LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.07.2005 - 14 Sa 32/05
Fundstelle
openJur 2012, 64825
  • Rkr:
Tenor

I.Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim (HD) vom 18.11.2004 - 10 Ca 311/04 teilweise und insoweit abgeändert, dass die Beklagte hinsichtlich eines Bruttobetrages i. H. von EUR 16.403,40 abzüglich übergegangener EUR 7.912,85 nebst der Zinsen aus dem reduzierten Bruttobetrag verurteilt bleibt und die darüber hinausgehende Klage abgewiesen wird.

II.Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III.Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

IV.Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Vergütung aus Annahmeverzug der Beklagten für den Zeitraum vom 01.12.2003 bis 28.02.2004 sowie vom 15.05.2004 bis 30.09.2004.

Der am 21.04.1950 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 1973 in deren Filiale D in H beschäftigt. Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen und vertreibt deutschlandweit in ihren Filialen Artikel der Unterhaltungselektronik, Elektroartikel, Fotogeräte sowie Artikel der Tele- und Bürokommunikation. Der Kläger war als Verkäufer in der Rundfunk- und Fernsehabteilung tätig und bezog hierfür zuletzt als Vergütung ein Festgehalt i. H. von Euro 1.941,40 brutto zzgl. einer monatlichen Prämie, insoweit im Monatsdurchschnitt Euro 264,10 brutto.

Die Beklagte hatte im Zuge einer bundesweiten Umstrukturierung beschlossen, den Markt D in H in einen Abverkaufsmarkt umzugestalten. Sie hatte entschieden, in einem Markt - abgesehen von einem Marktleiter - nur noch in reduziertem Umfang Verkaufspersonal, und zwar mit jeweils umfassender Zuständigkeit für Verkaufs-, Kassier- und Lagertätigkeit zu beschäftigen.

Ein Teil der in einer Filiale beschäftigten Arbeitnehmer, so auch im D, erhielt eine Beendigungskündigung, der übrige Teil eine Änderungskündigung. Der Kläger gehörte zu dem zuletzt genannten Personenkreis. Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 19.04.2003 gegenüber dem Kläger eine Änderungskündigung zum 30.11.2003 aus. Zugleich bot sie dem Kläger den Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages an, der dem Kündigungsschreiben beigefügt war. Das dem Kläger gemachte Vertragsangebot sieht - gerichtsbekannt - eine Tätigkeit als "Verkäufer-/in mit Kassentätigkeit" vor, mit dem Zusatz: "Die Tätigkeit umfasst alle in der Filiale anfallenden Arbeiten, insbesondere die Warenannahme, den Warentransport innerhalb der Filiale, die Warenpflege, den Warenverkauf, Bearbeitung von Kundenreklamationen sowie Kassentätigkeit". Das dem Kläger angebotene feste Monatsgehalt sollte Euro 1.650,00 brutto monatlich betragen, desweiteren sollten - u. a. - die bisher geltenden zusätzlichen tariflichen Leistungen wie Urlaubsgeld sowie eine Sonderzuwendung entfallen. In einer der Kündigung desweiteren beigefügten "Ergänzung zum Arbeitsvertrag" ist der zusätzliche Bezug einer variablen, freiwilligen und jederzeit widerruflichen Zielprämie erwähnt.

