VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.04.2010 - 1 S 2810/09
Fundstelle
openJur 2012, 62831
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 22. Dezember 2009 - 3 K 3443/09 - wird zurückgewiesen.Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Unterzeichner eines am 23.10.2009 eingereichten Bürgerbegehrens Stoppt das Millionengrab. Er begehrt die Durchführung eines Bürgerentscheids zu der Frage Sind Sie für die Durchführung des Baus eines Stadtbahntunnels unter der Kaiserstraße mit Südabzweig gemäß dem Plan der Karlsruher Schieneninfrastrukturgesellschaft mbH (KASIG), festgestellt durch das Regierungspräsidium Karlsruhe am 15. Dezember 2008?.

Mit Bescheid vom 20.11.2009 lehnte die Antragsgegnerin auf der Grundlage des entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses vom 17.11.2009 den Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids ab. Zur Begründung ist ausgeführt: Das Bürgerbegehren sei aus mehreren Gründen unzulässig. Es sei verfristet; die eingetretene Verfristung werde auch nicht durch die in der Begründung angeführte Kostensteigerung aufgehoben. Das Bürgerbegehren sei hinsichtlich der Fragestellung in Verbindung mit der Begründung nicht hinreichend bestimmt und enthalte keinen Kostendeckungsvorschlag. Es fehle an der erforderlichen Kongruenz von Fragestellung, Begründung und Kostendeckungsvorschlag. Außerdem seien die Ausschlussgründe nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 6 GemO gegeben. Das Bürgerbegehren sei schließlich auch deshalb unzulässig, weil hierdurch die allgemein geltenden Grundsätze der Vertragstreue verletzt würden.

Über den hiergegen eingelegten Widerspruch des Antragstellers ist noch nicht entschieden.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 22.12.2009 den Antrag des Antragstellers, die Antraggegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids für zulässig zu erklären und einen Bürgerentscheid zu der angegebenen Fragestellung durchzuführen, abgelehnt. Der Antrag richte sich auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, was dem Wesen und Zweck der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes widerspreche. Eine Vorwegnahme der Hauptsache sei auch nicht ausnahmsweise hinnehmbar. Dies sei nur dann der Fall, wenn ein Anordnungsanspruch mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliege und anderenfalls dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile entstünden. Davon könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Insbesondere entstünden dem Antragsteller keine unzumutbaren Nachteile, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge. Auch ein Anordnungsanspruch könne nicht mit dem erforderlichen Grad von Wahrscheinlichkeit bejaht werden. Mit der Antragsgegnerin sei das Gericht der Auffassung, dass der Ende Oktober 2009 eingereichte Antrag auf Zulassung des Bürgerbegehrens verfristet sei, da die Sechswochenfrist des § 21 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 GemO spätestens durch die Bekanntgabe des Gemeinderatsbeschlusses der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2008 ausgelöst worden sei. Außerdem enthalte der Antrag keinen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme.

Mit seiner Beschwerde hält der Antragsteller seinen erstinstanzlichen Antrag als Hauptantrag aufrecht, hilfsweise begehrt er die Verpflichtung der Antragsgegnerin, festzustellen, dass der am 23.10.2009 eingereichte Antrag auf Durchführung eines Bürgerbegehrens mit der angeführten Fragestellung zulässig ist. Zur Begründung macht er geltend, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die beantragte Anordnung im Ergebnis keine Vorwegnahme der Hauptsache bedeute, weil der Bürgerentscheid dann, wenn rechtskräftig in der Hauptsache eine andere Entscheidung ergehen würde, unzulässig gewesen und damit ein unzulässiger Beschluss zustande gekommen wäre, der keine Rechtswirkungen entfalte. Jedenfalls durch die hilfsweise begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Bürgerbegehren vorläufig für zulässig zu erklären, werde die Hauptsache nicht vorweggenommen, weil ein Bürgerentscheid hiermit vorerst noch nicht durchgeführt werden müsse. Vielmehr könne insoweit die Entscheidung in der Hauptsache abgewartet werden. Aber selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht von einer Vorwegnahme der Hauptsache ausgehe, so sei die begehrte Anordnung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig. Die dem Bürger nach § 21 Abs. 3 GemO eingeräumte Kompetenz würde vernichtet, wenn nicht jetzt die - vorläufige - Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt würde. Das Bürgerbegehren sei auch offensichtlich zulässig. Es richte sich nicht gegen Gemeinderatsbeschlüsse, so dass die gesetzliche Sechswochenfrist nicht zu beachten gewesen sei. Ein Kostendeckungsvorschlag sei entbehrlich. Das Bürgerbegehren ziele nicht auf eine Maßnahme ab, bei der Kosten entstünden, sondern wolle im Gegenteil eine kostenintensive Maßnahme verhindern. Auch die weiteren von der Antragsgegnerin in ihrem Bescheid angeführten Erwägungen stünden der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht entgegen.

