LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.2010 - L 3 AS 5594/09
Fundstelle
openJur 2012, 63387
  • Rkr:

Krankengeld stellt kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit dar. Deshalb sind bei der Anrechnung als Einkommen hiervon keine Freibeträge nach §§ 11 Abs. 2 Satz 2, 30 SGB II abzusetzen.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Oktober 2009 abgeändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. November wird insoweit aufgehoben, als darin die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.Oktober 2008 bis 31. Oktober 2008 aufgehoben worden ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt ein Sechstel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 01.10.2008 sowie die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2008 bis 14.04.2009 streitig.

Die 1958 geborene Klägerin ist seit dem 15.06.1998 beim Städtischen Klinikum Karlsruhe versicherungspflichtig beschäftigt mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 967,87 EUR bzw. einem Nettoarbeitsentgelt von 755,13 EUR. Mit dem Entgelt für den Monat November 2008 erhielt sie eine Jahressonderzahlung i.H.v. 861,77 EUR brutto. Daneben bezog die Klägerin seit dem 01.01.2005 ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Sie hat für ihre Wohnung eine Warmmiete in Höhe von 304,00 EUR monatlich zu entrichten.

Mit Bescheid vom 25.06.2008 bewilligte ihr die Beklagte Leistungen nach dem SGB II für den Monat Juli 2008 in Höhe von 105,77 EUR und für die Monate August bis November 2008 in Höhe von monatlich 107,77 EUR.

Nachdem die Klägerin eine Einkommensbescheinigung vorgelegt hatte, wonach sie ein monatliches Nettoarbeitsentgelt von 755,13 EUR sowie Einmalzahlungen in den Monaten Juli und November 2008 erhalte, und nach Vorlage der Entgeltabrechnung für Juli 2008 hob die Beklagte mit Bescheid vom 19.08.2008 die Bewilligung für den Monat Juli 2008 auf und bewilligte ihr für die Zeit vom 01.08.2008 bis 30.11.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 114,94 EUR. Vom Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von monatlich 634,97 EUR (Regelleistung 351,00 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung 283,97 EUR) setzte sie ein zu berücksichtigendes Einkommen von 520,03 EUR ab, das sie wie folgt berechnete:

Netto-Erwerbseinkommen monatlich781,86 EURFreibetrag - 231,83 EURzu berücksichtigendes Erwerbseinkommen 550,03 EUREinkommensbereinigung: - 30,00 EURzu berücksichtigendes Gesamteinkommen520,03 EUR

Ab dem 05.07.2008 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 27.08.2008 teilte sie der Beklagten mit, sie werde am 28.08.2008 operiert und könne danach zunächst nur mit Krücken gehen. Beigefügt war ein Schreiben ihrer Krankenkasse, wonach sie ab dem 16.08.2008 für die Dauer ihrer Arbeitsunfähigkeit Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 21,87 EUR erhalte.

Mit Schreiben vom 27.08.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Leistungen würden weiterhin vorerst ohne Bescheid ausbezahlt. Damit ein Bescheid erlassen werden könne, werde noch die Lohnabrechnung für August benötigt. Weiter wurde die Klägerin um Mitteilung gebeten, sobald das Krankengeld ende.

Den am 27.10.2008 gestellten Antrag der Klägerin auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II, in welchem sie angab, am 14.10.2008 Wohngeld beantragt zu haben, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.10.2008 ab mit der Begründung, die Klägerin sei nicht mehr hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Ihrem Gesamtbedarf in Höhe von monatlich 634,97 EUR stehe ein zu berücksichtigendes Gesamteinkommen von 654,07 EUR gegenüber.

Mit weiterem Bescheid vom 29.10.2008 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab 01.10.2008 gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ganz auf mit der Begründung, die Klägerin habe ab Oktober 2008 einen Anspruch auf Wohngeld. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei sie nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II.

Den gegen beide Bescheide eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, es sei eine wesentliche Änderung dadurch eingetreten, dass die Klägerin spätestens seit 01.10.2008 im laufenden Bezug von Krankengeld stehe. Die Klägerin habe einen Gesamtbedarf von monatlich 634,97 EUR (Regelleistung 351,00 EUR, Kosten der Unterkunft/Heizung ohne Energieaufwand für Warmwasser 283,97 EUR). Diesem Bedarf stehe als Einkommen gegenüber:

a) Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld (1/12 - anzurechnen gemäß § 2 Abs. 4 Alg II-V)56,61 EUR./. Freibeträge nach §§ 11, 30 SGB II inkl. Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR56,61 EUR 0,00 EURb) Krankengeld 656,10 EURGesamteinkommen 656,10 EUR

Erwerbseinkünfte seien gegenüber Lohnersatzleistungen (wie etwa Krankengeld) privilegiert, so dass während des Bezuges von Arbeitseinkommen ein ergänzender Leistungsanspruch nach dem SGB II bestehen könne, während nach Wegfall dieses Arbeitseinkommens (und Bezug einer niedrigeren Lohnersatzleistung) ein ergänzender Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht mehr bestehe. Da Bedürftigkeit nicht mehr vorliege, sei auch die Weitergewährung der Leistungen nach dem SGB II abzulehnen.

Gegen den am 19.11.2008 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 11.12.2008 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie vertritt die Rechtsauffassung, der Freibetrag nach § 30 SGB II sei auch beim Bezug von Krankengeld abzuziehen. § 30 SGB II knüpfe zwar nach seinem Wortlaut beim Einkommen aus Erwerbstätigkeit an, jedoch handle es sich beim Krankengeldbezug um eine Entgeltersatzleistung, die insoweit einer Erwerbstätigkeit gleichzustellen sei. Sie stehe nämlich noch in einem Arbeitsverhältnis, auch sei beim Krankengeldbezug während eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses Lohnsteuer zu entrichten. Schließlich ergebe sich diese Rechtsfolge auch aus den Durchführungshinweisen der Bundesagentur.

Nachdem die Klägerin bis zum 14.04.2009 Krankengeld bezogen hatte, haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 21.10.2009 einen Teilvergleich dahingehend geschlossen, dass sie den Rechtsstreit betreffend den Bewilligungszeitraum ab dem 15.04.2009 für erledigt erklärt haben und sich die Beklagte verpflichtet hat, nach Durchführung eines gesonderten Verwaltungsverfahrens über einen Anspruch auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II ab dem 15.04.2009 zu entscheiden.

Mit Urteil gleichfalls vom 21.10.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe im Ergebnis zu Recht in den angefochtenen Bescheiden davon abgesehen, auf das von der Klägerin im Zeitraum vom 01.10.2008 bis zum 14.04.2009 bezogene Krankengeld in Höhe von monatlich brutto 752,70 EUR und netto 656,10 EUR Freibeträge gemäß § 11 Abs. 2 Sätze 2 und 3 und § 30 SGB II einkommensmindernd in Anrechnung zu bringen. Diese Freibeträge seien lediglich von aufgrund einer Arbeitstätigkeit erzieltem Hinzuverdienst in Abzug zu bringen, was einer Anwendung auf das von der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum bezogene Krankengeld entgegenstehe. Gemäß S. 4 und 5 der Gesetzesbegründung des zum 01.10.2005 in Kraft getretenen Freibetragsneuregelungsgesetzes vom 14.08.2005 (BGBl. I S. 2407) diene die Neuregelung der Schaffung stärkerer Anreize zur Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch deutlich verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten. Diese Anreizfunktion würde durch eine Anwendung der Freibetragsregelung auch auf Entgeltersatzleistungen konterkariert. Unbeachtlich sei hierbei, ob während des Krankengeldbezuges das Arbeitsverhältnis fortbestehe. Denn oftmals würden gerade bei längerdauerndem Krankengeldbezug Arbeitsverhältnisse nur noch rechtlich fortbestehen, weil weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber ein Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten. Hinzu komme, dass auch der Wortlaut des § 30 Satz 1 SGB II einer erweiternden Anwendung der Freibetragsregelungen entgegenstehe, denn auch danach sei der Freibetrag lediglich von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Schließlich sei auch die Vorgängerregelung in § 76 Abs. 2a Nr. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) nicht auf Personen anwendbar gewesen, die Entgeltersatzleistungen bezogen hätten, da diese Leistungen nicht aus gegenwärtiger entgeltlicher Verwertung der Arbeitskraft erzielt worden seien.

Gegen das am 04.11.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.12.2009 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Begriff des Erwerbseinkommens im Sinne des § 30 SGB II sei weit auszulegen. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 22.04.2009 - 3 AZB 90/08 - in juris) sei der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1b Zivilprozessordnung (ZPO) bei Krankengeld, das anstelle von Arbeitsentgelt gezahlt und der Höhe nach als Anteil vom Arbeitsentgelt berechnet werde, in Abzug zu bringen. Die Klägerin hat weiter eine Entgeltabrechnung für November 2008 vorgelegt, wonach sie im November 2008 eine Jahressonderzahlung i.H.v. brutto 861,77 EUR bzw. netto 677,70 EUR erhalten hat.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. Oktober 2009 sowie die Bescheide der Beklagten vom 29. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. November 2008 bis 14. April 2009 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie trägt vor, das BSG habe bereits ausdrücklich entschieden, dass die Verletztenrente Lohnersatzfunktion habe, und ausgeführt, vom vorhandenen Einkommen (Verletztenrente) sei lediglich die 30 EUR-Pauschale in Abzug zu bringen. Freibeträge nach §§ 11 Abs. 2 Satz 2, 30 SGB II seien nicht zuzuerkennen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Bei Abzug von Freibeträgen nach § 11 Abs. 2 S. 2 und § 30 SGB II vom Krankengeld hätte die Klägerin im streitigen Zeitraum einen den Betrag von 750,- EUR übersteigenden Anspruch auf Alg II.

Die Berufung ist jedoch nur insoweit begründet, als die Beklagte die Bewilligung von Alg II für den Monat Oktober 2008 zu Unrecht aufgehoben hat (1.). Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet (2.).

1. Die Bewilligung von Alg II ab dem 01.10.2008 durfte nicht gem. § 48 SGB X wegen des Bezugs von Krankengeld aufgehoben werden. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Bewilligung von Krankengeld stellt zwar eine wesentliche Änderung dar. Diese ist jedoch bereits am 16.08.2008 und damit vor Erlass des Bewilligungsbescheides am 19.08.2008 erfolgt. Der Bescheid war deshalb - wie unten ausgeführt wird - bereits von Anfang an rechtswidrig, so dass eine Rücknahme wegen des Bezugs von Krankengeld nur nach § 45 SGB X hätte erfolgen dürfen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 SGB X für die Vergangenheit haben jedoch nicht vorgelegen, da sich die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen kann, da sie weder vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Hinsicht unvollständige Angaben gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) noch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder hätte kennen müssen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Denn die Klägerin musste nicht wissen, dass der Anspruch auf ergänzendes Alg II entfällt, wenn statt des Erwerbseinkommens niedrigeres Krankengeld bezogen wird. Die Aufhebung ist damit erst für den auf das Datum des Aufhebungsbescheides folgenden Monat November 2008 rechtmäßig erfolgt.

2. Die Aufhebung der Bewilligung für den Monat November 2008 und die Ablehnung der Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem 01.12.2008 sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg II, da ihr anrechenbares Einkommen ihren Bedarf übersteigt.

Als Bedarf der Klägerin hat die Beklagte zutreffend den Betrag von 634,97 EUR (Regelleistung 351,00 EUR, Kosten der Unterkunft 283,97 EUR) zugrunde gelegt.

Die Beklagte hat weiter zutreffend das Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld der Klägerin gem. § 2 Abs. 4 Alg II-V auf das Jahr umgelegt und zu 1/12 angerechnet. Dahingestellt bleiben kann, ob unter Einbeziehung der im November 2008 gewährten Jahressonderzahlung nicht ein höherer monatlicher Betrag einzusetzen wäre. Denn nach Abzug der Freibeträge nach §§ 11 und 30 SGB II einschließlich der Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V hat die Beklagte jedenfalls kein anrechenbares Einkommen aus Erwerbsarbeit zugrunde gelegt.

Das Krankengeld ist in der tatsächlich geleisteten Höhe als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen. Es sind weder Freibeträge nach § 11 SGB II noch nach § 30 SGB II abzusetzen.

Die Beklagte hat zutreffend den Nettozahlbetrag des Krankengeldes als Einkommen zugrunde gelegt. Es ist auch kein Pauschalbetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II und kein weiterer Freibetrag nach § 30 SGB II abzusetzen. Nach § 11 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB II in der ab dem 01.10.2005 geltenden Fassung des Freibetragsneuregelungsgesetzes vom 14.08.2005 (BGBl. I S. 2407) ist bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind, an Stelle der Beträge nach Satz 1 Nr. 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100,00 EUR monatlich abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen mehr als 400 EUR, gilt Satz 2 nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige nachweist, dass die Summe der Beträge nach Satz 1 Nr. 3 bis 5 den Betrag von 100 EUR übersteigt.

Nach § 30 SGB II in der Fassung des Freibetragsneuregelungsgesetzes ist bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbsfähig sind, von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich

1. für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100 EUR übersteigt und nicht mehr als 800 EUR beträgt, auf 20 vom Hundert und

2. für den Teil des monatlichen Einkommens, das 800 EUR übersteigt und nicht mehr als 1200 EUR beträgt, auf 10 vom Hundert.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass diese Freibeträge lediglich von aufgrund einer Arbeitstätigkeit erzieltem Hinzuverdienst in Abzug zu bringen sind und damit nicht von Einkommen in Form von Krankengeld.

Hierfür spricht zunächst die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/5446, S. 4). Danach soll die Neuregelung der Schaffung stärkerer Anreize zur Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch deutlich verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten dienen. Privilegiert werden sollte danach lediglich Einkommen aus Erwerbstätigkeit, nicht jedoch Erwerbsersatzeinkommen.

Weiter steht der Wortlaut des § 30 Satz 1 SGB II, wonach lediglich Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen ist, einer erweiternden Anwendung der Freibetragsregelung entgegen (ebenso Birk in LPK-SGB II, § 30 Rdnr. 5). Entgeltersatzleistungen wie das Krankengeld beruhen dagegen nicht auf der gegenwärtigen entgeltlichen Verwertung der eigenen Arbeitskraft und stellen deshalb kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit dar (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 30 Rn. 12).

Nicht zutreffend ist die vom SG Stade vertretene Auffassung, es sei danach zu differenzieren, ob die der Krankengeldzahlung zugrunde liegende Arbeitsunfähigkeit während einer Zeit der Erwerbstätigkeit oder bei bestehender Arbeitslosigkeit eintrete (SG Stade, Urteil vom 04.05.2010, S 17 AS 455/09, in juris). Denn zum einen steht dieser Differenzierung das vom SG in der angefochtenen Entscheidung angeführte Argument entgegen, in vielen Fällen bestehe gerade bei länger dauerndem Krankengeldbezug das Arbeitsverhältnis nur noch rechtlich fort, weil weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber ein Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten, obwohl evident sei, dass eine Wiederaufnahme des Beschäftigungsverhältnisses aufgrund bestehender gesundheitlicher Einschränkungen realistischerweise nicht mehr in Betracht komme. Eine Prüfung, ob die Erwerbstätigkeit durch die Arbeitsunfähigkeit und den Krankengeldbezug lediglich unterbrochen oder dauerhaft beendet ist, lässt sich vielfach nicht durchführen. Zum anderen spricht gerade die vom SG Stade herangezogene Rechtsprechung des BSG zum Insolvenzgeld (InsG) dafür, dass eine tatsächliche Arbeitsausübung vorauszusetzen ist. Das BSG hat in der angeführten Entscheidung (BSG Urteil v. 13.05.2009 - B 4 AS 29/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 22) ausgeführt, das InsG trete in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht an die Stelle des Arbeitsentgeltanspruchs, deshalb sei es auch hinsichtlich der Einkommensbereinigung wie dieser zu behandeln. Das BSG hat jedoch weiter ausgeführt, das InsG umfasse alle Leistungen des Arbeitgebers, die eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellten. Der Schutz der InsG-Versicherung gewährleiste im Ergebnis, dass der Arbeitnehmer ungeachtet des Umstandes, dass der in Zahlungsschwierigkeiten befindliche Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder nicht vollständig zahle, zunächst für die Dauer des InsG-Anspruches weiterarbeiten könne. Damit knüpft das Insolvenzgeld gerade an die tatsächliche Arbeitsleistung bzw. den Arbeitsentgeltanspruch an.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des BAG, denn diese bezieht sich nicht auf die Leistungen nach dem SGB II, sondern auf die Prüfung der Bedürftigkeit im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe.

Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass auch ein historisches Argument gegen eine extensive Auslegung der Freibetragsregelung spricht, da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Vorgängerregelung in § 76 Abs. 2a Nr. 1 Bundessozialhilfegesetz nicht auf Entgeltersatzleistungen anzuwenden war (BVerwG, Urteil v. 21.07.1994, 5 C 32/91, BVerwGE 96, 246).

Schließlich hat das BSG im Urteil vom 16.12.2008 (Az.: B 4 AS 70/07 R - in juris Rn. 32) bei der Berücksichtigung von Krankengeld als Einkommen lediglich die Versicherungspauschale von 30 EUR gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V sowie nachgewiesene anteilige Kosten für eine Kfz-Haftpflichtversicherung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Abzug gebracht, nicht jedoch die Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 2 und § 30 SGB II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.