VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.04.2008 - 11 S 759/06
Fundstelle
openJur 2012, 60654
  • Rkr:

1. Wird eine Anfechtungsklage mit der Begründung rechtskräftig abgewiesen, dass der Verwaltungsakt rechtmäßig ist, hindert § 121 VwGO die obsiegende Behörde, den Verwaltungsakt nach § § 48 Abs. 1 Satz 1 (L)VwVfG als rechtswidrig anzusehen und zurückzunehmen. Das gilt grundsätzlich auch, wenn sich aufgrund der späteren Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nachträglich der Verwaltungsakt als rechtswidrig und das Urteil als unrichtig erweisen.

2. Die materielle Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils hindert die obsiegende Behörde jedoch nicht, das Verwaltungsverfahren auf Antrag zugunsten des Betroffenen nach § 51 (L)VwVfG oder nach Ermessen wiederaufzugreifen, um den eine neue Sachentscheidung zu treffen. Die Befugnis zum Wiederaufgreifen nach Ermessen war bereits vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder als Rechtsgrundsatz des Verwaltungsverfahrensrechts anerkannt und wird weder durch §§ 48, 49 noch durch § 51 (L)VwVfG verdrängt.

3. Weder die Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften noch die hierauf folgende Änderung der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung sind ein Wiederaufgreifensgrund i. S. des § 51 Abs. 1 Nr. 1 (L)VwVfG.

4. Die nach Maßgabe der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in den Rechtssachen Kühne und Heitz sowie Kempter bestehende gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Überprüfung einer nach Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftigen, aber gemeinschaftsrechtswidrigen Verwaltungsentscheidung kann durch das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Ermessen erfüllt werden.

5. Zur Rechtmäßigkeit der Ablehnung eines Wiederaufgreifens des Verfahrens im Falle einer gemeinschaftsrechtswidrigen Ausweisung.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 2. Februar 2006 - 6 K 524/05 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, wurde 1975 im Bundesgebiet geboren. 1980 zog er mit seiner Mutter nach Italien. 1990 kehrte er in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Hier arbeitete er bis 1994 als Gipser, musste diese Tätigkeit aber nach einem Sportunfall aufgeben. 1995 begann er, Kokain zu konsumieren. Der Kläger ist Vater des im Juni 1996 geborenen & und der im November 2001 geborenen &, für die er - anders als für seinen Sohn - gemeinsam mit der Kindesmutter die elterliche Sorge inne hat und ausübt.

1993 wurde der Kläger unter anderem wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Februar 1996 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.04.1997 wegen gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Am 30.04.1998 wurde die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt.

Mit Bescheid vom 22.07.1997 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG aus dem Bundesgebiet aus. Der insbesondere mit einer Nachreifung während der Haft begründete Widerspruch wurde mit Bescheid vom 20.11.1997 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - abgewiesen. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wurde durch Beschluss des Senats vom 26.10.1998 - 11 S 996/98 - abgelehnt. Daraufhin reiste der Kläger im Dezember 1998 freiwillig nach Italien aus. Auf Antrag des Klägers befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Bescheid vom 15.09.1999 die Sperrwirkungen der Ausweisung auf den 06.12.2008. Die hiergegen mit dem Ziel einer Verkürzung der Sperrfrist erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 09.05.2000 - 11 K 2951/99 - abgewiesen.

Nach seiner Ausreise hielt sich der Kläger mehrmals unerlaubt im Bundesgebiet auf. Aus diesem Grund wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Rastatt vom 08.08.2002 zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,-- EUR und mit Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ein weiteres Verfahren wegen unerlaubter Einreise wurde vom Landgericht Baden-Baden am 27.07.2005 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Für die zuvor vom 25.11.2004 bis zum 24.01.2005 vollzogene Untersuchungshaft wurde dem Kläger mit Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 06.12.2006 eine Entschädigung nach Billigkeit zugesprochen.

Am 05.11.2004 beantragte der Kläger die Rücknahme der Ausweisungsverfügung vom 22.07.1997. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 30/02 -, BVerwGE 121, 297 unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürften und dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts abzustellen sei. Vor diesem Hintergrund stehe die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit seiner auf den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 47 AuslG gestützten Ausweisung fest. Auch habe man bei der Ausweisung seiner Verwurzelung in die inländischen Lebensverhältnisse nicht hinreichend Rechnung getragen.

Hierauf befristete das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Verfügung vom 22.02.2005 die Sperrwirkung der Ausweisung vom 22.07.1997 auf den Tag der Zustellung des Befristungsbescheides (23.02.2005).

Mit Bescheid vom 17.03.2005 lehnte das Regierungspräsidium Karlsruhe den "Antrag auf Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens" ab. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 LVwVfG auch im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beurteilungsmaßstab von Ausweisungen nicht zu, da in der Änderung der Rechtsprechung grundsätzlich keine Änderung der Rechtslage i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG zu sehen sei. Soweit daneben die Möglichkeit bestehe, das Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen wieder aufzugreifen, bestehe kein hinreichender Anlass dafür, erneut über die unanfechtbare Ausweisung sachlich zu entscheiden. Die Verfügung von 1997 sei rechtmäßig. Sie wäre auch erlassen worden, wenn damals die Maßstäbe des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom August 2004 angewendet worden wären. Denn vom Kläger sei eindeutig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen.

Der Kläger hatte bereits am 04.03.2005 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage auf Rücknahme der Ausweisung erhoben, die er nachträglich auf den Bescheid vom 17.03.2005 erstreckt hat. Trotz zwischenzeitlicher Befristung der Wirkungen der Ausweisung bestehe ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Rücknahme. Sie werde benötigt, um die Wiederaufnahme des Strafverfahrens wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts zu erreichen, das zur rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Baden-Baden am 10.07.2003 geführt habe. Auch hätte er bei Rücknahme der Ausweisung den erhöhten Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG bzw. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU. Schließlich sei die Rücknahme zur Rehabilitation und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erforderlich. Nach dem Urteil des EuGH vom 12.12.1997 (C-188/95 ) bestehe eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Rücknahme gemeinschaftswidriger Verwaltungsentscheidungen. Der Hinweis des Beklagten, dass die Ausweisung auch bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erlassen worden wäre, trage der besonderen Rechtstellung von Unionsbürgern nicht hinreichend Rechnung. Nach wie vor fehle eine Ermessensentscheidung über die Ausweisung und die Berücksichtigung seiner günstigen Entwicklung nach Erlass der Verfügung bis zur gerichtlichen Entscheidung. Daneben seien die familiären Bindungen und das Ausmaß der Schwierigkeiten außer Betracht geblieben, denen er, seine damalige Verlobte und sein damals neugeborenes Kind in der Folge der Ausweisung ausgesetzt gewesen seien und die dazu führten, dass die Ausweisung mit Art. 8 EMRK unvereinbar sei. Schließlich habe man nicht die in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltenen Maßstäbe beachtet. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat erwidert, ein Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung bestehe nicht. Zum einen sei die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung festgestellt worden. Zum anderen lägen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 LVwVfG nicht vor. Im Rahmen eines Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich des Wiederaufgreifens sei zu berücksichtigen, dass sich die Ausweisung aus heutiger Sicht zwar deshalb als rechtswidrig darstelle, weil sie auf § 47 AuslG gestützt worden sei, dass der Kläger aber auch damals unter Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hätte nach Ermessen ausgewiesen werden können.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 02.02.2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Ausweisung rückwirkend zurückgenommen werde. Ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens scheide aus, weil die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern ebenso wenig einer Änderung der Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG gleichzustellen sei wie die Klärung der maßgeblichen Voraussetzungen für eine solche Ausweisung durch den EuGH in dessen Urteil vom 29.04.2004. Den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG habe der Beklagte erfüllt, indem er die Rücknahme ohne Rechtsfehler abgelehnt habe. Das Rücknahmeermessen sei auch nicht auf Null reduziert. Die Aufrechterhaltung der Ausweisung sei nicht schlechthin unerträglich und habe für den Kläger auch keine unzumutbare Folgen. Insbesondere werde es dem Kläger nicht praktisch unmöglich gemacht, die ihm durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte wahrzunehmen. Dem Kläger stehe auch kein gemeinschaftsrechtlicher Rechtsanspruch auf Rücknahme der Ausweisung zu. Es sei im Rahmen der gerichtlichen Prüfungskompetenz nicht zu beanstanden, dass der Beklagte bei Ausübung seines Rücknahmeermessens dem öffentlichen Interesse an der Bestandskraft der verfügten Ausweisung gegenüber den privaten Interessen des Klägers den Vorrang eingeräumt habe.

Am 24.03.2006 hat der Kläger die durch das Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf seinen Vortrag erster Instanz und trägt ergänzend vor: Die Ausweisung verstoße gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK. Denn sie führe selbst im Falle einer Befristung zu einer faktischen Unmöglichkeit einer späteren Rückkehr nach Deutschland. Hieran ändere auch das den Unionsbürgern eingeräumte Freizügigkeitsrecht nichts, da die Rückkehr auch in diesen Fällen an Wohlstand oder an eine Beschäftigung geknüpft und beides schwer zu erreichen sei. Im Übrigen sei es gemeinschaftsrechtswidrig, weil diskriminierend, wenn Unionsbürger aufgrund des im Falle einer Befristung wieder auflebenden Freizügigkeitsrechts leichter ausgewiesen werden könnten, als Drittstaatsangehörige, denen ein Rückkehrrecht unter diesen Bedingungen nicht zukomme. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des EuGH vom 17.04.1986 - C-59/85 - (Slg. 1986, I-1283 ).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.02.2006 - 6 K 524/05 - zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 zu verpflichten, die Ausweisung in der Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.07.1997 rückwirkend aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und führt ergänzend an, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen im Grundsatz anerkenne und an die Rücknahme solcher Entscheidungen eher restriktive Bedingungen knüpfe.

Der Senat hat den Kläger in der Berufungsverhandlung angehört. Dabei hat er angegeben: Er lebe seit längerer Zeit in Straßburg, wo er als Profiboxer trainiere und - nach langer Krankheit - als solcher tätig werden wolle. Er sei nach seiner Ausreise nach Italien relativ bald nach Frankreich gezogen und habe sich von dort aus immer wieder vorübergehend zu seinen in Deutschland in Grenznähe lebenden Eltern oder zu seiner damaligen Verlobten begeben. Der Kontakt zu seinem Sohn & sei nach seiner Ausreise nach Italien schwächer geworden und seit 2005 gänzlich abgebrochen. Sein Sohn lebe bei dessen Mutter in der Nähe von Frankfurt. Seine Tochter & lebe bei ihrer Mutter, die mit ihm nicht mehr verlobt sei. Er übe jedoch nach wie vor gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht aus. Abgesehen von den Verurteilungen wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet sei er im Jahr 2006 noch einmal wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe (2 Hefte) und die Akte der Ausländerbehörde der Stadt Rastatt (1 Heft) über den Kläger sowie ferner die den Kläger betreffenden Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (11 K 4683/97; 11 K 3675/97; 11 K 2951/99; 6 K 96/05) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (11 S 996/98; 11 S 652/05) vor. Auf den Inhalt dieser Akten wird ergänzend ebenso verwiesen wie auf die wechselseitigen Schriftsätze in der Klageakte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren 6 K 524/05 sowie in der Verfahrensakte des Senats.

