ArbG Pforzheim, Urteil vom 23.02.2005 - 5 Ca 348/04
Fundstelle
openJur 2012, 64972
  • Rkr:
Tenor

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.06.2004 zum 31.12.2004 nicht aufgelöst worden ist.2.Im übrigen (bzgl. des Weiterbeschäftigungsanspruches) wird die Klage abgewiesen.3.Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 2/3, der Kläger zu 1/3.4.Der Wert des Gegenstandes dieser Entscheidung wird auf 24.177,75 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Rechtsstreit soll klären, ob das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 21.06.2004 zum 31.12.2004 aufgelöst worden ist. Ferner begehrt der Kläger seine Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.

Der 52 Jahre alte, verheiratete und 2 in der Ausbildung befindlichen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten am 01.04.1992 in die Dienste getreten. Die Beklagte hat ihm die Position als Organisationsleiter, Anwendersupport übertragen. Der Kläger ist in Vollzeit beschäftigt und erzielte zuletzt ein durchschnittliches Monatseinkommen von ca. 8.059,25 EUR (Jahresgehalt 96.711,00 EUR : 12). Die Beklagte beschäftigt regelmässig mehr als 5 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat besteht.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit Schreiben vom 21.06.2004, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, aus betriebsbedingten Gründen zum 31.12.2004 gekündigt.

Der Kläger war seit 1981 behindert mit einem GdB von 20, festgestellt durch Bescheid des Versorgungsamtes Saarbrücken vom 21.07.1981. Auf den Antrag des Klägers vom 11.06.2004 wurde mit Bescheid des Versorgungsamtes Karlsruhe vom 16.07.2004 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 mit Wirkung ab 01.12.2003 festgestellt.

Mit Antrag vom 15.06.2004, beim Arbeitsamt Gaggenau ausweislich Eingangsstempel am 15. Juni 2004 eingegangen, hat der Kläger Antrag auf Gleichstellung gem. § 2 Abs. 3 SGB IX beantragt. Mit Gleichstellungsbescheid des Agentur für Arbeit Rastatt vom 19.08.2004 wurde der Kläger mit Wirkung zum 15.06.2004 einem schwerbehinderten Menschen gem. § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt.

Mit Klage vom 08.07.2004, eingegangen beim Arbeitsgericht Pforzheim am 09.07.2004 hat der Kläger sich gegen die streitgegenständliche Kündigung gewandt und sich auf die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung wegen bestehender Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung berufen.

Der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat hat den Kündigungsantrag vom 16. Juni 2004 mit Schreiben vom 18. Juni 2004 abgelehnt. Das Ablehnungsschreiben hat u.a. folgenden Inhalt:

"Der Betriebsrat ist der Meinung, dass die ... auf einen Mitarbeiter mit einem so grossen Know-how, wie es Herr S besitzt, nicht verzichten sollte.

Als ehemaliger Abteilungsleiter der Organisation/Anwendersupport ist Herr S einer der wenigen Mitarbeiter des IT-Bereiches, welcher einen Gesamtüberblick der verschiedensten SAP-Anwendungen in den ... besitzt.

Auch nach der Umstrukturierung der 3 verschiedenen IT-Bereiche blieb die Position eines Abteilungsleiters - Anwendungs-Support - bestehen, sie wurde lediglich vom "Interimsmanager P S -Akademie" neu besetzt. Die Neubesetzung dieser Stelle mit Herrn R war, zumindest im fachlichen Bereich, nur die zweitbeste Lösung.

Dem Betriebsrat fällt es schwer zu glauben, dass es im Rahmen des neuen IT-Bereiches keine Aufgaben/Projekte gibt, welche von Herrn S nicht übernommen werden könnten. Diese Meinung wird dadurch bestärkt, da zum 1.10.04 der ehemalige BA-Student H in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden soll.

In der Begründung des Kündigungsantrages wird darauf hingewiesen, dass H. S für den Anwendungs-Support notwendige Kenntnisse fehlen. Hier möchte der Betriebsrat auf den Tarifvertrag zur Qualifizierung hinweisen der Weiterbildungsmassnahmen vorsieht bei veränderten Anforderungen im eigenen Aufgabengebiet.

