OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 26.05.2008 - 1 L 103/08
Fundstelle
openJur 2012, 54532
  • Rkr:

Zur Zulässigkeit einer Fahrtenbuchauflage

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 11. März 2008 - 4 A 2153/06 - wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf Euro 4.800,00 festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin wendet sich als Halterin des auf sie zugelassenen Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen #-# # gegen die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO für die Dauer von zwölf Monaten ab Unanfechtbarkeit des entsprechenden Bescheides.

Der gegen das klagabweisende Urteil gerichtete, fristgerecht gestellte und begründete Zulassungsantrag der Klägerin hat keinen Erfolg.

Der zunächst zur Begründung des Zulassungsantrages angeführte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer dem Darlegungserfordernis gemäß §124a Abs. 4 Satz4 VwGO genügenden Weise dargelegt und liegt im Übrigen auch in der Sache nicht vor.

Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.

Ein auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel gestützter Antrag muss sich im Hinblick auf das Darlegungserfordernis des §124a Abs. 4 Satz 4 VwGO mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinander setzen und im einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernsthaften Zweifeln bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen. Erforderlich dafür ist, dass sich unmittelbar aus der Antragsbegründung sowie der angegriffenen Entscheidung selbst schlüssig Gesichtspunkte ergeben, die ohne Aufarbeitung und Durchdringung des gesamten bisherigen Prozessstoffes - vorbehaltlich späterer Erkenntnisse - eine hinreichend verlässliche Aussage dahingehend ermöglichen, das noch zuzulassende Rechtsmittel werde voraussichtlich zum Erfolg führen (vgl. zum Ganzen OVG Bremen, Beschluss vom 22. Dezember 1997 - 2 B 201/97 -, NordÖR 1998, 32; ständige Rspr. des Senats). Ist eine Entscheidung in je selbständig tragender Weise mehrfach begründet, so muss im Hinblick auf jeden der Begründungsteile ein Zulassungsgrund dargelegt werden und gegeben sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 01.02.1990 - 7 B 19.90, Buchholz 310 §153 VwGO Nr.22; vom 10.05.1990 - 5 B 31.90 - Buchholz 310 §132 VwGO Nr.284 m.w.N.; ständige Rspr. des Senats).

In der Sache sieht der Senat diesen Zulassungsgrund als gegeben an, wenn die Zulassungsschrift - gegebenenfalls i.V.m. einem weiteren innerhalb der Antragsfrist eingegangenen Schriftsatz - Anlass gibt, das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Damit ist gesagt, dass sich der Begriff der ernstlichen Zweifel nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen kann, sondern zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen etwa in den Fällen, in denen zwar die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung ersichtlich unzutreffend ist, eine andere tragfähige Begründung sich dem Senat aber ohne weiteres aufdrängt, ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsrechts nicht vor. Ernstliche Zweifel können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend überschauen lassen, die Zulassungsschrift aber dem Senat die Einsicht vermittelt, dem Rechtsmittel seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen (OVG Greifswald, Beschluss vom 02.06.1998 - 1 O 23/98 -, NordÖR 1998, 306; Beschluss vom 05.08.1998 - 1 L 74/97 -, NVwZ-RR 1999, 476).

Diesem Maßstab genügt das Zulassungsvorbringen nicht.

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, sie sei mit dem Anhörungsschreiben vom 28. April 2005 rechtswidrig als Betroffene wegen einer vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit vom 31. März 2005 angehört worden. Entsprechend der in diesem Schreiben enthaltenen Belehrung habe es dem Betroffenen frei gestanden, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Dafür, dass dieses Anhörungsschreiben gleichzeitig dazu gedient habe, den Fahrer zu ermitteln, hätten keine Anhaltspunkte bestanden. Auch eine Mitwirkungspflicht der Klägerin zur Fahrerermittlung lasse sich hieraus nicht ableiten.

