OLG Stuttgart, Urteil vom 09.02.2010 - 10 U 116/09
Fundstelle
openJur 2012, 63526
  • Rkr:

1. Beim Abbrennen von Feuerwerkskörpern muss ein Platz gewählt werden, von dem aus fehlgehende Raketen aller Voraussicht nach keinen nennenswerten Schaden anrichten können. Dabei sind an die Voraussicht und Sorgfalt derjenigen Personen, die ein Feuerwerk veranstalten bzw. entzünden, grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen.

2. Tritt an einem in der Nachbarschaft befindlichen Gebäude durch eine fehlgehende Feuerwerksrakete ein Brandschaden ein und war die Gefahr des Eindringens des Feuerwerkskörpers in das Gebäude und eines dadurch ausgelösten Brandes bei aller Sorgfalt nicht erkennbar, haftet derjenige, der die Feuerwerksrakete gezündet hat, mangels Verschulden nicht für den eingetretenen Schaden.

3. Begründet ein erkennbarer Kamin am Nachbargebäude den Anschein, dass dort eine fehlgehende Rakete eindringen und einen Brand verursachen könnte, ohne dass diese Gefahr objektiv besteht, muss der Abstand zum Nachbargebäude wegen dieses Umstandes nicht erhöht werden.

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 26.10.2007, Az. 4 O 262/07, wird zurückgewiesen.2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens.3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.4. Die Revision wird nicht zugelassen.Streitwert des Berufungsverfahrens: 417.720,91 EUR

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen den Beklagten gemäß § 67 VVG auf sie übergegangene Ersatzansprüche aufgrund eines Brandschadens geltend, den der Beklagte durch das Abfeuern einer Leuchtrakete am 1.1.2006 um 20.21 Uhr verursacht hat.

Der Beklagte hatte vor dem von ihm bewohnten Haus eine Leuchtrakete in einen Schneehaufen gesteckt und gezündet. Die Rakete stieg zunächst ca. 5 Meter gerade nach oben, schwenkte dann zur Seite und drang durch eine Spalte von ca. 67 bis 87 mm Durchmesser zwischen der mit Eternit verkleideten Außenwand und dem Blech-Trapezdach in einer ca. 12 Meter entfernten Scheune ein, in der sie explodierte und innerhalb kürzester Zeit das Gebäude in Brand setzt.

Bezüglich der Einzelheiten des feststehenden Schadenshergangs sowie des Vortrags der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Ulm vom 26.10.2007, AZ: 4 O 262/07, und Ziff. I der Gründe des Urteils des Senats vom 20.3.2008 (Az. 10 U 219/07) verwiesen.

Nachdem das Landgericht Ulm die Klage abgewiesen hat, hat der Senat mit seinem Urteil vom 20.3.2008 das Urteil des Landgerichts Ulm abgeändert und der Klage wegen eines übergegangenen nachbarrechtlichen Ausgleichanspruchs aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog dem Grunde nach stattgegeben und das Verfahren zur Höhe an das Landgericht Ulm zurückverwiesen.

Die dagegen gerichtete Revision des Beklagten hatte insoweit Erfolg, als die Klage abgewiesen wurde, soweit ihr ein übergegangener nachbarrechtlicher Ausgleichanspruchs aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog zu Grunde lag. Auf die Anschlussberufung der Klägerin wurde die Sache im Übrigen zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Bezüglich der Einzelheiten wird auf das Teil-Urteil und Urteil des BGH vom 18.9.2009, Az. V ZR 75/08, verwiesen.

Mit ihrer Berufung hatte die Klägerin zu einem Anspruch aus unerlaubter Handlung vorgetragen:

Für ein Feuerwerk müsse ein Platz gewählt werden, von dem aus etwa fehlgehende Raketen aller Voraussicht nach keinen nennenswerten Schaden anrichten können. Auch wenn die Scheune des Versicherungsnehmers der Klägerin eine Eternitverkleidung der Wände aufwies, sei doch in der Scheune höchst brennbares Material gelagert worden, wodurch im Fall eines Eindringens einer Feuerwerksrakete ein hoher Schaden verursacht werden könne.

Die Feststellung des Landgerichts Ulm, die Scheune des Versicherungsnehmers der Klägerin habe in den über Erdgeschoss liegenden Geschossen weder Fenster noch Dachluken aufgewiesen, sei überraschend und unrichtig. Das Scheunengebäude habe an der Nordseite, von wo aus die Rakete abgeschossen worden sei, drei Fenster und zwei Tore aufgewiesen; auf der Ostseite hätten sich ebenfalls eine Tür sowie zwei Fenster befunden, durch welche ohne weiteres eine Rakete habe durchfliegen können. Im Dachbereich hätten sich Entlüftungskamine befunden, die offen gestanden seien und durch die ebenfalls eine Feuerwerksrakete hätte eindringen können. Der Beklagte habe deshalb damit rechnen müssen, dass die Rakete auch dort einschlagen könne, wo man es nicht wolle und auch nicht vermute. Er hätte deshalb nicht in der Nähe der Scheune eine Feuerwerksrakete abzünden dürfen. Wo letztlich die Rakete in die Scheune eingedrungen sei, sei deshalb unerheblich. Es werde bestritten, dass im vorliegenden Fall die Schneemasse, aus der die Rakete gezündet worden sei, ausreichend Halt geboten habe.

Die Klägerin beantragt:

Unter Abänderung des am 26.10.07 verkündeten Urteils des LG Ulm (4 O 262/07) wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin EUR 417.720,91 nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die in der Berufungsbegründung genannten Öffnungen der Scheune seien üblicherweise nicht geeignet, Feuerwerkskörper in das Rauminnere zu lassen oder durch das Eindringen von Feuerwerkskörper, z.B. durch einen Kamin, eine Brandgefahr hervorzurufen. Auch wenn in der Scheune brennbares Material gelagert habe, sei das Dach und die Verkleidung der Wände nicht brennbar gewesen. Die Flugbahn der Feuerwerksrakete und der Zwischenraum, durch den diese in die Scheune gelangt sei, sei für den Beklagten nicht erkennbar gewesen.

Der Senat hat den Beklagten angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen X. Die Strafakte des Amtsgerichts Ulm, Az. 4 Cs 42 Js 1135/06, war zu Informationszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.II.

Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

1. Der Bundesgerichtshof hat die Feststellungen des Senats, wonach weder das Starten der Feuerwerksrakete aus einem Schneehaufen heraus noch das Abschießen der Rakete am Abend des 1. Januar 2006 eine Haftung des Beklagten begründe, gebilligt (Urteil vom 18.9.2009, Az. V ZR 75/08, RN 34).

Es gibt keine Veranlassung, von den Feststellungen des Senats und den dazu getroffenen Würdigungen im Urteil vom 20.3.2008 (Az. 10 U 219/07) abzurücken. Neuer Vortrag wurde hierzu nicht gehalten.

2. Es verbleibt als möglicher haftungsbegründender Umstand die Wahl des Abschussortes der Rakete ca. 12 m von der Scheune des Zeugen X entfernt. Anspruchsgrundlage ist dafür § 823 Abs. 1 BGB iVm § 67 VVG. Eine Haftung des Beklagten ergibt sich hier jedoch nicht, weil die einzig festzustellende, bei objektiver Sicht vorliegende Gefahr des Eindringens einer Feuerwerksrakete zwischen Wand und Dach der Scheune für den Beklagten nicht erkennbar war und eine andere Gefahr beim Zünden einer Feuerwerksrakete in der Nähe der Scheune nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme objektiv nicht bestand. Der Brand stellt sich daher als Unglück und nicht als vom Beklagten schuldhaft verursachter Unfall dar.

An die Voraussicht und Sorgfalt derjenigen Personen, die ein Feuerwerk veranstalten bzw. entzünden, sind grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen. Insbesondere müssen sie einen Standort wählen, von dem aus andere Personen oder Sachen nicht (ernsthaft) gefährdet werden. Da niemals ein Fehlstart von Raketen völlig ausgeschlossen werden kann, muss beim Abbrennen von Feuerwerkskörpern ein Platz gewählt werden, von dem aus etwa fehlgehende Raketen aller Voraussicht nach keinen nennenswerten Schaden anrichten können (BGH NJW 1986, 52, Juris RN 11 und 12; Thüringer OLG, Urteil vom 23.10.2007, AZ: 5 U 146/06, Juris RN 26).

In der Silvesternacht und auch noch am Abend des Neujahrstags (vgl. Senat VersR 2009, 119, Juris RN 25; nachfolgend BGH Urteil vom 18.9.2009, Az. V ZR 75/08, RN 36) sind die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht beim Abbrennen von Feuerwerkskörpern herabgesetzt. Alle Verkehrssicherungspflichten sind grundsätzlich unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zu bemessen. Maßstab für die Verkehrssicherungspflicht ist zwar das zum Schutz von Gefährdeten Erforderliche; jedoch richtet sich das auch danach, welche Maßnahmen diese zu ihrem Schutz vernünftigerweise erwarten können und welche Vorsorge ihnen selbst zum eigenen Schutz möglich und zumutbar ist. Der Verkehrssicherungspflichtige hat daher nur die Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein vernünftiger Angehöriger eines bestimmten Verkehrskreises erwarten darf. In der Silvesternacht und am Neujahrstag ist es in den Städten und Gemeinden, soweit nicht ein Verbot besonders verfügt wurde, zulässig und üblich, nicht erlaubnispflichtige Feuerwerkskörper zu zünden. Auf diesen Brauch richtet sich der Verkehr ein, auch was - in vernünftigen Grenzen - die Maßnahmen zum Selbstschutz betrifft. So ist zum Beispiel vom Besitzer eines Gebäudes zu erwarten, dass er in der Silvesternacht und am Abend des 1. Januars Fenster und Türen seiner Gebäude schließt, um Vorsorge vor dem Eindringen von Feuerwerkskörpern zu treffen. Dies gilt - unbeschadet der Rechtswidrigkeit eines dennoch verursachten Schadens - insbesondere dann, wenn sich in dem Gebäude hohe Brandlasten befinden.

Allerdings ist derjenige, der ein Feuerwerk abbrennt, nicht davon befreit, sorgfältig auf besondere Umstände zu achten, aufgrund derer das Abbrennen des Feuerwerks an der von ihm ausgewählten Stelle mit Gefahren verbunden sein kann, die nach Art und Umfang über diejenigen Gefahren hinausgehen, welche trotz vorschriftsmäßiger Handhabung nicht gänzlich ausgeschlossen werden können (BGH NJW 1986, 52, Juris RN 13; Thüringer OLG, a.a.O.).

a) Allein die Brandlast in einem Gebäude wie hier Stroh und Getreide in der betroffenen Scheune stellt kein Hindernis für das Zünden eines Feuerwerks in der Nähe eines solchen Bauwerks dar. Entscheidend ist vielmehr, auf welche Weise ein solches Gebäude zur Außenwelt hin abgeschirmt ist. Zu Recht stellt das Landgericht darauf ab, dass hier die Scheune durch Eternitplatten an der Wand und durch ein Trapezdach aus Blech, also mit unbrennbaren Materialien, erkennbar geschützt gewesen war (vgl. auch BGH, Urteil vom 18.9.2009, Az. V ZR 75/08, RN 13 f.).

b) Die Feststellung des Landgerichts, es sei für den Beklagten objektiv nicht erkennbar und ihm tatsächlich nicht bekannt gewesen, dass die Scheune im Bereich des oberen Endes der Eternitverkleidung der Wände und der entsprechenden Dachverkleidung wenige Zentimeter große Spalten aufwies, durch die eine Rakete in das Gebäudeinnere eindringen konnte, begegnet keinen Zweifeln an der Richtigkeit und ist deshalb der Entscheidung der Berufungsinstanz zugrunde zu legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Unter Berücksichtigung der Empfehlung des Herstellers der Feuerwerkskörper, von Gebäuden einen Abstand von mindestens 5 Meter einzuhalten, ist angesichts des Fehlens konkreter Anhaltspunkte für eine besondere Gefahr beim Abbrennen der Feuerwerksrakete im Abstand von 12 Meter zur Scheune des Versicherungsnehmers der Klägerin dem Beklagten keine schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, die zu dem entstandenen Sachschaden geführt hätte, vorzuwerfen.

c) Die Klägerin hat erstmals in der Berufungsbegründung vorgetragen, dass das Scheunengebäude auf der Nordseite drei Fenster und zwei Tore sowie auf der Ostseite eine Tür sowie zwei Fenster aufgewiesen habe, durch die eine Rakete ohne weiteres hätte eindringen können. Darüber hinaus seien auf dem Dach offenstehende Entlüftungskamine gewesen. Dieser neue Sachvortrag zu besonderen Gefahren, die einen größeren Abstand beim Zünden von Feuerwerk zu der Scheune hätten veranlassen können, wenn sie für den Beklagten erkennbar gewesen wären, ist gemäß den Ausführungen des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 18.9.2009, Az. V ZR 75/08, RN 37 ff.) zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dieser Vortrag hinreichend substantiiert, da er ausreicht, um eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten zu begründen. Im Übrigen ging der BGH in seinem Urteil vom 18.9.2009, Az. V ZR 75/08, RN 39, von einem beachtlichen und damit hinreichend substantiierten Vortrag der Klägerin aus; ansonsten hätte er das Verfahren nicht zurückverwiesen.

aa) Nach den glaubhaften Angaben des Beklagten und des Zeugen X waren zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens alle Fenster und Türen der dem Beklagten beim Abfeuern der Feuerwerksrakete zugewandten Nord- und Ostseite der Scheune geschlossen. Die Oberlichter bestanden aus nicht zu öffnenden Polykarbonat-Lichtplatten. Das Feuerwerk konnte an den genannten Stellen nicht in die Scheune eindringen und einen Brand verursachen.

bb) Der Beklagte kannte nach seinen eigenen Angaben zwar einen der auf dem Dach der Scheune befindlichen zwei Abluftkamine und ging davon aus, dass dieses Abluftrohr in der Scheune nicht in einer Feuerstelle endete. Er wusste nicht, ob beim Eindringen einer Feuerwerksrakete oder von deren glühenden Resten in den ihm bekannten Abluftkamin, der eine Öffnung im Durchmesser von 40 bis 50 cm hatte, der Inhalt der Scheune und diese selbst in Brand gesteckt werden könnte. Gleichwohl muss er nicht auf Schadensersatz haften, denn eine Verpflichtung, in der Nähe der Scheune keine Feuerwerksrakete zu zünden, hätte objektiv die Möglichkeit einer Brandentstehung durch die Rakete und die Erkennbarkeit dieser Möglichkeit für den Beklagten vorausgesetzt (BGH VersR 1966, 524, Juris RN 16). Erst eine objektiv bestehende Gefahrenlage verlangt vom Verkehrssicherungspflichtigen eine schadens- und haftungsvermeidende Reaktion.

Nach den überzeugenden Angaben des Zeugen X, dem die abgebrannte Scheune gehörte und der sie selbst hatte erbauen lassen, waren in die Abluftkamine Wärmetauscher mit einem Wabennetz eingebaut, die einen Kontakt einer in den Kamin eingedrungenen Feuerwerksrakete mit brennbarem Material in der Scheune verhindert hätten. Wären dennoch glühende Partikel durch die Abluftohre in die Scheune gelangt, wären sie auf der Kotplatte gelandet, die ständig feucht war, und hätten dort keinen Schaden angerichtet. Es ist weder vorgetragen noch nach den Angaben des Zeugen X erkennbar, dass die Abluftkamine selbst durch eine Feuerwerksrakete in Brand gesteckt werden konnten. Nach den Angaben des Zeugen X, der nach seinen Angaben durch seinen Hauptberuf besondere Kenntnisse über Kunststoffe hat, war die Innenverkleidung der Lüftungsrohre aus Kunststoff nicht leicht entflammbar und durch Kondensat feucht. Der Zeuge war deshalb der Auffassung, dass die Abluftkamine durch eine Feuerwerksrakete nicht in Brand gesteckt werden konnten. Auch daraufhin hat die Klägerin nicht behauptet und unter Beweis gestellt, dass von der Feuerwerksrakete eine Brandgefahr für die Lüftungskamine selbst ausgegangen sei.

Nachdem eine Feuerwerksrakete oder ein Teil von ihr weder durch die Fenster noch durch die Tore der Scheune noch durch deren Abluftkamine eindringen und das dort gelagerte Material entzünden konnte, bestand keine Pflicht des Beklagten, wegen dieser Bauwerksöffnungen einen größeren Abstand zu der Scheune beim Zünden der Rakete als geschehen einzuhalten.

3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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