OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.10.2002 - 17 U 81/02
Fundstelle
openJur 2012, 62227
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Mannheim vom 20.3.2002 - 11 O 465/01 - wird zurückgewiesen.II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Der Kläger begehrt von dem Beklagten Zahlung eines weiteren Kaufpreisanteils aus einem zwischen den Parteien im Jahre 1997 abgeschlossenen Praxisverkauf. Der vom Beklagten zu entrichtende Kaufpreis sollte gem. § 1 Abs. 2 des Kaufvertrages auf der Grundlage eines für November 1997 angekündigten Praxiswertgutachtens des Sachverständigen, das beide Parteien als für sich verbindlich anerkannten, bestimmt werden. Der Sachverständige ermittelte den Wert der Gesamtpraxis in seinem Gutachten vom 4.1.1997 mit 781.262 DM. Den auf den hälftigen Praxisanteil des Klägers entfallende Betrag von 390.631 DM entrichtete der Beklagte als Kaufpreis. In der Folgezeit erhob der Kläger ggü. dem Sachverständigen schriftlich Einwendungen gegen die Richtigkeit des Gutachtens. Hierauf erstattete der Sachverständige unter dem 17.12.1997 ein Ergänzungsgutachten, in dem er ausführte, dass Umsätze aus dem Jahre 1994 bei der Gewinnermittlung für das Jahr 1995 teilweise außer Betracht geblieben und folglich bei der Wertermittlung nicht berücksichtigt worden seien. Deswegen ermittelte der Sachverständige aufgrund der von ihm für erforderlich gehaltenen Nachbesserung seines ursprünglichen Gutachtens den ideellen Praxiswert mit nunmehr 569.409 DM, wodurch sich bei gleich gebliebenen Substanzwert ein Gesamtpraxiswert i.H.v. 868.372 DM und damit ein Wert des hälftigen Anteils des Klägers von 434.186 DM ergab.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass das ursprünglich vom Sachverständigen erstattete Gutachten wegen offenbarer Unrichtigkeit für die Parteien nicht verbindlich geworden sei (§ 319 BGB analog), weswegen dem Kläger ein Nachforderungsanspruch i.H.d. Differenzbetrages von 43.555 DM abzüglich 7.077 DM für fehlende Praxisgegenstände, mithin ein Betrag von 36.478 DM zustehe. Das LG hat die Klage mit Urt. v. 20.3.2002 - 11 O 465/01 - abgewiesen. Wegen des Parteivorbringens erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Hinsichtlich der rechtlichen Begründung des angefochtenen Urteils wird auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen.

Der Kläger wendet sich mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung gegen die ausgesprochene Klagabweisung und verfolgt seinen ursprünglichen Klagantrag weiter. Er beruft sich unter Anregung einer Parteivernehmung nach § 448 ZPO darauf, dass dem Sachverständigen bei der Erstattung seines Erstgutachtens alle notwendigen Unterlagen vorgelegen hätten. Weiter gibt er zu hilfsweise bedenken, der Sachverständige habe bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen müssen, dass ihm nicht alle für eine sachgerechte Beurteilung benötigten Unterlagen zur Verfügung gestellt worden seien, und habe dies vor Erstattung offenbaren müssen.

Der Beklagte hält das Erstgutachten des Sachverständigen für verbindlich und beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens zweiter Instanz wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger darauf, die vom Sachverständigen in seinem Erstgutachten vorgenommene Wertermittlung sei wegen offenbarer Unrichtigkeit für beide Parteien unverbindlich (§ 319 Abs. 1 BGB analog). Im Ergebnis zutreffend hat das LG auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens eine offensichtliche Unrichtigkeit des Erstgutachtens des Sachverständigen verneint. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe rechtfertigen letztlich eine andere Beurteilung nicht.

1. Ein - hier vorliegendes - Schiedsgutachten im engeren Sinn ist gem. § 319 Abs. 1 BGB analog unverbindlich, wenn es an einer offenbaren Unrichtigkeit leidet (vgl. BGH v. 9.7.1981 - VII ZR 139/80, BGHZ 81, 229 [237] = MDR 1981, 1005). Es ist offenbar unrichtig, wenn sich Fehler, die das Gesamtergebnis verfälschen, einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter - wenn auch möglicherweise nach eingehender Prüfung des Gutachtens - aufdrängen (vgl. BGH v. 14.7.1986 - II ZR 249/85, GmbHR 1986, 425 = NJW-RR 1987, 21 [22]; v. 21.4.1993 - XII ZR 126/91, NJW-RR 1993, 1034 [1035]; v. 17.5.1991 - V ZR 104/90, MDR 1991, 1169 = NJW 1991, 2698). Die Frage, ob eine offenbare Unrichtigkeit vorliegt, ist dabei nach dem Sachverhalt zu beurteilen, den die Parteien dem Schiedsgutachter unterbreitet haben (vgl. BGH NJW 1979, 1884 [1886]; v. 17.5.1991 - V ZR 104/90, MDR 1991, 1169 = NJW 1991, 2698; NJW-RR 1987, 22). Bei quantitativen Fehleinschätzungen ist jedoch eine offensichtliche Unrichtigkeit erst dann anzunehmen, wenn sie ein gewisses Maß überschreitet (vgl. BGH v. 26.4.1991 - V ZR 61/90, MDR 1991, 1169 = NJW 1991, 2761 [2762]zur offenbaren Unbilligkeit; Gottwald in MünchKom, BGB, 4. Aufl., § 319 a.F. Rz. 16). Die Unerheblichkeit von Fehlschätzungen unterhalb einer Toleranzgrenze von 20 bis 25 % ist von der Rechtsprechung zunächst für die Frage, inwieweit ein Schiedsgutachten im weiteren Sinne offenbar unbillig ist, eingeführt worden (vgl. etwa BGH v. 26.4.1991 - V ZR 61/90, MDR 1991, 1169 = NJW 1991, 2761; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 319 Rz. 3). Bei einem Schiedsgutachten im engeren Sinne, bei dem dem Gutachter kein Ermessen nach Billigkeitsgesichtspunkten eingeräumt ist, tritt an die Stelle der offenbaren Unbilligkeit die offenbare Unrichtigkeit. Abgesehen von dieser Besonderheit ergeben sich für die Feststellung der Offenkundigkeit einer fehlerhaften Schiedsgutachterbestimmung keine wesentlichen Unterschiede zwischen der offenbaren Unrichtigkeit und der offenbaren Unbilligkeit eines Gutachtens (vgl. Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 319 Rz. 10). Aus diesem Grunde gelten die für die offenbare Unbilligkeit entwickelten Toleranzgrenzen bei der Frage, ob ein Schiedsgutachten offenbar unrichtig ist, entspr. (Gottwald in MünchKom, BGB, 4. Aufl., § 319 a.F. Rz. 16).

2.2. Ausgehend von den dargestellten Prämissen ist das vom Sachverständigen im November 1997 erstattete Erstgutachten nicht deswegen offenbar unrichtig, weil die im Jahre 1994 getätigten Umsätze in der Gewinnermittlung 1995 nicht vollständig berücksichtigt und daher nur unzureichend in die ursprüngliche Wertermittlung des Gutachters eingeflossen sind.

a) Zunächst hat der hierfür darlegungs- und beweisbelastete Kläger (vgl. Eman/Battes, BGB, 10. Aufl., § 319 Rz. 4; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 319 Rz. 7) nicht den Nachweis erbracht, dass er dem Sachverständigen vor Erstattung des Hauptgutachtens die ihm selbst vom Steuerberatungsbüro übermittelte Aufstellung Anl. Bilanz 1.1.95 mit Fort. KV u.a. 149.890,30 DM überlassen hat. Das LG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die im Prozess vorgelegten Unterlagen keinen hinreichenden Rückschluss auf eine vor Erstattung des Hauptgutachtens erfolgte Übermittlung dieser Aufstellung an den Sachverständigen zulassen. Unter diesen Voraussetzungen kam eine Beweiserhebung durch Vernehmung des Klägers als Partei (§ 448 ZPO) nicht in Betracht. Denn eine Parteivernehmung des Klägers als Beweisführer wäre nur dann zulässig, wenn aufgrund des bisherigen Streitstoffes eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen und beweiserheblichen Behauptungen bestünde (vgl. BGH v. 5.7.1989 - VIII ZR 334/88, MDR 1990, 146 = CR 1990, 189 = NJW 1989, 3222 [3223]; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl. § 448 Rz. 4).

b) Soweit der Kläger sich hilfsweise darauf beruft, der Gutachter habe zumindest aufgrund der übrigen ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen erkennen können und müssen, dass die in der Gewinnermittlung 1995 ausgewiesenen Umsätze nicht vollständig erfasst gewesen, insb. Abrechnungen der kassenärztlichen Verrechnungsstelle für das Jahr 1994 außer Betracht geblieben seien, führt dieser Einwand ebenfalls nicht zur offenbaren Unrichtigkeit des erstatteten Hauptgutachtens. Grundsätzlich kann sich eine Partei, die die Unterrichtung des Schiedsgutachters übernommen hat, nicht darauf berufen, dass dem Gutachter der zu beurteilende Sachverhalt nur unvollständig unterbreitet worden ist (vgl. BGH v. 14.7.1986 - II ZR 249/85, GmbHR 1986, 425 =NJW-RR 1987, 21 [22]). Allerdings schlösse eine solche Unterlassung dann nicht den Einwand einer offenbaren Unrichtigkeit aus, wenn die dem Gutachter unterbreitete Tatsachengrundlage für die Erstattung des in Auftrag gegebenen Gutachtens ersichtlich unzureichend gewesen wäre. Dieser vom Kläger in zweiter Instanz hervorgehobene Gesichtspunkt bedarf aber im Streitfall keiner abschließenden Erörterung. Denn selbst wenn sich - wie vom Kläger dargelegt - dem Schiedsgutachter bei einer unvollständigen Unterrichtung über alle erzielten Umsätze die Lückenhaftigkeit des ihm zur Verfügung gestellten Materials hätte aufdrängen müssen, wäre sein Hauptgutachten nicht gem. § 319 Abs. 1 BGB als unverbindlich zu bewerten. Die vom Kläger zutreffend gerügte Außerachtlassung der im Jahre 1994 erzielten Umsätze in der Gewinnermittlung 1995 führte nämlich zu einer Fehleinschätzung von lediglich ca. 10 %, was nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben als unerheblich anzusehen ist. Der Sachverständige hat in seinem Hauptgutachten den hälftigen Praxisanteil des Klägers mit 390.631 DM bewertet. Aufgrund des von ihm später erstellten Ergänzungsgutachtens ist der Wert der hälftigen Beteiligung des Klägers an der Gemeinschaftspraxis mit 434.186 DM zu bemessen. Damit ist der Wert des Praxisanteils ursprünglich um 10,03 % zu niedrig angesetzt worden. Diese Abweichung rechtfertigt keine Unverbindlichkeit des Schiedsgutachtens gem. § 319 Abs. 1 BGB analog. Denn an das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit sind strenge Anforderungen zu stellen, weil andernfalls der mit der Bestellung eines Schiedsgutachters verfolgte Zweck in Frage gestellt würde, ein möglicherweise langwieriges und kostspieliges Prozessverfahren zu vermeiden (vgl. BGH v. 9.6.1983 - III ZR 41/82, MDR 1984, 28 = NJW 1983, 2244, 2245; Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 319 Rz. 11). Dieser Zweck würde jedoch verfehlt, wenn bei sämtlichen Ergebnisabweichungen - unabhängig von einer Toleranzgrenze - eine offenbare Unrichtigkeit angenommen würde. Dementsprechend führt die vom Kläger gerügte Diskrepanz zwischen dem Hauptgutachten des Sachverständigen und seinem Ergänzungsgutachten vom Dezember 1997 nicht zur Unverbindlichkeit der erfolgten Leistungsbestimmung. Weitere Fehler des Gutachtens hat der Kläger zwar außergerichtlich geltend gemacht, seinen im Streitfall verfolgten Zahlungsanspruch hierauf jedoch nicht gestützt.

Nach alledem war die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO n.F. lagen nicht vor.

Dr. Fetzer

RiLG