VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.11.2009 - 9 S 1689/09
Fundstelle
openJur 2012, 62442
  • Rkr:

In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die die Hauptsacheentscheidung vorwegnehmen, ist der Streitwert entsprechend dem für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwert festzusetzen. Dies gilt nicht nur, wenn die Hauptsachevorwegnahme im Falle der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO begehrt wird, sondern umgekehrt auch in der reziproken Konstellation des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, wenn die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen eine Maßnahme beantragt wird, deren Vollzug nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25. Juni 2009 - 4 K 1404/09 - wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Beschwerde, über die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG der Senat befindet, ist unbegründet.

Zu Recht hat die Beschwerde zwar darauf hingewiesen, dass der Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig nur die Hälfte des für die Hauptsache anzunehmenden Wertes beträgt. Sie verkennt indes, dass dieser Grundsatz keine Anwendung findet, wenn mit dem Eilverfahren die Hauptsache vorweggenommen wird (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs 2004 der Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Der vorläufige Rechtsschutz hat das Ziel und die Aufgabe, den Zeitraum bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung zu regeln und effektiven Rechtsschutz auch für diese labile Schwebephase sicherzustellen, in der die Rechtmäßigkeit der angegriffenen oder begehrten Maßnahme noch nicht endgültig geklärt ist. Mit dem Eilrechtsschutz soll daher der Rechtsstreit offen gehalten und eine faktische Entwertung der späteren Hauptsacheentscheidung durch den Eintritt vollendeter Tatsachen vermieden werden. Diesem eingeschränkten Regelungsgegenstand wird durch eine Ermäßigung des Streitwertes Rechnung getragen. Anders liegt die Konstellation indes, wenn mit dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hauptsache bereits vorweg genommen wird, insbesondere weil vollendete Tatsachen geschaffen werden, die auch nach Ergehen der Hauptsacheentscheidung nicht mehr reversibel sind. In dieser Konstellation wird tatsächlich nicht nur der Zwischenzeitraum bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung geregelt, sondern die Hauptsache selbst. Denn wenn die Eilrechtsentscheidung vollendete Tatsachen schafft oder ermöglicht, ersetzt sie in tatsächlicher Hinsicht die Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Diese mag zwar nachfolgend zu einer anderen Bewertung der Rechtslage und gegebenenfalls zu Sekundäransprüchen führen, sie kann ihre primäre Rechtsschutzfunktion durch die tatsächlich bereits eingetretenen Folgen aber nicht mehr entfalten. Die tatsächlich abschließende Regelung des Streitgegenstandes im Falle der Hauptsachevorwegnahme rechtfertigt es daher auch, auf eine Reduzierung des Streitwerts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu verzichten.

Dies gilt nicht nur, wenn die Hauptsachevorwegnahme im Falle der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO begehrt wird, sondern umgekehrt auch in der reziproken Konstellation des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, wenn die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen eine Maßnahme beantragt wird, deren Vollzug nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Auch hier ist faktisch nicht nur die Regelung eines Zwischenzeitraumes, sondern die Hauptsache selbst bereits Gegenstand des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

Genau so liegen die Dinge im vorliegenden Fall. Denn wenn die Tiere des Antragstellers nach Ablehnung des begehrten Eilrechtsschutzes geimpft werden, kann sein Anliegen im nachfolgenden Hauptsacheverfahren nicht mehr erreicht werden. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nimmt die Hauptsache damit in tatsächlicher Hinsicht vorweg, so dass ein Grund für die begehrte Reduzierung des Streitwertes nicht besteht.

Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren sind entbehrlich, da das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und eine Erstattung der Kosten der Beteiligten nicht kennt (vgl. § 68 Abs. 3 GKG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG nicht anfechtbar.