OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 28.05.2008 - 1 O 51/08
Fundstelle
openJur 2012, 54533
  • Rkr:

Zur Frage der Hinweispflicht gemäß § 25 Satz 1 VwVfG M-V im Auswahlverfahren der Hochschulen

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 20. März 2008 - 2 A 1855/07 (PKH) - geändert:

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. aus ... rückwirkend ab dem 07. Februar 2008 bewilligt.

Gründe

Die nach Zustellung des angegriffenen Beschlusses am 28. März 2008 innerhalb der Frist des §147 Abs. 1 Satz 1 VwGO am 03. April 2008 eingelegte Beschwerde der Klägerin hat Erfolg.

Die Klägerin bewarb sich zum Wintersemester 2007/2008 bei der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald um einen Studienplatz für den Studiengang Zahnmedizin im Auswahlverfahren der Hochschulen. Unter dem 28. September 2007 erteilte die ZVS ihr einen entsprechenden Ablehnungsbescheid, derzufolge sie insbesondere von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald nicht im Auswahlverfahren der Hochschulen ausgewählt worden sei. Maßgeblich war hierfür mit Blick auf die Bewerbung bei der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, dass die Klägerin die zur Teilnahme am Auswahlverfahren erforderliche Punktzahl - nach Maßgabe der Gründe des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses: 97,5 Punkte - nicht erreicht hatte, weil sie die berufspraktischen Erfahrungen auf zahnmedizinischem Gebiet im Sinne von § 8 Abs. 3 der Satzung für das hochschuleigene Auswahlverfahren in den Studiengängen Humanmedizin und Zahnmedizin, Biologie, Pharmazie und Psychologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald i.d.F. vom 08. Januar 2007 (nachfolgend: Auswahlsatzung) nicht - wie nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Auswahlsatzung erforderlich - durch Nachweise in Form amtlich beglaubigter Kopien, sondern in einfacher Kopie in der Frist des § 4 Abs. 3 Nr. 2 Auswahlsatzung (15. Juni 2007) belegt hatte.

Die Klägerin hat sich gegen die Ablehnung und Nichtberücksichtigung bzw. -beteiligung am Auswahlverfahren an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald mit ihrer am 29. Oktober 2007 (Montag) erhobenen Klage gewandt, mit der sie sinngemäß die Verpflichtung des Beklagten zu ihrer Zulassung zum Studium der Zahnmedizin im 1. Fachsemester für das Wintersemester 2007/2008 begehrt. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.April 2008 klargestellt, dass die Geltendmachung eines Anspruchs auf Zulassung außerhalb der Kapazität noch nicht Gegenstand des Verfahrens sei.

Mit am 07. Februar 2008 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin den Antrag gestellt, ihr unter Beiordnung von Rechtsanwalt H# Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit seinem Beschluss vom 20. März 2008 unter umfänglicher Begründung mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage für einen Zulassungsanspruch sowohl innerhalb als auch außerhalb der festgesetzten Kapazität abgelehnt.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin greift durch.

Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO setzt die Gewährung von Prozesskostenhilfe voraus, dass der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach §166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO sind dem Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierbei hat der Antragsteller die amtlichen Vordrucke zu verwenden (§166VwGO i.V.m. § 117 Abs. 4 ZPO).

Die Klägerin ist zunächst nach Maßgabe der von ihr vorgelegten Erklärungen und Unterlagen nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Prozesskosten aufzubringen. Ausweislich dieser Unterlagen bezieht sie bei Berücksichtigung der nach § 115 Abs.1 Nr. 1, 2 ZPO vorgeschriebenen Abzüge kein Einkommen.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet nach dem Maßstab des Prozesskostenhilfeverfahrens auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Zuweisung des begehrten Studienplatzes im Auswahlverfahren nach Maßgabe von § 6 Abs. 1, 4, § 10 Abs. 1 Satz 1 ZVS VergabeVO M-V i.V.m. §§ 2, 6 ff. Auswahlsatzung und damit hinreichende Erfolgsaussichten verneint: Die Klägerin habe nur eine Gesamtpunktzahl von 89 und damit nicht die zur Teilnahme am Auswahlverfahren erforderliche Punktzahl erreicht. Die berufspraktischen Erfahrungen auf zahnmedizinischem Gebiet im Sinne von § 8 Abs. 3 Auswahlsatzung habe sie nicht in der materiellen Ausschlussfrist des § 4 Abs. 3 Nr. 2 Auswahlsatzung (15. Juni 2007) durch die gemäß §4 Abs. 1 Nr. 3 Auswahlsatzung erforderliche Vorlage von Nachweisen in amtlich beglaubigter Kopie erbracht. In der Frist habe sie nur einfache Kopien vorgelegt. Der Klägerin sei nicht - was näher ausgeführt wird - Nachsicht mit der Folge zu gewähren, dass der Beklagte sich nicht auf die Ausschlussfrist berufen könne.

Dem vermag sich der Senat nach dem summarischen Prüfungsmaßstab des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens nicht anzuschließen; hinreichende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung sind vielmehr zu bejahen.