Dieses Vorbringen genügt nicht dem Darlegungserfordernis. Es setzt sich bereits nicht in hinreichendem Maße damit auseinander, dass die Klägerin nach Maßgabe der Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Angemessenheit der mit Blick auf § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO erforderlichen Ermittlungen nochmals mit Schreiben vom 26. Mai 2005 im Rahmen einer Zeugen-Anhörung zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers am Tattag gebeten worden ist und sie auch hierauf nicht reagiert hat. Auch zu der Argumentation des Verwaltungsgerichts, der weitere Aufklärungsversuch des Beklagten, den Fahrer bei der Klägerin vor Ort durch eine Befragung zu ermitteln, sei ebenso ohne Erfolg geblieben, bezieht das Zulassungsvorbringen keine Stellung. Die Rechtmäßigkeit dieser Ermittlungsversuche stellt die Klägerin nicht hinreichend in Frage.

Soweit im Zulassungsvorbringen anklingen soll, bis zur Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens habe die Klägerin sich gar nicht äußern müssen, danach könne der Beklagte dem Erfordernis des angemessenen Ermittlungsaufwandes wegen der zu beachtenden Anhörungsfrist von zwei Wochen nicht mehr genügt haben, kann sie - abgesehen von der auch insoweit fehlenden hinreichenden Darlegung - damit jedenfalls in der Sache keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils wecken. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin verweist bereits selbst darauf, dass die Klägerin als Täterin ausscheide. Folglich wäre schon nach seinem eigenen Vorbringen nicht nachvollziehbar, inwieweit die Klägerin sich mit einer Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers hätte selbst belasten können. Ebenso wenig kann sich die Klägerin mit Erfolg darauf berufen, dass sie im Anhörungsbogen darüber belehrt worden sei, es stehe ihr frei, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, und sie aufgrund dieser Belehrung weitere Angaben unterlassen habe. Sofern die Klägerin damit sagen will, dass sie sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen habe, ist - abgesehen von dem Vorstehenden - darauf hinzuweisen, dass sich der Fahrzeughalter, der sich auf ein Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht beruft, darüber im Klaren sein muss, dass die Verweigerung der Aussage ihm als fehlende Mitwirkung bei der Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers entgegengehalten werden kann. Ein "doppeltes Recht", nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nämlich nicht. Ein solches "Recht" widerspräche dem Zweck des § 31 a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.08.1999 - 3 B 96/99 -, zfs 2000, 367; Beschl. v. 22.06.1995 - 11 B 7.95 - Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 22 = zfs 1995, 397; BVerfG, Beschl. v. 07.12.1981 - 2 BvR 1172/81 -, NJW 1982, 568 - jeweils zitiert nach juris).

Darüber hinaus gilt folgendes: Die Verwaltungsbehörde kann gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Zwar ist dem insoweit bestehenden Erfordernis des angemessenen Ermittlungsaufwandes gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO grundsätzlich nur dann genügt, wenn der Fahrzeughalter unverzüglich - regelmäßig innerhalb von zwei Wochen - von der mit seinem Fahrzeug begangenen Zuwiderhandlung in Kenntnis gesetzt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.06.1987 - 7 B 139.87 -, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 17 - zitiert nach juris).

Die Zweiwochenfrist ist jedoch kein formales Tatbestandsmerkmal des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO und stellt keine starre Grenze dar. Sie gilt nicht für solche vom Regelfall abweichende Gestaltungen, in denen feststeht, dass die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen bzw. die Rechtsverteidigung des Fahrzeughalters durch dessen verzögerte Anhörung nicht beeinträchtigt worden ist, etwa weil - bei typisierender Betrachtung - auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.06.1987 - 7 B 139.87 -, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 17 - zitiert nach juris; VG Saarlouis, Urt. v. 02.04.2008 - 10 K 323/07 -, juris). Davon ist nach der Rechtsprechung dann auszugehen, wenn der Halter des Fahrzeugs ein Kaufmann i. S. d. Handelsrechts ist und die Verkehrszuwiderhandlung in dessen geschäftlichem Zusammenhang begangen wurde. Ein solcher Halter ist nämlich etwa nach den §§ 238 Abs. 1, 257 HGB verpflichtet, Bücher zu führen und über lange Zeit aufzubewahren, aus denen sich die Geschäftsvorfälle in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Daraus ergibt sich zwar keine unmittelbare Pflicht, Fahrtenbücher oder Einsatzpläne bereitzuhalten; doch entspricht es unabhängig von der Reichweite dieser Bestimmungen sachgerechtem und kaufmännischem Verhalten, auch die Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren. Anders etwa als bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges durch verschiedene Familienmitglieder liegt dies im kaufmännischen Eigeninteresse, schon um Vorkehrungen gegen missbräuchliche Verwendung der Fahrzeuge für Privatfahrten zu treffen oder in Schadensfällen Ersatzansprüche belegen zu können. Es kann deshalb unterstellt werden, dass ein Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Auslieferungsvorgänge, Geschäftsfahrten usw. nach seinen Kontenbüchern i. V. m. Belegmappen, Einsatzplänen oder Ähnlichem zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen. Seiner Verpflichtung als Fahrzeughalter, bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Ordnungswidrigkeiten- bzw. Verwaltungsverfahren mitzuwirken, kann er deshalb - ohne stichhaltige Erläuterung im Einzelfall - nicht mit der Behauptung genügen, es sei nicht möglich, den Fahrzeugführer ausfindig zu machen. Für eine GmbH wie die Klägerin, die nach §§ 6 Abs. 1 HGB, 13 Abs. 3 GmbHG sog. Formkaufmann und damit buchführungspflichtig (vgl. § 41 Abs. 1 GmbHG) ist, gelten diese Überlegungen erst recht (vgl. zum Ganzen OVG Münster, Urt. v. 31.03.1995 - 25 A 2798/93 -, NJW 1995, 3335 - zitiert nach juris; VG Saarlouis, Urt. v. 02.04.2008 - 10 K 323/07 -, juris; VG München, Gerichtsbesch. v. 17.12.2007 - M 23 K 07.4211 -, juris).

Da die Klägerin im Zulassungsvorbringen auch nicht ansatzweise stichhaltige Gründe aufgezeigt hat, weshalb ihr die Feststellung des verantwortlichen Fahrers aufgrund ihrer Geschäftsbücher, Einsatzpläne usw. ausnahmsweise nicht möglich sein soll, kann sie jedenfalls mit dem Einwand der Überschreitung der Zweiwochenfrist nicht gehört werden. Sie hätte folglich - unabhängig von den obigen Erwägungen - spätestens nach der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen sie ohne Weiteres die erbetenen Angaben machen können. Auch dem Termin zur richterlichen Zeugenvernehmung bei Amtsgericht P# hat sich jedoch der Geschäftsführer der Klägerin, wie die Gründe des Beschlusses des Amtsgerichts vom 10. August 2005 - 4 OWiG 32/05 - deutlich zeigen, ohne genügende Entschuldigung entzogen.

Nach alledem begegnet die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, der Beklagte habe einen angemessenen Aufwand zur Ermittlung des Fahrzeugführers betrieben, keinen ernstlichen Zweifeln.

Bezogen auf den von der Klägerin ebenfalls geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wären Darlegungen dazu erforderlich gewesen, dass die Rechtssache in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist und deren Klärung der Weiterentwicklung des Rechts förderlich ist (OVG Greifswald, Beschluss vom 12.02.1998 - 1 M 17/98 -, NVwZ-RR 1998, 597 = NordÖR 1998, 113 = SächsVBl. 1998, 274, m.w.N.). Erforderlich ist, dass die klärungsbedürftige konkrete Rechtsfrage bezeichnet und dargestellt wird, woraus sich die grundsätzliche Bedeutung dieser speziellen Rechtsfrage ergibt (vgl. OVG Greifswald, a.a.O.). Entsprechende Darlegungen fehlen jedoch im Zulassungsvorbringen der Klägerin, so dass der Zulassungsantrag auch insoweit den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht genügt. Etwaige im Zulassungsvorbringen anklingende Rechtsfragen sind im Übrigen im vorstehenden Sinne bereits geklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG, wobei 400,00 Euro je Monat der Dauer der angeordneten Fahrtenbuchauflage zugrunde gelegt sind (vgl. Ziff. 46.13 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, abgedruckt bei Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Anh § 164 Rn. 14).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Hinweis:

Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig.