OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.08.2010 - 8 W 312/10
Fundstelle
openJur 2012, 63895
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten 1 wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 17.6.2010

abgeändert

und auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten 1 der Beschluss des Notariats - Vormundschaftsgericht - Filderstadt II vom 1. März 2010

aufgehoben.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe

1.

Der Beteiligte 1 ist mit Beschluss des Notariats - Vormundschaftsgericht - Filderstadt II vom 16.6.2005 zum Betreuer des am 2.8.1985 geborenen & bestellt worden. Sein erster Vergütungsantrag vom 2.1.2006 umfasst den Zeitraum vom 1.7.2005 - 16.12.2005. Dem wurde mit Auszahlungsanordnung des Notars vom 23.1.2006 entsprochen.

Weitere Vergütungsanträge erfolgten

am 2.1.2006 für den Zeitraum vom 1.7.2005 bis 16.12.2005 in Höhe von 1504,80 Euro,

am 2.7.2006 für den Zeitraum vom 17.12.2005 bis 30.6.2006 in Höhe von 1399,20 Euro,

am 18.10.2006 für den Zeitraum vom 1.7.2006 bis 30.9.2006 in Höhe von 462 Euro,

am 1.1.2007 für den Zeitraum vom 1.10.2006 bis 31.12.2006 in Höhe von 462 Euro,

am 5.4.2007 für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.3.2007 in Höhe von 462 Euro,

am 30.6.2007 für den Zeitraum vom 1.4.2007 bis 30.6.2007 in Höhe von 462 Euro,

am 11.10.2007 für den Zeitraum vom 1.7.2007 bis 30.9.2007 in Höhe von 462 Euro,

am 2.1.2008 für den Zeitraum vom 1.10.2007 bis 31.12.2007 in Höhe von 462 Euro,

am 2.4.2008 für den Zeitraum vom 1.1.2008 bis 31.3.2008 in Höhe von 462 Euro;

am 30.6.2008 für den Zeitraum vom 1.4.2008 bis 30.6.2008 in Höhe von 462 Euro,

am 3.1.2009 für den Zeitraum vom 1.7.2008 bis 31.12.2008 in Höhe von 924 Euro,

am 31. 3. 2009 für den Zeitraum vom 1.1.2009 bis 31.3.2009 in Höhe von 462 Euro.

Den Vergütungsfestsetzungsanträgen wurde vom Vormundschaftsgericht in voller Höhe entsprochen und die Vergütung mit einem Stundenansatz von 44 Euro zahlbar gemacht, bis auf den Vergütungsanspruch vom 30.6.2007 durch Auszahlungsanordnungen. Diesen beschied der Notar mit einem Beschluss vom 11.7.2007, der die Zahlbarmachung in der beantragten Höhe verfügt und gleichzeitig die Entgegennahme des Berichts und der Rechnung ausspricht.

Am 7.12.2009 beantragte der Beteiligte 2 gem. § 56g Abs. 1 FGG die Festsetzung der aus der Staatskasse zu begleichenden Vergütungsansprüche des Beteiligten 1 für die Zeit vom 1.10.2007 bis 31.3.2009 auf jeweils 283,50 Euro statt der ausbezahlten 462 Euro bzw. auf 567 Euro statt 924 Euro und die Feststellung eines Rückforderungsanspruchs der Staatskasse in Höhe von insgesamt 1.071 Euro. Da die pauschale Vergütung bisher lediglich im Verwaltungsweg der Zahlbarmachung angewiesen worden sei und somit noch keine förmliche Festsetzung vorliege, sei nun vom Vormundschaftsgericht die gerichtliche Entscheidung zu treffen. Dabei sei von einem Stundensatz von 27 Euro auszugehen, da der Ansatz eines erhöhten Stundensatzes von 44 Euro mangels Vorliegen der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen nicht in Betracht komme.

Die beantragte Festsetzung und Feststellung des Rückzahlungsanspruchs der Staatskasse nahm das Vormundschaftsgericht mit Beschluss vom 1.3.2010 antragsgemäß vor.

Gegen den seinen Verfahrensbevollmächtigten am 3.3.2010 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte 1 am 16.3.2010 sofortige Beschwerde einlegen lassen, die die 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart mit Beschluss vom 17.6.2010 zurückgewiesen hat. Das Landgericht teilt die Auffassung des Bezirksrevisors, dass beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für den Ansatz des erhöhten Stundensatzes von 44 Euro nicht gegeben seien. Für die Annahme einer Verwirkung fehle es sowohl am Zeit- als auch am Umstandsmoment.

Am 7.7.2010 hat der Beteiligte 1 die im angefochtenen Beschluss zugelassene sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Landgerichts auf fehlerhafter Rechtsanwendung beruhe; ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung des rechtlichen Gehörs sei gegeben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei er der Meinung, dass das abgeschlossene Studium der Versorgungstechnik der Tätigkeit als Betreuer diene. In dem Studium, das er an der Fachhochschule Bochum mit dem Abschluss als Diplom-Ingenieur absolviert habe, habe er Fächer wie Höhere Mathematik, Arbeits- und Betriebslehre, automatisierte Datenverarbeitung belegt, sowie an den Seminaren Kreditwirtschaft und sozialpolitische Schwerpunkte teilgenommen. Alle diese Fächer seien in die Gesamtnote eingeflossen. Zumindest wäre das Hochschulstudium in der Bewertung einer abgeschlossenen Lehre gleichzustellen, was einen Vergütungssatz von 33,50 Euro nach sich ziehe. Das Landgericht habe keinen Vergleich der Fortbildung und der in der beruflichen Tätigkeit erworbenen Kenntnisse mit einer abgeschlossenen Lehre vorgenommen.

Zudem verstoße die Entscheidung gegen § 56g FGG. Danach sei die Vergütung durch gerichtlichen Beschluss festzusetzen, wenn die Festsetzung beantragt oder für angemessen erachtet werde. Eine Festsetzung sei jedoch nicht erfolgt, obwohl er sie beantragt habe. Das Absehen von einer Festsetzung und die Zahlbarmachung im Verwaltungsweg sei zwischen dem Vormundschaftsgericht und den Bezirksrevisoren aus Gründen der Vereinfachung abgesprochen. Dies zulasten des Betreuers zu verwenden, verstoße gegen Treu und Glauben, weshalb von einer Verwirkung/Verjährung auszugehen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen.

Der Beteiligte 2 ist dem Rechtsmittel entgegengetreten. Da das Landgericht im wesentlichen der Argumentation des Beteiligten 2 in dessen Vergütungsfestsetzungsantrag bzw. der Beschwerdeerwiderung gefolgt ist, wird dessen Entscheidung vom Rechtsbeschwerdegegner für zutreffend erachtet. Ein Verstoß des Landgerichts gegen § 56g FGG oder eine Verfristung oder Verwirkung seien nicht festzustellen. Er habe bereits vorgetragen, dass die unbürokratische Zahlbarmachung zu Gunsten der Betreuer gängige Praxis sei, da der enorme Geschäftsanfall im förmlichen Festsetzungsverfahren (rechtliches Gehör der Staatskasse; Zusendung der Vormundschaftsakten; Fertigung der Stellungnahme; förmliche Zustellung) zu wesentlich längeren Bearbeitungszeiten führen würde. Im übrigen hätte dem Beteiligten 1 auffallen müssen, dass er auf seinen Antrag keinen "Bescheid" erhalten habe und er hätte auf einem solchen bestehen können. Dann wäre es zu einer Überprüfung durch den Bezirksrevisor gekommen, dem dieser Bescheid hätte zugestellt werden müssen. Ihm wäre sofort aufgefallen, dass der Stundensatz nicht gefordert werden könne. Verwaltungsakte könnten aber nach gefestigter Rechtsprechung und Kommentierung bis zum Ende des Jahres, das der Zahlungsanweisung folge, überprüft werden. Auf diese ständige Rechtsprechung und Kommentierung habe die Staatskasse vertrauen dürfen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die angefochtene Entscheidung des Landgerichts sowie die Schriftsätze der Beteiligten im gesamten Verfahren Bezug genommen.2.