Die Antragsgegnerin ist der Beschwerde entgegengetreten.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die nach § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Ergebnisrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts erfolgreich in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.

Soweit der Antragsteller - entsprechend seinem im Beschwerdeverfahren als Hauptantrag weiterverfolgten Antrag - neben der Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Bürgerbegehren vorläufig für zulässig zu erklären, zugleich deren Verpflichtung begehrt, einen Bürgerentscheid durchzuführen, ist dieser Antrag unzulässig. Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz kann grundsätzlich nicht über das hinausgehen, was Gegenstand eines Hauptsacheverfahrens sein kann (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage 2009, § 123 RdNr.11). Dies ist hier aber der Fall. Auch in einem etwaigen Hauptsacheverfahren könnte der Antrag des Antragstellers nur darauf abzielen, die Antragsgegnerin unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, das Bürgerbegehren zu der o.a. Fragestellung für zulässig zu erklären. Das weitere Vorgehen ergäbe sich für die Antragsgegnerin dann aus § 21 Abs. 4 und 5 GemO. Anstatt der Durchführung eines Bürgerentscheids verbliebe dem Gemeinderat die in § 21 Abs. 4 Satz 2 GemO vorgesehene Möglichkeit. Danach entfällt der Bürgerentscheid, wenn der Gemeinderat die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt.

Außerdem ist die Durchführung eines Bürgerentscheids unter Vorbehalt mit der gesetzlichen Ausgestaltung des § 21 Abs. 3 - 7 GemO grundsätzlich unvereinbar (vgl. auch BayVGH, Beschluss v. 06.11.2000 - 4 ZE 00.3018 - BayVBl. 2001, 500; Sächs. OVG, Beschl. v. 29.09.2008 - 4 B 209/08 -, SächsVBl. 2009, 19 f.). Ein Bürgerbegehren entspricht nur dann der in § 21 GemO enthaltenen Zielrichtung, eine Entscheidung mit der Wirkung eines endgültigen Beschlusses des Gemeinderats herbeizuführen, wenn der Bürgerentscheid eine konkrete und grundsätzlich abschließende Regelung der betreffenden Angelegenheit trifft. Nur dann übernehmen die Bürger entsprechend dem Sinn und Zweck von § 21 GemO tatsächlich anstelle des Gemeinderats unmittelbar selbst Verantwortung. Dem widerspricht es, wenn die Bürger in der Ungewissheit, ob ihre Stimme letztlich überhaupt Bedeutung erlangt, über eine Angelegenheit der Gemeinde entscheiden. Es liegt auf der Hand, dass die Vorläufigkeit eines Bürgerentscheids, der sich im Falle der rechtskräftigen Ablehnung des Bürgerbegehrens als gegenstandslos erweist, Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Bürger hätte und damit eine verantwortliche Entscheidung der Bürger durch einen Bürgerentscheid sozusagen auf Vorrat nicht zu erzielen wäre.