Selbstverständlich bedauert der Betriebsrat, dass es bei der ursprünglich ausgesprochenen Änderungskündigung, welcher der Betriebsrat zugestimmt hat, zu keiner einvernehmlichen Einigung gekommen ist.

Desweiteren ist der Betriebsrat nicht der Meinung, dass bei einem anderen Aufgabengebiet von Herrn S, nicht nur Herr R in eine Sozialauswahl einbezogen werden muss, sondern durchaus auch einige andere jüngere Mitarbeiter/innen des IT-Bereiches."

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger in der Folge - nochmals - mit Kündigungsschreiben vom 21.10.2004 zum 30.06.2005 gekündigt, nachdem das Integrationsamt mit Bescheid vom 05.10.2004 der erneuten Kündigung zugestimmt hat. Bezüglich dieser Folgekündigung ist ein weiteres Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Pforzheim unter dem Az 4 Ca 231/04 anhängig.

Der Kläger ist der Auffassung, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis sei durch die streitgegenständliche Kündigung vom 21.10.2004 nicht aufgelöst worden. Die ausgesprochene Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, da ein Kündigungsgrund nicht vorliege. Der Kläger bestreitet überdies die ordnungsgemässe Anhörung des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrates.

Der Kläger ist ferner der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung sei bereits deshalb unwirksam, da ihm Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter zustehe. Die Behinderung des Klägers seit 1981 sei der Beklagten bekannt gewesen (Hörstörung) und bereits Thema bei den Einstellungsgesprächen Ende 1991 gewesen. Nachdem die Gleichstellung mit Bescheid der Arbeitsagentur Rastatt mit Wirkung ab 15.06.2004 ausgesprochen worden sei, geniesse der Kläger Sonderkündigungsschutz gem. §§ 85 ff. SGB IX. Hieran ändere auch die seit dem 01.05.2004 eingetretene Neuregelung in § 90 Abs. 2 a SGB IX nichts. Dieser gelte nicht für Gleichstellungsverfahren. Für noch nicht abgeschlossene Antragsverfahren nehme das Gesetz ausdrücklich nur auf den Ablauf des Verfahrens vor dem Versorgungsamt nach § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX Bezug. Das bei der Arbeitsagentur laufende Gleichstellungsverfahren werde dagegen nicht erwähnt. Das Schweigen des Gesetzes bzw. des Gesetzgebers sei beredt. Der Arbeitgeber werde im Gleichstellungsverfahren nach Antragseingang unterrichtet.

Es wäre kontraproduktiv, wenn der Arbeitgeber nach Beginn des Gleichstellungsverfahrens einer entsprechenden Gleichstellung durch eine Kündigung zuvorkommen könne. Hierdurch werde der Schutz des Gleichzustellenden erheblich reduziert. Dies sei nicht Intention des Gesetzgebers gewesen. § 90 Abs. 2 a SGB IX sei daher nicht auf das Gleichstellungsverfahren anwendbar. Die angefochtene Kündigung der Beklagten vom 21.06.2004 sei daher nichtig.

Überdies bestreitet der Kläger das Vorliegen von betriebsbedingten Gründen.

Ferner ist der Kläger der Auffassung, dass er nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites bei Obsiegen mit dem Klagantrag Ziff. 1 in I. Instanz habe. Darüberhinaus habe er auch im vorliegenden Fall den besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 BetrVG nachdem der Betriebsrat gem. § 102 Abs. 3 Nr. 1, 3 Nr. 4 BetrVG widersprochen habe. Der Betriebsrat habe sowohl wegen nicht ausreichender Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte widersprochen, als auch wegen der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz sowie auch wegen der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung nach entsprechender Fortbildungsmassnahme und im übrigen völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass der Arbeitsplatz nicht weggefallen sei, weil der Arbeitsplatzabteilungsleiter "Anwendungssupport" nunmehr durch den Mitarbeiter R besetzt sei.

Der Kläger beantragt daher:

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.06.2004 zum 31.12.2004 nicht aufgelöst worden ist.