Es liegen Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten im Bereich des Beklagten vor, das es dem Beklagten ausnahmsweise verwehren könnte, sich auf die Versäumung der Frist des § 4 Abs. 3 Nr. 2 Auswahlsatzung hinsichtlich der Vorlage der Nachweise über berufspraktische Erfahrungen auf zahnmedizinischem Gebiet im Sinne von § 8 Abs. 3 Auswahlsatzung in der erforderlichen Form zu berufen, bzw. das den Beklagten auf der Grundlage des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs verpflichten könnte, die Klägerin so zu stellen, als wenn ein Fehlverhalten und damit die Fristversäumung nicht erfolgt wäre. Dann wäre die Klägerin ggfs. so zu behandeln, als wenn sie die erforderlichen Nachweise fristgemäß vorgelegt hätte. In diesem Fall dürfte sie entweder - so die Berechnungen des Beklagten im Verwaltungsverfahren - 124 oder - so das Klagevorbringen - 116 Punkte erreicht haben, was nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Teilnahme am Auswahlverfahren berechtigt hätte.

Ein beachtliches Fehlverhalten im Bereich des Beklagten bzw. der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald könnte sich aus den vom Beklagten mit Schriftsatz vom 10. März 2008 übermittelten Unterlagen ergeben. Diese Unterlagen belegen, dass am 07. Mai 2007 eine "1. Durchsicht" der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen daraufhin erfolgt ist, ob diese ordnungsgemäß waren. Unter "Berufspraxis" ist das Kästchen für "ja" anders als unter den Rubriken "Kontrollblatt/Unterschrift" und "Abiturzeugnis/HZB" nicht angekreuzt und handschriftlich "Beglaubigung", letzteres offensichtlich im Sinne von "fehlt" vermerkt. Im Bereich des Beklagten bzw. der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald ist demgemäß bereits am 07. Mai 2007 und damit lange vor Fristablauf zur Nachreichung der erforderlichen Beglaubigungen zum 15. Juni 2007 positiv festgestellt worden, dass die Unterlagen in dem hier interessierenden Punkt nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 Auswahlsatzung vorlagen.

Aus den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin auf diesen Mangel ihrer Bewerbungsunterlagen - wofür genügend Zeit zur Verfügung gestanden hätte - hingewiesen worden wäre. Durch dieses Untätigbleiben könnte der Kläger seine nach § 25 Satz 1 VwVfG M-V bestehende Beratungs- bzw. Hinweispflicht verletzt haben. Nach dieser Bestimmung soll die Behörde insbesondere die Berichtigung von Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unrichtig gestellt worden sind. § 25 Satz 1 VwVfG findet nach Maßgabe von §2 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG M-V auch im Bereich der Hochschulen Anwendung.

Es spricht Einiges dafür, dass die Voraussetzungen der Hinweispflicht ("soll") im vorliegenden Fall angesichts der positiven Feststellung der fehlenden Beglaubigung der Nachweise zur Berufspraxis und die Annahme eines offensichtlichen Versehens oder offensichtlicher Unkenntnis auf Seiten der Klägerin vorgelegen haben könnten. Es ist ein Erfordernis "guter" Verwaltung, dass eine Behörde den Bürger nicht sehenden Auges unvollständige oder nicht ordnungsgemäße Anträge stellen lässt, sondern hierzu die erforderlichen Hinweise gibt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 25 Rn. 10). Wäre ein entsprechender Hinweis rechtzeitig vor Ablauf der Nachreichungsfrist erfolgt, hätte die Klägerin - wie ihr vorgetragenes Verhalten nach Kenntniserlangung vom Mangel ihrer Unterlagen belegt - voraussichtlich fristgemäß die erforderlichen beglaubigten Kopien beigebracht. Hätte der Beklagte seine Hinweispflicht gemäß § 25 Satz 1 VwVfG M-V in diesem Sinne verletzt, könnte daraus möglicherweise ein Folgenbeseitigungsanspruch der Klägerin folgen, sie so zu stellen, als wenn dieses Fehlverhalten und damit die Fristversäumung nicht erfolgt wäre (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 25 Rn. 18; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 22.10.1993 - 6 C 10/92 -, NVwZ 1994, 575, 576 ff.).

Eine solche Hinweispflicht dürfte auch nicht durch die mehrfachen Hinweise auf die Notwendigkeit der Vorlage von Originalen oder amtlich beglaubigten Kopien im Bereich der Informationen zur Online-Anmeldung entfallen sein. Im Gegenteil könnten diese Hinweise Anlass zur der Annahme gegeben haben, dass die Vorlage von einfachen Kopien durch die Klägerin auf einem offensichtlichen Versehen im Sinne von § 25 Satz 1 VwVfG beruht haben könnte.

