LG Ulm, Beschluss vom 03.09.2008 - 2 Qs 2024/08
Fundstelle
openJur 2012, 60879
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ulm vom 26. März 2008 (Az.: 6 Cs 16 Js 7974/07) wird kostenpflichtigv e r w o r f e n .

Gründe

Gegen den Beschwerdeführer erging durch das Amtsgericht Göppingen am 31.05.2007 ein Strafbefehl. Weil er sich am 18.03.2007 außerhalb des Landkreises Göppingen, dem er zugewiesen war, in Karlsruhe aufgehalten hatte, wurde er wegen eines wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Asylverfahrensgesetz nach §§ 56, 85 Nr. 2 AslyVfG zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Der Strafbefehl ist rechtskräftig seit dem 19.06.2007, da der Beschwerdeführer keinen Einspruch eingelegt hatte.

Durch Schriftsatz vom 11.07.2007 beantragte der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger die Wiederaufnahme des Verfahrens. Er trägt als neue Tatsache vor, dass im Tatzeitpunkt die Aufenthaltsgestattung nach § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG erloschen war, nachdem der Asylantrag des Angeklagten durch Bescheid vom 13.07.2006 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden war und das VG Karlsruhe am 23.01.2007 einen Eilantrag gegen die Abschiebungsandrohung abgelehnt hatte. Nach Ansicht des Beschwerdeführers habe er danach lediglich einer räumlichen Beschränkung nach § 56 Abs. 3 AsylVfG unterlegen; da § 85 AsylVfG nicht ausdrücklich auf diesen Absatz des § 56 AsylVfG verweise, sei nach dem Grundsatz nulla poena sine lege ein Verstoß nicht mit Strafe bewehrt.

Das Amtsgericht Ulm hat durch den angefochtenen Beschluss den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig abgelehnt. Hiergegen legte der Angeklagte fristgerecht sofortige Beschwerde ein.

Das Rechtsmittel erweist sich als unbegründet. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist unzulässig, da die neuen Tatsachen nicht geeignet sind, eine der Rechtsfolgen nach § 359 Nr. 5 StPO herbeizuführen. Auch unter Zugrundelegung des Tatsachenvortrags des Beschwerdeführers wäre der Strafbefehl des Amtsgericht Göppingen nämlich zu Recht ergangen.

Nach § 85 Nr. 2 AsylVfG macht sich strafbar, wer wiederholt einer Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs. 1 oder 2 AsylVfG zuwiderhandelt. Nach Ansicht der Kammer hat der Beschwerdeführer auch unter Zugrundelegung des im Wiederaufnahmeverfahren vorgetragenen Sachverhalts diesen Tatbestand erfüllt.

Anders als der Beschwerdeführer geht die Kammer davon aus, dass § 56 Abs. 3 AsylVfG keine eigenständige Beschränkung des Aufenthaltsrechts enthält, sondern lediglich die Grenzen der Beschränkung nach § 56 Abs. 1 AsylVfG konkretisiert .

Die Entscheidung des OLG Stuttgart aus dem Jahr 1998 (NStZ-RR 1999, 315 = StV 1999, 97), auf die sich der Beschwerdeführer beruft, steht dem nicht entgegen. Die genannte Entscheidung führte anhand der damals geltenden Gesetzeslage dogmatisch aus, dass die Beschränkung nach § 56 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AsylVfG eine Beschränkung der Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG bedeute; bestehe die Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG nicht mehr, sei auch ihre Beschränkung bereits begrifflich nicht denkbar. Dieser Rechtsprechung (die früher auch vom LG Ulm vertreten wurde) wurde durch die Einfügung des § 56 Abs. 3 AsylVfG mittlerweile die Grundlage entzogen.

Ursprünglich umfasste § 56 AsylVfG lediglich zwei Absätze; in dessen Absatz 1 ist die Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. Durch das Aufenthaltsgesetz wurde mit Wirkung vom 01.01.2005 an den bestehenden § 56 AsylVfG dessen neuer Absatz 3 angefügt. Dieser regelt, dass räumliche Beschränkungen auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung in Kraft bleiben bis sie aufgehoben werden. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs ist Zweck der Neuregelung u.a., Unsicherheiten über die [...] Fortgeltung asylverfahrensrechtlicher räumlicher Beschränkungen zu vermeiden (vgl. BTDrs 15/955 S. 34). Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 3 AsylVfG i.V.m. der amtlichen Begründung folgt nach Ansicht der Kammer, dass nach der Neuregelung dieselbe räumliche Beschränkung unabhängig von der Aufenthaltsgestattung in Kraft bleibt: sie wird gerade nicht durch eine andere, neue Beschränkung ersetzt (im Ergebnis ebenso: VGH Kassel, Beschl. vom 25.08.2006, Az.: 8 TG 1617/06 - zitiert nach Beck-online; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.05.2007, Az.: 3 S 23.07 - zitiert nach juris). § 56 Abs. 3 AsylVfG hat also keine konstitutive Wirkung. Verstößt danach ein abgelehnter Asylbewerber gegen die (fortgeltende) Aufenthaltsbeschränkung, begeht er einen Verstoß gegen § 56 Abs. 1 AsylVfG, nicht aber gegen § 56 Abs. 3 AsylVfG. Ein solcher Verstoß ist aber nach § 85 Nr. 2 AsylVfG im Fall seiner Wiederholung ausdrücklich unter Strafe gestellt.

Angesichts der eindeutigen Formulierung von § 85 Nr. 2 AsylVfG bedurfte es einer Änderung dieser Norm nach Einführung des § 56 Abs. 3 AsylVfG nicht. Die Änderung außerstrafrechtlicher Ausfüllungsnormen von Blankettgesetzen zieht eine Änderung der Strafbarkeit jedenfalls dann nach sich, wenn, wie hier, der Schutz des Blanketttatbestandes im Wesentlichen unberührt bleibt und lediglich Tatumstände ausgewechselt oder ergänzt werden (vgl. Eser in: Schönke-Schröder, StGB, 26. Aufl., § 2 Rdnr. 26; BVerfG NJW 1995, 315, 316). Bei fortgeltenden Aufenthaltsbeschränkung entspricht die Sanktionsbewehrung in § 85 Nr. 2 (bzw. § 86 Abs. 1) AsylVfG auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Diese soll die ordnungsgemäße und zügige Durchführung des Asylverfahrens dadurch gewährleisten, dass der Asylbewerber für Behörden und Gerichte zuverlässig erreichbar bleibt. Aber auch über den Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des Asylverfahrens bis zum Zeitpunkt einer etwaigen Abschiebung muss die Erreichbarkeit sichergestellt sein. Denn der abgelehnte Asylbewerber muss auch nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung leicht erreichbar sein, falls - etwa aufgrund des Fehlens eines Passes - eine Abschiebung nicht sofort erfolgen kann (so OLG Stuttgart, a.a.O. S. 316). Gründe, weshalb ein Ausreisepflichtiger gegenüber Asylbewerbern privilegiert werden sollte, sind nicht ersichtlich.

Der Beschwerdeführer hat nach der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags keinen Folgeantrag gestellt. Die spezielle Problematik, die sich für das Merkmal der Wiederholung in diesen Fällen stellt (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.08.1999, 3 Ss 256/99 - zitiert nach juris), hat danach im vorliegenden Fall keine Bedeutung.

Der Kostenausspruch folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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