OLG Rostock, Beschluss vom 13.10.2011 - 2 Ss (OWi) 72/11 I 197/11
Fundstelle
openJur 2012, 55589
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Neustrelitz verhängte gegen den Betroffenen mit Urteil vom 15.12.2010 - 8 OWi 351/10 - wegen fahrlässiger Überschreitung der (außerorts) zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 120,00 Euro. Gegen diese in Abwesenheit des Betroffenen verkündete Entscheidung, die ihm am 21.01.2011 förmlich zugestellt worden ist, richtet sich der am 24.01.2011 bei Gericht eingegangene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom selben Tag. Das Rechtsmittel ist mit am 21.02.2011 bei Gericht eingegangenem, von dem Verteidiger unterzeichnetem Schriftsatz vom selben Tag mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet und mit Anträgen versehen worden.

II.

Das gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2, § 80 OWiG statthafte Rechtsmittel ist innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen angebracht und begründet worden, mithin zulässig.

Es erweist sich jedoch als unbegründet. Bei einer Geldbuße von, wie vorliegend, mehr als einhundert, aber nicht mehr als zweihundertfünfzig Euro wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des sachlichen Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§§ 79 Abs. 1, 80 Abs. 1 OWiG).

Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.

1.)

Umstände, nach denen es geboten sein könnte, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des sachlichen Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, sind aus den Gründen des angefochtenen Urteils nicht ersichtlich und werden auch von der Antragsbegründung nicht aufgezeigt.

2.)

Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wurde zwar in zulässiger Weise erhoben, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

a)

Die Tatsachen, aus denen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hergeleitet werden, sind entsprechend § 80 Abs. 3 Satz 3, § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO in Form der Verfahrensrüge geltend zu machen. Diese ist nur dann ordnungsgemäß erhoben und ausgeführt, wenn die den Mangel enthaltenen Tatsachen so vollständig dargelegt werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aus der Begründungsschrift - ohne Rückgriff auf die ihm nicht offen stehenden Akten - ersehen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen zutrifft. Im anschließenden Freibeweisverfahren ist zu klären, ob sich der Rechtsbeschwerdevortrag auch tatsächlich bestätigt (vgl. KK-Senge, 3. Aufl. OWiG § 80 Rn 41b, c).

Der Betroffene macht die Gesetzwidrigkeit der Verwerfung seines Ablehnungsgesuches als unzulässig geltend und rügt damit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 05.01.2007, 1 Ss OWi 814/06, Abs. Nr 15; OLG Düsseldorf Beschl. v. 05.10.2006, IV-5 Ss (OWi) 175/06 - (OWi) 127/06 I, 5 Ss (OWi) 175/06 - (OWi) 127/06 I, Abs. Nr. 3; BVerfG, Beschl. v. 02.06.2005 - 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01, Abs. Nr. 56, 60 f., 71-73). Für eine ordnungsgemäße Rüge ist der Wortlaut des Ablehnungsantrages und des verwerfenden bzw. des zurückweisenden Beschlusses und der Inhalt der dienstlichen Äußerung nach § 26 Abs. 3 StPO wiederzugeben (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 05.01.2007, 1 Ss OWi 814/06, Abs. Nr. 13).

Die Rüge genügt den vorbezeichneten Anforderungen, insbesondere hat der Betroffene den Inhalt des Ablehnungsantrages und des zurückweisenden Beschlusses wiedergegeben. Eine dienstliche Äußerung nach § 26 Abs. 3 StPO lag nicht vor und konnte daher auch nicht mitgeteilt werden.

b)

Es liegt jedoch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, da das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zu Recht als unzulässig im Verfahren nach § 26a StPO verworfen wurde. Zwar greift das Abstellen des abgelehnten Richters auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 26a Abs. 1 Nr. 2 2. Alt., Nr. 3 StPO nicht durch. Die Begründung des Gesuchs des Betroffenen war jedoch völlig ungeeignet zur Rechtfertigung der Richterablehnung, was dem Fehlen eines Ablehnungsgrundes i.S.v. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 26a Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. gleichsteht, weshalb sich das Gesuch aus einem anderen als vom Amtsgericht angenommenen Grund als unzulässig erweist.

aa)

§ 26 a StPO ist eine der Vereinfachung des Ablehnungsverfahrens dienende Vorschrift. Sie ist eng auszulegen, weil sie nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern will. In Fällen, in denen die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig beantwortet werden kann, ist das Regelverfahren nach § 27 StPO zu wählen, damit eine Entscheidung in eigener Sache vermieden wird. Auf Fälle "offensichtlicher Unbegründetheit" darf das Ablehnungsverfahren nicht ausgeweitet werden.

Der abgelehnte Richter darf keinesfalls eine inhaltliche Entscheidung über das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch treffen. Eine Verwerfung als unzulässig wird also nur dann in Betracht kommen, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein - ohne jede weitere Aktenkenntnis - offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag. Bei der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs ist das Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen (vgl. Meyer-Goßner, 54. Aufl. StPO § 26a Rn 4a; BVerfG, Beschl. v. 02.06.2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01, Abs. Nr. 53-55.).

Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch daher, wenn der Ablehnende die bloße Tatsache beanstandet, ein Richter habe an einer Vor- oder Zwischenentscheidung mitgewirkt. Erfordert das Ablehnungsgesuch hingegen die Prüfung der Art und Weise der Mitwirkung, hat das Gericht nach § 27 StPO vorzugehen. Wird ausschließlich die Frage nach dem "Ob" der Beteiligung aufgeworfen, kann nach § 26 a StPO entschieden werden; die Frage nach dem "Wie" der Mitwirkung erfordert ein Verfahren nach § 27 StPO. Ist ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Ablehnung nach § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist dann, weil von dem Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt, willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (BVerfG, NStZ-RR 2007, 275).

bb)

Danach durfte das Amtsgericht seine Entscheidung allerdings nicht auf § 26 a Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. stützen. Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches wurde zwar formal mit der fehlenden Angabe eines Mittels zur Glaubhaftmachung begründet. Das Amtsgericht hat aber auf die Glaubhaftmachung der Gründe für den Terminsverlegungsantrag abgestellt und dabei außer Betracht gelassen, dass zum einen der Ablehnungsgrund glaubhaft zu machen ist und zum anderen es seiner Glaubhaftmachung ausnahmsweise dann nicht bedarf, wenn sich die Richtigkeit des Vorbringens aus den Akten ergibt oder der von einem Verteidiger verfasste Antrag dessen eigene Wahrnehmungen enthält (vgl. KK-Fischer, StPO, 6. Aufl., § 26 Rn. 4). Das war vorliegend der Fall, weil sich der Terminsverlegungsantrag, das ärztliche Attest für den erkrankten Sohn des Verteidigers und der die Terminsverlegung ablehnende Beschluss, auf den das Ablehnungsgesuch gestützt wurde, in den Sachakten befanden und darüber hinaus nur eigene Wahrnehmungen des Verteidigers vorgetragen wurden.

Auch war die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht wegen offensichtlicher Verschleppung des Verfahrens gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO gerechtfertigt. Verschleppungsabsicht liegt vor, wenn mit dem Ablehnungsantrag nicht das Ausscheiden des Richters, sondern ausschließlich eine Verzögerung des Verfahrens bezweckt wird. Erforderlich ist stets, dass der Antragsteller die verfahrensfremden Zwecke oder die zeitliche Verzögerung des Verfahrens ausschließlich verfolgt, also verfahrensrechtlich erlaubte Ziele auch nicht als Nebenziele erstrebt. Die genannten Voraussetzungen für die Verwerfung eines Ablehnungsantrages müssen offensichtlich, das heißt ohne jeden Zweifel gegeben sein (KG Berlin VRS 115, 132).

Das war nicht der Fall. Der Verteidiger hatte wegen der am 14.12.2010 erfolgten Erkrankung seines Kindes am selben Tag beantragt, den auf den 15.12.2010 erstmalig anberaumten Termin zu verlegen, um an der Hauptverhandlung teilnehmen zu können, in der die Vernehmung mehrerer Zeugen vorgesehen war und die Vernehmung des Zeugen A. erfolgt ist. Daraus ergibt sich jedenfalls keine offensichtlich ausschließlich zur Verzögerung der Hauptverhandlung bezweckte Ablehnung, zumal der vom Gericht geladene Entlastungszeuge S. ebenfalls eine Erkrankung angezeigt hatte.

cc)

Die Begründung des Ablehnungsgesuchs des Betroffenen war jedoch völlig ungeeignet, was dem Fehlen eines Ablehnungsgrundes i.S.v. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 26a Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. gleichsteht, so dass das Amtsgericht das Ablehnungsgesuch aus diesem Grund hätte als unzulässig verwerfen müssen.

(1) Dem Fehlen einer Begründung des Ablehnungsgesuchs steht gleich, dass die Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist.

Die Annahme, ein Ablehnungsgesuch, dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet sei, stehe einem Ablehnungsgesuch ohne Angabe eines Ablehnungsgrundes gleich, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Völlige Ungeeignetheit im Sinne des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist dann anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür werden regelmäßig nur solche Gesuche in Betracht kommen, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne weiteres aus der Stellung des Richters ergeben.

(2) Das ist hier der Fall: In dem Ablehnungsantrag vom 15.12.2010 wurde nicht zuletzt die Auffassung vertreten, der Richter sei bei seiner Entscheidung, dem Terminsverlegungsantrag nicht zu entsprechen, "willkürlich und grob fehlerhaft mit Verfahrensfragen" umgegangen, habe das Interesse des Betroffenen an der Verteidigung durch seinen Wahlverteidiger nicht ausreichend berücksichtigt und die zeitlichen Möglichkeiten des Betroffenen, sich selbst vor Gericht zu verteidigen, fehlerhaft beurteilt. Hiernach dürfe der Betroffene annehmen, dass (auch) in der Sache eine Voreingenommenheit des Richters bestehe.

Inhaltlich beschränkt sich das Ablehnungsgesuch letztlich auf die Geltendmachung einer vermeintlich fehlerhaften Bescheidung eines Terminsverlegungsantrages. Die Begründung ist damit völlig ungeeignet, da allein evtl. vorliegende Verfahrensverstöße, namentlich rechtlich fehlerhafte Maßnahmen oder Zwischenentscheidungen, grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. KK-Fischer, 6. Aufl. StPO § 24 Rn 19; BVerfG, Beschl. v. 27. 4. 2007 - 2 BvR 1674/06, NStZ-RR 2007, 275, 277).

Anders ist es nur, wenn etwa ein in Verteidigungsrechte des Angeklagten eingreifendes Verhalten des Richters jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt oder wenn ein Richter auf berechtigte Anliegen eines Verteidigers ganz unangemessen reagiert bzw. wenn das prozessuale Vorgehen eines Richters den Eindruck der Willkür vermittelt (Fischer aaO). Wird ein solches Verhalten behauptet, kommt eine Verwerfung wegen Unzulässigkeit nur in Betracht, wenn die Begründung ohne weitere Sachprüfung als völlig abwegig beurteilt werden kann.

Im vorliegenden Fall wurde in dem Ablehnungsantrag zu solchen besonderen Umständen nicht ausreichend vorgetragen. Wenn ein Richter im Rahmen der Behandlung eines Terminsverlegungsantrages meint, der Betroffene müsse sich bei Verhinderung seines Wahlverteidigers ggf. eines anderen Verteidigers bedienen, lässt dies keine unsachliche, voreingenommene Befassung erkennen. Bei derartigen Terminsverlegungsanträgen ist zu prüfen, ob die Fürsorgepflicht und das Gebot des fairen Verfahrens es gebietet, eine Hauptverhandlung in Gegenwart des gewählten Verteidigers zu ermöglichen, etwa wenn es nach der Bedeutung der Bußgeldsache und ihrer tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit dem Betroffenen nicht zuzumuten gewesen wäre, sich allein zu verteidigen (vgl. OLG Köln Beschl. v. 22.10.2004 8 Ss-OWi 48/04, DAR 2005, 576-577). Die Bedeutung der Sache ist somit einzubeziehen und zu bewerten. Ob es bei der vorliegenden Sache tatsächlich noch angemessen war, von einer eher geringen Bedeutung auszugehen und darauf die Entscheidung zu stützen, dem Betroffenen das Erscheinen ohne seinen Wahlverteidiger zuzumuten, kann dahingestellt bleiben; jedenfalls liegt allenfalls eine rechtsfehlerhafte Behandlung des Terminsverlegungsantrages vor, welche aber nicht geeignet war, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

dd)

Da das Amtsgericht das Gesuch im Ergebnis - wenn auch aus einem anderen Grund als geschehen - als unzulässig hätte verwerfen müssen, konnte die hierauf gestützte Verfahrensrüge keinen Erfolg haben. An einem Austausch des Verwerfungsgrundes innerhalb des § 26 a Abs. 1 StPO ist schon das Revisionsgericht in Strafsachen nicht gehindert (vgl. BGH NStZ 2006, 644; BGH StV 2008, 562; BVerfG NStZ-RR 2006, 379), so dass dies erst recht in Bußgeldsachen zu gelten hat.

3.)

Nach alledem konnte der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde keinen Erfolg haben und war kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.