OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.06.2008 - 2 W 10/08
Fundstelle
openJur 2012, 62808
  • Rkr:
Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 11.12.2007 (17 O 69/07) wirdz u r ü c k g e w i e s e n .2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.Streitwert für das Beschwerdeverfahren : 400.000,- EUR.

Gründe

I.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Aussetzungsbeschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 11.12.2007 (17 O 69/07) ist unbegründet. Das Landgericht hat den Rechtsstreit zu Recht nach § 149 Abs. 1 ZPO ausgesetzt.1.

Das Landgericht hat den Rechtsstreit im Hinblick auf ein bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart zum Aktenzeichen 148 Js 96085/06 geführtes Verfahren ausgesetzt und hierzu ausgeführt, jenes Strafverfahren betreffe denselben Lebenssachverhalt wie der vorliegende Zivilrechtsstreit. Außerdem bestehe auf Grund der Ermittlungen und des klägerischen Prozessvortrages der Verdacht einer Straftat der schweren Untreue und des Verrates von Geschäftsgeheimnissen gegen die Beklagten Ziff. 1 und 2 sowie weitere für die Beklagte Ziff. 3 verantwortliche natürliche Personen. Aus dem Strafverfahren seien zusätzliche Erkenntnisse für den Zivilrechtsstreit zu erwarten, wie regelmäßig bei komplexen Wirtschaftsstrafverfahren. Dass der Verdacht einer Straftat nicht erst im Zivilrechtsstreit aufgetreten sei, stehe einer Aussetzung nicht im Wege. Die Abwägung zwischen dem zu erwartenden Erkenntnisgewinn und der mutmaßlich eintretenden Verzögerung spreche für eine Aussetzung: Das Interesse der Klägerin an einem alsbaldigen Feststellungsurteil wiege eher gering, da sie aus diesem nicht vollstrecken könne. Die klägerischerseits behaupteten Verschleierungsversuche der Beklagten würden durch ein solches Urteil nicht unterbunden. Eine Förderung der Vergleichsbemühungen sei im vorliegenden Fall durch ein derartiges Urteil nicht zu erwarten. Zwar könne eine Entscheidungsreife im Hinblick auf den Feststellungsantrag gegen den Beklagten Ziff. 1 gegeben sein. Jedoch werde auch insoweit vorgebracht, die Klägerin habe von der umstrittenen Ausgründung gewusst und diese konkludent genehmigt. Die Haftung der Beklagten Ziff. 2 und 3 werfe weitaus mehr Fragen auf als diejenige des Beklagten Ziff. 1. Angesichts der insgesamt fünf Klageanträge und der Einheitlichkeit des Sachverhaltes sei ein Teilurteil vorliegend unangebracht.

Eine zu erwartende Dauer des Strafverfahrens von über einem Jahr stehe jedenfalls vorliegend einer Aussetzung nicht entgegen, weil ansonsten gerade in komplexen Wirtschaftsstrafsachen eine Aussetzung des Zivilrechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht komme, obwohl gerade hier in besonderem Maße von den Erkenntnissen aus dem Strafverfahren profitiert werden könne. Mit einem Abschluss der Ermittlungen sei im Jahr 2008 zu rechnen.2.

Dagegen bringt die Beschwerdeführerin vor, sie habe ein beachtliches Interesse an einem Feststellungsurteil, da ein solches ihr zwar keine unmittelbare Vollstreckungsmöglichkeit gäbe, jedoch erheblichen Druck auf die Beklagten ausüben würde, einen Vergleich abzuschließen. Außerdem sei insoweit Entscheidungsreife gegeben, sodass auch ein Teilurteil zu erlassen gewesen wäre. Bei der Feststellungsklage handele es sich um einen gesonderten Teil des Streitgegenstandes, über den isoliert entschieden werden könne. Es sei damit zu rechnen, dass das Strafverfahren noch mindestens ein Jahr andauern werde, was sich aus einer Auskunft der Staatsanwaltschaft Stuttgart errechnen lasse.

Außerdem seien aus dem laufenden Strafverfahren keine neuen, entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten. Bezüglich des Beklagten Ziff. 2 sei zu beachten, dass dieser für seine bestrittene Behauptung, die Klägerin sei über die Ausgründung informiert gewesen und habe dieser konkludent zugestimmt, keinen Beweis angetreten habe. Er erhebe insoweit lediglich eine Schutzbehauptung. Auf Grund der Evidenz der Interessenvertretung zum Nachteil der Klägerin hätte ihn jedenfalls eine Nachfragepflicht getroffen. Die bereits am 02. Juni 2006 beim Amtsgericht München eingetragene und bereits vor ihrer Eintragung geschäftsmäßig tätige Beklagte Ziff. 3 hafte aus § 31 BGB, da sie von den Beklagten Ziff. 1 und 2 quasi als Werkzeug benutzt worden sei und davon auch nach wie vor partizipiere.3.

In ihrem Nichtabhilfebeschluss bleibt die Kammer bei der Auffassung, ein Teil-Feststellungsurteil werde die Vergleichsmöglichkeiten nicht fördern, weil die Beklagtenseite grundsätzlich vergleichsbereit sei, jedoch die Vorstellungen der Parteien zu weit auseinander lägen. Der Erlass eines Teilurteils stehe im nicht nachprüfbaren Ermessen des Gerichts. Hinsichtlich des Beklagten Ziff. 2 sei ungeachtet der Frage der Anwendbarkeit des § 61 Abs. 2 HGB auch nicht von einer Entscheidungsreife in Bezug auf den Feststellungsantrag auszugehen. Die Kammer bleibt, obwohl mit einer Verfügung der Staatsanwaltschaft nach neueren Informationen erst im ersten Halbjahr 2009 zu rechnen sei, bei ihrer Auffassung, die Aussetzung des Zivilrechtsstreits sei zweckmäßig. Schon mit Abschluss der einzelnen Stadien des Ermittlungsverfahrens sei mit neuen, im Zivilrechtsstreit verwendbaren Erkenntnissen zu rechnen.4.

Die Beklagten sind dem Rechtsmittel entgegengetreten.a)

Die Beklagte Ziffer 3 hält unter Hinweis auf ihr bisheriges Vorbringen eine Zurechnung über § 31 BGB zu ihren Lasten für ausgeschlossen und verteidigt pauschal die angegriffene Entscheidung.b)

Der Beklagte Ziffer 2 verteidigt die Aussetzung und weist darauf hin, dass er mit einer Einstellung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens rechne, sodass nicht von einer Verfahrensdauer von über einem Jahr auszugehen sei. Außerdem stehe der Klägerin ein Antrag nach § 149 Abs. 2 ZPO offen, wobei das Gericht nach einer Fortsetzung des Verfahrens auf die bis dahin im Strafverfahren gewonnenen zusätzlichen Erkenntnisse zurückgreifen könne (OLG Stuttgart - 6 W 20/06). Gegen den Beklagten Ziff. 2 sei nach der allein maßgebenden objektiven Prozesslage keiner der gestellten Anträge entscheidungsreif. Er beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

In einem weiteren Schriftsatz bringt er vor, vor dem Arbeitsgericht Stuttgart habe die Klägerin selbst durch die sie auch im vorliegenden Rechtsstreit vertretenden Rechtsanwälte am 31. Januar 2008 vortragen lassen, nach neuer Auskunft der Staatsanwaltschaft Stuttgart sei in den nächsten Wochen mit einer Anklage in dem hier erheblichen Ermittlungsverfahren zu rechnen, was behauptet zu haben die Klägerin aber bestreitet.c)

Der Beklagte Ziff. 1 hält die Feststellungsklage sowie den Erlass eines Teilurteils vorliegend schon für unzulässig und verteidigt daneben die landgerichtliche Aussetzungsentscheidung. Er beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.5.

Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.a)

Nach § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen, wenn das Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen auf die Entscheidung des Zivilprozesses von Einfluss ist. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die allgemein besseren Erkenntnismöglichkeiten des dem Untersuchungsgrundsatz folgenden Verfahrens nach der StPO dem Zivilprozess, der grundsätzlich dem Verhandlungsgrundsatz folgt, zunutze gemacht werden sollen. Das Gericht hat bei seiner Ermessensentscheidung das Gebot der Verfahrensbeschleunigung gegen die zu erwartenden Vorteile einer Aussetzung abzuwägen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 03. Juli 2006 - 4 W 60/06 - bei Juris Rz. 2 m.w.N.; OLG Stuttgart, NJW 1991, 1556).b)

Dass für den vorliegenden Zivilprozess fruchtbar zu machende Erkenntnisse des Strafverfahrens zu erwarten sind, hat die Kammer hinreichend dargelegt. Darauf nimmt der Senat Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden.c)

Nach einer in der Rechtsprechung übernommenen Auffassung soll eine Aussetzung des Verfahrens jedoch nicht in Betracht kommen, wenn der Abschluss des Strafverfahrens nicht absehbar ist. Sei mit einer Verzögerung des Strafverfahrens um mehr als ein Jahr zu rechnen, habe die Aussetzung in der Regel zu unterbleiben. Dabei wird nicht auf eine zu erwartende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft abgestellt, sondern auf das Ende des Strafverfahrens als Ganzes. Bestehe Grund zu der Besorgnis, dass dieses vor Ablauf eines Jahres nicht beendet werde, komme eine Aussetzung bei Beachtung der berechtigten Interessen des Klägers an einer alsbaldigen Entscheidung nicht in Betracht (OLG Zweibrücken, a.a.O., bei Juris Rz. 4 m.w.N.; vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 149 Rn. 11; kritisch OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.03.2006 - 6 W 20/06 - OLGR 2006, 679, bei Juris Rz. 6).

Dem tritt der Senat nicht bei.aa)

Der Wortlaut des § 149 Abs. 1 ZPO bietet keinen Anhalt für eine solche Einschränkung.bb)

Die Systematik der Norm spricht gegen eine Beschränkung. Denn ausweislich des § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO hat der Gesetzgeber die in einer langen Dauer des Strafverfahrens liegende Problematik erkannt und gleichwohl davon abgesehen, die Aussetzung von der zu erwartenden Dauer des Strafverfahrens abhängig zu machen. Statt dessen hat er den Interessen der Parteien, insbesondere des Klägers, an einem Fortgang des Verfahrens durch ein Recht (beider Parteien) auf eine erneute Prüfung nach Maßgabe des § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO Rechnung getragen. Verstärkt wird diese Erwägung dadurch, dass auch nach Ablauf eines Jahres der Antragsteller nur dann Anspruch auf eine Fortsetzung der Verhandlung hat, wenn nicht gewichtige Gründe dafür sprechen, die Aussetzung aufrecht zu erhalten.cc)

In dieselbe Richtung weist der Normzweck der Aussetzungsmöglichkeit nach § 149 ZPO.

Die Aussetzung soll es dem Gericht ermöglichen, den Ausgang eines anderen Verfahrens abzuwarten, um dessen bessere Erkenntnismöglichkeiten zu nutzen und um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden (vgl. Thür. OLG, OLG-NL 2006, 146 ff., bei Juris Rz. 63; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2001, 1649, bei Juris Rz. 6 m.w.N.).

Darüber hinaus dient die Vorschrift der Prozessökonomie (LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. Mai 2005 - 12 Ta 22/05 - bei Juris Rz. 12; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. [2007], § 149 Rn. 4 m.w.N.), was der Gesetzgeber beispielsweise auch zum Ausdruck gebracht hat, indem er den parallel gelagerten § 411 a ZPO schuf.