Der im Beschwerdeverfahren hilfsweise verfolgte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festzustellen, ist auf eine grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Denn der Antragsteller möchte durch die beantragte einstweilige Anordnung bereits vor einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren erreichen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, das Bürgerbegehren vorläufig für zulässig zu erklären. Damit verfolgt er im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sachlich dasselbe Ziel wie im Hauptsacheverfahren. Daran ändert es nichts, dass der Antragsteller lediglich eine vorläufige Zulässigkeitserklärung begehrt.

Zulässig ist hingegen eine - hinter dem Antrag zurückbleibende - vorläufige gerichtliche Feststellung, dass das Bürgerbegehren zulässig ist (vgl. zur Zulässigkeit vorläufiger Feststellungen Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage 2009, §123 RdNr. 9). Mit der vorläufigen Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens wäre eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Durchführung eines Bürgerentscheids nicht verbunden. Eine derartige Verpflichtung kann nur die - rechtskräftige - Entscheidung über die Zulässigkeit auslösen. Auch wäre sie rechtlich nicht gehindert, in Vollzug der Gemeinderatsbeschlüsse dem Bürgerbegehren entgegenstehende Maßnahmen zu ergreifen. Denn ein Bürgerbegehren hat nach § 21 GemO selbst bei rechtskräftiger Feststellung seiner Zulässigkeit keine aufschiebende, die Gemeinde an der Fortführung ihres Projekts hindernde Wirkung (vgl. Senatsbeschluss vom 06.09.1993 - 1 S 1749/93 -, VBlBW 1994, 100 ff.; anders z. B. § 26 Abs. 6 Satz 5 GemO NRW i.d. seit dem 17.10.2007 geltenden Fassung, für Bürgerbegehren, deren Zulässigkeit der Gemeinderat festgestellt hat). Bestrebungen, in der Gemeindeordnung Baden-Württemberg eine entsprechende Schutz- bzw. Sperrwirkung wie in anderen Bundesländern vorzusehen (vgl. LT-Drs. 13/4263), haben auch in der geänderten Fassung des Gesetzes vom 28.07.2005 (GBl. S. 578 ff.) keinen Niederschlag gefunden.

Der Umstand, dass ein Bürgerbegehren keine aufschiebende Wirkung hat, schließt jedoch die Stellung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Durchführung eines Bürgerbegehrens bzw. Bürgerentscheids zu sichern, nicht aus (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 16.07.1996, NVwZ 1997, 310 ff. zur insoweit entsprechenden Regelung in § 8 b HGO). Aufschiebende Wirkung und einstweilige Anordnung sind verschiedene Rechtsinstitute, wie sich aus den §§ 80 und 123 VwGO ergibt. Die aufschiebende Wirkung tritt normalerweise schon durch Einlegung eines Rechtsbehelfs ein, ohne dass geprüft werden müsste, ob der Rechtsbehelf erfolgversprechend ist oder nicht. Sie ist ein Rechtsinstitut, das den status quo erhalten soll, bis über ein Rechtsbehelf gegen einen Verwaltungsakt entschieden ist. Soweit hingegen über diesen Rechtsbereich hinaus die aufschiebende Wirkung nicht gesetzlich als vorläufige Regelung geregelt ist, sieht die Verwaltungsgerichtsordnung in § 123 VwGO die Möglichkeit einstweiliger Anordnungen vor, um zu vermeiden, dass vor der Lösung von Rechtskonflikten vollendete Tatsachen geschaffen werden. Welchen Inhalt eine danach grundsätzlich mögliche einstweilige Anordnung zur Sicherung des Bürgerbegehrens haben kann, ist eine Frage des Einzelfalls und bedarf hier keiner Entscheidung. Soweit frühere Beschlüsse des Senats der dargelegten Auffassung entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 22.04.1983 - 1 S 736/83 -, Seeger/Füss-lin/Vogel, EKBW, § 21 GemO E 12; Beschluss vom 06.09.1993 - 1 S 1749/93, VBlBW 1994, 397 ff.), wird daran nicht mehr festgehalten.