2.Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Organisationsleiter Anwender Abteilung Support, hilfsweise Mitarbeiter Anwenderabteilung Support weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Kläger könne keinen Sonderkündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB IX in Anspruch nehmen, da er die Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht vor Zugang der Kündigung nachgewiesen habe. Nach dem seit 01. Mai 2004 in Kraft befindlichen § 90 a Abs. 2a SGB IX müsse die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zum Zeitpunkt der Kündigung nachgewiesen sein. Dies sei der Fall, wenn sie durch einen Schwerbehindertenausweis dokumentiert sei oder offenkundig bzw. durch entsprechenden Feststellungsbescheid erbracht sei. Beide Voraussetzungen seien nicht gegeben.

Mit der Einführung des § 90 Abs. 2 a SGB IX habe der Gesetzgeber dem Missbrauch entgegentreten wollen, welcher in der Vergangenheit durch Anerkennungsverfahren vorliegender Art vor Ausspruch einer Kündigung betrieben worden sei. Im übrigen soll mit dieser Vorschrift für den Arbeitgeber Rechtssicherheit geschaffen werden. Da der Kläger seine Gleichstellung erst nach Zugang der Kündigung nachgewiesen und im übrigen der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes und der Gleichstellungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit erst nach Zugang der Kündigung ergangen sei, könne sich der Kläger auf den Schutz des Schwerbehindertenrechtes nicht berufen. Dies gelte sowohl für das Zustimmungserfordernis nach § 85 SGB IX als auch im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG.

Die Auffassung des Klägers, wonach § 90 Abs. 2 a SGB IX nicht für das Gleichstellungsverfahren gelte, übersehe die Systematik des Schwerbehindertenrechtes. Das SGB IX regle u.a. das Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und schwerbehinderten Arbeitnehmer. In Teil 1 des Gesetzes sei schon in § 2 Abs. 3 SGB IX bestimmt, dass gleichgestellte behinderte Menschen den schwerbehinderten Menschen gleichstünden. Damit sei von vorneherein geregelt, dass die Arbeitnehmer, die den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt seien, schwerbehinderte Menschen im Sinne des SGB IX seien. Explizit werde dies auch in Teil 2 des Gesetzes dargestellt. § 68 Abs. 1 SGB IX regle den Geltungsbereich des Teil 2, also der besonderen Regelung. § 68 Abs. 1 SGB IX bestimme, dass die Regelung dieses Teils für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen gelten. § 90 Abs. 2 a SGB IX sei ein Norminhalt des Teiles des SGB IX. § 68 Abs. 3 SGB IX bestimme weiter, dass auf gleichgestellte behinderte Menschen die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen zur Anwendung kommen würden mit Ausnahme des § 125 und des Kapitel 13 des SGB IX. Die Gesetzessystematik sei insoweit eindeutig. In vorliegendem Fall sei die Beklagte erstmals mit Schreiben vom 20. Juli 2004 im Verfahren beteiligt worden, also mehr als 1 Monat nach Antragstellung. Wer sich mit der Gesetzesbegründung befasse, werden schnell erkennen, dass gerade der Vorgehensweise des Klägers Einhalt geboten werden soll. Das SGB IX dient nicht dazu, einem Arbeitgeber einen strategischen Vorteil zu verschaffen, sondern ausschliesslich dazu, schwerbehinderten Menschen und den schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Arbeitnehmern einen besonderen Schutz zu gewähren, den sie aufgrund ihrer Schwerbehinderung benötigen. Auf diesen besonderen Schutz habe der Kläger bislang keinen Wert gelegt, sondern erst das Verfahren auf Gleichstellung betrieben, als bekanntgeworden sei, dass eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden solle. Dieses Verhalten werde aber durch § 90 a SGB IX sanktioniert.

Die streitgegenständliche Kündigung sei überdies aus betriebsbedingten Gründen berechtigt. Bereits zu Beginn des Jahres 2003 sei bei der Beklagten eine neue Organisationsstruktur mit dem Betriebsrat abgestimmt und umgesetzt worden, welche zu einer Änderung der Hierarchiestruktur geführt habe und eine Reduzierung der Arbeitsplätze mit Führungskräften von 9 auf 3.

Dies habe zum vollständigen Wegfall des vom Kläger als Führungskraft innegehabten Arbeitsplatzes "Organisation/Anwendungssupport" innerhalb des Bereiches IK geführt. Der allein vergleichbare Mitarbeiter R, der bislang Abteilungsleiter im Bereich IT gewesen sei, sei sozial schutzwürdiger als der Kläger. Die Beklagte habe zunächst die Möglichkeit gesehen, dem Kläger vorübergehend Projektaufgaben in der Abteilung "Organisation/Anwendung-Support" zu übertragen, jedoch nicht als Abteilungsleiter sondern als Projektleiter. Auch hierüber habe bereits ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Pforzheim (Az 2 Ca 765/03) stattgefunden. Soweit dem Kläger im Zeitpunkt der Änderungskündigung die Projektaufgabe SAP-Reorganisation übertragen worden sei, sei dies ebenfalls im Sommer 2004 abgeschlossen worden. Ein anderer freier Arbeitsplatz sei nicht vorhanden. Die Sozialauswahl sei allein auf den Mitarbeiter R beschränkt. Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 16. Juni 2004 angehört worden. Auch dieser akzeptiere den Wegfall des Arbeitsplatzes.

Im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, soweit diese Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Terminsprotokolle gem. § 313 Abs. 2 ZPO verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.I.

1.Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts Pforzheim folgt aus §§ 12, 13, 17, 29 ZPO. Sowohl Sitz der Beklagten als auch Erfüllungsort für die Arbeitsleistung des Klägers ist 72178 Waldachtal, das Arbeitsgericht Pforzheim mithin örtlich zuständig.

Die Rechtswegeröffnung zu den Gerichten für Arbeitssachen folgt aus § 2 Abs. 1 Nr 3 ArbGG.

2.Der geltendgemachte Kündigungsschutzantrag ist gem. §§ 4, 7 KSchG zulässig. Soweit der Kläger zunächst einen allgemeinen Feststellungsantrag erhoben hatte, ist dieser auf richterlichen Hinweis im Kammertermin zurückgenommen worden. Gegen die Zulässigkeit des auf tatsächliche Weiterbeschäftigung gerichteten Klagantrages 2 bestehen ebenfalls keine Bedenken.II.

Die Klage ist insoweit begründet, als sich der Kläger gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 21.06.2004 wendet. Ein Weiterbeschäftigungsantrag steht dem Kläger jedoch (derzeit) nicht zu.

1.Ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.06.2004 zum 31.12.2004:

a)Die dem Kläger unter dem 21.06.2004 ausgesprochene Kündigung ist bereits deshalb unwirksam, da der Kläger sich entgegen der Auffassung der Beklagten vorliegend auf den Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX i.V. 2 Abs. 3 SGB IX berufen kann.

Die Voraussetzungen für den besonderen Kündigungsschutz des Klägers sind vorliegend gegeben. Der Kläger wurde mit Bescheid der Agentur für Arbeit Rastatt vom 19.08.2004 mit Wirkung zum 15.06.2004 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und geniesst daher ab diesem Zeitpunkt Sonderkündigungsschutz. Eine ihm ausgesprochene Kündigung ist daher nur mit vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes möglich. Der Kläger hat sich auf diesen Sonderkündigungsschutz auch rechtzeitig, nämlich bereits mit der Klagschrift und somit innerhalb von 4 Wochen berufen.

b)Die Berufung auf den Sonderkündigungsschutz ist vorliegend auch nicht durch § 90 Abs. 2 a SGB IX ausgeschlossen. § 90 Abs. 2 a SGB IX findet keine Anwendung für nach § 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bei der Arbeitsagentur/Arbeitsamt laufende Gleichstellungsverfahren. Die Kammer schliesst sich insoweit vollumfänglich der Auffassung von Diederichs im Betriebsberater 2004, Seite 2811, 2813 an. § 90 Abs. 2 a SGB IX nimmt insoweit ausdrücklich nur Bezug auf Verfahren vor dem Versorgungsamt nach § 69 Abs. 2 SGB IX. Das Schweigen des Gesetzgebers ist insoweit beredt. Das Verfahren vor dem Versorgungsamt und vor der Agentur für Arbeit unterscheiden sich bezüglich der Ausgestaltung im einzelnen. Im Gleichstellungsverfahren wird der Arbeitgeber - grundsätzlich - nach Antragseingang unterrichtet und sollte daher bei Ausspruch der Kündigung oder zeitnah hierzu wissen, ob ein Antrag gestellt ist. Er kann gegenüber der Arbeitsagentur auch auf die Dauer sowie auf das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen, indem er schnell und substantiiert über den Arbeitsplatz des Antragstellers informiert bzw. insoweit auch unverzüglich nach Antragseingang bei ihm ein entsprechendes Verfahren auf Zustimmung vor dem Integrationsamt einleiten. Der Beklagten ist zwar insoweit vorliegend Recht zu geben, als sie erst - relativ spät - von dem laufenden Gleichstellungsantrag des Klägers bei der Arbeitsagentur Rastatt unterrichtet wurde.

Dies führt jedoch vorliegend nicht dazu, dass grundsätzlich von der Intention des Gesetzgebers aus bei Abfassung des § 90 Abs. 2a SGB IX davon ausgegangen wurde, dass eine unverzügliche Beteiligung des Arbeitgebers stattfindet. Allein die pauschale Verweisung auf die Gleichstellung von Schwerbehinderte und diesen Gleichgestellten gem. §§ 2, 68 SGB IX ist insoweit nicht ausreichend. Zu berücksichtigen ist daher, dass es sich bei § 90 Abs. 2a SGB IX um eine Vorschrift handelt, welche aus ausdrücklich auf ein Verfahren Bezug nimmt, welches jedoch vor dem Versorgungsamt und der Agentur für Arbeit unterschiedlich ausgestaltet ist. Insoweit hätte es jedenfalls einer Klarstellung des Gesetzgebers bedurft, wenn dieser trotz unterschiedlicher Verfahren eine identische Anwendung der Vorschrift auch auf das nicht genannte Verfahren vor der Agentur für Arbeit gewollt hätte. Dass dieses sich unterscheidet wurde bereits dargelegt. Der Gesetzgeber hat insoweit keine eindeutige Regelung getroffen, dass auch auf das Verfahren von der Agentur für Arbeit § 90 Abs. 2a SGB IX Anwendung finden sollte, vielmehr hat er dieses Verfahren gerade nicht erwähnt. Eine Erstreckung über den Gesetzeswortlaut durch die von der Beklagten gewollten Analogien hinaus verbietet sich bereits, da es sich insoweit um eine Vorschrift handelt, welche nicht nur eine bestimmte Rechtsfolge (die Gleichstellung) zum Ziel hat, sondern als Voraussetzung auch ein bestimmtes Verfahren, welches jedoch aus den obengenannten Gründen unterschiedlich abläuft. Da der Gesetzgeber insoweit gerade keine Regelung getroffen hat, verbleibt es dabei, dass § 90 Abs. 2a SGB IX über seinen wörtlichen Anwendungsbereich hinaus nicht auf Gleichstellungsverfahren vor der Agentur für Arbeit angewendet werden kann. Die Beklagte wäre daher verpflichtet gewesen, vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Da dies nicht geschehen ist, ist die streitgegenständliche Kündigung gem. § 85 SGB IX unwirksam bzw. nichtig. Das Arbeitsverhältnis konnte daher durch diese Kündigung nicht aufgelöst werden.

c)Da das Arbeitsverhältnis somit bereits aus formalen Gründen im Hinblick auf die Gleichstellung des Klägers mit einem schwerbehinderten Menschen nicht aufgelöst werden konnte, kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagten im übrigen Kündigungsgründe im Sinne des § 1 KSchG zur Seite gestanden haben, dies ist ggf. im Verfahren bezüglich der Folgekündigung vor der 4. Kammer zu klären. Klagantrag Ziff. 1 war daher begründet.

2.Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung zu seinen bisherigen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreites. Dem Kläger steht insoweit weder ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch gem. der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes noch der besondere Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 BetrVG zu.

aa)Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch:

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Beschluss vom 27. Februar 1985, Az Gs 1/84 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) kann, so lange in einem Kündigungsschutzprozess die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil besteht, die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Derartige Umstände können sich aus Folgekündigungen des Arbeitgebers ergeben. Stützt der Arbeitgeber eine neue Kündigung auf einen neuen Lebenssachverhalt, der es möglich erscheinen lässt, dass die erneute Kündigung eine andere rechtliche Beurteilung erfährt, dann wird damit eine zusätzliche Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses begründet, die das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung wieder überwiegen lässt. Bei der Frage, ob es möglich ist, dass die neue Kündigung eine andere Beurteilung erfährt, sind auch die Umstände zu berücksichtigen, die dafür sprechen, dass der neue Sachverhalt nur vorgeschoben ist (vgl. BAG, Urteil vom 19. Dezember 1985, Az 2 AZR 190/85 = NZA 86, 566 = NJW 86, 2965).

ab)Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Kläger sich vorliegend nicht weiter auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch berufen. Die Beklagte hat vorliegend unter dem 21.10.2004 eine erneute Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen. Diese beendet das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2005, also vor möglicher rechtlicher Beendigung des vorliegenden Arbeitsrechtsstreites im Falle eines Berufungsrechtsstreites. Diese weitere Kündigung ist vorliegend auch nicht offensichtlich unwirksam oder als Trotz- bzw. Kettenkündigung anzusehen. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit deshalb obsiegt hat, da die Kammer formale Bedenken im Hinblick auf die bestehende Gleichstellung als Schwerbehinderter des Klägers als tragend angesehen hat. Zu den eigentlichen Kündigungsgründen, nämlich dem Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers, bestand daher kein Anlass Stellung zu nehmen, zumal nach Auffassung der Kammer diesbezüglich keine Entscheidungsreife im Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegen hat. Es bleibt insoweit dabei, dass die Erfolgsaussichten bezüglich der Folgekündigung jedenfalls als offen anzusehen sind. Die Beklagte war - lediglich - aufgrund der erforderlichen Anhörung des Integrationsamtes gehalten, nochmals eine Kündigung auszusprechen. Diese ist jedoch nicht treuwidrig oder offensichtlich unwirksam. Die Voraussetzungen für den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sind daher entfallen. Die Kammer hat insoweit auch erwogen, den Weiterbeschäftigungsanspruch lediglich bis 30.06.2005 (Beendigungszeitpunkt bezüglich der Folgekündigung) auszusprechen.

Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Beklagte insoweit für einen - relativ kurzen - Zeitraum genötigt gewesen wäre, für den Kläger noch einen nach ihrem Vortrag nicht vorhandenen Arbeitsplatz zu schaffen, hat die Kammer jedoch auch insoweit die Interessen der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers im Hinblick auf die erfolgt Folgekündigung als gewichtiger als das tatsächliche Interesse des Klägers an einer - ggf. nur kurzfristigen - Weiterbeschäftigung angesehen. Der Kläger kann den Antrag somit nicht auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch stützen.

b)Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 BetrVG:

ba)Gem. § 102 Abs. 5 BetrVG muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen, soweit der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäss widersprochen hat und der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat. Voraussetzung für einen Weiterbeschäftigungsanspruch im Sinne des § 102 Abs. 5 BetrVG ist jedoch nach einhelliger Auffassung das Vorliegen eines wirksamen, somit auch qualifizierten Widerspruches. Da es sich bei dem Widerspruch nach § 102 Abs. 3 BetrVG um eine qualifizierte Art von Bedenken handelt, ist nicht nur die Form des § 102 Abs. 2 BetrVG zu wahren, sondern der Widerspruch ist auch mit Gründen zu versehen. Ausgehend vom Normzweck der Vorschrift, den Arbeitgeber von der gesamten Kündigung im Einzelfall abzuhalten, die nach deren Ausspruch ggf. den grundsätzlichen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrVG begründen kann, erscheint es auch angesichts des Kataloges der Widerspruchsvoraussetzungen, die ebenfalls einzelfallbezogen sind, unverzichtbar, da sich der Widerspruch des Betriebsrats mit dem konkreten Fall befasst. Das setzt ein Minimum an Sachdarstellung voraus, die erkennen lässt, aus welchen Erwägungen der Betriebsrat im Einzelfall glaubt, die Voraussetzungen eines gesetzlichen Widerspruchsgrundes annehmen zu können. Die Wiederholung des Gesetzestextes oder formelhafte Wendungen, die ein sachliches Eingehen auf den Einzelfall vermissen lassen, vermögen den Widerspruch deshalb nicht ordnungsgemäss zu begründen (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.08.94, Az 6 Sa 30/94 n.V.).

bb)Im vorliegenden Fall rügt der Betriebsrat zunächst, dass die Position eines Abteilungsleiters/Anwendung-Support bestehen bliebe und die Neubesetzung dieser Stelle mit Herrn R nur die zweitbeste Lösung sei. Dies stellt zunächst keinen qualifizierten Widerspruch im Sinne des § 102 Abs. 3 BetrVG dar.

Die Frage der Qualifikation eines anderen Mitarbeiters bzw. mit wem eine konkrete Stelle besetzt wird ist allenfalls eine Frage der Sozialauswahl, der Betriebsrat kann insoweit jedoch nicht über die Entscheidungen des Arbeitnehmers bezüglich der Strukturierung des Betriebes mitbestimmen. § 102 BetrVG gibt insoweit keine Handhabe. Auch soweit der Betriebsrat darauf rekuriert, dass es ihm "schwerfalle zu glauben" dass es im Rahmen des neuen IT-Bereiches keine Aufgaben/Projekte gäbe, welche vom Kläger übernommen werden können, stellt keinen Widerspruch im Sinne des § 102 Abs. 3 Ziff. 3 BetrVG dar. Voraussetzung wäre die konkrete Benennung eines freien Arbeitsplatzes. Soweit der Betriebsrat auf den BA-Studenten H verweist ist dieser - offensichtlich - mit dem Kläger aufgrund dessen bei der Beklagten innegehabte Tätigkeit nicht vergleichbar. Dass dies eine für den Kläger geeignetefreie Stelle sei, hat der Betriebsrat nicht ausgeführt. Soweit der Betriebsrat auf Weiterbildungsmassnahmen verweist ist dies ebenfalls pauschal gehalten, es ist weder ersichtlich, welche Weiterbildungsmassnahmen für die Tätigkeit eines Anwendungssupporters erforderlich sein sollen, noch dass ein entsprechender konkreter Arbeitsplatz frei ist. Soweit der Betriebsrat darauf rekuriert, dass auch einige andere jüngere Mitarbeiter/innen des IT-Bereiches in die Sozialauswahl hätten einbezogen werden müssen ist dieses Vorbringen ebenfalls nicht geeignet, den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch auszulösen. Erforderlich wäre gewesen, dass der Betriebsrat insoweit konkret benennt, welche sozial weniger schutzwürdigen Mitarbeiter er als vergleichbar erachtet und dies ausführt. Die pauschale Behauptung der unrichtigen sozialen Auswahl ist insoweit nicht geeignet, einen Weiterbeschäftigungsanspruch auszulösen, Voraussetzung ist - wie bereits dargelegt - dass der Arbeitgeber sich anhand des Vorbringens des Betriebsrates darüber klar werden kann, welche Mitarbeiter konkret als vergleichbar erachtet werden müssen und er insoweit auch die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Kündigung abschätzen kann. Daran fehlt es vorliegend.

Insgesamt ist der Widerspruch des Betriebsrates daher nicht ordnungsgemäss im Sinne des § 102 Abs. 3 BetrVG. Dieser vermag daher auch die vom Kläger gewollte Rechtsfolge, nämlich den Weiterbeschäftigungsanspruch, nicht auszulösen. Die Klage war insoweit abzuweisen.III.

Die Kostenentscheidung folgt vorliegend aus § 92 ZPO.

Da Schwerpunkt der geltendgemachten Klage im unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bestand und die Weiterbeschäftigung im wesentlichen als Absicherung dieses Erfolgs dienen sollte, war eine Kostenentscheidung von 2/3 zu 1/3 angezeigt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 42 Abs. IV GKG in Höhe von 3 Bruttomonatsgehältern des Klägers. Streitwertmässig hat die Kammer dem gestellten Weiterbeschäftigungsanspruch, der zur Absicherung des Klagerfolgs dienen sollte, hingegen keine eigenständige Bedeutung beigemessen.

Nagel