OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.03.2005 - 1 AK 36/04
Fundstelle
openJur 2012, 64527
  • Rkr:

Auch nach Inkraftreten des Gesetzes vom 21.07.2004 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 13.06.2002 am 23.08.2004 ist bei einem auf einen Europäischen Haftbefehl gestützten Auslieferungsersuchen eine Anforderung ergänzender Auslieferungsunterlagen zulässig, wenn dies die Aufklärung des Sachverhalts zur Klärung der Auslieferungs-vorausetzungen gebietet.

Tenor

Es wird festgestellt, dass eine weitere Aufklärung des Sachverhalts notwendig ist.

Gründe

Gegen den sich seit 03.02.2005 aufgrund Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 03.01.2005 in Auslieferungshaft befindlichen Verfolgten besteht in Polen ein Europäischer Haftbefehl des Amtsgerichts K./Polen vom 10.03.2004, in welchem diesem vorgeworfen wird, im Zeitraum von August 1998 bis März 1999 als Inhaber und Geschäftsführer der in Polen ansässigen Firma U. gemeinsam mit anderen Tatbeteiligten durch Ausstellung unberechtigter Fakturen Mehrwertsteuer in Höhe von 2.432.607,27 Zloty hinterzogen zu haben (Tat Nr. I, strafbar nach Art. 18 § 3 i.V.m. Art. 286 § 1 und Art. 294 § 1 des polnischen StGB, Art. 271 § 1 und § 3 i.V.m. Art 11 § 2 des polnischen StGB, Art. 12, 65). Außerdem liegt ihm zur Last, im Zeitraum von Februar 1997 bis Dezember 1998 in mehreren polnischen Städten einer organisierten Verbrechensgruppe angehört zu haben, deren Ziel das Erschwindeln von Mehrwertsteuer gewesen sei (Tat Nr. II, strafbar nach Art. 258 des polnischen StGB).

Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe - der Verfolgte hat sich am 3.2.2005 vor dem Haftrichter des Amtsgerichts Z. mit der vereinfachten Auslieferung nach Polen einverstanden erklärt, jedoch mit Schreiben vom 6.2.2005 hiergegen Einwendungen erhoben - einen Antrag nach § 29 Abs. 2 IRG gestellt und am 10.03.2005 beantragt hat, die Auslieferung für zulässig zu erklären, ist der Senat zur Entscheidung hierüber berufen.

Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 21.07.2004 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 13.06.2002 am 23.08.2004 ist bei einem auf einen Europäischen Haftbefehl gestützten Auslieferungsersuchen eine Anforderung ergänzender Auslieferungsunterlagen zulässig, wenn dies die Aufklärung des Sachverhalts zur Klärung der Auslieferungsvoraussetzungen gebietet. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dies zur Prüfung des Vorliegens einer Deliktsgruppentat nach § 81 Nr. 4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 RbEuHb oder - wenn eine solche nicht vorliegt - der beiderseitigen Strafbarkeit veranlasst ist (vgl. BT-Drucks. 15/1718 S. 18, 20; Ahlbrecht StV 2005, 40 ff., 42, 46).

Zur Prüfung der Frage, ob die dem Verfolgten im Tatvorwurf Nr. II. - bezüglich des Tatvorwurfs Nr. I ergibt sich eine Strafbarkeit nach deutschem Recht nach vorläufiger Bewertung aus §§ 3, 78, 81 Nr. 3 IRG i.V.m. § 370 AO - zur Last gelegte Zugehörigkeit zu einer organisierten Verbrechensgruppe bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts (Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl. 1998, § 3 Rn. 4) als strafbare Verabredung zu einem Verbrechen(vgl. hierzu das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz - STVBG - vom 18.12.2001 - BGBl. I, 3922 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsprivileges und zur Änderung von Steuergesetzes - StBAG - vom 23.07.2002, BGBl. I 2715) der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung nach §§ 30 Abs. 2 StGB, 370 a AO) angesehen werden kann, bedarf es unbeschadet von Fragen der Rückwirkung (BVerfG StV 2005, 29 f.; Kohlmann Steuerstrafrecht; Loseblattkommentar, § 370 a AO Rn. 8) einer näheren Beschreibung der durch die polnischen Justizbehörden erhobenen Tatvorwürfe, eines eventuellen Zusammenhangs beider Taten sowie einer näheren Erläuterung der Strukturen der Verbrechensgruppe und der Darlegung, ob deren Ziel auf eine Verkürzung von Steuern in großem Ausmaß (vgl. BGH StV 2004, 543 f.) oder der Erlangung von Steuervorteilen für den Verfolgten oder einen Dritten gerichtet war. Außerdem mögen bezüglich beider Tatvorwürfe die anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen des polnischen Strafgesetzbuches übermittelt sowie mitgeteilt werden, ob nach dem polnischen Strafgesetzbuch im Falle einer Verurteilung eine gesonderte Straffestsetzung bezüglich beider Straftaten erfolgt oder auf eine einheitliche Strafe erkannt werden würde.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe wird um Einholung der entsprechenden Auslieferungsunterlagen bei den polnischen Justizbehörden ersucht, wobei hierfür eine Beibringungsfrist von vier Wochen ab Beschlussdatum gesetzt wird (§ 30 Abs. 1 Satz 2 IRG).

Außerdem wird die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe um Mitteilung gebeten, welches Ergebnis die von ihr vorgenommene Überprüfung der Staatsangehörigkeit des Verfolgten erbracht hat.