Eine gerichtliche Entscheidung, die vorläufig die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens feststellt, wäre auch geeignet, die Position des Antragstellers zu verbessern. Mit der vorläufigen gerichtlichen Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens lässt sich zum einen ein Warneffekt für die Antragsgegnerin dahingehend erzielen, sich während der Dauer eines etwaigen Hauptsacheverfahrens der Risiken bewusst zu sein, die mit weiteren Vollzugsmaßnahmen einhergehen, wenn ihren Maßnahmen ggfs. nachträglich die Grundlage entzogen wird und ihr hierdurch finanzielle Nachteile entstehen können. Zum anderen wäre damit ein Appell für die Antragsgegnerin verbunden, auf die der Bürgerschaft nach § 21 Abs. 3 GemO zustehenden Kompetenzen bei ihrem weiteren Vorgehen Rücksicht zu nehmen.

Mit Blick auf die sich daraus ergebenden weitreichenden Folgen einer einstweiligen Anordnung und vor dem Hintergrund der dargelegten gesetzlichen Ausgestaltung des Bürgerbegehrens kommt die begehrte vorläufige Feststellung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens jedoch nur dann in Betracht, wenn die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit solcher Wahrscheinlichkeit bejaht werden kann, dass eine gegenteilige Entscheidung im Hauptsacheverfahren praktisch ausgeschlossen werden kann und der mit dem Hauptsacheverfahren verbundene Zeitablauf voraussichtlich eine Erledigung des Bürgerbegehrens zur Folge hätte (vgl. BayVGH, Beschluss v. 22.10.1996 - 4 CE 96.3109 -, BayVBl. 1997, 312 ff.; Sächs. OVG, Beschluss v. 29.09.2008 - 4 B 209/08 -, SächsVBl. 2009, 19 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 123 RdNr. 14 m.w.N.). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch müssen in einem das übliche Maß der Glaubhaftmachung übersteigenden deutlichen Grad von Offenkundigkeit auf der Hand liegen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze kann zwar dem Antragsteller ein Anordnungsgrund im dargelegten Sinne nicht abgesprochen werden. Denn für den Fall, dass zu einem späteren Zeitpunkt im Hauptsacheverfahren die Antragsgegnerin rechtskräftig verpflichtet würde, das Bürgerbegehren für zulässig zu erklären, könnten bis dahin die Baumaßnahmen für die Untertunnelung der Kaiserstraße so weit fortgeschritten sein, dass ein nachfolgender Bürgerentscheid, soweit er überhaupt noch rechtlich möglich wäre (vgl. zur Frage der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens nach Vollzug der Maßnahme, die verhindert werden soll, die Hinweise auf die Rspr. im Urteil des VG Stuttgart vom 17.07.2009 - 7 K 3229/08 -, zitiert nach juris Rz. 98), jedenfalls angesichts vollendeter Tatsachen das Abstimmungsverhalten der Bürger beeinflussen und damit das Recht der Bürger wirkungslos machen würde. Wie ausgeführt wäre die Antragsgegnerin für die Dauer des Hauptsacheverfahrens rechtlich nicht gehindert, in Umsetzung des Bürgerentscheids von 2002 und der nachfolgenden Gemeinderatsbeschlüsse die Baumaßnahmen voranzutreiben (vgl. Senatsbeschl. v. 06.09.1993 - 1 S 1749/93 -, VBlBW 1994, 100 f.). Die - rechtlich zulässige - Schaffung vollendeter Tatsachen käme daher einem drohenden Rechtsverlust gleich.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat jedoch deshalb keinen Erfolg, weil der Antragsteller einen den o.g. Anforderungen gerecht werdenden Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 VwGO in Verb. mit § 920 Abs. 2 ZPO).

Das Bürgerbegehren ist schon deshalb unzulässig, weil die Bürger sich bereits in einer durch Bürgerentscheid gefällten Grundsatzentscheidung von 2002 für die mit dem vorliegenden Bürgerbegehren in Frage gestellte Kombi-Lösung ausgesprochen haben und der Gemeinderat hierzu 2005 einen Umsetzungsbeschluss gefasst hat, der Sperrwirkung entfaltet. Dies ergibt sich im Einzelnen aus folgenden Erwägungen:

Am 22.09.2002 wurde aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Gemeinderats der Antragsgegnerin gemäß § 21 Abs. 1 GemO ein Bürgerentscheid durchgeführt, bei dem sich die Mehrheit der Bürger für die Kombi-Lösung (bestehend aus folgenden Maßnahmen: Unterirdische Führung des Schienenverkehrs in der Kaiserstraße mit einem unterirdischen Südabzweig am Marktplatz und schienenfreie Fußgängerzone zwischen Europaplatz und Kronenplatz sowie Umbau der Kriegsstraße mit einem Straßentunnel und oberirdischen Straßenbahnlinien) ausgesprochen hat. Mit dem hier zu beurteilenden Bürgerbegehren vom 23.10.2009 richten sich die Initiatoren gegen das beschlossene Konzept, auch wenn sie nur einen Teil der Kombi-Lösung angreifen, nämlich die Untertunnelung der Kaiserstraße. Daran ändert es nichts, dass der Umbau der Kriegsstraße nach den Vorstellungen des Bürgerbegehrens verwirklicht werden soll; denn wie schon der gewählte Begriff Kombi-Lösung besagt, sollte der eine Teil nicht ohne den anderen realisiert werden. Der Bürgerentscheid von 2002 hat die Wirkung eines endgültigen Beschlusses des Gemeinderats (§ 21 Abs. 7 Satz 1 GemO). Er ist auch nicht innerhalb von drei Jahren durch einen neuen vom Gemeinderat initiierten Bürgerentscheid aufgehoben worden (§ 21 Abs. 7 Satz 2 GemO). Vielmehr hat der Gemeinderat der Antragsgegnerin am 19.07.2005 auf der Grundlage des Bürgerentscheids vom 22.09.2002 die Umsetzung des durch die Bürgerschaft befürworteten Verkehrsprojekts beschlossen. Der Umsetzungsbeschluss sah zur Realisierung dieses Verkehrsprojekts neben der Aufstellung und Auslegung des Bebauungsplans Kriegsstraße - Mitte, Straßenbahn in der Kriegsstraße mit Straßentunnel die Planung eines Stadtbahntunnels unter der Kaiserstraße mit Südabzweig Ettlinger Straße und die Zustimmung zur Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens gemäß § 28 PBefG vor. Dieser Umsetzungsbeschluss war nicht Gegenstand eines Bürgerbegehrens. Ein solches wäre auch nicht an der gesetzlich vorgesehenen Sperrfrist von drei Jahren (§ 21 Abs. 3 Satz 2 GemO) gescheitert, da diese nicht gilt, wenn zuvor - wie hier - ein Bürgerentscheid aufgrund eines Beschlusses des Gemeinderats nach § 21 Abs. 1 GemO durchgeführt worden ist (vgl. Kunze/Bron-ner/Katz, Gemeindeordnung Baden-Württemberg, 4. Auflage 2006, § 21 Rz. 22). Der auf dem Bürgerentscheid 2002 basierende Umsetzungsbeschluss von 2005 hat damit nach Ablauf der in § 21 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 GemO vorgesehenen Frist von sechs Wochen Sperrwirkung entfaltet gegenüber Bürgerbegehren, die sich inhaltlich gegen diesen Beschluss richten.

