OLG Stuttgart, Gerichtsbescheid vom 20.05.2009 - 10 U 16/09
Fundstelle
openJur 2012, 62404
  • Rkr:

Wird eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist von über einem Monat beantragt, ohne dass eine Einwilligung des Gegners vorliegt, muss ein Rechtsanwalt in geeigneter Weise dafür sorgen, dass im Fristenkalender nicht nur die beantragte, sondern auch die vom Senat üblicherweise gewährte Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO mit Vorfrist eingetragen wird. Auf die Bewilligung einer Fristverlängerung, für die die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, darf er nicht vertrauen.

Tenor

1. Der Antrag der Beklagten vom 10.03.2009 auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten der Wiedereinsetzung bleibt der Endentscheidung über die Hauptsache vorbehalten.

Gründe

I.

Das Landgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 28.11.2008, Az. 21 O 452/04, der Klage teilweise statt gegeben. Das Urteil wurde der Klägerin am 8.12.2008 und der Beklagten am 3.12.2008 zugestellt. Dagegen haben die Beklagte am 30.12.2008 und die Streithelferin für die Klägerin am 8.01.2008 Berufung eingelegt. Die Streithelferin hat ihre Berufung innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist bis 9.03.2009 begründet.

Der Beklagtenvertreter hatte mit Schriftsatz vom 02.02.2009 (Bl. 453 d.A.) eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um 6 Wochen bis zum 17.03.2009 begehrt, weil er sich noch in der Schonungsphase nach einer stationären Heilbehandlung befinde. Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 06.02.2009 wurde die Berufungsbegründungsfrist für die Beklagte um einen Monat bis zum 03.03.2009 verlängert, die ohne Eingang eines Schriftsatzes des Beklagtenvertreters verstrichen ist. Am 09.03.2009 ging ein als Anschlussberufung bezeichneter Schriftsatz mit Begründung und am 12.03.2009 die Begründung der inhaltlich gleichlautenden selbstständigen Berufung beim OLG Stuttgart ein. Daneben beantragte die Beklagte mit dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 12.03.2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist. Die Beklagte trägt dazu unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der bei ihrem Prozessbevollmächtigten beschäftigten Anwaltsgehilfin G. vor, diese habe es versäumt, die vom Gericht gewährte Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender einzutragen. Bezüglich der Einzelheiten wird auf diesen Schriftsatz nebst Anlage (eidesstattliche Versicherung) verwiesen.

Die Streithelferin ist dem Wiedereinsetzungsantrag entgegengetreten.

II.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten ist statthaft und zulässig, aber in der Sache unbegründet.1.

Über den Wiedereinsetzungsantrag ist gesondert (§ 238 Abs. 1 S. 2 ZPO) durch Zwischenurteil (vgl. BGH NJW 1967, 1566) zu entscheiden. Entgegen der Regel ist das Rechtsmittel der Beklagten nicht gleichzeitig zu verwerfen (§ 522 Abs. 1 ZPO), weil die Berufung und die Anschlussberufung der Beklagten ein einheitliches Rechtsmittel sind und das Rechtsmittel der Beklagten als zulässige Anschlussberufung nach § 524 ZPO fortgeführt werden kann (vgl. BGH NJW 1996, 1659, juris RN 11; NJW-RR 2005, 780, juris RN 12).2.

Die Beklagte hat die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt, so dass die Voraussetzungen des § 233 ZPO für eine Wiedereinsetzung nicht vorliegen.

