OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14.03.2011 - 2 L 200/10
Fundstelle
openJur 2012, 55440
  • Rkr:

Zur Verweigerung eines Schriftsatznachlasses als VerfahrensmangelZur Erfüllung der Ausweispflicht durch einen Ausweisersatz

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts A-Stadt – 5. Kammer – vom 15.09.2010 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Beteiligten streiten um die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.

Die Kläger zu 1. und 2. sind miteinander verheiratet; die in den Jahren 1985, 1986, 1988 und 2001 geborenen Kläger zu 3. bis 6. sind ihre gemeinsamen Kinder. Für die Kläger zu 1., 2., 5. und 6. geht es um die Aufenthaltserlaubnisse selbst. Den Klägern zu 3. und 4. sind während des erstinstanzlichen Verfahrens Aufenthaltserlaubnisse „unter der aufschiebenden Bedingung der Erfüllung der Passpflicht durch einen gültigen und anerkannten Nationalpass“ erteilt worden. Diese Kläger haben zuletzt nur noch die Erteilung von unbedingten Aufenthaltserlaubnissen begehrt.

Durch Urteil vom 15.09.2010 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren, soweit die Beteiligten es für erledigt erklärt hatten, eingestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe, soweit sie nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO hinreichend dargelegt sind, nicht vorliegen.

Ohne Erfolg berufen sich die Kläger (möglicherweise nur die Kläger zu 3. und 4.) darauf, dass das angefochtene Urteil ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. §§ 124 Abs. 2 Nr. 5, 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletze, weil ihrem Antrag auf Schriftsatznachlass in der mündlichen Verhandlung am 15.09.2010 nicht entsprochen worden sei.

Wird die Verweigerung eines Schriftsatznachlasses als Verfahrensmangel geltend gemacht, so muss dargetan werden, was in einem nachgereichten Schriftsatz vorgetragen worden wäre und inwieweit dieser Vortrag die angefochtene Entscheidung hätte beeinflussen können (vgl. BFH, Beschluss vom 12.10.2010 - 1 B 190/09 -, Rn. 16, m.w.N., zitiert nach Juris). An einem solchen Vortrag der Kläger fehlt es hier. Außerdem hat das Verwaltungsgericht die Verweigerung damit begründet, dass die (die Kläger zu 3. und 4. betreffenden) Widerspruchsbescheide, die ihrem Prozessbevollmächtigten erst einen Tag vor der mündlichen Verhandlung zugestellt worden seien, „keine neuen Erwägungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht“ enthalten hätten (vgl. S. 14 Urteilsabdruck). Diesem Argument sind die Kläger nicht substantiiert entgegengetreten.

Die Berufung ist auch nicht wegen der von den Klägern geltend gemachten Zweifeln an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zuzulassen.

Ein auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützter Zulassungsantrag muss sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstlichen Zweifeln bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen. Die Begründung des Zulassungsantrags muss an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpfen und aufzeigen, weshalb sich diese aus der Sicht des Zulassungsantragstellers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die angefochtene Entscheidung unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Zulassungsantragsteller muss sich insofern an der Begründungsstruktur des angefochtenen Urteils orientieren. Geht er auf eine Erwägung nicht ein, kann das Oberverwaltungsgericht diese nicht von sich aus in Zweifel ziehen. Diese Anforderungen an die Begründung eines Zulassungsantrags sind für den Zulassungsantragsteller auch zumutbar. Mit Blick auf den Vertretungszwang ist sichergestellt, dass Zulassungsantragsteller rechtskundig vertreten sind (vgl. Beschluss des Senats vom 22.07.2010 - 2 L 201/10 -, m.w.N.).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens nicht abschließend übersehen lassen, die Begründung des Zulassungsantrags aber die Einsicht vermittelt, der beabsichtigten Berufung seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen. Die Zulassung ist dagegen zu versagen, wenn sich die vom Zulassungsantragsteller geäußerten Zweifel ohne Weiteres ausräumen lassen (vgl. Beschluss des Senats vom 11.10.2010 - 2 L 111/08 -, m.w.N).

Die Anwendung dieser Maßstäbe führt hier zu dem Ergebnis, dass die Begründung des Zulassungsantrags keine Veranlassung gibt, an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ernstlich zu zweifeln.

Im Hinblick auf die Kläger zu 1., 2., 5. und 6. hat das Verwaltungsgericht die Klageabweisung entscheidungserheblich u.a. darauf gestützt, dass die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht gegeben seien. Die Kläger könnten ihren Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (§ 2 Abs. 3 AufenthG) bestreiten (vgl. S. 10 Urteilsabdruck). Diese Feststellung wird in der Begründung des Zulassungsantrags weder in ihrer rechtlichen Relevanz für die in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlagen noch im Tatsächlichen in Zweifel gezogen. Vielmehr räumen die Kläger ausdrücklich ein, dass ihnen „die Lebensunterhaltsicherung aus eigener legaler Erwerbstätigkeit gegenwärtig nicht möglich“ sei (vgl. S. 6 des Schriftsatzes vom 15.12.2010). Allerdings vertreten die Kläger die Auffassung, der Beklagte habe – ohne dass dies in der angefochtenen Entscheidung beanstandet worden wäre – das ihm eingeräumte Ermessen, ob von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen sei, fehlerhaft ausgeübt. Die zu diesem Punkt in der Begründung des Zulassungsantrags vorgetragene Kritik erweist sich aber als unberechtigt. Eine sachgerechte Betätigung des nach § 5 Abs. 3 AufenthG vorgesehenen Ermessens ist – entgegen der Auffassung der Kläger – nicht nur dann zu Ungunsten des Betroffenen gerechtfertigt, wenn seine Anwesenheit in Deutschland „in realistischer Weise“ beendet werden kann. Ob den Betroffenen die Ausreise in absehbarer Zeit möglich ist, hat vielmehr bereits bei der Prüfung der tatbestandsmäßigen (besonderen) Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufentG Bedeutung. Nach dieser Vorschrift, soweit in diesem Zusammenhang von Bedeutung, kommt es darauf an, ob dem Betroffenen die Ausreise aus tatsächlichen Gründen unmöglich und „mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist“. Ein Umstand, der aber erst die Ermessensbetätigung eröffnet, kann diese nicht zugleich verbindlich in einer bestimmten Richtung festlegen.

