VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.07.2010 - 4 S 1333/10
Fundstelle
openJur 2012, 63066
  • Rkr:

Auf § 81 Abs. 2 SGB IX i.V.m. § 15 Abs. 2 AGG gestützte Entschädigungsansprüche betreffen nicht das Sachgebiet der Schwerbehindertenfürsorge und sind daher nicht gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei (a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.08.2009 - 9 S 3330/08 -).

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. Mai 2010 - 3 K 1695/10 - wird zurückgewiesen.

Gründe

Die - nicht fristgebundene - Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung des Klägers gegen den (vorläufigen) Kostenansatz der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vom 07.04.2010 im Verfahren 3 K 1186/10 in Höhe von 408,-- EUR zu Recht zurückgewiesen.

Mit der genannten Klage begehrt der Kläger - gestützt auf § 81 Abs. 2 SGB IX i.V.m. §§ 7 und 15 AGG - von der Beklagten eine angemessene Entschädigung mindestens in Höhe von 5.648,06 EUR, weil er als Schwerbehinderter auf seine Bewerbung auf eine Beamtenstelle entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. Mit seiner Erinnerung gegen den (vorläufigen) Kostenansatz macht er geltend, das Verfahren sei gerichtskostenfrei. Das trifft jedoch nicht zu. Derartige Entschädigungsansprüche betreffen nicht das Sachgebiet der Schwerbehindertenfürsorge und können deswegen nicht gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei geltend gemacht werden (anderer Ansicht - ohne Angabe von Gründen - VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.08.2009 - 9 S 3330/08 -). Welche Auswirkungen insoweit der Umstand hätte, dass der Kläger meint, neben der Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung komme auch eine Benachteiligung wegen seines fortgeschrittenen Alters in Betracht, bedarf angesichts dessen keiner Entscheidung.

Die im Falle eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG vom Arbeitgeber zu zahlende Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG ist keine Leistung der Fürsorge für Schwerbehinderte.

Nach § 71 Abs. 1 SGB IX sind private und öffentliche Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Darüber hinaus obliegen ihnen nach § 81 SGB IX weitere Verhaltenspflichten; unter anderem dürfen sie nach Absatz 2 schwerbehinderte Beschäftigte wegen ihrer Behinderung nicht benachteiligen, wozu im Einzelnen auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verwiesen wird. Allein daraus folgt jedoch nicht, dass die Arbeitgeber bei der Erfüllung dieser Verpflichtungen Leistungen der Schwerbehindertenfürsorge erbringen. Mit den Bestimmungen über die Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen hat der Gesetzgeber vielmehr gemeinwohlorientierte öffentlich-rechtliche Verpflichtungen geschaffen, die die Berufsausübung der Arbeitgeber regeln (BVerfG, Beschluss vom 01.10.2004 - 1 BvR 2221/03 -, DVBl 2004, 1478 m.w.N.). Dass der Gesetzgeber damit sozialpolitische Ziele verfolgt, führt nicht dazu, dass diese Bestimmungen zur Schwerbehindertenfürsorge zu rechnen sind (BVerwG, Beschluss vom 08.05.1990 - 7 ER 101/90 -, Buchholz 310 § 188 VwGO Nr. 10 zur Erstattung von Fahrgeldausfällen, vgl. § 145 Abs. 3 SGB IX; VG Köln, Urteil vom 14.02.2008 - 26 K 1650/07 -, Juris). Erbringt der Arbeitgeber bei der Einstellung und Beschäftigung von Schwerbehinderten aber keine Leistung der Schwerbehindertenfürsorge, stellt auch die Entschädigung, die er zu zahlen hat, wenn er hierbei gegen das Benachteiligungsverbot des § 81 Abs. 2 SGB IX verstößt, keine solche Leistung dar.

Nichts anderes ergibt sich, wenn man unter Angelegenheiten der Schwerbehindertenfürsorge die Streitsachen versteht, die aus einer den Verwaltungsrechtsweg eröffnenden (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 7 SGG) Verwaltungstätigkeit beim Vollzug des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs herrühren (Happ in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 188 RdNr. 9). Denn unter einer solchen Verwaltungstätigkeit ist nicht jede Entscheidung zu verstehen, die ihre Grundlage in den Bestimmungen des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs hat. So werden auch Streitigkeiten um die Erstattung von Fahrgeldausfällen nicht als Angelegenheiten der Schwerbehindertenfürsorge angesehen, obwohl sie ihre Grundlage in § 145 Abs. 3 SGB IX haben (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.07.2008 - 9 S 3090/07 -, ESVGH 59, 123; zur Vorgängerregelung in § 60 SchwbG vgl. BVerwG, Urteil vom 08.05.1990, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.06.1996 - 12 E 11562/96 -, Juris). Es kommt daher entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, dass die Verhaltenspflichten, gegen die die Beklagte als (zukünftige) Arbeitgeberin seiner Ansicht nach verstoßen hat - insbesondere diejenige zur Einladung eines schwerbehinderten Beschäftigten zu einem Vorstellungsgespräch -, im Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs geregelt sind. Erforderlich ist vielmehr eine behördliche Maßnahme, die bei der Gewährung von Leistungen nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs getroffen wird. Dies ist - wie dargelegt - hier nicht der Fall. Unerheblich ist daher auch, ob die Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch unmittelbar in § 15 Abs. 2 AGG zu finden ist oder in § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, der wegen der Einzelheiten des Benachteiligungsverbots nach Satz 1 auf die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und damit auf § 15 Abs. 2 i.V.m. §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, 7 Abs. 1 AGG verweist. Andererseits kann der Umstand, dass der Gesetzgeber den ursprünglich in § 81 Abs. 2 SGB IX geregelten Entschädigungsanspruch mit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14.08.2006 (BGBl I. S. 1897) aufgehoben hat und nunmehr in § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX wegen der Einzelheiten auf die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verweist, durchaus als weiteres Indiz dafür gesehen werden, dass der Entschädigungsanspruch des § 15 Abs. 2 AGG allgemeiner Natur ist und keine (spezifische) Angelegenheit der Schwerbehindertenfürsorge darstellt. Dieser Anspruch steht nämlich nicht nur Schwerbehinderten zu, sondern jedem Beschäftigten, der wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes entgegen dem Verbot des § 7 AGG benachteiligt worden ist.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da die Entscheidung gebührenfrei ergeht und Kosten nicht erstattet werden (§ 66 Abs. 8 GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).