Gründe

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Denn er wurde in der rechtzeitigen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 VwGO).

I.

Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründung wurde form- und fristgemäß vorgelegt (§ 124a Abs. 1 bis 3 VwGO). Für die mit der Berufung begehrte Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung vom 22.07.1997 besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis.

Zwar entfaltet die Ausweisung aufgrund der Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen in Bezug auf das Recht des Klägers, ins Bundesgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, gegenwärtig keine belastende Regelungswirkung. Gleiches gilt für die aktuelle aufenthaltsrechtliche Stellung des Klägers - etwa im Hinblick auf einen gesteigerten Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 5 Freizüg/EU (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.06.2007 - 13 S 1045/07 -, VBlBW 2008, 68). Denn der Kläger hat sich nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten, sodass die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung nicht zur Folge hätte, dass sich der Kläger auf einen hierfür notwendigen verlängerten rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet berufen könnte.

Allerdings führt die Ausweisung dazu, dass die verschiedenen Aufenthalte des Klägers im Bundesgebiet in der Zeit vor der Befristung der Wirkungen der Ausweisung als unerlaubt anzusehen sind. Hierdurch ist der Kläger nach wie vor belastet, weil er mit Urteil des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 wegen unerlaubten Aufenthalts zu einer Geld- und einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Insoweit ergibt sich das Rechtschutzbedürfnis daraus, dass der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme dieser Strafverfahren stellen und unter Hinweis auf das - bei rückwirkender Aufhebung der Ausweisung - auch in der Vergangenheit gegebene Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger jeweils einen Freispruch erreichen möchte. Zwar wird nach der wohl herrschenden Auffassung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, Kommentar, 50. Aufl. 2007, § 359 Rn. 17 und 21 m.w.N.) in der Rücknahme einer - die Strafbarkeit begründenden - Verwaltungsentscheidung kein Wiederaufnahmegrund nach § 359 StPO gesehen. Es reicht aber aus, dass der Erfolg des Wiederaufnahmeantrags im Strafverfahren und damit der Nutzen der vorliegenden Klage für den Kläger weder tatsächlich noch rechtlich außer Zweifel steht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.2004 - 3 C 25/03 -, BVerwGE 121, 1 = DVBl 2004, 1184 = NVwZ-RR 2004, 855; Urt. v. 21.11.1996 - 4 C 13/95 -, NJW 1997, 1173 = BRS 58 Nr. 233). Dies ist der Fall. Zum einen wird die Auffassung des Klägers, dass die Aufhebung der Ausweisung einer Aufhebung eines Urteils und damit dem Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 4 StPO gleichzustellen oder zumindest als neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO anzusehen ist, nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geteilt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.08.1999 - 2 BvR 1322/97 -; Beschl. v. 23.05.1967 - 2 BvR 534/62 -, BVerfGE 22, 21 = NJW 1967, 1221; Schmidt in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 359 Rn. 15; Schenke, JR 1970, 449; zur vergleichbaren Regelung des § 580 Nr. 6 ZPO vgl. BGH Urt. v. 21.01.1988 - III ZR 252/86 -, BGHZ 103, 121 = NJW 1988, 1914; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 66. Aufl. 2008, § 580 Anm. 3 m.w.N.). Zum anderen ist die der herrschenden Auffassung zugrunde liegende Annahme, dass auch eine rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsakts die zuvor gegebene Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen diesen nicht entfallen lässt (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 23.07.1969 - 4 StR 371/68 -, BGHSt 23, 86 = NJW 1969, 2023; OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.04.1977 - 3 Ss 107/77 -, JZ 1977, 478 = NJW 1978, 116) jedenfalls für die Ausweisung von - anderenfalls freizügigkeitsberechtigten - Unionsbürgern durchaus umstritten (zum Meinungsstand vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.12.2006 - 3 Ws 346/05 -, InfAuslR 2007, 118 m.w.N.).

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Das Klagebegehren, das sich maßgebend nicht nur aus der Formulierung des Antrags, sondern auch aus dem Vortrag des Klägers, insbesondere der Klagebegründung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.07.1976 - IV C 15.76 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 5; Rennert in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 88 Rn. 8 m.w.N.), zielt auf die rückwirkende Aufhebung der Ausweisung. Das ist sowohl durch Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG als auch durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens, etwa gemäß § 51 Abs. 1 LVwVfG, möglich (zum Verhältnis von Rücknahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens vgl. Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 25 Rn. 3; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 51 Rn. 9; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Aufl. 2008, § 51 Rn. 30; Baumeister, VerwArch 92 (2001), 374 m.w.N.; anders allerdings wohl BVerwG, Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 21/07 -, BVerwGE 129, 243 = NVwZ 2008, 82 = DÖV 2008, 74 = InfAuslR 2008, 1, wonach das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 LVwVfG der Rücknahme oder dem Widerruf vorgeschaltet sei; so auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 11 Rn. 11).

1. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG darauf, dass seine Ausweisung vom 22.07.1997 rückwirkend zurückgenommen wird. Zwar ist die Rücknahme einer Ausweisung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG neben der - hier bereits erfolgten - Befristung ihrer gesetzlichen Wirkungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 6 AufenthG bzw. § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 FreizügG/EU grundsätzlich möglich, solange die Ausweisung - wie hier - noch Regelungswirkungen äußert (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189 = ZAR 2008, 140). Der Kläger und der Beklagte - und damit auch der Senat - sind jedoch nach § 121 Nr. 1 VwGO gehindert, von der Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG auszugehen.

a) Zwar wurde die Ausweisung des freizügigkeitsberechtigten Klägers nach § 47 Abs. 1 AuslG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG verfügt, ohne dass der Beklagte das bei diesen Personen notwendige Ausweisungsermessen (hierzu BVerwG, Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 = NVwZ 2005, 220 = DVBl. 2005, 122 = InfAuslR 2005, 18) betätigt hatte. Auch wurde die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20.11.1997 beurteilt und damit insbesondere die Entwicklung des Klägers bis zum Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 außer Betracht gelassen. Allerdings begründen diese Umstände für die Beteiligten keine Rechtswidrigkeit der Ausweisung i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG, weil sie aufgrund des abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - davon ausgehen müssen, dass die Ausweisung rechtmäßig ist. Dies folgt aus § 121 Nr. 1 VwGO, wonach rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist.

Der Umfang der Bindungswirkung eines Urteils bestimmt sich nach der sich im Entscheidungssatz verkörpernden Schlussfolgerung des Gerichts aus der angewandten Rechtsnorm und dem festgestellten Lebenssachverhalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.05.1994 - 9 C 501/03 -, BVerwGE 96, 24 = DVBl 1994, 940 = DÖV 1994, 914 = NVwZ 1994, 1115 = VBlBW 1995, 8 m.w.N.). Dabei tritt die Bindungswirkung des Urteils nicht nur in den Fällen ein, in denen der identische Streitgegenstand erneut zur Entscheidung gestellt wird, sondern auch dann, wenn die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen prozessualen Anspruch, der zwischen denselben Beteiligten streitig ist, vorgreiflich ist. Denn mit der Regelung des § 121 VwGO soll auch insoweit verhindert werden, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die in einem Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 9 C 53/97 -, BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302 = DVBl. 1999, 544 = InfAuslR 1999, 143; Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.). Eine Vorgreiflichkeit der rechtskräftigen Vorentscheidung ist immer dann gegeben, wenn sie nach dem Umfang ihrer Rechtskraft ein Element liefert, das nach den einschlägigen materiell-rechtlichen Normen des zweiten Rechtsstreits notwendig ist, um die in diesem Prozess beanspruchte Rechtsfolge zu begründen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 - 2 C 7.01 -, BVerwGE 116, 1 = NVwZ 2002, 853 = DVBl. 2002, 1219 = DÖV 2002, 864).

Da der Streitgegenstand des dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 - 11 K 4683/97 - zugrunde liegenden Verfahrens in der Rechtsbehauptung des Klägers besteht, dass die Ausweisung vom 22.07.1997 rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2002, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, BVerwGE 91, 256 = NVwZ 1993, 672 = DVBl. 1993, 258 = DÖV 1993, 718 = BayVBl 1993, 250; Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 25 m.w.N.) und § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG gerade die Rechtswidrigkeit der Ausweisung voraussetzt, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG vorgreiflich. Dementsprechend nimmt auch die in der Abweisung der Anfechtungsklage des Klägers liegende Feststellung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung vom 22.07.1997 an der präjudiziellen Wirkung dieses Urteils für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung teil. Zwar ergibt sich - anders als dies im Falle der Stattgabe in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts der Fall ist - aus der Abweisung einer Anfechtungsklage nicht zwingend, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Vielmehr kann die Abweisung der Klage auch allein darin begründet sein, dass es an der Verletzung eines subjektiven Rechts oder gar an der Zulässigkeit der Klage fehlt. Dennoch ist es - trotz der damit gegebenen Notwendigkeit, den Umfang der Rechtskraft unter Heranziehung der die Abweisung der Klage tragenden Gründe zu bestimmen - anerkannt, dass sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts im Falle eines deshalb abweisenden Urteils nicht als bloße Vorfrage des Urteils darstellt, sondern an der Bindungswirkung eines abweisenden Urteils in einem Anfechtungsprozess teilhat (BVerwG, Beschl. v. 15.03.1968 - VII C 183.65 -, BVerwGE 29, 210 = GewArch 1969, 22; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141; BVerwG, Urt. v. 10.05.1994, a.a.O.; Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199; Urt. v. 30.08.1988 - 9 C 47/87 -, NVwZ 1989, 161; ebenso Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 27; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 121 Rn. 80; a.A. Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 121 Rn. 21 sowie Hößlein, VerwArch 98 (2007), 127, 150).

b) Einer Erstreckung der in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 enthaltenen Feststellung über die Rechtmäßigkeit der Ausweisung auf das Verfahren auf Rücknahme der Ausweisung steht nicht entgegen, dass sich dieses klageabweisende Urteil unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger (Urt. v. 29.04.2004 - C-482/01 und C-493/01 -, Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099, ) sowie der hierauf basierenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. Urt. v. 03.08.2004, a.a.O.) nachträglich als unrichtig erweist. Denn die materielle Bindungswirkung des § 121 VwGO tritt grundsätzlich unabhängig davon ein, ob das rechtskräftige Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt hat oder nicht (BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O.; Urt. v. 05.11.1985 - 6 C 22.84 -, NVwZ 1986, 293). Auch begründet eine spätere gerichtliche - auch höchstrichterliche - Klärung einer Sach- oder Rechtsfrage abweichend von dem früheren rechtskräftigen Urteil keine Änderung der Sach- oder Rechtslage, die eine Lösung von der Rechtskraftbindung rechtfertigen könnte (BVerwG, Urt. v. 31.07.2002 - 1 C 7/02 -, NVwZ 2003, Beilage Nr. I 1, 1; Urt. v. 18.09.2001, - 1 C 7/01 -, BVerwGE 115, 118 = DVBl. 2002, 343 = NVwZ 2002, 345 = DÖV 2002, 301 = InfAuslR 2002, 207). Dies ist auch im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich anerkannt (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055).

Sofern der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit die nationalen Behörden und Gerichte bei Vorliegen bestimmter Umstände verpflichtet, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, , Slg. I-837 = DVBl 2004, 373 = NVwZ 2004, 459 = InfAuslR 2004, 139 = DÖV 2004, 530), gilt diese Verpflichtung immer nur im Rahmen der insbesondere durch das nationale Prozessrecht bestimmten Grenzen der Auslegung einer Rechtsnorm (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O.; vgl. auch Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705), sodass - ohne eine entsprechende Regelung im nationalen Recht - auch über eine solche Verpflichtung eine Einschränkung der Bindungswirkung des § 121 VwGO nicht erreicht werden kann.

Eine solche Regelung des nationalen Rechts, über die die präjudizielle Bindungswirkung eines abweisenden Urteils - auf das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts in § 48 Abs. 1 LVwVfG - entfallen würde, findet sich nicht in der anerkannten Befugnis einer Behörde, trotz der gerichtlichen Bestätigung eines Verwaltungsakts auf dessen Vollzug zu verzichten oder diesen Verwaltungsakt dennoch aufzuheben (zu dieser Befugnis vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.1994 - 2 C 12.92 -, BVerwGE 95, 86 = BayVBl. 1994, 632 = NVwZ 1995, 388; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O., m.w.N.; Urt. v. 13.09.1984 - 2 C 22/83 -, BVerwGE 70, 110 = NJW 1985, 280 = DVBl. 1985, 527; Urt. v. 04.06.1970 - II C 39.68 -, BVerwGE 35, 234 = DÖV 1970, 821 = DVBl. 1971, 272; Rennert, a.a.O., Rn. 27; Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31; Nicolai in: Redecker/v.Oertzen, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 121 Rn. 10a und b; Kilian in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 121 Rn. 70). Diese Befugnis wurde ursprünglich mit dem im Zivilprozess anerkannten Grundsatz begründet, dass ein Urteil immer nur zugunsten, nicht jedoch zu Ungunsten der obsiegenden Partei wirke, und einer im Anfechtungsprozess obsiegenden Behörde deshalb - ebenso wie der in einem Zivilrechtsstreit obsiegenden Partei - die Möglichkeit erhalten bleibe, sich außerprozessual abweichend von der rechtskräftigen Entscheidung zu verhalten. Danach bleibt die gesetzliche Bindungswirkung nach § 121 VwGO aber gerade unangetastet (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1970, a.a.O.; Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht Bd. II, 1967 Nr. 206; Menger, VerwArch 49 (1958), 368, 373; Haueisen, NJW 1963, 1329, 1333; Bullinger, DÖV 1964, 381; vgl. auch Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1988, S. 586 ff. sowie Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 31). Nichts anderes gilt dann, wenn diese Befugnis der Behörde, zugunsten des unterlegenen Beteiligten von der gerichtlich bestätigten Entscheidung abzuweichen, aus den Regelungen zum Verwaltungsverfahren abgeleitet und damit - dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entsprechend - auf eine notwendige (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.1988 - 2 BvR 260/88 -, NVwZ 1989, 141) gesetzliche Grundlage gestellt wird (so BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, a.a.O. sowie insb. Urt. v. 28.07.1989 - 7 C 78/88 -, BVerwGE 82, 272 = DVBl. 1989, 1192 = NJW 1990, 199 = NVwZ 1990, 156; vgl. auch Maurer, JZ 1993, 574; Kopp/Kopp, NVwZ 1994, 1; Erfmeyer, DVBl. 1997, 27). Denn hiernach findet sie ihre normative Grundlage ausschließlich in den - von der Entscheidung nach § 48 Abs. 1 LVwVfG zu trennenden - Regelungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens, welches von vornherein nur zugunsten und auf Antrag des Betroffenen erfolgen kann (vgl. § 51 Abs. 1 LVwVfG) und - aufgrund der Bezogenheit auf eine neue Sachentscheidung - von der Bindungswirkung eines Urteils über den Erstbescheid nicht erfasst wird (hierzu BVerwG, Urt. v. 13.09.1984, v. 28.07.1989, v. 27.01.1994, jeweils a.a.O.; ebenso wohl Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 33 f.).

Der Auffassung, die Behörde sei im Rahmen des § 48 Abs. 1 LVwVfG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts von der - und sei es präjudiziellen - Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils suspendiert, sofern sie eine belastende Verfügung aufheben wolle (vgl. etwa Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 51; Meyer in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 48 Rn. 57; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 48 Rn. 16; ebenso wohl Ziekow, VwVfG, 2006, § 48 Rn. 12), kann indes nicht gefolgt werden. Denn § 48 Abs. 1 LVwVfG differenziert hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht danach, ob dessen Rücknahme zugunsten oder zulasten des Betroffenen erfolgt. Die Anerkennung einer normativ geregelten Abweichung von der Bindungswirkung des § 121 VwGO müsste anderenfalls auch zu der - abzulehnenden - Ermächtigung führen, einen gerichtlich bestätigten, aber nachträglich als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt auch zulasten des betroffenen Adressaten aufzuheben (so etwa Erfmeyer, a.a.O.; Maurer, a.a.O.; ähnlich auch Kopp/Kopp, a.a.O.).

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Ausweisung durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger sowie der tatsächlichen Entwicklung des Klägers aufhebt.

a) Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG.

