LG Freiburg, Urteil vom 16.03.2005 - 7 Ns 300 Js 130/04 AK 71/04
Fundstelle
openJur 2012, 64926
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Schöffengerichts Emmendingen vom 18.05.2004 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit es das Tatgeschehen vom 02.01.2004 betrifft.Insoweit wird die Sache an das Landgericht Freiburg- Schwurgerichtskammer - verwiesen, das auch über die diesen Teil betreffenden Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.Die diesbezügliche Berufung des Angeklagten ist damit gegenstandslos.Im Übrigen wird auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und insoweit wie folgt neu gefasst:Der Angeklagte R. wird wegen Körperverletzung in 3 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lahr vom 29.10.2003 - 3 Ds 9 Js 8327/03 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung durch die erlittene Untersuchungshaft erledigt ist.Die Berufung des Angeklagten wird verworfen.Der Angeklagte trägt die übrigen Kosten des Berufungsverfahrens und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklage.

Gründe

I. Durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - Emmendingen vom 18.05.2004 wurde der Angeklagte wegen Körperverletzung in 3 Fällen unter Einbeziehung des Urteils (gemeint ist: unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil) des Amtsgerichts Lahr vom 29.10.2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Des weiteren wurde er wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, tateinheitlich begangen mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung, zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von 2 Jahren festgesetzt. Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft jeweils form- und fristgerecht Berufung ein, wobei die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. In der Berufungshauptverhandlung beschränkte der Angeklagte seine Berufung hinsichtlich der Tatvorwürfe vom 09.03.2003 und 22.03.2003 ebenfalls wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch. Das Rechtsmittel des Angeklagten, der den Wegfall des Schuldspruchs wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie eine mildere Bestrafung erstrebte, blieb ohne Erfolg. Die Berufung der Staatsanwaltschaft führte zu einer höheren Gesamtfreiheitsstrafe hinsichtlich der Taten vom 09.03.2003 und 22.03.2003. Bezüglich des angeklagten Tatgeschehens vom 02.01.2004 hielt die Strafkammer gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 - 5 GVG die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer für gegeben, so dass gemäß § 328 Abs. 2 StPO zu verfahren war.

Die Kammer ist davon ausgegangen, dass die zwischenzeitlich durch den Angeklagten erklärte Rücknahme des Rechtsmittels gegen das Urteil des Schöffengerichts Emmendingen unwirksam ist, so dass in der Berufungshauptverhandlung über seine weiterhin zulässige Berufung entschieden werden musste. Zwar hatte der Angeklagte durch Anwaltsschreiben vom 22.06.2004, per Telefax eingegangen am selben Tag, sein mit Schriftsatz vom 25.05.2004 eingelegtes Rechtsmittel zurückgenommen, doch ist diese Rechtsmittelrücknahme unwirksam (vgl. dazu den ähnlich gelagerten Fall in BGH NJW 2004, 1885). Vorangegangen war nämlich folgendes: Nachdem die Staatsanwaltschaft am 18.05.2004 Berufung und der Verteidiger am 25.05.2004 Rechtsmittel eingelegt hatten, teilte der Verteidiger mit am 07.06.2004 eingegangenem Schriftsatz dem Schöffengericht folgendes mit:

In dem Strafverfahren gegen R. konnte ich mit Herrn Oberstaatsanwalt Dr. G. eine Verständigung dahingehend erzielen, dass sobald die Urteilsgründe schriftlich abgefasst wurden, der Haftbefehl gegen den Angeklagten außer Vollzug gesetzt werden kann, dass ich nach Freilassung des Angeklagten das von mir eingelegte Rechtsmittel zurücknehme und dass nach Eingang meiner Rechtsmittelrücknahme auch die Staatsanwaltschaft die von dort eingelegte Berufung zurücknimmt. Anschließend sollten die Akten direkt zur Staatsanwaltschaft zur Einleitung der Vollstreckung gegeben werden. Dies hätte für den Angeklagten den erheblichen Vorteil, dass er dann, da er sich zum Zeitpunkt der Vollstreckung auf freiem Fuß befindet, direkt zum Strafantritt in die offene Abteilung der JVA Kislau geladen würde. Er könnte dann als Selbststeller sehr schnell Vollzugslockerungen erhalten. Als Auflage im Rahmen der Außervollzugsetzung kann eine Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000 Euro, eine tägliche Meldeauflage beim Polizeirevier Achern und die Pflicht zur Wohnsitznahme beim Bruder des Angeklagten sowie ggf. andere, in das Ermessen des Gerichts gestellte Auflagen verhängt werden. Die Außervollzugsetzung gegen Auflagen ist möglich, da der Haftbefehl nicht nur der Sicherung des Verfahrens, sondern auch der Sicherung der Vollstreckung dient. Organisatorisch wichtig ist die Freilassung des Angeklagten vor Berufungsrücknahme, da ansonsten die Untersuchungshaft direkt in Strafhaft übergehen würde.

Die Staatsanwaltschaft erklärte dazu mit Schreiben vom 15.06.2004:

Im Anschluss an das geführte Telefonat beantrage ich, den Haftbefehl des Amtsgerichts Emmendingen gegen Auflagen außer Vollzug zu setzen.

Auflagen:

1. absolutes Kontaktverbot bezüglich der Geschädigten R.

2. wöchentliche Meldung beim zuständigen Polizeiposten,

3. Mitteilung des Wechsels der Arbeitsstelle bzw. des Wechsels des Wohnsitzes.

Im Anhörungsprotokoll des Amtsgerichts vom 22.06.2004 ist folgendes festgehalten:

Vorgeführt aus der Untersuchungshaft wird Herr R.. Des weiteren anwesend Herr Rechtsanwalt K.

Herr R. wird von der geplanten Außervollzugsetzung des Haftbefehls in Kenntnis gesetzt. Es wird ihm mitgeteilt, dass er jeglichen Kontakt zu seiner getrennt lebenden Ehefrau zu unterlassen hat. Ein mögliches Treffen mit dem Kind muss von den Anwälten abgesprochen werden und hat allenfalls beim Kinderschutzbund in Emmendingen stattzufinden.

Es ergeht sodann der aus der Anlage ersichtliche Beschluss.

Herrn R. werden die Auflagen nochmals erklärt. Er erklärt, dass er alles verstanden hat. Rechtsanwalt K. ermahnt gleichermaßen seinen Mandanten. Er erklärt ergänzend, dass er dafür Sorge tragen wird, dass die Kaution beim Amtsgericht in Achern einbezahlt wird. Er bittet um Übersendung per Fax eines Beschlusses.

Der als Anlage erwähnte Beschluss beinhaltet die Außervollzugsetzung des Haftbefehls unter verschiedenen Bedingungen (Kontaktverbot zu R., Meldepflicht 3 Mal wöchentlich, Hinterlegung einer Kaution und Wohnsitznahme beim Bruder). Noch am gleichen Tag, dem 22.06.2004, ging die Rechtsmittelrücknahme des Verteidigers per Telefax beim Amtsgericht ein.

Am 23.06.2004 legte die Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss vom 22.06.2004 über die Außervollzugsetzung des Haftbefehls Beschwerde ein, worauf das Amtsgericht noch am 23.06.2004 - ersichtlich ohne Anhörung des Angeklagten - folgenden Beschluss erließ:

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Amtsgerichts Emmendingen vom 22.06.2004, mit dem während des Protokolldiktats der Haftbefehl des Amtsgerichts Emmendingen vom 03.01.2004, gemeint war der Haftbefehl des Amtsgerichts Emmendingen vom 04.03.2004, außer Vollzug gesetzt wurde, aufgehoben.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Emmendingen vom 04.03.2004 bleibt somit aufrechterhalten. Die Haftfortdauer wird angeordnet.

Gründe:

Nach dem Diktat des Beschlusses bezüglich der Außervollzugsetzung des Haftbefehls und vor Unterzeichnung kamen dem Gericht aufgrund der vom Verurteilten gezeigten Verhaltensweisen im Zusammenhang mit den Erläuterungen der Auflagen, die weiterhin keine ersichtliche Einsicht erkennen ließen, größte Bedenken, dass er sich an das Kontaktverbot halten wird. Mit stoischem Gesichtsausdruck, der keinerlei Regungen erkennen ließ, nahm er die Belehrung zur Kenntnis. Auch eine weitere Belehrung seines Verteidigers, zum Beispiel dahingehend, dass eine Ohrfeige zum Nachteil der R. 6 Monate mindestens bedeuten würden, nahm er regungslos zur Kenntnis. Diese Feststellungen wurden Herrn Oberstaatsanwalt Dr. G. übermittelt. Daraufhin legte er gegen den Außervollzugsetzungsbeschluss Beschwerde ein mit folgender Begründung: Aufgrund der Angaben von Herrn Richter am Amtsgericht S. sind die Erwartungen, die an das Verhalten des Verurteilten mit der geplanten Außervollzugsetzung des Haftbefehls verbunden waren, in Frage gestellt. Nur die geringste Gefahr einer Nichterfüllung der Weisungen und Auflagen kann nicht hingenommen werden, da in diesem Zusammenhang auch ein schwerwiegenderes Vorgehen des Verurteilten gegenüber seiner Frau bis hin zu weiteren - möglicherweise nicht unerheblichen - Straftaten nicht ausgeschlossen werden kann.

Dieser Einschätzung schließt sich das Gericht an. Aufgrund der gezeigten Verhaltensweisen drängten sich größte Bedenken auf, dass er sich nicht an das Kontaktverbot halten wird; aus diesem Grunde geht das Gericht nunmehr weiterhin vom Haftgrund der Wiederholungsgefahr aus, so dass der Außervollzugsetzungsbeschluss aufzuheben war.

Zur Berufungsrücknahme des Verteidigers fertigte der Vorsitzende des Schöffengerichts am 23.06.2004 einen Aktenvermerk mit folgendem Inhalt:

Alle Verfahrensbeteiligten, auch der Unterzeichner, gingen und gehen davon aus, dass die Berufungsrücknahme nur vor dem Hintergrund der Freilassung des Verurteilten vor Rechtskraft des Urteils abgegeben wurde. Dies sollte zur Folge haben, dass sich der Verurteilte aus Freiheit dem Strafantritt selbst hätte stellen können.

Da aufgrund der gegen Ende des Anhörungstermins vom 22.06.2004 gemachten Feststellungen der Beschwerde der Staatsanwaltschaft abgeholfen wurde, ist dies nicht mehr gegeben.

Infolge der Art und Weise dieses gesamten Vorgehens ist die Rechtsmittelrücknahme des erkennbar auf dem Gedanken sofortiger Haftentlassung fixierten Angeklagten wegen hierdurch hervorgerufener schwerwiegender Willensmängel als unwirksam zu werten (so auch BGH a.a.O.).

II. Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte R. wurde am & in K./Kasachstan als zweites Kind seiner Eltern geboren. Er hat noch einen 4 Jahre älteren Bruder und zwei Halbschwestern aus der ersten Ehe seines Vaters. Sein Vater arbeitete als Schweißer, seine Mutter halbtags als Putzfrau, beide im gleichen großen Betrieb. Die Eltern seiner Mutter sind deutschstämmig. Nach dem Besuch des Kindergartens wurde der Angeklagte mit 8 Jahren eingeschult und besuchte 8 Jahre lang die Schule. Im Anschluss daran ging er 3 Jahre lang zur Berufsschule und erlernte den Beruf des Elektrikers. Es folgte eine Wehrdienstzeit von 2 Jahren, die er im Kaukasus ableistete, ca. zwei Flugstunden von seiner Heimat entfernt. Im Frühjahr 1989 fand der Angeklagte eine Anstellung als Elektriker im gleichen Betrieb, in dem auch seine Eltern beschäftigt gewesen waren. Als gegen Ende des Jahres 1989 seine Eltern Rentner wurden, übersiedelte der Angeklagte mit ihnen nach Deutschland, um hier gemeinsam als Spätaussiedler eine neue Zukunft zu suchen. Sein mittlerweile verheirateter Bruder folgte ihnen etwa ein Jahr später.

Nachdem die Familie ungefähr ein Jahr lang im Übergangsheim in Achern, dem früheren Seehotel, gelebt hatte, konnte Anfang 1991 eine eigene Wohnung in Achern bezogen werden. Der Angeklagte absolvierte einen 6-monatigen Sprachkurs und fand danach eine Arbeitsstelle in einer Möbelfabrik. Nach 6 Monaten wurde er jedoch arbeitslos und besuchte einen 8-monatigen Intensivsprachkurs. Im Anschluss daran fand er eine Stelle als Elektriker bei der Fa. E. in L.. Wegen der schlechten Auftragslage wurde ihm nach zwei Jahren gekündigt, worauf er ein halbes Jahr lang arbeitslos war. Für ein weiteres halbes Jahr nahm der Angeklagte an einer Fortbildungsmaßnahme in seinem Beruf teil, die vom Arbeitsamt finanziert wurde. Nach einem 2-monatigen Praktikum bei der Fa. S. in F. wurde er dort übernommen und blieb für rund 2 Jahre bis 1996. Am 01.11.1996 wechselte er zur Fa. B., wo er bis zum Oktober 2003 als Elektroinstallateur tätig war. Wegen der schlechten Auftragslage wurde ihm gekündigt; seitdem ist er arbeitslos.

Im Jahre 1995 lernte der Angeklagte seine erste Freundin kennen, die alsbald von ihm schwanger wurde. Noch vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes am & ging die Beziehung wieder auseinander. Zu beiden hat der Angeklagte keinen Kontakt mehr. Im Frühjahr 1996 lernte der Angeklagte die aus Tadschikistan stammende Russlanddeutsche R. kennen, die er am 1996 heiratete. Am & wurde die gemeinsame Tochter geboren. Als der Angeklagte im Februar 2002 begann, seinem Bruder bei dem Bau seines Wohnhauses zu helfen, und bis zum Dezember 2002 nahezu täglich bis 22.00 Uhr abwesend war, kam es zu einer Ehekrise, die sich so weit zuspitzte, dass seine Ehefrau Ende Januar 2003 die eheliche Wohnung verließ und zur Familie ihres Bruders nach E. zog. Wenige Wochen später reichte sie die Scheidung ein. Seit dem Sommer 2004 ist die Scheidung rechtskräftig. Seine Ehefrau nahm zwischenzeitlich wieder ihren Mädchennamen an.

Der Angeklagte ist wie folgt vorbestraft:

Am 29.10.2003 verurteilte ihn das Amtsgericht Lahr - 3 Ds 9 Js 8327/03 - wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung zu 7 Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung.

Nach den Feststellungen des Urteils befand sich die Ehefrau des Angeklagten am 21.05.2003 in der früheren gemeinsamen Wohnung in K., nachdem sie dem Angeklagten zuvor telefonisch angekündigt hatte, dass sie ihre Sachen abholen wolle. Obwohl dem Angeklagten bekannt war, dass er sich auf Grund eines Beschlusses des Amtsgerichts E. vom 17.04.2003 von seiner Ehefrau 100 m entfernt zu halten hatte, begab er sich im Treppenhaus seines Anwesens zu ihr, nachdem er den seine Ehefrau begleitenden Arbeitskollegen G. durch Schließen der Hauseingangstür ausgesperrt hatte. Sodann schlug der Angeklagte auf seine Ehefrau ein. Als G sich an der Tür bemerkbar machte, öffnete er diesem kurz die Tür, begab sich aber sofort wieder zu seiner zwischenzeitlich in den Keller geflüchteten Ehefrau, woraufhin er sie wieder am Kopf packte und zuschlug. Zwischenzeitlich fiel sie auf den Boden, woraufhin er ihr mit dem beschuhten Fuß in den Bauch trat. Der Zeuge G., der daraufhin zwischen den Angeklagten und seine Ehefrau trat, wurde von dem weiter um sich schlagenden Angeklagten ebenfalls im Bereich der Schulter und des Beines getroffen. Seine Ehefrau erlitt durch diese Schläge blaue Flecken am ganzen Körper und erhebliche Hämatome im Bereich des Gesichts. Sie war eine Woche lang krank geschrieben. G. erlitt durch die Schläge Schmerzen am linken Rippenbogen, im Bereich der linken Schulter und am linken Bein.

Im vorliegenden Verfahren wurde der Angeklagte am 02.01.2004 vorläufig festgenommen; seit dem 03.01.2004 befindet er sich ununterbrochen in Untersuchungshaft.

III. Infolge der wirksamen Beschränkungen der Berufungen hinsichtlich der Tatvorwürfe vom 09.03.2003 und 22.03.2003 sind der diesbezügliche Schuldspruch und die ihn tragenden tatsächlichen Feststellungen des Schöffengerichts in Rechtskraft erwachsen, so dass folgender Sachverhalt zu Grunde zu legen ist:

Die 1. Tat:

Der Angeklagte war am 09.03.2003 gegen 19.00 Uhr in der Wohnung seines Schwagers und seiner Schwägerin in E., um mit seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau zu reden und die gemeinsame Tochter zu besuchen. Hierbei kam es zum Streit. In dessen Verlauf schlug der Angeklagte ohne Grund seiner Schwägerin, der Geschädigten B., einmal mit der Faust in das Gesicht sowie einmal mit der Faust gegen den Kopf, wobei er das Ohr traf. Hierdurch riss ein Ohrring der Geschädigten aus seinem Loch heraus, und die Geschädigte erlitt eine blutende Wunde.

Die 2. Tat:

Als während dieses Geschehens seine Ehefrau dazwischen ging, schlug der Angeklagte ihr zweimal mit der Faust gegen den Kopf. Einmal traf er sie an der Schläfe, ein zweites Mal im Nasen-Augen-Bereich. Die Geschädigte erlitt Schmerzen sowie Hämatome im Bereich des Auges.

Die 3. Tat:

Am 22.03.2003 zwischen 10.30 Uhr und 11.00 Uhr griff der Angeklagte in seiner Wohnung in L. ohne Grund seine getrennt lebende Ehefrau an, als diese persönliche Gegenstände aus der ehemals gemeinsamen Wohnung holen wollte. Er packte sie kräftig an den Oberarmen, wodurch sie Schmerzen und Hämatome an den Armen erlitt. Anschließend trat er sie mit den Füßen in den Bauch und schlug sie gegen das Kinn, wodurch sie weitere starke Schmerzen erlitt. Weiterhin erlitt sie am Kinn Hämatome.

Durch diese 3 Taten hat sich der Angeklagte der vorsätzlichen Körperverletzung in 3 Fällen gemäß §§ 223, 53 StGB strafbar gemacht.

IV. Bei der Strafzumessung hat die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er zum damaligen Zeitpunkt nicht vorbestraft war und die Taten in vollem Umfang eingeräumt hat. Auch fiel ins Gewicht, dass es sich um familiäre Auseinandersetzungen im Rahmen einer Ehescheidung handelte.

Auf der anderen Seite durfte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Angeklagte jeweils aus geringfügigem Anlass mehrfach zugeschlagen bzw. sogar getreten hat, wodurch die Geschädigten nicht unerheblich verletzt wurden, wie sich aus den Lichtbildern in Band II AS 413 und AS 537-543 ergab. Wegen der Einzelheiten der Verletzungen wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO ausdrücklich auf diese Lichtbilder verwiesen.

Die Kammer hat alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass auf Grund des Umstands, dass der Angeklagte im Frühjahr 2003 binnen kurzer Zeit mehrfach Körperverletzungen begangen hat, zur nachhaltigen Einwirkung auf ihn kurzfristige Freiheitsstrafen verhängt werden mussten (§ 47 Abs. 1 StGB). Im Einzelnen hielt die Kammer folgende Freiheitsstrafen für angemessen:

für die 1. Tat vom 09.03.2003: 3 Monate Freiheitsstrafe.

für die 2. Tat vom 09.03.2003: 3 Monate Freiheitsstrafe.

für die 3. Tat vom 22.03.2003: 4 Monate Freiheitsstrafe.

Da sämtliche Taten vor dem Urteil des Amtsgerichts Lahr vom 29.10.2003 begangen wurden, musste gemäß § 55 StGB mit der dort verhängten Freiheitsstrafe von 7 Monaten eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet werden. Die Kammer hat dabei noch einmal die Gleichartigkeit der Vorgehensweise, den engen zeitlichen und situativen Zusammenhang sowie insbesondere die Situation der Ehescheidung berücksichtigt und aus diesen insgesamt 4 Einzelfreiheitsstrafen unter Erhöhung der Einsatzstrafe von 7 Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr gebildet. Diese Strafe entspricht dem Unrechtsgehalt der Taten im Rahmen der persönlichen Schuld des Angeklagten.

Eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 1 StGB kam nicht in Betracht, da sich der Angeklagte schon länger als 1 Jahr in Untersuchungshaft befindet und die verhängte Strafe durch die Untersuchungshaft verbüßt ist (vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Auflage, § 51 Rn 4-8; § 56 Rn 2 mwN).

V. In der Berufungshauptverhandlung wurde darüber hinaus folgender Sachverhalt festgestellt:

In der Nacht zum 02.01.2004 wurde der Pkw des Angeklagten von Unbekannten beschädigt. Die Heckscheibe war eingeschlagen, und 3 Reifen waren durchstochen; der Sachschaden lag bei rund 1.400 Euro. Im Hinblick auf die fortdauernden Streitigkeiten mit seiner Ehefrau wegen der Scheidungsverhandlungen vermutete der Angeklagte, seine Ehefrau könnte die Beschädigungen an seinem Pkw verursacht oder durch andere in Auftrag gegeben haben. Schon bei der Anzeigenaufnahme durch die Polizei geriet er in Zorn und äußerte gegenüber dem Zeugen PK R., dass es wegen dieser Sache heute noch richtig krachen würde. Im Anschluss an die Anzeigenaufnahme wechselte er die Reifen und fuhr gegen 11.30 Uhr zur Arbeitsstelle seiner Ehefrau, der Bäckerei F. in M., um sie wegen der Beschädigung seines Pkw zur Rede zu stellen. Trotz eines bestehenden Hausverbots versuchte er durch den Seiteneingang in die Bäckerei einzudringen. Seine Ehefrau hatte ihn jedoch kommen gesehen und lief von der Backstube in den Verkaufsraum, wo sie die Zeugin F. bat, die Polizei zu rufen, da der Angeklagte hinter ihr her sei. Zufällig kam der Vater der Zeugin hinzu, erfasste sofort die Situation und verwies den Angeklagten aus den Räumlichkeiten. Der Angeklagte ging daraufhin zu seinem Pkw zurück, verfolgt von der Zeugin F., die ihm an seinem Fahrzeug noch einmal eindrücklich klar machte, dass er sich zu entfernen habe und nicht mehr wiederkommen dürfe.