Die Partei hat sich nach § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, nicht dagegen ein Verschulden von dessen Angestellten zurechnen zu lassen, soweit nicht die Partei oder ihr Vertreter ihrerseits Fehlleistungen der Angestellten im Sinn eines Aufsichts-, Organisations- oder Informationsverschuldens selbst zu verantworten haben. Hier muss sich die Beklagte eine Verletzung der Organisationspflicht und eine Verletzung der Überwachungspflicht des Beklagtenvertreters zurechnen lassen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen (BGH NJW 2003, 1815, juris Rn. 7 m.w.N.). Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden; unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die mindestens stichprobenartige Kontrolle des Personals. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, darf der Anwalt darauf vertrauen, dass das zuständige Büropersonal die ihm übertragenen Aufgaben des Fristenwesens ordnungsgemäß erfüllt (BGH a.a.O.). Unentbehrliches Hilfsmittel für die Fixierung der Fristen ist in erster Linie der Fristenkalender sowie die Notierung der Fristen auf den Handakten des Anwalts. Die Eintragung der Frist im Fristenkalender ist von der damit beauftragten Angestellten durch einen Erledigungsvermerk an der Fristennotierung auf den Handakten (BGH a.a.O., juris Rn. 8) oder durch einen Vermerk auf dem jeweiligen Schriftstück (BGH NJW 2009, 1083, juris Rn. 11) kenntlich zu machen. Nur im unmittelbaren Zusammenhang und im Zusammenwirken stellen diese Maßnahmen sicher, dass fristgebundene Prozesshandlungen rechtzeitig vom Anwalt vorgenommen werden und bei Gericht eingehen.

a) Die Anwaltsgehilfin G. hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung erklärt, dass es ihre Aufgabe sei, Fristen mit Vorfristen in das gesondert geführte Fristenbuch einzutragen. Wenn eine Akte nach Posteingang wegen Dringlichkeit sofort bearbeitet werden müsse, werde diese sofort dem Beklagtenvertreter vorgelegt. Die einzutragenden Fristen, insbesondere die Berechnung der Fristen, würden sodann mittels Diktat mitgeteilt oder es folge eine persönliche Anweisung am Arbeitsplatz.

Diese mit Wissen und Einverständnis des Anwalts übliche Handhabung trug das Risiko einer Fristversäumung in sich. Die Unterbrechung des zusammengehörenden, einheitlichen Vorgangs der Fristenberechnung, -notierung (auf dem eingegangenen Schriftstück) und -eintragung (im Fristenkalender) barg die Gefahr von Fehlern, Versehen oder Irrtümern vor allem dann in sich, wenn sich die Rückgabe des Schriftstückes vom Anwalt an das Büropersonal verzögerte oder die zuständige Angestellte etwa durch Krankheit oder einen anderen unvorhergesehenen Umstand überraschend ausfiel oder durch Überlastung beeinträchtigt war (BGH a.a.O., juris Rn. 12). Ein Anwalt muss durch einen Blick auf oder in die Akten zuverlässig erkennen können, ob die Frist in den Fristenkalender eingetragen worden ist und das Büropersonal, sobald die Akte wieder in seinen Verantwortungsbereich gelangt ist, die Frist jedenfalls durch Überprüfung des (korrekt geführten) Fristenkalenders im Auge behalten und für ihre Einhaltung Sorge tragen kann (BGH a.a.O., juris Rn. 13). Diesen Anforderungen wurde die Vorgehensweise des Beklagtenvertreters nicht gerecht. Ausweislich der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung erfolgte die Eintragung von Fristen in das gesondert geführte Fristenbuch häufig - wie im vorliegenden Fall - durch Einzelanweisung, die auch bei einer zuverlässigen Anwaltsgehilfin ein hohes Risiko eines versehentlichen Unterlassens z.B. im Drang der Geschäfte in sich barg.

b) Auf dem Schreiben des OLG vom 06.02.2009 (mit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 03.03.2009) hatte der Beklagtenvertreter ausweislich der eidesstattlichen Versicherung seiner Anwaltsgehilfin ein Ausrufezeichen gesetzt und weiter vermerkt Not Vorfrist 2 Wochen. Die Anwaltsgehilfin vermutet, im Drang der Geschäfte und möglicherweise durch Ablenkung durch Telefonate oder Besucher vergessen zu haben, gemäß der schriftlichen Weisung die Frist im Fristenbuch einzutragen.

Zwar darf sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf verlassen, dass eine ausgebildete Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt und ordnungsgemäß ausführt (BGH NJW 2009, 1083, juris Rn. 16). Wird ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist nur mündlich vermittelt, müssen nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine solche nur mündlich erteilte Anweisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist unterbleibt (BGH a.a.O. Rn. 16 m.w.N). Hier hat zwar der Beklagtenvertreter in Kurzform eine schriftliche Ausführungsanweisung im Hinblick auf die Eintragung im Fristenbuch vorgenommen. Es ist jedoch weder vorgetragen noch aus der eidesstattlichen Versicherung der Anwaltsgehilfin ersichtlich, dass der Beklagtenvertreter eine allgemeine oder eine konkrete Weisung gegeben hätte, den Auftrag zur Eintragung der neuen Rechtsmittelbegründungsfrist sofort und vorrangig zu erledigen. Nur dann wären besondere Vorkehrungen zur Kontrolle der Eintragung der Frist entbehrlich gewesen (vgl. BGH NJW-RR 2007, 1430, juris Rn. 9). Der Beklagtenvertreter konnte sich ohne eine besonderer Weisung nicht darauf verlassen, dass die Eintragung der neuen Berufungsbegründungsfrist im Fristenbuch sofort erfolgen würde. Angesichts der Kurzform der Anweisung der Notierung der Berufungsbegründungsfrist barg diese in ähnlicher Weise wie eine mündliche Anweisung die Gefahr, dass die Eintragung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist unterbleiben könnte. Die Bedeutung der Berufungsbegründungsfrist und die erhöhten Gefahr, dass die Kurzanweisung durch ein Ausrufezeichen und das Kürzel Not Vorfrist 2 Wochen übersehen würde oder im Drang der Geschäfte vergessen würde, verlangte im konkreten Fall eine Kontrolle der Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenbuch durch den Rechtsanwalt.

c) Der Beklagtenvertreter hat vorgetragen, dass die mit Schriftsatz vom 20.02.2009 beantragte Fristverlängerung zur Berufungsbegründung vorsorglich bereits hinsichtlich des Ablaufs der beantragten Fristverlängerung nebst Vorfrist rot bzw. gelb markiert im Fristenkalender eingetragen worden sei, nachdem in der Regel der Fristverlängerung im beantragten Umfang entsprochen werde. Gleichzeitig sei vermerkt worden Verlängerung beantragt.

Der Beklagtenvertreter konnte jedoch angesichts der Regelung in § 520 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO nicht darauf vertrauen, dass die Berufungsbegründungsfrist über einen Monat hinaus verlängert werden würde, nachdem er eine Einwilligung der Gegnerin nicht vorgetragen hatte (vgl. BGH NJW 2004, 1742, juris Rn. 5).

Eine beantragte Fristverlängerung muss im Fristenkalender eingetragen werden. Das darf allerdings nicht in der Weise geschehen, dass schon mit der Antragstellung der Endpunkt der Frist so im Kalender eingetragen wird, dass dies den Irrtum erwecken kann, die Fristverlängerung sei bereits bis zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden. Denn auch hierbei handelt es sich zunächst um eine hypothetische Frist, da der Vorsitzende die Frist auch auf einen kürzeren Zeitraum als beantragt bewilligen kann. Vielmehr ist der Eintrag des endgültigen Fristablaufs erst dann zulässig, wenn die Verlängerung tatsächlich gewährt worden ist (vgl. BGH NJW-RR 1999, 1663, juris Rn. 9; NJW-RR 2002, 712, juris Rn. 6). Nachdem die gesetzlichen Voraussetzungen für die beantragte Fristverlängerung gefehlt haben, hätte der Beklagtenvertreter seinem Büro über die beantragte verlängerte Berufungsbegründungsfrist diejenige Frist vorgeben müssen, die nach der gesetzlichen Regel bewilligt werden durfte. Wäre diese Frist - ausreichend gekennzeichnet als beantragte Frist - mit Vorfrist, wie dies hinsichtlich der tatsächlich beantragten Fristverlängerung geschehen ist, im Fristenbuch eingetragen worden, hätte sich der zeitlich spätere Fehler beim Eintrag der bewilligten Frist nicht ausgewirkt. Die Berechnung der nach dem Gesetz gemäß § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO zu erwartenden Fristverlängerung, die der Senat üblicherweise gewährt, hatte der Beklagtenvertreter als Rechtsanwalt in eigener Verantwortung vorzunehmen und seinem Büropersonal vorzugeben.