OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.04.2008 - 6 U 199/06
Fundstelle
openJur 2012, 60302
  • Rkr:

Die Einordnung einer Mauer, die von der Grenzlinie geschnitten wird, als Grenzanlage i.S. der §§ 921, 922 BGB ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie auf Teilbereichen ihrer Länge dazu dient, eine Aufschüttung des Grundstücks des einen Nachbarn gegenüber dem Grundstück des anderen Nachbarn abzufangen. Wird eine solche Mauer im Einvernehmen der Nachbarn errichtet, tragen diese, wenn nicht etwas anderes vereinbart ist, nach § 922 Satz 2 BGB die Unterhaltskosten hälftig.

Tenor

1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 06.11.2006 (Az. 5 O 173/06) im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:Es wird festgestellt, dass die Unterhaltungskosten für die mittig auf der Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken W.-Str. 5 A in L., und W-Str. 3 in L. errichtete Trockenmauer aus Porphyr-Bruchsteinen von den Beklagten und den Klägern jeweils zur Hälfte zu tragen sind.2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Parteien sind Nachbarn. Der natürliche Geländeverlauf beider Grundstücke weist ein Gefälle auf. Das Grundstück der Kläger ist im Bereich der Terrasse aufgefüllt, so dass sich dort eine ebene Fläche ergibt. Das Grundstück der Beklagten folgt dagegen weitgehend dem natürlichen Geländeverlauf. Auf der Grenze, teilweise aber auch auf dem Grundstück der Beklagten, befand sich ursprünglich eine Mauer aus Holzpalisaden, die (zumindest auch) dazu diente, die Aufschüttung auf dem Grundstück der Kläger abzustützen. Im Jahr 1997 wurde festgestellt, dass die Holzmauer teilweise auf dem Grund der Beklagten verlief. Als die Kläger die Palisadenwand erneuern wollten, äußerten die Beklagten den Wunsch, dass wegen der ansprechenderen Optik eine Mauer aus Steinen errichtet werde; sie waren bereit, sich an den Kosten einer solchen Mauer zu beteiligen. Nachdem die Kläger verschiedene Angebote eingeholt hatten, beauftragten sie im Einvernehmen mit den Beklagten eine Firma D. aus H. mit der Ausführung. Unter dem 18.06.1998 schlossen die Parteien folgende Vereinbarung:

"zwischen dem Grundstück Gemarkung L., Flurstück Nr. 3274und dem Grundstück Gemarkung L., Flurstück Nr. 3275wird mittig auf der Grundstücksgrenze eine Trenn- bzw. Stützmauer errichtet.Ausführung: Trockenmauer aus Porphyr-Bruchsteinen.Auftraggeber: Eheleute S./Eheleute B.Ausführungsbeginn: & Juni/Juli 1998Die Nachvermessung der Flurstückgrenze wurde durch die Eheleute B. veranlaßt undvon dem öffentlich bestellten Vermessungsingenieurbüro X, Heidelberg durchgeführt.Der von dem ausführenden Auftragnehmer: D., veranschlagte Kostenanteilvon DM &3950,00&. (7150,-/2 +16% - 4,77%) wird von denEheleuten B. übernommen und an den Auftragnehmer D. direkt bezahlt.Die Zufuhr von Baumaterialien und Bearbeitungsmaschinen für sämtlicheArbeiten auf dem Grundstück 3274 wird über das Grundstück 3275 durchgeführt."

Die Vereinbarung wurde durchgeführt. In der Folgezeit traten mehrfach Mängel an der Steinmauer auf, die zunächst von der Firma D. nachgebessert wurden. Seit dem Jahr 2005 ist die Mauer erneut sanierungsbedürftig. Zu der von der Firma D. zugesagten neuerlichen Nachbesserung kam es nicht; über das Vermögen der Firma D. wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagten haben eine Beteiligung an den Kosten der Sanierung der Mauer abgelehnt.

