OLG Rostock, Beschluss vom 29.01.2008 - 1 U 21/08
Fundstelle
openJur 2012, 54392
  • Rkr:

1. Ob im Falle der begehrten Wiedereinsetzung (§ 233 ZPO) von einem Verschulden der Partei oder ihres Vertreters (§ 85 ZPO) auszugehen ist, hat sich bei einem anwaltlichen Verschulden danach zu beurteilen, ob die Säumnis für einen pflichtbewussten Anwalt abwendbar gewesen wäre.2. Die Erkrankung des Rechtsanwalts - auch die unvorhergesehene - befreit diesen grundsätzlich nicht von seiner Pflicht, durch geeignete Anweisungen an sein Büro für die Erledigung von Fristsachen zu sorgen und ggf. einen Vertreter hinzuzuziehen. Solche Maßnahmen hat der Anwalt vorsorglich zu treffen, weil er je nach Art seiner Erkrankung unter Umständen nicht in der Lage sein wird, bis dahin Versäumtes nachzuholen.

Tenor

Der Antrag der Kläger vom 24.01.2008, ihnen wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Berufung der Kläger wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 77.725,09 €

Gründe

Der form- und fristgerecht eingereichte und begründete (§§ 234, 236 ZPO), mithin zulässige Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet (I.), so dass die Berufung der Kläger wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung als unzulässig zu verwerfen ist (II.).

I.

1. Nach allgemeiner Ansicht ist der Antrag auf Wiedereinsetzung nur dann begründet, wenn die Partei ohne Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme der die Frist wahrende Prozesshandlung - hier der Einreichung der Berufungsbegründung zum nicht in Frage gestellten Fristablauf am 11.01.2008 - gehindert war (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 233 Rn. 11). Ob ein Verschulden der Partei oder ihres Vertreters (vgl. § 85 Abs. 2 ZPO) vorliegt, ist nach dem objektiv-abstrakten Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu beurteilen; maßgeblich ist die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei (Zöller/Greger, a.a.O., § 233 Rn. 12 m.w.N.). Dementsprechend ist hinsichtlich des nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens in der Regel die übliche, berufsbedingt strenge Sorgfalt vorauszusetzen, so dass insoweit regelmäßig eine Fristversäumung verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 233 Rn. 13 m.w.N.). Solches ist hier der Fall.

2. Die von den Klägern - zur Exculpation ihres Parteivertreters - angeführten Entlastungsgründe greifen nicht durch.

a) Zu der von ihnen benannten unvorhergesehenen Erkrankung ihres Vertreters am Vortag des Fristablaufs fehlt es bereits an einer hinreichenden Glaubhaftmachung (§§ 236 Abs. 2 Satz 1, 294 ZPO), da dem Wiedereinsetzungsantrag ein ärztliches Attest über die Erkrankung und die daraus resultierenden Folgen (Arbeitsunfähigkeit) nicht beigefügt ist. Die insoweit geübte Verweisung auf die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Prozessbevollmächtigten genügt insoweit nicht, da sie - ob der Tatsache, dass sie nicht von einer medizinisch geschulten und unterwiesenen Person ausgestellt worden ist - nicht geeignet erscheint, dem Senat die geforderte hinreichende Überzeugung von einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, die Frist zur Berufungsbegründung einzuhalten, zu vermitteln.

Hinzu tritt, dass die Erkrankung des Rechtsanwalts - auch die unvorhergesehene - diesen grundsätzlich nicht von der Pflicht befreit, durch geeignete Anweisungen an sein Büro für die Erledigung von Fristsachen zu sorgen und ggf. einen Vertreter hinzuzuziehen. Solche Anweisungen an sein Personal hat der Rechtsanwalt allgemein schon vorsorglich zu treffen, dies bereits deshalb, weil er je nach der Art seiner Erkrankung unter Umständen nicht in der Lage sein wird, die vorher unterlassene Anweisung und Benennung eines Vertreters nachzuholen (vgl. BGH, VersR 1982, 802; Zöller/Greger, a.a.O., § 233 Rn. 23, Stichwort: "Krankheit des RA" m.w.N.).

An einem entsprechenden Vortrag zu einer solchermaßen entwickelten Vorsorge fehlt es völlig. Gerade angesichts der Tatsache, dass der Prozessvertreter der Kläger nicht als Einzelanwalt, sondern in einer Anwaltskanzlei mit Kollegen tätig ist, musste es nicht nur naheliegend erscheinen, vielmehr war es erforderlich, eine Vertreterregelung für den Krankheitsfall zu treffen. Darüber verhält sich die Begründung zum Wiedereinsetzungsantrag nicht, weshalb ein diesbezüglicher Wiedereinsetzungsgrund nicht angenommen werden kann. Angesichts des behaupteten Ausbruchs der Erkrankung - im Laufe des Vortages, dem 10.01.2008 - hätte es dem Prozessbevollmächtigten der Kläger ohne weiteres möglich sein müssen, Ersatz für seinen krankheitsbedingten Ausfall innerhalb seiner Anwaltskanzlei zu stellen.

b) Ebensowenig kann der weiter angeführte Entlastungsgrund, die Mitarbeiterin im Büropersonal des Prozessbevollmächtigten habe - ohne dass es dafür eine Erklärung gebe - auf den Anruf des Parteivertreters am 11.01.2008 erklärt, es seien keine Fristen zu bearbeiten, so dass dieser sich in der Sicherheit gewogen habe, keine im vorliegenden Verfahren ablaufende Berufungsbegründungsfrist abwenden zu müssen, verfangen.

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger versucht offensichtlich deutlich zu machen, es wäre ihm bei entsprechender Unterrichtung (über den Fristablauf am 11.01.2008) noch möglich gewesen, die zu diesem Tagesablauf vorzulegende Berufungsbegründung (durch ihn oder einen Vertreter) dem Gericht einzureichen. Das wirkt in hohem Maße unglaubhaft. Denn der Rechtsanwalt muss veranlassen, dass jedenfalls für die Rechtsmittelbegründung Vorfristen - von etwa 4 Tagen oder 1 Woche - vornotiert werden, um überhaupt die entsprechende Begründungsschrift noch erstellen zu können (vgl. BVerfG, NJW 1995, 711, BGH, NJW 2000, 365, 366; Zöller/Greger, a.a.O. § 233 Rn. 23 Stichworte: "Fristenbehandlung, Fristwahrung, Vorfrist" m.w.N.). Die mit dem Wiedereinsetzungsantrag angekündigte Vorlage einer solchen Anweisung ist nicht erfolgt. Wenn es sie tatsächlich gegeben hat, so erklärt sich das behauptete Verhalten der Büroangestellten, Frau M., nicht. Denn dann hätte dem Prozessbevollmächtigten der Kläger die Akte zur Bearbeitung der Berufungsbegründung spätestens schon am 07.01.2008 vorgelegt werden müsse, damit er die von ihm geforderte Arbeit (der Begründung des Rechtsmittels) aufnimmt. Auch diesbezüglich liefert der Wiedereinsetzungsantrag und seine Begründung keinerlei Ansatz zur Entlastung des Parteivertreters der Kläger, die damit zu ihren Lasten geht und zur Zurückweisung des Antrags führt.

3. Die Kostenentscheidung hat ihre Begründung in § 238 Abs. 4 ZPO.

II.

Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kein Erfolg beschieden sein kann, erweist sich die Berufung der Kläger - wegen Verfristung der Berufungsbegründungsfrist - als unzulässig, so dass sie als ein solches Rechtsmittel von Amts wegen zu verwerfen ist (§ 522 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO.