SG Ulm, Beschluss vom 17.04.2009 - S 10 R 1149/09; S 10 R 1149/09 A
Fundstelle
openJur 2012, 61491
  • Rkr:

1. Eine schriftliche Zeugenaussage ungebührlichen Inhalts kann gem. §§ 180, 178 GVG i.V.m. § 202 SGG mit sitzungspolizeilichen Maßnahmen geahndet werden.

2. Die Bezeichnung einer Kammer eines Sozialgerichts als "Kämmerlein" und der Richter eines Sozialgerichts als "Statthalter der Gerechtigkeit" stellt ein ungebührliches Verhalten dar.

Tenor

Gegen den sachverständigen Zeugen Dr. J. H. wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 300,- EUR, im Falle der Nichtbeitreibbarkeit ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft, verhängt.

Gründe

I.

Der Betroffene war im Verfahren S 10 R 3006/08 mit Schreiben vom 11.11.2008 schriftlich als sachverständiger Zeuge vernommen worden. Mit Fax vom 25.01.2009, adressiert an So.ge.U 10. Kämmerlein forderte der Betroffen u.a. eine persönliche Garantie des Vorsitzenden hinsichtlich der kompletten Rückgabe der Akte innerhalb von 5 Arbeitstagen bevor eine Aktenübersendung stattfindet. Die von der Kammer gestellten Fragen wurden nicht beantwortet. Nach Erhalt dieses Faxes wurde zunächst von einer erneuten Anfrage abgesehen.

Am 27.02.2009 faxte der Betroffene das Anschreiben der Kammer vom 11.11.2008, das mit einem Eingangsstempel des VdK Ulm versehen war, der den Kläger des Verfahrens S 10 R 3006/08 vertritt, an das Gericht. Auf diesem Schreiben vermerkte der Betroffene handschriftlich: Für an die Statthalter der Gerechtigkeit!!!. Des Weiteren faxte der Betroffene die Fragen der Kammer zurück. Zur Frage Welche Befunde haben Sie bei den Untersuchungen erhoben und welche Diagnosen haben Sie gestellt schrieb er handschriftlich: ca. 8kg schwere Akte. Auf die Frage nach den auf dem Fachgebiet des Betroffenen vorliegenden Gesundheitsstörungen antwortete er: s. meine Akte. Das Fax ist auf der rechten Seite mit der Unterschrift des Betroffenen versehen.

II.

Die Kammer hält vorliegend die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Betroffenen gem. §§ 180, 178 GVG i.V.m. § 202 SGG für angebracht.

1. Gem. § 180 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) stehen die sitzungspolizeilichen Befugnisse der §§ 176 bis 179 GVG dem Richter auch bei der Vornahme von Amtshandlungen außerhalb der Sitzung zu. Gem. § 178 Abs. 1 GVG kann gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden.

Die schriftliche Vernehmung eines Zeugen stellt eine Amtshandlung im Sinne des § 180 GVG dar. Nicht jede Handlung eines Richters außerhalb der Sitzung fällt unter § 180 GVG. Es muss eine Amtshandlung spezifisch richterlicher Natur sein, d.h. eine Handlung, die der Richter in Ausübung seiner kraft Gesetzes zugewiesenen rechtsprechenden Aufgaben nach verfahrensrechtlichen Vorgaben vornimmt (Zimmermann, in: MüKo GVG, § 180 Rn. 1). Die schriftliche Vernehmung ersetzt die ansonsten übliche Vernehmung in einer mündlichen Verhandlung (§ 377 Abs. 3 ZPO) und wird in der Sozialgerichtsbarkeit insbesondere bei der Vernehmung von behandelnden Ärzten durchgeführt, um diesen zeitraubende Gerichtstermine zu ersparen. Im Hinblick auf die Regelung des §§ 106, 118 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stellt die schriftliche Vernehmung eines Zeugen, ebenso wie die Vernehmung eines Zeugen in der mündlichen Verhandlung, eine originäre richterliche Amtshandlung dar, die verfahrensrechtlichen Vorgaben unterliegt.

Die in der Literatur vertretene Auffassung, dass § 180 GVG nicht auf Schriftsätze ungebührlichen Inhalts anzuwenden ist (Zimmermann, in: MüKo GVG, § 180 Rn. 2), steht der Anwendbarkeit der Norm im vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn im Gegensatz zu schriftsätzlichen Äußerungen am Verfahren beteiligter, unterliegt die schriftliche Zeugenaussage dem speziellen verfahrensrechtlichen Regime der §§ 373 ff. ZPO i.V.m. § 118 Abs. 1 SGG. So könnte gegen einen Zeugen, der sich weigert eine (schriftliche) Zeugenaussage abzugeben gem. § 390 ZPO i.V.m. § 118 Abs. 1 SGG ein Ordnungsgeld oder gar Ordnungshaft verhängt werden. Unbestrittenermaßen ist dies bei einem Prozessbeteiligten der eine schriftsätzliche Äußerung nicht oder nicht rechtzeitig abgibt nicht möglich. Vielmehr sind für solche Beweislastregelungen oder Präklusionsvorschriften vorgesehen.

Der Richter hat die Möglichkeit gem. § 178 GVG ein ungebührliches Verhalten eines Zeugen mittels Verhängung eines Ordnungsgeldes zu sanktionieren. Die Vorschrift des § 178 GVG verfolgt nach heutiger Auffassung überwiegend praktische Zwecke. Sie soll den gesetzesmäßigen Ablauf des Gerichtsverfahrens sichern. Die schriftlichen Äußerungen des Dr. H. als sachverständiger Zeuge stellen ein ungebührliches Verhalten dar. Durch die Bezeichnung der Kammer als 10. Kämmerlein und die Überschrift Für an die Statthalter der Gerechtigkeit greift der Betroffene die Ehre und Würde des Gerichts sowie dessen Autorität an. Die Kammer war verpflichtet die Schreiben des Betroffenen an die Beteiligten des Verfahrens weiterzuleiten, sodass diese Bezeichnungen öffentlich wurden. Der Betroffene verdeutlicht mit der von ihm gewählten Begrifflichkeit, dass er zumindest von der Sozialgerichtsbarkeit wenig hält. Unter Ungebühr wird regelmäßig ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und auch auf Ehre und Würde des Gerichts, dessen Autorität vor Einbußen zu bewahren ist verstanden (OLG Köln, Beschluss v. 07.05.2008, Az. 2 Ws 223/08 mwN.). Objektiv erfordert die Ungebühr somit ein Verhalten, das geeignet ist, den sachlichen und unpolemischen Sitzungsverlauf zu beeinträchtigen oder das Gericht als Institution bzw. die Ausübung seiner Tätigkeit verächtlich zu machen. Der Tatbestand kann schon durch herabsetzende Äußerungen (Zimmermann, in: MüKo GVG, § 180 Rn. 7 mwN.) oder eine unangemessene Bekleidung eines Zeugen verwirklicht werden (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 01.08.2007, Az. 1 Ws 90/07). Dieses Verhalten des Betroffenen stellt eine grobe Missachtung und somit eine Ungebühr im Sinne der Vorschrift dar.

Auf der subjektiven Tatbestandsseite erfordert die Ungebühr Verschulden. Nach Auffassung der Kammer hat der Betroffene vorsätzlich gehandelt. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus den Gesamtumständen seiner Äußerungen.

Dem Gericht ist ein Ermessen hinsichtlich des Ob und des Wie eine sitzungspolizeilichen Maßnahme eingeräumt. Die Kammer hält es für zwingend erforderlich, gegenüber dem Betroffenen eine sitzungspolizeiliche Maßnahme zu ergreifen. Durch seine Äußerung hat er mehrfach seine Missachtung des erkennenden Gerichts zum Ausdruck gebracht. Auch war das Gericht verpflichtet die Aussagen des Betroffenen den Verfahrensbeteiligten zugänglich zu machen, sodass Dritte von diesem Verhalten Kenntnis erlangten und somit zur Wahrung der Würde des Gerichts ein Einschreiten durch Ergreifung sitzungspolizeilicher Maßnahmen unumgänglich war. Weniger einschneidende Maßnahmen waren vorliegend weder erkennbar noch geboten. Die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes hält die Kammer im Hinblick auf das durchschnittliche Einkommen eines niedergelassenen Facharztes für angemessen.

Dem Betroffenen wurde rechtliches Gehör gewährt. Eine Äußerung erfolgte innerhalb der gesetzten Frist nicht.

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