Der Kläger lehnte das ihm gemachte Änderungsangebot vorbehaltslos ab und erhob erfolgreich Klage gegen die Änderungskündigung vom 19.04.2003. Mit Urteil vom 23.06.2005 - 2 AZR 96/05 wurde die vom LAG - 19 Sa 21/04 zugelassene Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Der Kläger hatte im streitigen Annahmeverzugszeitraum bis zum 28.02.2004 Euro 3.151,76 an Arbeitslosengeld und vom 15.05. bis 30.09.2004 insoweit Euro 4.761,12 erhalten. Im Zeitraum vom 01.03.2004 bis 14.05.2004 hatte der Kläger eine anderweitige Beschäftigung ausgeübt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage, mit welcher der Kläger insgesamt die Zahlung von Euro 16.542,00 brutto abzüglich des insgesamt bezogenen Arbeitslosengeldes i. H. von Euro 7.912,86 beansprucht hat, in vollem Umfang stattgegeben. Den Einwand der Beklagten, der Kläger habe einen anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen, indem er das im Zusammenhang mit der Änderungskündigung unterbreitete Änderungsangebot ausgeschlagen habe, hat das Arbeitsgericht nicht gelten lassen. Ebenso wenig stehe der Begründetheit der Klage entgegen, dass der Kläger über seinen anderweitigen Verdienst vom 01.03. bis 14.05.2004 nicht Auskunft erteilt habe. Im Übrigen wird zur näheren Sachdarstellung auf das arbeitsgerichtliche Urteil vom 18.11.2004 Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie macht insbesondere unverändert geltend, dass es dem Kläger zumutbar gewesen sei, zumindest unter Vorbehalt weiter für die Beklagte entsprechend dem gemachten Änderungsangebot tätig zu werden. Bereits die vom Arbeitsgericht angenommene Reduzierung des Gehalts um Euro 700,00 monatlich sei als zumutbare Änderung vom Kläger hinzunehmen gewesen.

Die Beklagte beantragt:

Unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 18. November 2004 - 10 Ca 311/04 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt:

Kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.

Der Kläger hat zweitinstanzlich seinen anderweitigen Verdienst im Zeitraum vom 01.03. bis 14.05.2004 mitgeteilt. Er ist weiterhin der Auffassung, die Beklagte habe ihm kein zumutbares Angebot zur Weiterbeschäftigung ab dem 01.12.2003 gemacht. Das im Zusammenhang mit der Änderungskündigung unterbreitete Angebot sei nicht zumutbar gewesen. Eine weiteres Angebot sei dem Kläger nicht gemacht worden; statt dessen sei der Kläger unstreitig seit Sommer 2003 überhaupt nicht mehr beschäftigt, vielmehr von der Beklagten freigestellt worden.

Im Übrigen wird wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll zum Verhandlungstermin am 21.06.2005 Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist überwiegend nicht begründet.

Inzwischen steht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19.04.2003 nicht beendet worden ist. Nach § 615 S. 1 BGB i. V. mit den §§ 293 (296) ff BGB befindet sich die Beklagte ab dem 01.12.2003 in Annahmeverzug. Anrechenbarer Verdienst nach § 11 S. 1 Nr. 1 und 3 KSchG liegt lediglich vor hinsichtlich des im Zeitraum vom 01.03. bis einschließlich 14.05.2003 bezogenen Entgelts sowie hinsichtlich des erhaltenen Arbeitslosengeldes. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht bereits zutreffend entschieden, dass anrechenbarer Verdienst nach § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG im Hinblick auf das dem Kläger von der Beklagten gemachte Änderungsangebot zu verneinen ist. Die dem Kläger von der Beklagten ab dem 01.12.2003 angebotene Arbeit war dem Kläger nicht zumutbar.

1.

Besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, so muss sich der Arbeitnehmer nach § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG auf das Arbeitsentgelt, dass ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Böswillig handelt der Arbeitnehmer, dem ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände (Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit und Nachteilsfolgen für den Arbeitgeber) vorsätzlich untätig bleibt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Eine Anrechnung nach § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG kommt auch dann in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit beim Arbeitgeber besteht, der sich mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug befindet. Maßgeblich für die Frage, ob dem Arbeitnehmer die angebotene Arbeit zumutbar ist, sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalles. Bei der Prüfung sind das dem Arbeitnehmer gem. Art. 12 GG zustehende Grundrecht der freien Arbeitsplatzwahl sowie der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten. Die Unzumutbarkeit der Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie kann in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen ihren Grund haben. Als zumutbares Arbeitsangebot kommt auch ein im Zusammenhang mit einer Änderungskündigung gemachtes Änderungsangebot in Betracht. Lehnt ein Arbeitnehmer das Änderungsangebot im Zusammenhang mit einer Änderungskündigung ab, so ist dies im Grundsatz nicht anders zu beurteilen, als wenn ein entsprechendes Angebot nach erfolgter Kündigung abgelehnt wird. Auch hier kommt es indes auf den Einzelfall, und hierbei in erster Linie auf die Verhältnisse des gekündigten Arbeitnehmers an. Eine Unzumutbarkeit kann sowohl bei ungerechtfertigter wie auch bei gerechtfertigter Änderungskündigung gegeben sein (vgl. zu alledem im Einzelnen BAG, Urteil vom 16.06.2004 - 5 AZR 508/03, m. w. N.).