Über diese Abfuhr verärgert und bestärkt in seiner Vermutung, seine Ehefrau müsse etwas mit den Beschädigungen an seinem Pkw zu tun haben, beschloss der Angeklagte, es seiner Ehefrau heimzuzahlen und ihr einen großen Schaden zuzufügen. Er fuhr zurück zu seiner Wohnung, holte aus dem Terrassenbereich einen ca. 10 cm im Durchmesser starken Wackerstein und fuhr zu dem zwischen Mahlberg und Orschweier gelegenen Friedhof. Dort parkte er seinen Pkw auf dem Parkplatz, der durch Bäume und Büsche verdeckt von der vorbeiführenden Kreisstraße nicht einsehbar war, nahm den Wackerstein in die Hand und wartete hinter einem Gebüsch an der Friedhofseinfahrt. Er wusste nämlich, dass seine Ehefrau nach Arbeitsende gegen 12.30 Uhr üblicherweise auf dieser Strecke nach Hause fuhr und war davon überzeugt, dass es auch an diesem Tag so sein würde. In seiner Verärgerung und Wut nahm er sich vor, seiner Ehefrau aufzulauern und ihr - wenn sie nichts ahnend vorbei fuhr - mit großer Kraft den schweren Wackerstein gegen das herannahende bzw. vorbeifahrende Auto zu schleudern. Dabei rechnete er damit, dass der Stein durchaus auch die Windschutzscheibe oder ein Seitenfenster durchschlagen könnte, wodurch seine Ehefrau tödlich getroffen oder zumindest schwer verletzt werden könnte. Diese nicht beabsichtigte Folge nahm er gleichwohl billigend in Kauf. Er zog auch in Erwägung, dass durch einen kräftigen Aufprall des Wackersteins auf das Fahrzeug - ohne Durchschlagung einer Scheibe - seine Ehefrau so sehr erschreckt werden könnte, dass sie eine reflexartige Lenkbewegung machen und bei hoher Geschwindigkeit von der Fahrbahn abkommen könnte, wodurch sie ebenfalls schwer verletzt oder getötet werden könnte. Auch diese nicht beabsichtigte Folge nahm er gleichwohl billigend in Kauf. Auf jeden Fall war ihm klar, dass er bei dem geplanten Steinwurf auf das herannahende oder vorbeifahrende Auto seiner Ehefrau es nicht in der Hand hatte, wo genau der kräftig geschleuderte Stein aufprallen würde.

Als er kurz nach 12.30 Uhr den ihm gut bekannten Pkw seiner Ehefrau, die sich mit einer Geschwindigkeit von 70 - 80 km/h näherte, bemerkte, hielt er sich wurfbereit und wartete ab, bis der Pkw nahe genug herangekommen war. Dann lief er aus der Friedhofseinfahrt heraus die wenigen Meter bis zum Straßenrand und schleuderte von dort aus kraftvoll den Stein auf den Pkw seiner Ehefrau, der etwa 5 m entfernt war. Seine Ehefrau sah wenige Meter vor der Friedhofseinfahrt plötzlich den Angeklagten, den sie sofort erkannte, aus dem Schutz des Gebüschs laufen und den Stein gegen ihr Fahrzeug schleudern. Da die Zeit für eine Reaktion wie Ausweichen oder Bremsen zu kurz war, zumal sich auf der Gegenfahrbahn in ca. 70 m Entfernung ein Lkw näherte, hielt sie das Lenkrad fest und bemühte sich, auf ihrer Fahrspur zu bleiben, wobei sie nach wenigen Sekunden die Geschwindigkeit deutlich verringerte. Der Stein traf den rechten Holm zwischen Windschutzscheibe und Seitenfenster, rutschte etwas entgegen der Fahrtrichtung, durchschlug das Seitenfenster der Beifahrertür und kam im Fußraum der Fahrerseite zu liegen. Auch die Windschutzscheibe wurde beschädigt und splitterte teilweise. Voller Glassplitter und sehr geschockt überlegte seine Ehefrau sich zuerst, zu ihrer Arbeitsstelle zurückzufahren, um dort Hilfe zu bekommen. Während sie relativ langsam in Richtung Ettenheim fuhr, bemerkte sie nach kurzer Zeit durch einen Blick in den Rückspiegel, dass der Angeklagte ihr mit seinem Pkw folgte. In großer Angst vor weiteren Angriffen beschleunigte sie ihre Fahrt und bemühte sich, den Angeklagten abzuschütteln, was ihr schließlich bei Mahlberg gelang. Über ihr Handy rief sie die Polizei an, wobei man ihr riet, sofort zum Polizeirevier nach Ettenheim zu kommen. Da sie nicht wusste, wo das Revier in Ettenheim liegt, fuhr sie stattdessen zu dem ihr bekannten Polizeiposten in Kippenheim, wo sie den Vorfall meldete und um Schutz bat.

VI. Der Angeklagte hat den äußeren Tathergang im Wesentlichen eingeräumt und dazu angegeben, er habe lediglich die Absicht gehabt, den Pkw seiner Ehefrau zu beschädigen. Beim Wurf des Steins sei dieser ihm wohl aus der Hand gerutscht und habe den Pkw im Bereich der Scheiben getroffen, was er aber nicht beabsichtigt gehabt habe. Auf keinen Fall habe er eine Verletzung oder gar den Tod seiner Frau beabsichtigt bzw. damit gerechnet.

Die Kammer ist dieser Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt, sondern davon überzeugt, dass er sich der Gefährlichkeit seines Tuns durchaus bewusst war und die nahe liegenden Folgen einer schweren Verletzung bis hin zum Tod der Fahrzeuglenkerin billigend in Kauf genommen hat. Wäre es dem Angeklagten nämlich nur darum gegangen, den Pkw seiner Ehefrau zu beschädigen, um damit Rache zu üben für die Beschädigung seines eigenen Pkw, hätte es näher gelegen, sich zu dem an ihrer Arbeitsstelle geparkten Fahrzeug zu begeben und beispielsweise durch einige feste Tritte mit dem beschuhten Fuß einen nicht unbedeutenden Schaden herbeizuführen. Stattdessen besorgte sich der Angeklagte zuhause einen schweren Stein, lauerte an verborgener Stelle im Hinterhalt auf seine Ehefrau und startete heimtückisch einen so massiven Angriff, dass dessen tödlicher Ausgang nur durch einen glücklichen Umstand verhindert wurde. Wäre nämlich der mit Wucht geschleuderte Stein nur etwa 10 cm weiter rechts auf das Fahrzeug aufgetroffen, hätte er die Windschutzscheibe durchschlagen und die Fahrerin des Fahrzeugs getötet oder zumindest lebensgefährlich verletzt, zumal sie sich mit hoher Geschwindigkeit näherte.

Nach diesem festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte neben einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung zur Überzeugung der Kammer auch eines versuchten Tötungsdelikts nach §§ 211, 212, 22 StGB strafbar gemacht. Zuständig für eine Entscheidung darüber ist gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 4-5 GVG die Schwurgerichtskammer des Landgerichts, so dass nach § 328 Abs. 2 StPO eine entsprechende Verweisung zu erfolgen hatte.

VII. Soweit die Kammer bezüglich der übrigen Taten als Berufungsgericht entschieden hat, ergibt sich die Kostenentscheidung aus §§ 465, 473 Abs. 1 StPO. Im Übrigen wird das Schwurgericht über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Beteiligten zu entscheiden haben (vgl. Meyer-Goßner StPO 47. Auflage, § 464 Rn 3).