftswerts fußt auf § 30 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.