2.

Die vorbehaltslose Ablehnung des Änderungsangebots im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 19.04.2003 ist kein böswilliges Unterlassen der Annahme einer zumutbaren Arbeit i. S. des § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG. Dies folgt aus einer Gesamtbetrachtung des Änderungsangebots einschließlich der Begleitumstände.

a.)

Zunächst ist festzustellen, dass dem Kläger nicht mehr seine bisherige Tätigkeit als Fachverkäufer in der Rundfunk- und Fernsehabteilung angeboten wurde. Statt dessen sollte er je nach Bedarf mit allen in der Filiale anfallenden Arbeiten, vom Verkauf über den Warentransport bis zur Kassentätigkeit, beschäftigt werden können. Aus der Tätigkeitsbeschreibung und dem angebotenen Festgehalt i. H. von nur noch Euro 1.650,00 brutto monatlich war zu schließen, dass es sich um eine gegenüber der bisherigen Tätigkeit des Klägers geringwertige Tätigkeit handeln würde. Das war bei objektiver Betrachtung jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung anzunehmen. Es spielt keine Rolle, ob zu einem späteren Zeitpunkt womöglich an der ursprünglichen Konzeption der Tätigkeit eines für alle Arbeiten im Markt zuständigen Mitarbeiters nicht mehr festgehalten worden ist bzw. ob letztlich hinsichtlich der Tätigkeit des in einem Markt verbliebenen Personals "alles beim Alten" geblieben war. Da es um die Beurteilung der vorbehaltslosen Ablehnung des Änderungsangebots durch den Kläger im Zusammenhang mit dem Erhalt der Änderungskündigung vom 19.04.2003 geht, ist auf diesen Zeitpunkt und nicht auf eine - etwaige - spätere für den Kläger nicht vorhersehbare Entwicklung abzustellen.

b.)

Es kommt hinzu, dass dem Kläger eine um 25 % reduzierte monatliche Vergütung angeboten worden ist (den Wegfall von zusätzlichen Leistungen wie Urlaubsgeld und Sonderzuwendung einmal unberücksichtigt). Anstelle der bisherigen durchschnittlichen Euro 2.200,00 brutto sollte der Kläger nur noch Euro 1.650,00 brutto pro Monat beziehen. Die von der Beklagten zusätzlich in Aussicht gestellte "variable Zielprämie" kann bei diesem Vergleich keine Berücksichtigung finden. Da es für den Bezug einer derartigen Leistung bei Zugang der Änderungskündigung an den Grundlagen fehlte, konnte der Kläger mit der zusätzlichen Vergütung nicht rechnen.

Die dem Kläger angebotene neue Vergütung war untertariflich gemessen an der seinerzeit geltenden tariflichen Vergütung im Bereich des Einzelhandels in Baden-Württemberg. Als Verkäufer hätte der Kläger mit Rücksicht auf die von ihm zurückgelegten Tätigkeitsjahre ein Tarifgehalt i. H. von monatlich Euro 1.915,00 brutto (Gehalt nach Tarifgruppe II/6) zu beanspruchen gehabt. Dies bedeutet, dass der Kläger gemessen an seiner beruflichen Ausbildung und seiner bisherigen beruflichen Entwicklung mit dem ihm gemachten Änderungsangebot nicht einmal die dementsprechende tarifliche Vergütung erhalten sollte.

c.)