Die Annahme eines Fehlverhaltens im vorstehenden Sinne könnte durch folgenden Umstand gestützt werden: Der Beklagte ist nach seiner Feststellung, dass die Unterlagen der Klägerin zur Berufspraxis nicht ordnungsgemäß waren, nicht "nur" untätig geblieben. Er hat vielmehr in Kenntnis dieses Mangels eine Punktzahl von 124 ermittelt, obwohl die zur Erreichung dieser Punktzahl notwendigen Unterlagen nicht vollständig vorlagen, und diese Punktzahl der Klägerin nach deren unbestrittenem Vorbringen noch mindestens bis zum 13. Juni 2007 im Rahmen der Online-Anmeldung mitgeteilt. Dieses Verhalten könnte die "Soll-"Verpflichtung des § 25 Satz 1 VwVfG M-V zu einer Verpflichtung zum entsprechenden Tätigwerden müssen verdichtet haben. Dabei dürfte der Frage, ob bzw. wann im Rahmen der Online-Anmeldung der Klägerin der Zusatz "Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Sie mit dieser Eingangsbestätigung keine Auskunft über die Vollständigkeit und Richtigkeit Ihres Antrages/Ihrer Unterlagen erhalten" enthalten war, keine entscheidende Bedeutung zukommen. Zum einen bezieht sich diese Aussage jedenfalls nicht unmittelbar auf die ausgewiesene Gesamtpunktzahl. Zum anderen muss sich der Beklagte fragen lassen, welchen Sinn es haben soll, den Studienplatzbewerbern gewissermaßen völlig unverbindlich Gesamtpunktzahlen mitzuteilen, die - wie im vorliegenden Fall - sogar falsch sein können. Damit provoziert der Beklagte geradezu Fälle der vorliegenden Art bei den regelmäßig rechtsunkundigen Bewerbern. Er verhält sich nämlich widersprüchlich: Einerseits verweist er wiederholt auf bestimmte Anforderungen für die Bewerbungsunterlagen, andererseits teilt er Punktzahlen mit, die gerade diese Anforderungen missachten und den - wie gesagt, regelmäßig rechtsunkundigen - Studienbewerber zu der Schlussfolgerung veranlassen könnten, seine an sich nicht ordnungsgemäßen Unterlagen würden doch akzeptiert. Wenn dann gewissermaßen "postwendend" nach Fristablauf gegenüber der Klägerin in der Online-Anmeldung die Korrektur auf 89 Punkte erfolgt, wirft dies angesichts der Bedeutsamkeit der Studienbewerbung für die Klägerin Fragezeichen auf. Der Beklagte muss sich die weitere Frage gefallen lassen, warum zumindest diese Korrektur nicht vor Fristablauf möglich gewesen sein soll, wo sie nach Fristablauf - ohne dass sie der Klägerin dann noch nützen konnte - offenbar problemlos möglich war.

Angesichts der erörterten, im Hauptsacheverfahren näher zu beleuchtenden Umstände und Rechtsfragen könnten zudem auch die Voraussetzungen der vom Verwaltungsgericht thematisierten Nachsichtgewährung vorliegen. Sie könnten zudem aus Sicht des Senats Anlass insbesondere für den Beklagten bieten, eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreits in Betracht zu ziehen.

Die Beiordnung von Rechtsanwalt H# erfolgt nach Maßgabe von § 121 Abs. 2, 1. Alternative ZPO, weil die Vertretung durch einen Rechtsanwalt unter Berücksichtigung der vorliegend aufgeworfenen rechtlichen Fragestellung erforderlich erscheint.

Die Bewilligung und Beiordnung kam erst ab Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 07. Februar 2008 in Betracht. Denn Prozesskostenhilfe kann nur für das Verfahren ab dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife für die Zukunft bewilligt werden, also ab dem Zeitpunkt, zu dem das Prozesskostenhilfegesuch einschließlich der ordnungsgemäß bzw. vollständig ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegt (BGH, Beschluss vom 12.02.2003 -XII ZR 232/02 -, FamRZ 2003, 668; Beschluss vom 10.07.1985 -IVb ZB 47/85 -, NJW 1986, 62; Beschluss vom 30.09.1981 - IVb ZR 694/80 -, NJW 1982, 446; OVG Weimar, Beschluss vom 03.12.1997 - 3 ZO 619/95 -, NVwZ 1998, 866; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.7.1997 - 2 W 1/97 -, FamRZ 1998, 484 - alle zitiert nach juris; OVG Greifswald, Beschluss vom 07.11.1995 - 3 O 5/95 -, DVBl. 1996, 114, 115; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., §166 Rn. 14a m.w.N.).

Zur Klarstellung ist angesichts der Erklärung der Klägerin, dass die Geltendmachung eines Anspruchs auf Zulassung außerhalb der Kapazität noch nicht Gegenstand des Verfahrens sei, darauf hinzuweisen, dass die Prozesskostenhilfebewilligung sich nur auf das vorstehend näher umrissene, bisher ausschließliche Klagebegehren auf Zulassung zum Studium im Auswahlverfahren im Rahmen der festgesetzten Kapazität bezieht.

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, Gerichtskosten werden für eine stattgebende Entscheidung im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nicht erhoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet ( § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO ).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO).