OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 - 1 Ss 31/11 I 47/11
Fundstelle
openJur 2012, 55554
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Wismar vom 01.10.2010 - 4 Ds 336/09 - mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Wismar zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassener Anklage vom 18.11.2009 legt die Staatsanwaltschaft Schwerin den - einschlägig vorbestraften - Angeklagten zur Last, sich im Zeitraum vom 12.08.2006 bis 07.11.2006 in ..., gemeinschaftlich handelnd, des Verwendens von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation gem. § 86 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB schuldig gemacht zu haben.

Im Einzelnen heißt es in der Anklageschrift:

"Zum Tatzeitpunkt waren die Angeschuldigten Geschäftsführer der ... ..., die in der ... ... ihren Sitz hatte und als sogenannter "Werwolfshop" in der rechtsorientierten Szene Bekanntheit erlangte. Dort wurden unter anderem Tonträger, Bekleidungsgegenstände und sonstige Devotionalien der rechten Szene an interessierte Kunden verkauft. Zu Werbezwecken hatten die Angeschuldigten am Eingangsbereich des Shops einen an der Hauswand befestigten und weithin sichtbaren Aufsteller angebracht, auf dem auf jeder Seite neben der Bezeichnung "Werwolfshop" in altdeutscher Schrift auch das Stadtwappen der Hansestadt ... und das Truppenkennzeichen der 2. SS-Panzer-Division "Das Reich" abgebildet war. Bei diesem Kennzeichen handelt es sich um ein gespiegeltes Z mit einem waagerechten Mittelbalken, welches um 90 Grad nach rechts gedreht wurde. Das von der 2. SS-Panzer-Division "Das Reich" genutzte Truppenkennzeichen ist schwarz gefasst, weiß umrandet und befindet sich auf einem schwarzen Schild, der weiß umrandet ist. Derartige Truppenkennzeichen dienten einer Division als Erkennungszeichen.

Die auf der Werbetafel des Ladengeschäfts "Werwolfshop" abgebildeten Kennzeichen entsprechen in ihrer Grafik vollständig diesem Truppenkennzeichen. Lediglich die abgebildeten Zeichen wurden schwarz gefasst, waren rot umrandet und befinden sich auf einem weißen Schild, der schwarz umrandet ist."

Von vorbezeichnetem Tatvorwurf hat das Amtsgericht Wismar die Angeklagten mit Urteil vom 01.10.2010 - 4 Ds 336/09 - freigesprochen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Schwerin mit ihrem am 04.10.2010 beim Amtsgericht Wismar eingegangen Rechtsmittel im Schriftsatz vom selben Tage, das innerhalb der dafür bestimmten Frist mit weiterem Schriftsatz vom 30.12.2010 unter Anbringung der Revisionsanträge als Revision bezeichnet und mit der näher ausgeführten Rüge der Verletzungen materiellen Rechts begründet worden ist.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, da die Erwägungen, aus denen das Amtsgericht die Tat der Angeklagten nicht für strafbar erachtet hat, der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten.

1.

Das amtsgerichtliche Urteil genügt sowohl von den Feststellungen als auch von der rechtlichen Begründung her nicht den an ein freisprechendes Urteil gemäß § 267 Abs. 5 StPO zu stellenden Anforderungen.

a.) Gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO müssen die Gründe des freisprechenden Urteils zunächst ergeben, ob dies aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen geschieht. Beim Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen darüber hinaus die erwiesenen Tatsachen dargestellt sowie ausgeführt werden, aus welchen Gründen das Gericht sie nicht für strafbar hält; einer Beweiswürdigung bedarf es dann nicht. Die Urteilgründe müssen eine erschöpfende Würdigung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat aus allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten enthalten (vgl. dazu KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl. § 267 Rz. 42 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. § 267 Rz. 34).

b.) Den vorstehenden Anforderungen genügt das amtsgerichtliche Urteil nicht. Es bleiben schon die Grundlagen der amtsgerichtlichen Feststellungen im Dunkeln, da zwar der Gesamtzusammenhang der Urteilgründe dafür spricht, der austenorierte Freispruch beruhe auf Rechtsgründen, andererseits jedoch ausgeführt wird, die Angeklagten seien "aus tatsächlichen Gründen freizusprechen" gewesen (UA Bl. 5). Auch wird zwar der der Anklage zugrunde liegende Sachverhalt vollständig referiert, es bleibt im Rahmen der weiteren Ausführungen jedoch offen, welche eigenen Feststellungen das Amtsgericht im Rahmen der Hauptverhandlung getroffen hat.

2.

Das erkennende Gericht hat darüber hinaus das Vorliegen der Voraussetzungen des Verwendens des Kennzeichens einer verfassungswidriger Organisation nach § 86 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB rechtsfehlerhaft verneint.

a.) Gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB wird bestraft, wer im Inland Kennzeichen (namentlich u.a. Fahnen oder Abzeichen, § 86 Abs. 2 Satz 1 StGB) oder diesen zum Verwechseln ähnliche Zeichen (§ 86 Abs. 2 Satz 2 StGB) einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen (u.a. ehemalige nationalsozialistische Organisationen, § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB) verbreitet oder öffentlich verwendet.

aa.) § 86 a StGB dient der Abwehr der symbolhaft durch die Verwendung eines Kennzeichens ausgedrückten Wiederbelebung bestimmter verfassungsfeindlicher Organisationen. Als abstraktes Gefährdungsdelikt wehrt die Vorschrift Gefahren ab, die allein mit dem äußeren Erscheinungsbild solcher Kennzeichen verbunden sind, und verbannt deshalb die von diesen Organisationen verwendeten Symbole aus dem Bild des politischen Lebens (BGHSt 52, 364, 373; BVerfG, Beschl. vom 18. Mai 2009 - 2 BvR 2202/08).

bb.) Die Rechtsprechung hat mit Blick auf den Schutzzweck der Norm einen weiten Kennzeichenbegriff entwickelt (BGHSt 52, 364, 371 f.). Kennzeichen sind danach alle sicht- und hörbaren Symbole, deren sich die in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB aufgeführten Organisationen bedienen und bedient haben, um propagandistisch auf ihre politischen Ziele und die Zusammengehörigkeit ihrer Anhänger hinzuweisen. Für die Kennzeicheneigenschaft kommt es dabei weder darauf an, ob das Symbol einen gewissen Bekanntheitsgrad als Erkennungszeichen einer bestimmten Vereinigung oder Organisation besitzt (vgl. BGHSt 47, 354), noch ist von Bedeutung, ob das Kennzeichen mehrdeutig ist und deshalb auch in unverfänglichen Zusammenhängen Verwendung findet (vgl. zum stilisierten Keltenkreuz BGHSt 52, 364). Maßgeblich für die Begründung der Kennzeicheneigenschaft ist allein, dass sich die Organisation ein bestimmtes Kennzeichen durch Übung oder durch einen formalen Autorisierungsakt als Symbol zu Eigen gemacht hat (vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage § 86a Rz. 4 m.w.N.).

cc.) Am dargestellten Schutzzweck der Norm orientiert sich auch die Wortauslegung des Begriffs der "Ähnlichkeit" im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB. Danach sind nur solche Parolen, wie auch sonstige Kennzeichen, "zum Verwechseln ähnlich", denen ein gesteigerter Grad sinnlich wahrnehmbarer Ähnlichkeit mit dem Original zukommt. Erforderlich ist hierfür eine objektiv vorhandene Übereinstimmung in wesentlichen Vergleichspunkten. Es muss nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen Betrachters, Hörers oder Lesers eine Verwechslung mit dem Original möglich sein. Dafür genügt nicht, dass sich lediglich einzelne Merkmale des Vorbildes in der Abwandlung wiederfinden, ohne dass dadurch einem unbefangenen Betrachter, der das Original kennt, der Eindruck des Originalkennzeichens vermittelt wird (BGH NStZ 2003, 31, 32; BGH NJW 2005, 3223 f.; BVerfG, Beschl. vom 18. Mai 2009 - 2 BvR 2202/08). Erforderlich ist ferner, dass das Vorbild tatsächlich als Kennzeichen einer verbotenen Organisation existiert. Reine Fantasiekennzeichen, die nur den Anschein der Zuordnung zu einer Organisation erwecken, werden von dem Tatbestand nicht erfasst (BGH NJW aaO.).

Die Beantwortung der Frage, ob Verwechslungsfähigkeit im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB besteht, erfordert nach den oben dargelegten Auslegungsgrundsätzen einen Gesamtvergleich des ursprünglichen Kennzeichens mit dem neu geschaffenen. Zu berücksichtigen sind hierbei alle wesentlichen Merkmale, die das Original prägen. Ergibt dieser Vergleich, dass das Vorbild infolge der vorgenommenen Veränderungen oder Ergänzungen eine so starke Verfremdung erfahren hat, dass sein ursprüngliches Erscheinungsbild in den Hintergrund tritt oder dass es dadurch sogar seinen Bedeutungsgehalt verliert, besteht die Gefahr einer Verwechslung nicht (BGH NJW aaO; BVerfG aaO; Reuter, Verbotene Symbole S. 147). Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers, der durch die Einführung des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB lediglich die Strafbarkeit leicht abgewandelter Symbole nationalsozialistischer Organisationen sicherstellen wollte (BTDrucks. 12/6853 S. 23).

dd.) Der Wortlaut des § 86 a Abs. 2 Satz 1 StGB setzt aber mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz der Bestimmtheit der Norm (Art. 103 Abs. 2 GG) der Auslegung des Kennzeichenbegriffs eine äußerste Grenze, die nicht überschritten werden darf (BVerfGE 64, 389, 393 f.). Bei der Auslegung darf deshalb nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gesetz - wenngleich nicht abschließend, aber dennoch beispielhaft - markante Kennzeichen aufzählt, namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen, die dem Tatbestand unterfallen sollen. Durch diese Aufzählung wird jedoch gleichzeitig die Reichweite des Tatbestands bestimmt. Dies bedeutet, dass von der Vorschrift nur solche körperlichen und nichtkörperlichen Erkennungszeichen erfasst werden, die einen den beispielhaft aufgeführten Kennzeichen entsprechenden Symbolcharakter aufweisen. Erforderlich ist deshalb, dass sie einen gedanklich an das äußere Erscheinungsbild gekoppelten, jedoch über dessen unmittelbaren Informationsgehalt hinausgehenden Sinn vermitteln (Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts S. 94;. vgl. zu vorstehendem insgesamt BGHSt. 54, 61 m.w.N.).

b.) Nach alledem können die zum Freispruch der Angeklagten herangezogenen Erwägungen nicht durchgreifen. Denn es handelt sich bei dem ausweislich der in den Urteilsgründen referierten Anklageschrift auf der Werbetafel des "Werwolfshop" abgebildeten Kennzeichen um ein solches, das dem Truppenkennzeichen der 2. SS-Panzerdivision "Das Reich" zum Verwechseln ähnelt. Die Unterschiede bestehen in marginalen farblichen Abweichungen. Die 2. SS-Panzerdivision "Das Reich" fällt aber als Teil- bzw. Unterorganisation der SS unter §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 12.02.2008 - 3 Ss 375/06 -; OLG Brandenburg, Urteil vom 12.09.2005 - 1 Ss 58/05- jeweils zitiert nach juris), so dass sich das Verwenden ihres Kennzeichens als strafbar entsprechend der vorstehenden Normen erweist.

Abgesehen davon, dass das Amtsgericht unzulässig auf die Rechtsmeinung des für die Auslegung inländischen Rechts nicht zuständigen Sachverständigen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 244 Rdnr. 49) abstellt, kommt es nicht darauf an, dass die Entwicklung der Truppenkennzeichen (ggf.) "nicht auf dem Diktat des Naziregimes" beruhten und "bei Einräumung freier Gestaltungsmöglichkeiten" (UA S. 4 f.) erfolgt sein mögen. Entscheidend ist vielmehr, dass die 2. SS-Panzer-Division "Das Reich" der SS bzw. Waffen-SS als ehemaliger nationalsozialistischen Organisation (vgl. auch BGH NJW 2005, 3223, 3224) zuzurechnen ist und das von ihr benutzte grafische Erkennungsmerkmal diese Zugehörigkeit auch nach außen dokumentiert. Es ist daher geeignet, in- und ausländischen Beobachtern den Eindruck zu vermitteln, in der Bundesrepublik würde die Wiederbelebung entsprechender Organisationen angestrebt. Dies soll nach dem Schutzzweck der Norm jedoch gerade vermieden werden. Dabei ist es nicht von Belang, ob das Kennzeichen einen gewissen Bekanntheitsgrad als Symbol der verfassungswidrigen Organisation besitzt, da dieser angesichts der Möglichkeiten der aktuellen Medien einem schnellen Wechsel unterliegt (vgl. BGHSt 47, 354 ff.).

c.) Sofern sich der angeklagte Tatvorwurf in der neu durchzuführenden Hauptverhandlung bestätigen sollte, hätten die Angeklagten das in Frage stehende Kennzeichen nach Lage der Dinge auch i.S.d. § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwendet.

aa.) Verwenden bedeutet den Gebrauch - also das optische oder akustische Wahrnehmbarmachen des Kennzeichens - unter Umständen, die als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation aufgefasst werden können. Ob ein Bekenntnis zu der verbotenen Organisation vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. Schönke-Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 28. Auflage § 86a Rz. 6 m.w.N.).

bb.) Auch diese Voraussetzungen wären als erfüllt anzusehen. Beim Gebrauch des Kennzeichens einer SS-Untergliederung auf dem außen am Ladenlokal angebrachten Unternehmenssignet eines "Werwolfshop", in dem unter anderem Tonträger, Bekleidungsgegenstände und sonstige Devotionalien der rechten Szene an interessierte Kunden veräußert werden, durch einschlägig vorbestrafte Geschäftsinhaber dürfte von deren offenem Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation auszugehen sein.

III.

Nach alledem unterlag die angefochtene amtsgerichtliche Entscheidung mit den ihr zugrunde liegenden Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO der Aufhebung. Die Sache war zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Wismar zurückzuverweisen.