Zwar ist, entsprechend dem zitierten BAG-Urteil vom 16.06.2004, davon auszugehen, dass bereits in der unterbliebenen Annahme des Änderungsangebots nach § 2 KSchG ein böswilliges Unterlassen zumutbarer Arbeit liegen kann. Im Streitfall muss insoweit aber die Besonderheit berücksichtigt werden, dass der Kläger ein Angebot abgelehnt hatte, welches erst am 01.12.2003 zum Tragen kommen sollte. Zwischen dem Ablauf der dreiwöchigen Frist nach § 2 S. 2 KSchG und dem Wirksamwerden der angebotenen neuen Vertragsbedingungen lagen mehr als sechs Monate. Mithin stand der Kläger bei Zugang der Änderungskündigung vom 19.04.2003 vor der Entscheidung, sich auf die angebotenen, erheblich verschlechternden neuen Arbeitsbedingungen einzulassen und dementsprechend gegenüber der Beklagten auch als dauerhaft bindungswillig zu erscheinen, oder aber darauf zu setzen, ab dem 01.12.2003, oder jedenfalls nicht erheblich später, eine anderweitige Tätigkeit als Fachverkäufer und zu - mindest - tarifüblichen Bedingungen finden zu können. Eine derartige Chance, zu besseren Beschäftigungs- sowie Entgeltbedingungen einen anderweitigen Arbeitsplatz zu finden, durfte der Kläger nicht nur ernsthaft in Betracht ziehen, sondern auch dem Angebot der Beklagten vorziehen. Dies bedeutet aber umgekehrt, dass dem Kläger die bloße Nichtannahme des Angebots der Beklagten im Rahmen der Dreiwochenfrist nach § 2 S. 2 KSchG nicht als böswilliges Unterlassen i. S. des § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG ausgelegt werden kann.

d.)

Anders wäre die Situation ggf. zu beurteilen, hätte die Beklagte dem Kläger zeitnah mit dem Auslaufen seiner Kündigungsfrist am 30.11.2003 nochmals ein Arbeitsangebot zu den Bedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung gemacht. Hierzu bedarf es aber keiner weitergehenden Überlegungen, denn die Beklagte hatte später zum Ausdruck gebracht, den Kläger nicht mehr, mithin auch nicht mehr zu den geänderten Bedingungen, beschäftigen zu wollen. Das folgt daraus, dass die Beklagte den Kläger bereits vor dem 30.11.2003 von der Arbeit freigestellt hatte.

3.

Vom Annahmeverzugsentgelt i. H. von insgesamt Euro 16.542,00 brutto ist einmal das bezogene Arbeitslosengeld in Abzug zu bringen. Desweiteren ist dies hinsichtlich des vom Kläger im Zeitraum vom 01.03. bis 14.05.2004 bei der Firma S E GmbH bezogenen anderweitigen Verdienstes der Fall (vgl. insoweit das von der Beklagten zu Recht herangezogene Urteil des BAG vom 24.08.1999 - 9 AZR 804/98). Gegenüber den von der Beklagten monatlich zuletzt insgesamt bezogenen Euro 2.205,50 brutto hat der Kläger in jenem Zeitraum Euro 2.300,00 brutto monatlich verdient. Unter Berücksichtigung des monatlichen Differenzbetrages i. H. von 94,50 hat das Gericht für den gesamten Beschäftigungszeitraum Euro 138,60 als Abzugsbetrag errechnet und dem Kläger deshalb anstelle der ursprünglichen Euro 16.542,00 brutto Euro 16.403,40 brutto zugesprochen.

Nach den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO trägt die Beklagte auch die Kosten der Berufung.

Nach § 72 Abs. 2 ArbGG ist die Revision zugelassen.

Witte

Spanrunft

Fechner