Nach dieser Regelung hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn bestimmte Wiederaufgreifensgründe zu einer dem Betroffenen begünstigenden Sachentscheidung geführt hätten. Solche Wiederaufgreifensgründe sind indessen nicht gegeben. Insbesondere liegt in der Änderung der Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, wie sie sich in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30 .02 -, BVerwGE 121, 297) manifestiert, keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Gleiches gilt für die - vom Kläger geltend gemachte - Verschärfung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK an die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung von faktischen Inländern in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - (InfAuslR 2007, 275 = ZAR 2007, 243 = NVwZ 2007, 946 = AuAS 2007, 242) und gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, etwa in dem Urteil vom 27.10.2005 (Individualbeschwerde Nr. 32231/02 - Keles ./. Deutschland, InfAuslR 2006, 3 = FamRZ 2006, 1351).

Wenngleich § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG insoweit weiter gefasst ist als § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG, wo von einer Änderung der Rechtsvorschrift die Rede ist, so gilt auch hier, dass es sich um Änderungen des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt, handeln muss. Dem entspricht die Änderung der Rechtsprechung - mit Ausnahme der über die Rechtsprechung dokumentierten Änderung von Gewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsauffassungen (hierzu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 51 Rn. 30) - deshalb nicht, weil sich die gerichtliche Entscheidungsfindung stets in der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung erschöpft (BVerwG, Beschl. v. 03.05.1996 - 6 B 82/95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 366; Beschl. v. 24.05.1995 - 1 B 60.95 -, InfAuslR 1995, 355 = NVwZ 1995, 1097 = Buchholz 316 § 51 Nr. 32; Beschl. v. 16.02.1993 - 9 B 241.92 - Buchholz 316 § 51 Nr. 29; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89/80 und 93/80 - NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9, jeweils zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung; vgl. auch Urt. v. 27.01.1994, a.a.O.; Urt. v. 08.12.1992, a.a.O. m.w.N.). Dies ist für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt (BVerwG, Beschl. v. 24.05.1995, a.a.O.; Beschl. v. 04.10.1993 - 6 B 35.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 319), gilt aber auch für die hier letztlich maßgebliche Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der mit seinem Urteil vom 29.04.2004 (C-482/01 und C-493/01 -, , Slg. I-5257 = DVBl 2004, 876 = InfAuslR 2004, 268 = NVwZ 2004, 1099) die Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Maßstäben für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger erst veranlasst hat. Denn die Rechtsprechung dieses Gerichtshofs ist auch nach dessen Selbstverständnis ebenfalls nur rein deklaratorischer Natur (vgl. hierzu etwa EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06 -, , NJW 2008, 1212 = DÖV 2008, 505 m.w.N.).

Angesichts des eindeutigen Wortlauts und des grundsätzlich abschließenden Charakters dieser Regelung kann die Einbeziehung der Rechtsprechungsänderung in den Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG auch nicht - ausnahmsweise - über die in Art. 10 EG verankerte Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte begründet werden, bei Vorliegen bestimmter Umstände, eine infolge einer innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008, a.a.O. sowie Urt. v. 13.01.2004, a.a.O.). Abgesehen davon besteht für eine solche Einbeziehung auch unter dem Gesichtspunkt des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes kein Bedürfnis.

Eine Behörde ist nämlich auch dann, wenn kein Wiederaufgreifensgrund i. S. des § 51 Abs. 1 LVwVfG vorliegt, befugt, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufzugreifen, um unter Aufhebung oder Abänderung des Erstbescheids eine neue Sachentscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.2000 - 2 C 5/99 -, BayVBl 2001, 216 = DVBl. 2001, 726; Beschl. v. 23.02.2004 - 5 B 104/03 -, juris; Beschl. v. 25.05.1981 - 8 B 89.80 -, NJW 1981, 2595 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9 m.w.N; ebenso Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 51 VI 2 b), S. 602; so wohl auch Rennert, a.a.O., § 121 Rn. 34). Ein solche Befugnis war bereits vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder als ungeschriebener Rechtsgrundsatz des Verwaltungsverfahrensrechts anerkannt (vgl. BVerfG, Entsch. v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65 -, BVerfGE 27, 297 = DVBl. 1970, 270 = DÖV 1970, 231; BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 - I C 31.68 -, BVerwGE 39, 197 = DÖV 1972, 419 = DVBl. 1972, 388; Urt. v. 30.01.1974 - VIII C 20.72 -, BVerwGE 44, 333; Urt. v. 28.07.1976 - 8 C 90.75 - Buchholz 412.3 § 16 Nr. 2; Urt. v. 14.12.1977 - 8 C 79.76 - Buchholz 316 § 36 Nr. 1) und wurde weder über die Regelung des § 51 LVwVfG noch über die neben dem Wiederaufgreifen des Verfahrens bestehenden Regelungen über die Rücknahme und den Widerruf eines Verwaltungsakts nach §§ 48, 49 LVwVfG verdrängt. Insofern ist die Kodifizierung der ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsverfahrens nur unvollständig und nicht abschließend erfolgt (hierzu auch Selmer, JuS 1987, 363, 366). Anders als unter Zugrundelegung der vom Senat nicht geteilten gegenteiligen Auffassung, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens außerhalb des § 51 LVwVfG allein nach den §§ 48, 49 LVwVfG für zulässig hält (etwa BVerwG, Beschl. v. 29.03.1999 - 1 DB 7/97 -, BVerwGE 113, 322 = DVBl. 1999, 931 = NVwZ 2000, 202; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 31.01.1989 - 9 S 1141/88 -, DVBl. 1989, 884 = NVwZ 1989, 882; Ruffert, a.a.O., § 25 IV Rn. 12; Ziekow, a.a.O., § 51 Rn. 27; Sachs, a.a.O., § 51 Rn. 16; speziell zur Überprüfung gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte auch Britz/Richter, JuS 2005, 198), steht dieser Anspruch auch nicht im Konflikt mit der bundesrechtlichen Regelung zur Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils über die Rechtmäßigkeit dieses Erstbescheids (hierzu BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, - 2 C 12.92 - und Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12.92 -, jeweils a.a.O. m.w.N). Als unrichtig erkannte belastende Verwaltungsakte können bei Vorliegen eines - gemeinschaftsrechtlichen - Wiederaufgreifensgrundes daher trotz der Abweisung einer hiergegen gerichteten Anfechtungsklage auch rückwirkend aufgehoben oder durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Regelung ersetzt werden. Hiermit wird auch der Verpflichtung Rechnung getragen, eine gemeinschaftsrechtlich notwendige Korrektur einer Regelung im Rahmen der Auslegung des nationalen Verfahrensrechts zu ermöglichen (zu dieser Verpflichtung vgl. EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432 -, , Slg. I-2271 = BayVBl 2007, 589 = NJW 2007, 3555 sowie Potacs, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress, 2005, S. 729 und Gärditz, NWVBl 2006, 441).

b) Allerdings kann der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 51 Abs. 1 LVwVfG - mit dem Ziel einer erneuten Sachentscheidung über seine Ausweisung und damit auch eine Rücknahme der Ausweisung auf diesem Weg nicht (mehr) beanspruchen.

Der Beklagte hat eine solche erneute Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.03.2005 abgelehnt, ohne dass er hierbei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).

aa) Der Bescheid vom 17.03.2005 ist sowohl in seinem Tenor als auch in der Begründung ausdrücklich auf die Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezogen. Dabei begründet es keinen nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Ermessensfehler, dass die Behörde ihre Ablehnung zunächst unter anderem mit der - sachlich unrichtigen Einlassung - begründet hat, die Ausweisung sei rechtmäßig. Denn der Beklagte hat die materielle Rechtswidrigkeit der Ausweisung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugestanden und daraufhin die Ermessenserwägungen der Ablehnungsentscheidung gemäß § 114 Satz 2 VwGO mit dem Hinweis auf die Erfolglosigkeit der Klage gegen diese Ausweisung in zulässiger Weise ergänzt (zum Ergänzen von Ermessenserwägungen vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 114 Rn. 50; Rennert, a.a.O., § 114 Rn. 89 und Wolff in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 114 Rn. 208).

bb) In der Form dieser Ergänzung begegnet die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und der neuen Sachentscheidung über die Ausweisung des Klägers zunächst keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Denn die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Beklagten, die infolge der innerstaatlichen Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftige, aber materiell gemeinschaftsrechtswidrige Ausweisungsentscheidung zu überprüfen (zu dieser Pflicht vgl. EuGH, Urt. v. 13.01.2004 - C-453/00 -, a.a.O.; Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O. sowie Weiß, DÖV 2008, 477; Pache/Bielitz, DVBl 2006, 325; Britz/Richter, a.a.O.), liegen nicht vor.

Zwar hat der Kläger mit der Stellung seines - erfolglosen - Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 den ihm nach nationalem Recht gegen die Ausweisung eröffneten Rechtsweg ausgeschöpft. Auch beruht das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Denn das Verwaltungsgericht hätte die Ausweisung sowie den sie bestätigenden Widerspruchsbescheid schon deshalb aufheben müssen, weil die Ausweisung unter Verstoß gegen Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG ohne Ermessen als zwingende Rechtsfolge verfügt worden war; außerdem hätte es die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen müssen. Insofern ist unerheblich, ob die Ausweisung hätte rechtsfehlerfrei nach Ermessen ausgesprochen werden können oder ob die Ausweisung - wie der Kläger vorgetragen hat - in jedem Fall gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK verstoßen hätte. Schließlich hat der Kläger mit seinem Rücknahmeantrag den letztlich maßgeblichen Wiederaufgreifensgrund der Änderung der Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern auch zeitnah geltend gemacht. Jedoch hat der Senat bei der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht gegen die Verpflichtung aus Art. 234 Abs. 3 EG zur Einholung einer Vorabentscheidung verstoßen. Denn der Senat war in diesem konkreten Verfahren weder berechtigt noch verpflichtet, die Vereinbarkeit des § 47 AuslG i. V. m. § 12 AufenthG/EWG mit Art. 39 EG und Art. 3 RL 64/221/EWG sowie die Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers zu prüfen. Vielmehr war er nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO an die vom Kläger dargelegten Zulassungsgründe gebunden, die sich gerade nicht auf diese Rechtsfragen bezogen (zur Maßgeblichkeit der nach nationalem Recht zu bestimmenden Prüfungspflicht vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2008 - C-2/06, , a.a.O).

Von dem Erfordernis des pflichtwidrig unterlassenen Vorabentscheidungsersuchens ist auch nicht deshalb abzusehen, weil die Anwendbarkeit des § 47 AuslG i.v.m. § 12 AufenthG/EWG auf die Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wie die Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung zum Zeitpunkt des Antrags auf Zulassung der Berufung durch die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt schien und deshalb eine entsprechende Rüge im Zulassungsantrag voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (zur damaligen Rechtsprechung vergleiche etwa BVerwG, Beschl. v. 29.09.1993 - 1 B 62.93 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 3; Urt. v. 27.10.1978 - 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 und Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247). Zwar dürften die Voraussetzungen für die Verpflichtung einer Behörde zur Berücksichtigung einer späteren Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in den Fällen, in denen die Verwaltungsentscheidung durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist, mit den in den Rechtssachen "Kühne und Heitz" sowie "Kempter" formulierten Kriterien noch nicht in jeder Hinsicht abschießend bestimmt sein (vgl. Britz/Richter, a.a.O.; Frenz, DVBl. 2004, 374, 376). Allerdings erkennt das Gemeinschaftsrecht die Rechtskraft von gemeinschaftsrechtswidrigen Gerichtsentscheidungen grundsätzlich an (EuGH, Urt. v. 16.03.2006 - C-234/04 -, , Slg. I-2585 = DVBl 2006, 569 = NJW 2006, 1577; Urt. v. 30.09.2003 - C-224/01 -, , Slg. I-10239 = NJW 2003, 3539 = DVBl 2003, 1516 = NVwZ 2004, 79; Urt. v. 01.06.1999 - C-126/97 -, , Slg. I-3055) und fordert - außerhalb der nach nationalem Recht gegebenen Möglichkeiten einer Abweichung - eine Durchbrechung der Rechtskraft bislang allein bei einer Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG (hierzu insb. Urt. v. 30.09.2003, a.a.O.; Ruffert, JZ 2004, 620, 621). Darüber hinaus ist es anerkannt, dass der Effektivitätsgrundsatz insoweit stets durch die nationalen prozessualen Regelungen zum Prüfungsumfang der zur Entscheidung befugten Gerichte beschränkt ist (EuGH, Urt. v. 07.06.2007 - C-222/05 u.a. -, , Slg. I-4233 sowie Urt. v. 14.12.1995 - C-430/93 -, , Slg. I-4705).

cc) Die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens und damit auch einer Rücknahme der Ausweisung aufgrund neuer Sachentscheidung hält sich zudem in den Grenzen des nationalen Rechts.

Eine Behörde handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie eine erneute Sachentscheidung unter Hinweis auf die rechtskräftige gerichtliche Bestätigung ihrer Verwaltungsentscheidung ablehnt. Insoweit bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn im Einzelfall Umstände von einer den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht vorliegen und die Aufrechterhaltung des Erstbescheides auch unter Berücksichtigung der Rechtskraft des diesen bestätigenden Urteils schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, Urt. v. 27.01.1994, a.a.O., m.w.N.). Solche Umstände liegen hier jedoch nicht vor.

Es besteht keine allgemeine Verwaltungspraxis, gegenüber der sich die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Verfahrens als gleichheitswidrig erweisen würde. Vielmehr ist für den Beklagten maßgeblich, eine solche Verwaltungspraxis mit Blick auf den dann verbundenen Verwaltungsaufwand gerade zu vermeiden. Auch erscheint die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit der Ausweisung und die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.1998 nicht vor dem Hintergrund der hiermit für den Kläger verbundenen Belastungen als treu- oder sittenwidrig. Denn die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung sind auf den 23.02.2005 befristet worden, so dass der Kläger seitdem wieder ohne weitere Einschränkung nach Maßgabe des § 2 FreizügG/EU ins Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten darf. Da sich der Kläger nach seiner Ausreise im Dezember 1998 bis heute überwiegend in Italien und Frankreich aufgehalten hat, führt die Verweigerung der in der Sache begehrten rückwirkenden Aufhebung der Ausweisung auch nicht dazu, dass dem Kläger eine über die Begründung eines verlängerten rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet verbesserte aufenthaltsrechtliche Stellung vorenthalten würde. Soweit dem Kläger über die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Ausweisungsverfahrens die Möglichkeit genommen wird, mit einem - auf die Aufhebung der Ausweisung gestützten - Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 4 oder 5 StPO in den mit rechtskräftigen Urteilen des Amtsgerichts Raststatt vom 08.08.2002 und des Landgerichts Baden-Baden vom 10.07.2003 abgeschlossenen Strafverfahren wegen unerlaubten Aufenthalts einen Freispruch zu erreichen, ist dies für ihn schon deshalb nicht schlechthin unerträglich, weil der Erfolg eines solchen Antrags durchaus nicht sicher ist und die strafgerichtliche Verurteilungen des Klägers nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Ergehens zu Recht erfolgt sind. Schließlich ist die Aufrechterhaltung der Ausweisung auch nicht deshalb schlechthin unerträglich, weil die Ausweisung und das sie bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe offensichtlich rechtswidrig wären. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Hierbei ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses des die Ausweisung bestätigenden Urteils abzustellen. Eine spätere Klärung der Rechtsfrage und die damit eintretende Evidenz desselben bleiben außer Betracht (zur vergleichbaren Konstellation der Verpflichtung zur Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 LVwVfG vgl. BVerwG Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, AuAS 2008, 28 = InfAuslR 2008, 116 = NVwZ 2008, 326 = DÖV 2008, 329 = DVBl 2008, 189; Urt. v. 17.01.2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709; Beschl. v. 07.07.2004 - 6 C 24/03 -, BVerwGE 121, 226, 229 ff. m.w.N.). Zu dem damit erheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe am 17.02.1998 war die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer auf § 47 AuslG gestützten und damit ohne umfassende Ermessensentscheidung ausgesprochenen Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ebenso wenig evident wie die Notwendigkeit, die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts zu beurteilen. Vielmehr bestand eine ausdrücklich gegenteilige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 29.09.1993, a.a.O.; Urt. v. 11.06.1996, a.a.O.), die erst mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (- 1 C 30/02 -, a.a.O.) aufgegeben wurde.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat sieht nach Ermessen davon ab, das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, denn sie wirft die bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte und für die Weiterentwicklung des Rechts bedeutsame Frage auf, ob die Bindung der Beteiligten nach § 121 VwGO an ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts, mit dem die Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abgewiesen wurde, der Anwendbarkeit des § 48 Abs.1 Satz 1 (L)VwVfG entgegensteht.

Beschluss vom 09.05.2008

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR

festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).