Die Kläger haben die Feststellung beantragt,

dass die Unterhaltungskosten für die mittig auf der Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken W.Str. 5 A in L. und W-Str. 3 in L. errichtete Trockenmauer aus Porphyr-Bruchsteinen von den Beklagten und den Klägern jeweils zur Hälfte zu tragen sind.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Bei der streitgegenständlichen Mauer handele es sich nicht um eine gemeinschaftliche Grenzanlage im Sinne der §§ 921, 922 BGB, weil sie nicht objektiv dem Vorteil beider Grundstücke diene. Sie sei an die Stelle der Holzpalisaden getreten, mit denen die Kläger nach der Aufschüttung ihre Pflicht zur Sicherung des Nachbargrundstücks erfüllt hätten. Die Mauer nütze den Beklagten nichts; ihr Interesse beschränke sich darauf, dass die Mauer optisch ansprechend gestaltet werde und standfest bleibe. Dieses Ergebnis werde durch die Vereinbarung nach Anlage K 1 bestätigt: Aus dem Umstand, dass die Beklagten nach der getroffenen Vereinbarung nicht die Hälfte der tatsächlich anfallenden, sondern die Hälfte der veranschlagten Kosten tragen sollten, sei zu entnehmen, dass etwaige Weiterungen zu Lasten der Kläger gehen sollten. Es sei auch nicht vereinbart worden, dass die unstreitig bis dahin von der Klägerseite getragenen Kosten für die Instandhaltung der Mauer in Zukunft halbiert werden sollten; vielmehr sei nur schriftlich fixiert worden, dass die Beklagten mit der Inanspruchnahme eines Teils ihres Grundstücks einverstanden waren.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgen die Kläger ihr Feststellungsbegehren weiter. Sie tragen vor, die ursprünglich vorhandene 12 m lange Palisadenwand habe nur auf einer Länge von 6 m mit 0,5 m Höhe das Grundstück der Kläger gestützt. Deshalb treffe es nicht zu, dass die streitgegenständliche Steinmauer, deren Errichtung von beiden Parteien in Auftrag gegeben worden sei, lediglich die frühere Palisadenwand ersetze und diese ausschließlich dazu diene, die Benutzung des Grundstücks der Kläger auf einer erhöhten Ebene zu ermöglichen. Die Kläger behaupten, die Beklagten hätten im Zusammenhang mit der Errichtung der Steinmauer im Grenzbereich eine Abgrabung von ca. 0,5 m vorgenommen. Die Steinmauer diene deshalb auch dem Vorteil der Beklagten.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

1. Bei der streitgegenständlichen Steinmauer handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts um eine Grenzanlage im Sinne der §§ 921, 922 BGB. Voraussetzung für das Vorliegen einer Grenzanlage ist zunächst, dass die fragliche Einrichtung von der Grenzlinie - nicht notwendig mittig (BGHZ 143, 1) - geschnitten wird. Das ist hier unstreitig der Fall; die Parteien haben sogar ausdrücklich vereinbart, dass die Mauer mittig auf die Grenze gebaut wird (Anlage K 1). Damit liegt auch die weitere, ungeschriebene Voraussetzung vor, dass die Grenzanlage mit Zustimmung auch der Beklagten errichtet worden ist (vgl. BGH a.a.O.). Nicht erforderlich ist, dass die fragliche Einrichtung (auch) der Grenzscheidung dient (BGHZ 154, 139; offen gelassen noch in BGHZ 112, 1); indessen wird auch diese Funktion durch die streitgegenständliche Mauer erfüllt. Das versteht sich, soweit die Mauer - wie es jedenfalls bei den Palisaden der Fall war - in Bereichen, in denen die Grundstücke auf gleichem Höhenniveau liegen, keine Aufschüttung abzustützen hat(te); nichts anderes gilt aber auch für eine auf der Grenze verlaufende Stützmauer.