Tatsächlich befasst sich der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensbetätigung mit der Frage, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Kläger zukünftig in der Lage sein würden, ihren Lebensunterhalt zu sichern bzw. ob Gründe ersichtlich sind, welche der Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehen würden (vgl. jeweils S. 9 des Bescheides vom 03.08.2010 bzw. des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2010). Hiermit setzt sich die Begründung des Zulassungsantrags nicht substantiiert auseinander. Insbesondere werden keine konkreten Bemühungen der Kläger zu 1., 2. und 5., eine den Lebensunterhalt sichernde Beschäftigung aufzunehmen, dargelegt. Im Übrigen ist es auch nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde im Rahmen der Ermessensbetätigung nach § 5 Abs. 3 AufenthG darauf abstellt, ob es dem Betroffenen nicht möglich oder zumutbar war, sich um eine den Lebensunterhalt sichernde Beschäftigung zu bemühen (vgl. Beschluss des Senats vom 03.03.2011 - 2 L 187/10 -, m.w.N.).

Im Hinblick auf die Kläger zu 3. und 4. hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die umstrittene aufschiebende Bedingung sei rechtmäßig. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit einer Bedingung sei ungeachtet der allgemeinen Regelung in § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG M-V ausdrücklich in § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zugelassen. Im Falle der Kläger zu 3. und 4. erweise sich die Bedingung als berechtigt, da sie derzeit (noch) nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 a, Nr. 4 AufenthG erfüllten, ohne dass Gründe für ein Absehen davon gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gegeben wären (siehe S. 12 f. Urteilsabdruck).

Die Argumentation des Verwaltungsgerichts vermag die Begründung des Zulassungsantrags nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen. Im Ansatz richtig ist allerdings, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 AufentG nicht voraussetzt, dass wer eine Aufenthaltserlaubnis anstrebt, seine Identität nur durch die Vorlage eines Nationalpasses nachweisen kann. Zutreffend weisen die Kläger darauf hin, dass auch „ein Ausweisersatz im Sinne von § 48 Abs. 2 AufenthG“ in Betracht kommt. Nach dieser Regelung genügt ein Ausländer, der einen Pass weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann, der Ausweispflicht mit der Bescheinigung über einen Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen und als Ausweisersatz bezeichnet ist. Die Regelung ist so zu verstehen, dass der Passpflicht vorrangig durch die Vorlage eines Passes genügt wird und dass ein Ausweisersatz nur dann in Betracht kommt, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, einen Pass zu erlangen. Im Hinblick auf den Umfang der insoweit bestehenden Mitwirkungspflicht kann auf die ständige Rechtsprechung des Senats verwiesen werden, wonach der Ausländer gehalten ist, zum einen an allen (zumutbaren) Handlungen mitzuwirken, die die Behörden von ihm verlangen und zum anderen mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten, auch wenn die Ausländerbehörde ihm dies nicht konkret vorgibt (vgl. Beschluss des Senats vom 27.12.2010 - 2 L 56/09 – m.w.N.). Mit dieser Rechtsprechung steht es ohne Weiteres im Einklang, wenn das Verwaltungsgericht die bisherigen Bemühungen der Kläger zu 3. und 4. zur Klärung ihrer Identität bzw. zur Erfüllung der Passpflicht nicht als ausreichend angesehen hat. Dabei geht es nicht lediglich – wie die Kläger aber anscheinend meinen – um Unterschiede in der „Namensschreibweise“. Auf die „Unstimmigkeiten in Bezug auf die Namen, Geburtsdaten und die Geburtsorte“ der Kläger zu 3. und 4. geht die erstinstanzliche Entscheidung vielmehr detailliert ein (s. S. 12 f. Urteilsabdruck); damit setzt sich die Begründung des Zulassungsantrags aber nicht substantiiert auseinander.

Soweit die Kläger zu 3. und 4. die erstinstanzliche Entscheidung auch im Hinblick auf die für die Erteilung ihrer Aufenthaltserlaubnisse in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlagen kritisieren, kommt es hierauf ersichtlich nicht an, da die Kläger zu 3. und 4. nicht mehr um die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen selbst, sondern lediglich um die Berechtigung der in ihnen enthaltenen aufschiebenden Bedingungen streiten. Die Frage der Erfüllung der Passpflicht stellt sich aber unabhängig davon, ob etwa der Kläger zu 3. sorgeberechtigter Vater eines deutschen Kindes ist.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat, so dass die Berufung auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 As. 2, 159 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 2 GKG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).