OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.08.1996 - 20 A 3523/95
Fundstelle
openJur 2012, 75559
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Wohngrundstücks in

F. , Gemarkung F. , Flur 27, Flurstück 31. Zur

Beseitigung des häuslichen Abwassers dient nach den von

Mitarbeitern des Beklagten im Februar 1991 bei einer örtlichen

Óberprüfung getroffenen Feststellungen eine ca. 1 m3 große

Grube mit Óberlauf zu einer ca. 6 m3 großen Grube, die nicht

über einen festen Boden verfügt und der eine weitere ca. 6 m3

große Sickergrube nachgeschaltet ist.

Nach vorheriger Anhörung forderte der Beklagte die Klägerin

mit Ordnungsverfügung vom 5. November 1991 unter Androhung

eines Zwangsgeldes auf, innerhalb von drei Wochen nach

Zustellung die beiden Sickerschächte dicht und dauerhaft zu

verschließen sowie die Klärgrube als abflußlose Grube zu

betreiben. Die Abwasserbeseitigung stelle eine

erlaubnispflichtige, nicht erlaubte und nicht erlaubnisfähige

Gewässerbenutzung dar. Die gegebene Art der

Abwasserbeseitigung beinhalte die Gefahr einer

Grundwasserverunreinigung.

Die Klägerin legte hiergegen durch ihren

Prozeßbevollmächtigten, ihren Sohn, Widerspruch ein, den der

Regierungspräsident L. mit Bescheid vom 28. Mai 1993

zurückwies. Der Widerspruchsbescheid wurde dem

Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 3. Juni 1993 gegen

Postzustellungsurkunde im Wege der Niederlegung bei der Post

zugestellt und in der Folgezeit beim Postamt nicht

abgefordert.

Der Beklagte räumte der Klägerin mit an ihren

Prozeßbevollmächtigten gerichtetem Schreiben vom 27. Januar

1994 eine erneute Frist zur Befolgung der Ordnungsverfügung

ein; der Widerspruch sei durch inzwischen bestandskräftigen

Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 1993 zurückgewiesen worden.

Der Prozeßbevollmächtigte entgegnete, eine

Widerspruchsentscheidung sei ihm nicht zugegangen; gegen eine

abweisende Widerspruchsentscheidung hätte er Klage erhoben.

Daraufhin übersandte der Beklagte dem Prozeßbevollmächtigten

unter dem 4. März 1994 eine Ablichtung des

Widerspruchsbescheides.

Am 25. März 1994 hat die Klägerin Klage erhoben und

zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen

Versäumung der Klagefrist beantragt. Sie hat vorgetragen, ihr

Prozeßbevollmächtigter habe von einer Benachrichtigung der

Post über die Niederlegung des Widerspruchsbescheides keine

Kenntnis erlangt. Der Eingang einer Benachrichtigung werde mit

Nichtwissen bestritten. Postsendungen gelangten über einen

Briefkasten oder über ein gesondertes Paketfach in das Haus

und könnten dort weder weggenommen werden noch verloren gehen.

Ein Benachrichtigungsschein sei jedoch weder vom

Prozeßbevollmächtigten noch von dessen Ehefrau aufgefunden

worden. Anderenfalls wäre das Schreiben bei der Post abgeholt

worden. Um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe

nicht früher nachgesucht werden können. Auf die Mitteilung des

Beklagten vom 27. Januar 1994 habe ein entsprechender Antrag

mangels Kenntnis vom Inhalt des Widerspruchsbescheides nicht

gestellt werden können. Die Ordnungsverfügung sei

rechtswidrig. Die Abwasseranlage des etwa 1870 errichteten

Hauses sei in den 50er Jahren auf den seinerzeitigen

technischen Stand gebracht worden. Das Haus werde allein von

ihr - der Klägerin - bewohnt, so daß Abwasser nur in geringer

Menge anfalle. Das Volumen der ersten Grube belaufe sich auf

mehrere m3 und reiche zur Aufnahme des Abwassers aus. Diese

Grube werde regelmäßig geleert; ein Óberlaufen sei nicht

beobachtet worden. Ein Óberlaufen der zweiten Grube sei

ausgeschlossen. Ein Einleiten von Abwasser in das Grundwasser

finde daher nicht statt. Die Gefahr einer

Grundwasserverunreinigung liege nicht vor. Die angeordnete

Maßnahme sei auch angesichts der Umgebung des Grundstücks

unverhältnismäßig. Für die Zukunft sei eine umfassende

Sanierung des Hauses und der Abwasserbeseitigung geplant.