Auf den vorliegenden Fall ist, worüber Einigkeit besteht, nach § 111 FGG-RG altes Recht anzuwenden.

Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß § 56g Abs. 5 Satz 2 FGG statthaft, da das Landgericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat. Der Senat ist an die Zulassung gebunden.

Dass es sich um eine sofortige Beschwerde handelt, ergibt sich aus § 29 Abs. 2 FGG. Das Rechtsmittel ist auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des §§ 29 Abs. 1 FGG liegen vor.

Die weitere Beschwerde in Vormundschafts - und Betreuungssachen ist, was § 56g Abs. 5 Satz 2 FGG a.F. ausdrücklich klarstellt, eine Rechtsbeschwerde im Sinn des § 27 FGG a.F. Das Rechtsmittel kann damit nur Erfolg haben, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht.

Eine Rechtsverletzung durch das Beschwerdegericht ist darin zu sehen, dass dieses nicht auf die sich aus der auch ihm bekannten Vielzahl gleichgelagerter Fälle ergebenden Besonderheiten eingegangen ist und die nachträgliche Verminderung der Vergütung des Betreuers und die Feststellung einer Rückzahlungspflicht zugunsten der Staatskasse nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes des Betreuers und eines Verstoßes gegen Treu und Glauben geprüft, sondern sich auf die Frage der Verwirkung beschränkt hat.

Der Beteiligte 1 wurde am 16.6.2005 zum Betreuer bestellt. Sein erster Vergütungsfestsetzungsantragantrag umfasst den Zeitraum vom 1.7.2005 bis zum 16.12.2005. Die Vergütung wurde zwar nicht wie beantragt durch das Vormundschaftsgericht festgesetzt, worauf sich jetzt der Bezirksrevisor beruft, aber in der Höhe antragsgemäß zahlbar gemacht. Dasselbe gilt für die folgenden 11 Vergütungsanträge und sämtliche weitere Vergütungsfestsetzungsanträge in anderen Betreuungssachen, die in etwa denselben Zeitraum betreffen. In all diesen Verfahren ist erstmals durch den Antrag des Bezirksrevisors vom 7.12.2009 die Höhe des Stundensatzes in Frage gestellt worden.

Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass § 18 Abs. 2 FGG der Festsetzung durch den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 1.3.2010 nicht entgegensteht, da eine Festsetzung zuvor nicht erfolgt war, sondern lediglich eine Zahlbarmachung im Verwaltungsweg nach § 56g Abs. 1 Satz 4 FGG. Der Bezirksrevisor selbst sieht die Berechtigung, eine Überprüfung des Verwaltungsakts der Zahlbarmachung vorzunehmen, nur durch § 20 GKG (= § 7 GKG a.F.) begrenzt. Dessen zeitliche Vorgaben sind hier erfüllt.

Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Landgericht die Verwirkung des Rechts der Staatskasse, die Festsetzung der Vergütung des Beteiligten 1 und die Feststellung der Rückzahlungspflicht zu beantragen, verneint hat.

Nicht geprüft hat das Landgericht, ob außer der Verwirkung wegen illoyaler Verspätung auch ein Rechtsverlust durch treuwidriges Verhalten nach § 242 BGB eingetreten ist. Dies ist hier zu bejahen. Dem Beteiligten 1 ist über einen Zeitraum von vier Jahren auf 12 Vergütungsfestsetzungsanträge jeweils im Verwaltungsweg die Vergütung in der beantragten Höhe aus der Staatskasse ausbezahlt worden. In keinem Fall wurden ihm gegenüber Bedenken hinsichtlich der Höhe des Stundensatzes geäußert, die der Notar dann im März 2010 auf den Antrag der Staatskasse hin plötzlich für unberechtigt angesehen hat. Da die Vergütungsfestsetzung durch das Vormundschaftsgericht erfolgt, hat zunächst dieses selbstverantwortlich zu prüfen, welcher Stundensatz dem antragstellenden Betreuer aufgrund seiner Qualifikation nach § 4 VBVG zusteht. Es stellt sich die Frage, ob dieser Kostengesichtspunkt nicht bereits bei Bestellung eines bestimmten Betreuers als Berufsbetreuer mit diesem und der Staatskasse abgeklärt werden sollte. Es ist davon auszugehen, dass auch dem Vormundschaftsgericht die Problematik der Einordnung der verschiedenen Berufsabschlüsse bekannt ist, so dass der Vormundschaftsrichter jedenfalls in Zweifelsfällen wie dem vorliegenden vor der Zahlbarmachung eine Stellungnahme des Bezirksrevisors einholt und den Betreuer nicht in dem Glauben lässt, zumindest das Vormundschaftsgericht halte die von ihm beanspruchte Vergütung für gerechtfertigt, während eine Prüfung in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden hat. Andere Absprachen zwischen dem Bezirksrevisor und dem Vormundschaftsgericht dürfen nicht zu Lasten des Betreuers gehen.