Für diese Normzwecke kommt es auf die zu erwartende Dauer des Strafverfahrens nicht an.dd)

Auch unter dem Gesichtspunkt höherrangigen Rechtes, namentlich des verfassungsmäßig geschützten Rechtes der Klagepartei auf Durchführung und Beendigung des Verfahrens in angemessener Zeit und somit auf effektiven Rechtsschutz, ergibt sich nichts anderes. Zwar ist dieser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz vom Gericht in seine Ermessensentscheidung einzustellen. Aber der Gesetzgeber hat dieses Interesse in nicht zu beanstandender Weise schon durch § 149 Abs. 2 ZPO geschützt, und außerdem dadurch, dass eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf ein anderes nur in Betracht kommt, wenn zu erwarten ist, dass sich aus dem anderen Verfahren ein Erkenntnisgewinn für den Zivilrechtsstreit herleiten lassen wird.

Weiterhin kann nicht außer Acht bleiben, dass auch die Klägerin letztlich aus den Erkenntnissen des Strafverfahrens Nutzen ziehen kann.ee)

Damit in Einklang stehen praktische Erwägungen:

aaa)

Der Gesetzgeber hat mit § 149 ZPO bewusst den den Zivilprozess beherrschenden Beibringungsgrundsatz eingeschränkt, um eine sachlich richtige Entscheidung zu fördern. Dies erscheint gerechtfertigt zum einen durch das im Verdacht einer Straftat begründete besondere Gewicht einer zivilprozessualen Fehlentscheidung, zum anderen da der Gläubiger gerade bei den von der Rechtsordnung besonders privilegierten Ansprüchen aus Straftaten (vgl. den zivilprozessualen Pfändungsschutz) häufig vor besonderen Beweisschwierigkeiten steht (namentlich zum subjektiven Tatbestand). Somit schützt die Aussetzung auch die Interessen des Gläubigers.

bbb)

Die Dauer eines Strafverfahrens wird, zumal nach dem Wortlaut des § 149 ZPO und dem oben genannten Normzweck nicht auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren abzustellen ist, sondern auf das Strafverfahren im Ganzen, nur selten abgeschätzt werden können (vgl. OLG Stuttgart, OLGR 2006, 679, bei Juris Rz. 6), so dass ein an ihr ausgerichtetes Aussetzungshindernis häufig unpraktikabel wäre.

ccc)

Gerade in komplexen Verfahren, in denen ein besonderes Interesse daran besteht, die Erkenntnisse des Strafverfahrens für den Zivilrechtsstreit nutzbar zu machen, wird häufig eine ein Jahr überschreitende Verfahrensdauer zu gewärtigen sein.d)

Besonderheiten, welche im vorliegenden Fall einer Aussetzung entgegenstünden, sind nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.e)

Vor diesem Hintergrund scheidet auch die Beschränkung der Aussetzung auf einen Teil der erhobenen Ansprüche aus. Derzeit ist nicht absehbar, ob ein feststellendes Teilurteil in Widerspruch zu den nach der Durchführung des Strafverfahrens zu treffenden tatsächlichen Feststellungen geraten könnte. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen eines solchen Teilurteils im übrigen vorlägen.II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung mit 1/5 der Hauptsache auf § 3 ZPO (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl. [2007], Rn. 16 zu § 3, Stichwort: Aussetzungsbeschluss m.w.N.).III.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 ZPO im Hinblick auf die Frage zu, ob eine zu erwartende überjährige Dauer des Strafverfahrens, aus dem sich Erkenntnisse für den Zivilrechtsstreit ergeben können, der Aussetzung des Zivilverfahrens regelmäßig entgegenstehe. Es ist nicht zu erwarten, dass das oben genannte Strafverfahren binnen Jahresfrist abgeschlossen sein wird.