Die Klägerin hat beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten

vom 5. November 1991 in der Fassung des

Widerspruchsbescheides des

Regierungspräsidenten L. vom 28. Mai

1993 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Seiner Auffassung nach ist die Klage unzulässig und

unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch den

angefochtenen Gerichtsbescheid, auf den Bezug genommen wird,

als unzulässig abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung, die ihr am 18. April 1995

zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 16. Mai 1995

Berufung eingelegt. Ergänzend und vertiefend zu ihrem

bisherigen Vorbringen trägt sie vor, das Verwaltungsgericht

sei seiner Aufklärungs- und Hinweispflicht nicht nachgekommen

und habe die Anforderungen an den Nachweis des unterbliebenen

Zugangs der postalischen Benachrichtigung überspannt. Der

Nichtzugang der Benachrichtigung könne nicht anders als

geschehen nachgewiesen werden. Es werde nicht behauptet, daß

die Post eine Benachrichtigung über den Zustellungsversuch

unterlassen habe. Vielmehr sei eine Benachrichtigung nicht zur

Kenntnis des Prozeßbevollmächtigten gelangt. Der

Prozeßbevollmächtigte erhalte neben mehreren Fachzeitschriften

eine Vielzahl von Werbesendungen; möglicherweise sei der

Benachrichtigungsschein in diese Schriftstücke gelangt und

habe deshalb nicht entdeckt werden können. Anders könne das

Verschwinden des Benachrichtigungsscheines nicht erklärt

werden. Die Umsetzung der Ordnungsverfügung verursache

erhebliche Aufwendungen.

Die Klägerin beantragt,

den angefochtenen Gerichtsbescheid

zu ändern und nach dem

erstinstanzlichen Klageantrag zu

erkennen,

hilfsweise, den angefochtenen

Gerichtsbescheid aufzuheben und die

Sache an das Verwaltungsgericht L.

zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat zu dem Zustellungsvorgang eine Auskunft der

Deutschen Post AG vom 26. Juni 1995 eingeholt, auf die Bezug

genommen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes

wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen

Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der

Widerspruchsbehörde Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist sowohl mit

dem Hauptantrag als auch mit dem Hilfsantrag unzulässig.

Die für die Erhebung der Klage einzuhaltende Frist von

einem Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides (§ 74

Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) ist

nicht gewahrt. Der mit einer fehlerfreien

Rechtsbehelfsbelehrung versehene Widerspruchsbescheid des

Regierungspräsidenten L. vom 28. Mai 1993 ist dem

Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 3. Juni 1993 zugestellt

worden, so daß die Klagefrist mit dem Ende des 5. Juli 1993,

dem auf Samstag, den 3. Juli 1993, folgenden Montag, ablief

57 Abs. 1 und 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 der

Zivilprozeßordnung - ZPO -, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des

Bürgerlichen Gesetzbuches) und die am 25. März 1994 bei

Gericht eingegangene Klage daher verspätet ist. Die Zustellung

ist gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin

ordnungsgemäß im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung

bei der Post (§ 56 Abs. 2 VwGO, § 3 des

Verwaltungszustellungsgesetzes, §§ 182, 195 Abs. 2 ZPO)

bewirkt worden. Ausweislich der Angaben des Postbediensteten

in der Postzustellungsurkunde ist insbesondere eine

schriftliche Benachrichtigung über die Niederlegung in den

Hausbriefkasten eingelegt worden. Die Postzustellungsurkunde

erbringt als öffentliche Urkunde gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den