Durchbrochen wird die Sperrwirkung nur durch Eintritt einer wesentlich neuen Sachlage oder durch eine erneute Befassung des Gemeinderats, die die Frist nach § 21 Abs. 3 Satz 3, Halbs. 2 GemO für ein Bürgerbegehren wieder in Gang setzt. Voraussetzung für die Abänderung eines Bürgerentscheids nach § 21 Abs. 1 GemO durch eine erneute Entscheidung der Bürgerschaft in gleicher Sache ist demnach, auch wenn im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, dass das Vorhaben, das Gegenstand eines Bürgerentscheids war, eine wesentliche Änderung erfahren hat. Dies ergibt sich aus den Regelungen über die Fristen bei Bürgerbegehren gegen Organbeschlüsse, die die Funktionsfähigkeit und Effizienz des gemeindlichen Verwaltungshandelns sicherstellen und für die Gemeinde Planungssicherheit bei der Realisierung ihrer Vorhaben gewährleisten sollen. Der Aspekt der Planungssicherheit gewinnt insbesondere in Fällen von Großvorhaben Bedeutung, bei denen ein zeitlich und in der Sache gestrecktes Planungsvorhaben in Vollzug eines Bürgerentscheids erforderlich ist, das sich über eine Phase der Vorbereitung, Einleitung von Planfeststellungs- und Bauleitverfahren, Festlegung der Einzelheiten der Finanzierung bis zur Entschließung über die Reihenfolge der Ausführung hinzieht und mehrere Beschlüsse des Gemeinderats erforderlich macht (vgl. auch Senatsurteil vom 06.04.1992 - 1 S 333/92 -, VBlBW 1992, 421 ff. für den dort zugrundeliegenden Fall eines erneutes Bürgerbegehrens nach § 21 Abs. 3 GemO innerhalb der Sperrfrist von drei Jahren, § 21 Abs. 3 Satz 2 GemO).

Eine wesentliche Änderung, die danach zum Anlass für ein Bürgerbegehren gemacht werden könnte, dürfte hier jedoch nicht eingetreten sein. Sie kann nicht allein mit Kostensteigerungen und zu befürchtenden Einschnitten in den städtischen Haushalt für den Fall begründet werden, dass die Kombi-Lösung einschließlich der Straßenbahnunterführung durch die Kaiserstraße zur Ausführung gelangt. Denn derartige Steigerungen beruhen nicht auf einer Änderung des Verkehrsprojekts, sondern wesentlich auf den in der Baubranche generell zu verzeichnenden allgemeinen Baukostensteigerungen, die sich bei Großvorhaben dieser Art, deren Planung sich über Jahre hinzieht, zwangsläufig ergeben. Baukostensteigerungen als solche sind jedoch, auch wenn sie den Gemeindehaushalt belasten sollten, einem Bürgerbegehren nicht zugänglich. Dies ergibt sich aus der Ausschlussregelung des § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO. Danach darf ein Bürgerentscheid unter anderem nicht über die Haushaltssatzung und die Gemeindeabgaben stattfinden. Aus dieser Regelung lässt sich folgern, dass der Gesetzgeber der Bürgerschaft auch in grundsätzlichen finanziellen Fragen keine Sachentscheidungskompetenz anstelle des Gemeinderats einräumen wollte (vgl. Senatsurteil v. 06.04.1992 - 1 S 333/92 -, VBlBW 1992, 421 ff.). Ob das Verkehrsprojekt trotz gestiegener Investitionskosten und angesichts der städtischen Haushaltslage tatsächlich ausgeführt wird, ist, solange der Gemeinderat keinen Anlass zu einem neuerlichen Grundsatzbeschluss sieht, allein der Entscheidung des Gemeinderats überlassen, der hierfür die von der Gemeindeordnung vorgesehene haushaltspolitische Verantwortung trägt.

Durch den Gemeinderatsbeschluss vom 21.10.2008 dürfte keine neue Grundsatzentscheidung getroffen worden sein, die der Bürgerschaft innerhalb der Sechswochenfrist die Einreichung eines Bürgerbegehrens ermöglicht hätte. Ausweislich der Sitzungsvorlage Nr. 1534 vom 21.10.2008 war Gegenstand dieser Beschlussfassung, in welcher Reihenfolge die beiden aufeinander abgestimmten Teilprojekte Stadtbahntunnel Kaiserstraße mit Südabzweig und Straßenbahn in der Kriegsstraße mit Straßentunnel realisiert werden sollen. Das Bürgerbegehren richtet sich jedoch nicht gegen die Reihenfolge der Verwirklichung der Kombi-Lösung, sondern, wie dargelegt, gegen deren (Teil-) Realisierung als solche. Eine die Kombi-Lösung nochmals bestätigende Entscheidung dürfte der Gemeinderat danach in der Sitzung vom 21.10.2008 nicht getroffen haben. Zwar können nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschl. v. 13.04.1993 - 1 S 1076/92 -, NVwZ-RR 1994, 110) auch wiederholende Grundsatzentscheidungen, die aufgrund einer nochmaligen Sachdiskussion im Gemeinderat gefasst wurden, innerhalb der gesetzlichen Sechswochenfrist zum Gegenstand eines Bürgerbegehrens gemacht werden. Jedoch geht insoweit weder aus der Beschlussfassung noch aus der Beschlussvorlage sowie dem Sitzungsprotokoll hervor, dass mit der Entscheidung über die Reihenfolge zugleich ein im Sinne einer wiederholenden Grundsatzentscheidung die Kombi-Lösung bestätigender Gemeinderatsbeschluss gefasst wurde, der die gesetzliche Sechswochenfrist für ein Bürgerbegehren hätte auslösen können. Insbesondere ist aus der Mitte des Gemeinderats kein entsprechender Antrag auf Erneuerung der Grundsatzentscheidung gestellt worden. Soweit der Vorsitzende ausweislich des Protokolls betonte, dass die Kombi-Lösung aus zwei Teilen bestehe, die beide untrennbar miteinander verbunden seien, dürfte diese Äußerung nicht im Zusammenhang mit einer erneuten Sachdiskussion über die Verwirklichung der Kombi-Lösung gefallen sein. Vielmehr dürfte er hiermit lediglich herausgestellt haben, dass diese die Geschäftsgrundlage der hier zu beschließenden Reihenfolge ist. Dafür spricht auch der Beitrag des Stadtrats Dr. ... (KAL) (Nach der dritten Wortmeldung hätte man den Eindruck haben können, heute ginge es um die Entscheidung Kombilösung ja oder nein. Dem ist aber nicht so).

Dies kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben. Geht man nämlich mit der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht von einer erneuten Grundsatzentscheidung aus, so ist das Bürgerbegehren jedenfalls verfristet. Entgegen der Beschwerde fehlt es insoweit nicht an einer - die Sechswochenfrist auslösenden - Bekanntmachung des Gemeinderatsbeschlusses vom 21.10.2008. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 14.11.1983 - 1 S 1204/83 -, NVwZ 1985, 288 f.) bedarf es in dem Bereich, in dem der Einzelne nicht durch den Beschluss unmittelbar betroffen ist, nicht einer förmlichen Bekanntmachung. Vielmehr reicht hier aus, wenn ohne formelle Bekanntmachung gewährleistet ist, dass der Bürger von der Beschlussfassung Kenntnis erlangen kann. Dem wird auch eine Veröffentlichung ihres wesentlichen Inhalts in der örtlichen Presse oder im redaktionellen Teil des Amtsblattes gerecht, die den Bürger hinreichend über den Inhalt des Beschlusses unterrichtet und ihm eine Entscheidung im Hinblick auf ein Bürgerbegehren ermöglicht. Vorliegend ist der - in öffentlicher Sitzung ergangene - Gemeinderatsbeschluss vom 21.10.2008 Gegenstand der Berichterstattung in den Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) vom 22.10.2008 (vgl. Anlage 2 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin v. 26.02.2010) sowie in der Stadtzeitung vom 24.10.2008 (vgl. Anlage 3) gewesen.

Da das Bürgerbegehren schon aus diesem Grunde unzulässig ist, konnte der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes offen lassen, ob der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens auch die weiteren von der Antragsgegnerin angeführten Gründe entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.