Weiter muss die Einrichtung objektiv, also von außen erkennbar (Roth in: Staudinger, BGB, 2002, § 921 Rz. 8), dem Vorteil beider Grundstücke dienen. Auch das ist hier der Fall. Eine Mauer ist als Beispiel einer Grenzanlage in § 921 BGB ausdrücklich genannt; das Gesetz geht nach seiner Formulierung (& eine Mauer & oder eine andere Einrichtung, die zum Vorteil beider Grundstücke dient, &) davon aus, dass eine Grenzmauer regelmäßig zum Vorteil beider Grundstücke dient. Etwas anderes gilt in Streitfall auch nicht deshalb, weil die 1998 errichtete Steinmauer unstreitig zumindest auf Teilbereichen ihrer Länge dazu dient, die Aufschüttung auf dem Grundstück der Kläger gegenüber dem tiefer liegenden Grundstück der Beklagten abzufangen.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof in der auch vom Landgericht zitierten Entscheidung vom 11.10.1996 (V ZR 3/96; NJW-RR 1997, 16) es als zweifelhaft bezeichnet, ob eine Mauer, die der Nachbar an oder auf der Grenze errichtet, allein zu dem Zweck, sein Grundstück aufschütten zu können, eine Grenzeinrichtung, insbesondere eine Einfriedung im Sinne der §§ 32 ff. NachbG NRW, darstellt; von einer Stützmauer zur Aufschüttung des Nachbargrundstücks gehe die Gefahr zusätzlicher Beeinträchtigungen für das nun tiefer liegende Grundstück aus. Abgesehen davon, dass aus der genannten Entscheidung nicht klar hervorgeht, ob sich die genannten Erwägungen auch auf die Frage des Vorliegens einer Grenzeinrichtung nach §§ 921 f. BGB beziehen, ist die Steinmauer im Streitfall nicht einseitig von einem Nachbarn an oder auf der Grenze, sondern im Einverständnis beider Parteien über die Art der Ausführung unter Inanspruchnahme beider Grundstücke errichtet worden. Die Steinmauer ist in ihrer konkreten Ausführungsform als Trockenmauer aus Porphyr-Bruchsteinen unstreitig auf ausdrücklichen Wunsch der Beklagten errichtet worden, die vermeiden wollten, dass die teilweise auf ihrem Grundstück verlaufende Palisadenwand durch eine neue Palisadenwand ersetzt wird, die ja auch knapp an die Grenze heranreichend auf dem Grundstück der Kläger hätte errichtet werden können. Wegen der schöneren Optik und der höherwertigen Ausführung der Trockenmauer aus Porphyr-Bruchsteinen waren die Beklagten bereit, die Benutzung ihres Grundstücks durch eine mittig auf der Grenze zu errichtende Mauer zu dulden und sich an den Errichtungskosten zu beteiligen. Die genannten äußerlich erkennbaren Vorteile treten zur ebenfalls objektiv vorhandenen Funktion der Grenzscheidung hinzu. Dies genügt für die objektive Vorteilhaftigkeit der Grenzanlage; dass die Mauer - wie praktisch jede Grenzanlage - auch Nachteile für das Grundstück der Beklagten haben mag, steht dem nicht entgegen. Auf die Frage, ob die Beklagten die Errichtung der Mauer dazu genutzt haben, auf ihrem Grundstück eine Abgrabung vorzunehmen, kommt es danach ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Mauer nur durch die Kläger oder auch durch die Beklagten in Auftrag gegeben wurde.

2. Damit sind die Beklagten grundsätzlich zur hälftigen Beteiligung an den Unterhaltungskosten der Grenzmauer verpflichtet, § 922 S. 2 BGB. Dem steht § 9 NRG BW nicht entgegen. Dieser regelt die Pflicht desjenigen, der sein Grundstück aufschüttet, zur Einhaltung von angemessenen Grenzabständen oder zur Erstellung und Aufrechterhaltung von Schutzmaßnahmen, um Schädigungen des Nachbargrundstücks zu vermeiden. Solche Schutzmaßnahmen sind, wie sich aus dem Regelungszusammenhang und aus § 903 BGB ergibt, auf dem eigenen Grundstück des Aufschüttenden zu treffen. § 9 NRG betrifft mit anderen Worten die Sicherungsmaßnahmen, die der Nachbar vom Aufschüttenden verlangen kann, ohne dass er sich in irgendeiner Weise an der Gestaltung der Grenze beteiligt. §§ 921, 922 betreffen dagegen den Fall der einvernehmlich errichteten Grenzanlage, bei der beide Grundstücke benutzt werden, und schafft für diese ein Regelungssystem mit Vor- und Nachteilen für beide Seiten, das sogleich näher dargestellt wird. Hier haben die Beklagten eben nicht verlangt, dass die Kläger Sicherungsmaßnahmen allein auf ihrem Grund durchführen, was zur Folge gehabt hätte, dass die Beklagten auf die Gestaltung dieser Sicherungsmaßnahmen keinen Einfluss hätten nehmen können. Sie haben sich vielmehr für die Errichtung einer Grenzanlage im Sinne der §§ 921 f. BGB entschieden, um eine bestimmte Gestaltung der Mauer zu erreichen.

3. Die gesetzliche Regelung des § 922 S. 2 BGB unterliegt allerdings der Disposition der Parteien (Säcker in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl., § 922 Rz. 6). Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der Vereinbarung nach Anlage K 1 aber nicht entnommen werden, dass die Parteien die Unterhaltungslast allein den Klägern zugeordnet hätten.

Die Vereinbarung nach Anlage K 1 enthält keine Regelungen über die Unterhaltungskosten; dass die Parteien an dieses Problem bei der Abfassung des Vertrages gedacht hätten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine Abweichung von der Regel des § 922 S. 2 BGB könnte der Vereinbarung daher nur im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entnommen werden. Dabei kann als einziger Anknüpfungspunkt für einen entsprechenden hypothetischen Parteiwillen der Umstand herangezogen werden, dass die Parteien die Summe, die die Beklagten zahlen sollten, exakt ausgerechnet und in den Vertrag aufgenommen haben; dies mag ein Anhaltspunkt dafür sein, dass es den Beklagten darauf ankam, ihre finanzielle Last auf einen bestimmten Betrag zu begrenzen.

Dies allein rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass die Parteien, wenn sie das Problem möglicher Unterhaltungskosten gesehen hätten, diese nach Treu und Glauben abweichend von § 922 S. 2 BGB allein den Klägern aufgebürdet hätten. Denn hierbei ist die Gesamtheit des Regelungssystems der §§ 921, 922 BGB zu berücksichtigen. Da es sich bei der Steinmauer um eine Grenzanlage nach § 921 BGB handelt, wird nach § 921 BGB vermutet, dass beide Parteien zur Benutzung der Einrichtung gemeinschaftlich berechtigt sind; die Vermutung des § 921 BGB wird durch die getroffene Vereinbarung über die Errichtung der Mauer und durch die Geschichte ihres Zustandekommens bestätigt. Nach § 922 S. 1 BGB kann daher jede Partei die Mauer zu dem Zwecke, der sich aus ihrer Beschaffenheit ergibt, insoweit benutzen, als nicht die Mitbenutzung der anderen Seite beeinträchtigt wird (hier z.B. Bepflanzung). Nach § 922 S. 3 BGB darf die Mauer, solange einer der Nachbarn ein Interesse an ihrem Fortbestand hat, nicht ohne dessen Zustimmung geändert oder beseitigt werden; das gilt auch und gerade für das äußere Erscheinungsbild (BGH NJW 1985, 1485). Bei Berücksichtigung dieses Systems wäre eine einseitige Übernahme der Unterhaltungskosten durch die Kläger ohne weitere Abweichungen vom System der §§ 921, 922 BGB nicht interessengerecht: Die Beklagten könnten sie dann grundsätzlich unbeschränkt zwingen, die Mauer allein auf ihre Kosten instand zu halten, ohne dass die Kläger sich dieser Pflicht dadurch entledigen könnten, dass sie eine andere, ggf. weniger wartungsintensive Mauer errichten lassen (§ 922 S. 3 BGB). Umgekehrt haben die Beklagten nach dem Gesetz als Ausgleich für ihre Pflicht zur Beteiligung an den Unterhaltungskosten die Sicherheit, dass die Mauer auch in Zukunft nicht ohne ihre Zustimmung geändert oder beseitigt werden kann. Eine von der gesetzlichen Reglung abweichende Vertragsregelung kann daher mangels ausdrücklicher Vereinbarung nicht angenommen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.