Beweis dieses Geschehens. Den Gegenbeweis (§ 418 Abs. 2 ZPO)

hat die Klägerin nicht geführt; sie hat keinen

Geschehensablauf behauptet, der die Beweiswirkung der

Postzustellungsurkunde entkräften könnte. Im

Berufungsverfahren hat ihr Prozeßbevollmächtigter in Reaktion

auf die vom Senat eingeholte Auskunft der Deutschen Post AG

vom 26. Juni 1995 hervorgehoben, daß sein Vortrag nicht darauf

abzielt, die Richtigkeit der urkundlich vermerkten Tatsache

des Einlegens des Benachrichtigungsscheins in den Briefkasten

zu erschüttern; der Prozeßbevollmächtigte behauptet

ausdrücklich nicht, daß die Post die Benachrichtigung

unterlassen habe. Seine durch die Schilderung der für den

Erhalt von Post wesentlichen Gegebenheiten näher

substantiierte Behauptung, keine Kenntnis von dem

Benachrichtigungsschein erlangt zu haben, betrifft keinen für

die Ersatzzustellung im Sinne des § 182 ZPO

entscheidungserheblichen Vorgang. Denn mit der Niederlegung

bei der Post und der Einlegung einer Mitteilung hierüber in

den Briefkasten und damit in den Empfangsbereich des

Zustellungsadressaten ist das Zustellungsverfahren

abgeschlossen. Die Kenntnisnahme von der Mitteilung gehört

nicht zur Zustellung des zuzustellenden Schriftstücks.

Vgl. BVerwG, Beschluß vom 16. Mai

1986 - 4 CB 8.86 -, NJW 1986, 2127;

Urteil vom 13. November 1984 - 9 C

23.84 -, NJW 1985, 1179; BGH, Beschluß

vom 15. Juni 1994 - IV ZB 6/94 -, NJW

1994, 2898.

Außerdem läßt das Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten, das

Nichtauffinden des Benachrichtigungsscheines sei lediglich

durch die sonstigen in den Briefkasten eingelegten

Postsendungen und Werbematerialien zu erklären, auch mit Blick

auf die vom Postzusteller seiner Darstellung vom 26. Juni 1995

zufolge bei Zustellungen dieser Art üblicherweise geübte

Praxis die Möglichkeit der Richtigkeit der Angaben in der

Postzustellungsurkunde offen. Besteht eine solche Möglichkeit

aber, ist die Beweiswirkung einer öffentlichen Urkunde nicht

widerlegt.

Vgl. BVerwG, Beschluß vom 7. Oktober

1993 - 4 B 166.93 -, NJW 1994, 535;

Beschluß vom 19. Februar 1992 - 4 B

32.92 -, Buchholz 310 § 98 VwGO

Nr. 42.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der

Klagefrist kann der Klägerin nicht gewährt werden. Sie war

nicht im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ohne eigenes oder ihr

zuzurechnendes Verschulden verhindert, die Klagefrist

einzuhalten. Unverschuldet ist eine Fristversäumnis, wenn dem

Betreffenden nach den gesamten Umständen kein Vorwurf daraus

zu machen ist, daß er die Frist versäumt hat, ihm also die

Einhaltung der Frist nicht zumutbar war. Das erfordert, daß

die Fristversäumnis auch bei Anwendung derjenigen Sorgfalt

nicht zu vermeiden war, die für einen gewissenhaften, seine

Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Prozeßführenden

geboten und zuzumuten war.

Vgl. BVerwG, Beschluß vom 4. Oktober

1991 - 6 B 10.91 -, Buchholz 310 § 60

VwGO Nr. 173; Beschluß vom 8. April

1991 - 2 C 32.90 -, Buchholz 310 § 139

VwGO Nr. 81; Beschluß vom 5. Februar

1990 - 9 B 506.89 -, Buchholz 310 § 60

VwGO Nr. 168.

Das gebotene Maß an Sorgfalt bestimmt sich unter

Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalles, wobei

einerseits eine verfassungsrechtlich mit Blick auf die

Rechtsschutzgewährleistung und den Anspruch auf rechtliches

Gehör nicht zu vereinbarende Erschwerung der Anforderungen zu

vermeiden ist und andererseits die Erfordernisse der

Rechtssicherheit sowie Rechtsklarheit hinreichend beachtet

werden müssen.

Nach diesem Maßstab ist die Klagefrist unter

Außerachtlassung der vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin

zu verlangenden angemessenen Sorgfalt versäumt worden; das ist

der Klägerin zuzurechnen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

Nach Darstellung des Prozeßbevollmächtigten ist die Klage

deshalb nicht fristgerecht erhoben worden, weil ihm die

(Ersatz-)Zustellung des Widerspruchsbescheides mangels

Kenntnis von dem in den Briefkasten gelangten

Benachrichtigungsschein nicht bekannt war. Von dem

Prozeßbevollmächtigten war, zumal ihm als Rechtsanwalt die

verschiedenen Arten der Zustellung behördlicher Bescheide

einschließlich des Verfahrens einer Ersatzzustellung geläufig

sind, die Schaffung ausreichender Vorkehrungen dafür zu

erwarten, daß er die an ihn gerichtete Post tatsächlich

erhielt. Zur Sicherstellung des tatsächlichen Empfangs von

Post reicht es nicht allein aus, einen geeigneten Briefkasten

anzubringen und regelmäßig zu entleeren. Erforderlich ist

darüber hinaus auch, daß die in den Briefkasten gelangende

Post gründlich durchgesehen und kontrolliert wird, damit

Schriftstücke nicht übersehen werden oder verlorengehen. Ohne

eine sorgfältige Óberprüfung des Inhalts des Briefkastens ist

die für einen geordneten Rechtsverkehr unerläßliche

Kenntnisnahme von eingehender Post in unvertretbarer Weise

gefährdet. Dementsprechend wird der Adressat einer gegen

Postzustellungsurkunde zuzustellenden Postsendung durch die

Gestaltung des von der Post üblicherweise benutzten Formulars

über die Benachrichtigung von der Ersatzzustellung, die der

Prozeßbevollmächtigte im Anschluß an eine gerichtliche

Entscheidung

- FG L. , Urteil vom 10. September

1993 - 8 K 1038/91 -, EFG 1994,

183 -

als ungünstig und risikoreich betrachtet, in bezug auf die

Verläßlichkeit der zu ergreifenden Maßnahmen nicht entlastet.

Im Gegenteil obliegt es dem Adressaten, sich in der Behandlung

seiner Post auf die ihm bekannten tatsächlichen Gegebenheiten

einzustellen. Er hat sich auf die Beschaffenheit postalischer

Benachrichtigungsscheine derart einzurichten, daß ein solcher

Schein mit zureichender Genauigkeit aus sonstigen

Postsendungen und etwaigem Werbematerial aussortiert und

wahrgenommen wird.

Vgl. BFH, Urteil vom 13. Juli 1995

- V R 51/94 -; OLG Düsseldorf, Beschluß

vom 1. Dezember 1994 - 13 U 277/93 -;

Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann,

ZPO, 54. Aufl., § 233 Rdnr. 35.