Zwar hätte der Beteiligte 1 auf der beantragten Festsetzung seiner Vergütung bestehen können, gegen die die Staatskasse mit der sofortigen Beschwerde hätte vorgehen müssen und die gem. § 18 Abs. 2 FGG zu einem Ausschluss nachträglicher Änderungen geführt hätte. Da aber von den jeweils zuständigen Vormundschaftsgerichten in zahlreichen weiteren Verfahren überwiegend in derselben Weise vorgegangen worden ist, ohne dass bis zu den Anträgen des Bezirksrevisors vom 7.12.2009 Bedenken geäußert worden wären, vielmehr eine Auszahlung immer in der beantragten Höhe erfolgt ist, ist es treuwidrig, wenn sich die Vormundschaftsgerichte entsprechend den Anträgen der Staatskasse nunmehr darauf berufen, dass keine Festsetzungsbeschlüsse ergangen sind, sondern nur eine auch nachträglich abänderbare Zahlbarmachung im Verwaltungsweg. Im Hinblick auf die Mehrzahl der Verfahren durfte der Betreuer darauf vertrauen, dass die Vormundschaftsgerichte mit dem von ihm beanspruchten Stundensatz einverstanden sind und nicht nachträglich eine Rückzahlung der an ihn ausbezahlten Beträge verlangt werden würde. Andernfalls hätte er prüfen können, ob er die an ihn herangetragene Betreuung zu dem ihm zugebilligten Stundensatz von 27 Euro übernehmen wollte, zumal es sich dabei auch um rechtlich oder tatsächlich schwierige Betreuungen handelte und er deshalb davon ausgehen konnte, dass sich die Vormundschaftsgerichte, die ihn als Betreuer ausgewählt haben, seine Erfahrung nutzbar machen wollten (zum Vertrauensschutz des Betreuers auch OLG Köln FGPrax 2006, 116; dort wird im konkreten Fall zwar der Vertrauensschutz verneint, es liegen aber auch nicht die Besonderheiten des vorliegenden Falles vor.). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob ihm der erhöhte Stundensatz von 44 Euro tatsächlich zusteht, d.h. ob er die Voraussetzungen des §§ 4 Abs. 1 Satz Nr. 2 VBVG erfüllt, was das Landgericht mit beachtlichen Gründen verneint hat.

Im Einzelfall mag der zurückzubezahlende Betrag nicht hoch sein, in der Summe erreichen die Rückzahlungsbeträge jedoch eine nicht unerhebliche Höhe.

Es verbleibt damit hinsichtlich der durch den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 1.3.2010 geänderten Vergütungen bei den ausbezahlten Beträgen. Der Beschluss des Landgerichts war damit abzuändern und auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten 1 der Beschluss des Vormundschaftsgerichts aufzuheben.3.

Weder die Gerichtskosten noch die außergerichtlichen Kosten des Beteiligten 1 können gegen die Staatskasse in Ansatz gebracht werden. Von der Zahlung von Gerichtskosten ist die Staatskasse befreit (§ 11 KostO a.F.). Eine Kostenerstattung durch die Staatskasse sieht § 13a FGG a.F., abgesehen vom Fall des Abs. 2, nicht vor. Eine solche kann auch nicht durch entsprechende Anwendung begründet werden (von König in Jansen, FGG 2006, § 13a Rn. 5 m.w.N.).