Dem Sachvortrag der Klägerin ist nicht zu entnehmen, daß

diesen Anforderungen mit der notwendigen Achtsamkeit genüge

getan worden ist. Der Briefkasten des Prozeßbevollmächtigten

war ausschließlich diesem und seiner Ehefrau zugänglich, so

daß als Grund für die mangelnde Kenntnisnahme von dem

Benachrichtigungsschein allein das Abhandenkommen, das

Óbersehen oder das sonstige Außerachtlassen des Scheins bei

bzw. nach der Leerung des Briefkastens in Frage kommen. Dies

wiederum kann, was auch der Prozeßbevollmächtigte geltend

macht, allein darauf zurückgehen, daß sich bei der Leerung

neben dem Benachrichtigungsschein sonstige Postsendungen

und/oder Werbematerialien in dem Briefkasten befanden, die

anschließend nicht, nicht vollständig und nicht sorgfältig

gelesen bzw. zumindest durchgeblättert worden sind. Der

Prozeßbevollmächtigte verweist insoweit auf den Bezug mehrerer

zum Teil umfänglicher Fachzeitschriften und eine Vielzahl von

Werbesendungen; er lehnt sich mit diesem Vorbringen

ersichtlich an den Sachverhalt an, der der von ihm

herangezogenen Gerichtsentscheidung zugrunde liegt. Ungeachtet

dessen, daß diese Entscheidung - wie dargelegt - von einem

unzutreffenden Sorgfaltsmaßstab ausgeht und im Widerspruch zur

Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes als dem im Instanzenzug

übergeordneten Gericht steht,

- vgl. BFH, Urteil vom 13. Juli 1995

- V R 51/94 -, m.w.N. -,

und weiter abgesehen davon, daß speziell für den Tag des

Zustellungsversuches, den 3. Juni 1993, mangels

substantiierter Darlegung völlig ungewiß ist, ob derartige

pauschal angeführte Schriftstücke tatsächlich in den

Briefkasten gelangt sind, erklärt eine Fülle von

unterschiedlicher Post und Werbematerialien nicht, warum der

Benachrichtigungsschein, sollte er etwa in eine Zeitschrift

oder in ein nicht verschlossenes Werbefaltblatt geraten sein,

dort - wie der Prozeßbevollmächtigte meint - zumutbarerweise

nicht entdeckt werden konnte. Ein auch nur annähernd

greifbarer Anhaltspunkt dafür, daß eine sorgsame

Unterscheidung der "wichtigen" Post von ungelesen beiseite

gelegten bzw. möglicherweise - in bezug auf das

Werbematerial - ungeprüft fortgeworfenen Schriftstücken

vorgenommen worden ist, ist weder dargetan worden noch sonst

ersichtlich. Den Prozeßbevollmächtigten vermag nicht zu

entlasten, daß üblicherweise seine Ehefrau die Post aus dem

Briefkasten nahm. Die Ehefrau war weder Hilfsperson des

Prozeßbevollmächtigten im Sinne der Grundsätze über die

gebotene Organisation eines Rechtsanwaltbüros,

vgl. hierzu Kopp, VwGO, 10. Aufl.,

§ 60 Rdnr. 16,

noch hat sie dem Prozeßbevollmächtigten den

Benachrichtigungsschein eigenmächtig vorenthalten. Sie hat

vielmehr bei der Behandlung der Post in erkennbarer

Óbereinstimmung mit dem Prozeßbevollmächtigten gehandelt.

Fachzeitschriften werden typischerweise zumindest mit einem

gewissen Zeitabstand zur Hand genommen, damit sie ihren

Informationszweck erfüllen. Das schließt ein endgültiges

Verschwinden eines zufälligerweise in eine solche Zeitschrift

gelangten Benachrichtigungsscheines, wie es vorliegend in Rede

steht, regelmäßig aus. In bezug auf (offene) Werbesendungen

ist eine auch nur flüchtige Durchsicht geeignet, einen etwa

hineingerutschten losen Zettel wie den Benachrichtigungsschein

über die Ersatzzustellung aufzufinden. Ein solches Vorgehen

ist im Interesse der Rechtssicherheit auch zumutbar, zumal der

Erhalt von Werbesendungen durch entsprechende Aufkleber am

Briefkasten weitgehend unterbunden, jedenfalls aber auf ein

verträgliches Maß begrenzt werden kann.

Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet

auch deshalb aus, weil der Antrag nicht innerhalb der Frist

von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (§ 60 Abs. 2

Satz 1 VwGO) gestellt und die Klage nicht innerhalb dieser

Frist erhoben (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO) worden ist. Das

Hindernis fällt weg, sobald die bisherige Ursache der

Fristversäumnis beseitigt ist. Das ist der Fall, wenn der

Eintritt der Säumnis erkannt worden ist oder bei Anwendung der

zu erwartenden Sorgfalt hätte erkannt werden können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni

1995 - 1 C 38.93 -, Buchholz 310 § 60

VwGO Nr. 200; BGH, Beschluß vom 6. Juli

1994 - VIII ZB 12/94 -, NJW 1994, 2831;

Beschluß vom 9. Dezember 1992 - VIII ZB

30/92 -, NJW 1993, 1332.

Hier bestand das Hindernis in der mangelnden Kenntnis von

der (Ersatz-)Zustellung des Widerspruchsbescheides und damit

vom Beginn der Klagefrist. Es war deshalb in dem Zeitpunkt

behoben, als der Klägerin bzw. ihrem Prozeßbevollmächtigten

bekannt wurde, daß ein Widerspruchsbescheid ergangen war.

Diese Kenntnis erlangte der Prozeßbevollmächtigte durch das

Schreiben des Beklagten vom 27. Januar 1994, das ihm

spätestens am 7. Februar 1994 vorlag. Durch dieses Schreiben

wurde der Prozeßbevollmächtigte, der zuvor auf die Vorlage des

Widerspruchs an den Regierungspräsidenten L. hingewiesen

worden war, zuverlässig davon informiert, daß der Widerspruch

durch Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 1993 zurückgewiesen

worden war. Wenngleich damit keine ausdrückliche Mitteilung

von einer erfolgten Zustellung des Widerspruchsbescheides

verbunden war, mußte das Schreiben des Beklagten vom

27. Januar 1994 doch dringenden Anlaß zu der Óberlegung geben,

daß das Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen und

deshalb die Klagefrist bereits verstrichen war. Eine

Klageerhebung in nach § 60 Abs. 2 Sätze 1 und 3 VwGO

fristgerechter Reaktion auf das Schreiben des Beklagten vom

27. Januar 1994 war auch nicht deshalb unzumutbar, weil die

Aussagen im Widerspruchsbescheid noch nicht im einzelnen

bekannt waren und der Beklagte der unter dem 7. Februar 1994

geäußerten Bitte um Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides

erst Anfang März 1994 in Form der Óbersendung einer

entsprechenden Ablichtung nachkam. Denn Gegenstand einer

möglichen Klage hatte, was der Prozeßbevollmächtigte als

Rechtsanwalt wußte, nicht der Widerspruchsbescheid zu sein,

sondern die Ordnungsverfügung in der Gestalt, die sie durch

den Widerspruchsbescheid erlangt hatte (§ 79 Abs. 1 Nr. 1

VwGO). Damit kam es weniger auf die Kenntnis von den

Einzelheiten der Ausführungen im Widerspruchsbescheid, vor

allem seiner Begründung, an. Ausschlaggebend war vielmehr, daß

aus der Zurückweisung des Widerspruches auf die Fortgeltung

der durch die Ordnungsverfügung vom 5. November 1991 gesetzten

Anordnungen zu schließen war. Zur Abwehr der vom Beklagten

verfügten Regelung konnte daher umgehend Klage erhoben - und

Wiedereinsetzung beantragt - werden. Die Klagebegründung

konnte im Hinblick auf die noch nicht bekannte rechtliche und

tatsächliche Argumentation der Widerspruchsbehörde zunächst

zurückgestellt werden, wenn denn nicht die Zurückweisung des

Widerspruches den Rückschluß jedenfalls sehr nahelegte, die

vorgetragene Widerspruchsbegründung stelle aus der Sicht der

Widerspruchsbehörde die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der

Ordnungsverfügung nicht durchgreifend in Frage. Als eine

Klageerhebung "ins Blaue hinein" hätte ein solches Vorgehen

gegen die Ordnungsverfügung nicht betrachtet werden können.

Das zeigt sich auch daran, daß der Prozeßbevollmächtigte der

Klägerin unter dem 7. Februar 1994, also noch in Unkenntnis

der näheren Einzelheiten des Widerspruchsbescheides, selbst

geäußert hat, er hätte gegen eine ihm zugegangene abweisende

Widerspruchsentscheidung Klage erhoben; daß eine solche

Widerspruchsentscheidung ergangen war, war indessen dem

Schreiben des Beklagten vom 27. Januar 1994 unmißverständlich

zu entnehmen.

Der Hilfsantrag setzt voraus, daß das Verwaltungsgericht

die Zulässigkeit der Klage verkannt und deshalb nicht zur

eigentlichen Sache entschieden hat (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Das trifft - wie ausgeführt - nicht zu. Weil die Klage

verfristet ist, ist über ihre Begründetheit (§ 113 Abs. 1

Satz 1 VwGO) gerade nicht zu befinden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die

Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167

VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen

der §§ 132 Abs. 2, 137 Abs. 1 VwGO nicht vorliegen.