BGH, Beschluss vom 15.03.2012 - I ZR 125/11
Fundstelle
openJur 2012, 53641
  • Rkr:
Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. Mai 2011 zugelassen.

Auf die Revision der Klägerin wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 7. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Der Streitwert der Revision wird auf 30.000 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Parteien betreiben in D. unter der übereinstimmenden Lage- bezeichnung R. Straße auf verschiedenen Grundstücken jeweils einen Parkplatz-Service, mit dem sie Personen, die einen Flug vom Dr. Flughafen aus gebucht haben, für die Dauer ihrer Abwesenheit einen Parkplatz sowie den Transfer zum und vom Flughafen anbieten. Die Kunden können die Angebote der Parteien über das Internet buchen und erhalten danach eine Reservierungsbestätigung per E-Mail zugesandt.

Der Kunde M. Ri. hatte auf diese Weise bei der Klägerin einen Parkplatz für die Zeit vom 23. September bis 7. Oktober 2009 gebucht. Nachdem er zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter am 23. September 2009 auf dem Gelände R. Straße in D. angekommen war, zeigte er nach dem vom Beklagten bestrittenen Vortrag der Klägerin dem für den Beklagten tätigen Busfahrer Mü. seine Reservierungsbestätigung, aus der sich ergab, dass ein Parkplatz bei der Klägerin gebucht war. Der Busfahrer Mü. wies Herrn Ri. gleichwohl einen Parkplatz auf dem Gelände der Beklagten zu und vereinnahmte ein Parkentgelt in Höhe von 50 €.

Das Landgericht hat die Beklagte nach Vernehmung von Zeugen antragsgemäß zur Unterlassung des Anbietens eines Parkplatzes an Kunden, die bei der Rechtsnachfolgerin der Klägerin einen Parkplatz reserviert haben und dem Beklagten oder dessen Mitarbeitern oder von diesen beauftragten Dritten eine entsprechende Reservierungsbestätigung vorweisen, und zur Zahlung von 50 € Schadensersatz an die Klägerin verurteilt. Es hat die Klageansprüche für aus §§ 8, 9, 3, 4 Nr. 10 UWG begründet erachtet und hierzu ausgeführt:

Eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern nach § 4 Nr. 10 UWG durch Verleiten zum Vertragsbruch liege insbesondere dann vor, wenn ein Wettbewerber einen an einen Mitbewerber gebundenen Kunden in den irrigen Glauben versetze, er beziehe die Leistung von diesem Vertragspartner. Dies sei hier deshalb der Fall, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer feststehe, dass der Zeuge Mü. , dessen Verhalten die Beklagte sich nach § 8 Abs. 2 UWG zurechnen lassen müsse, bei der Zuweisung des Parkplatzes an die Familie Ri. und der Vereinnahmung des Parkentgelts gewusst habe, dass der Zeuge Ri. einen Parkplatz nicht beim Beklagten, sondern bei der Klägerin gebucht habe, und dadurch den Irrtum des Zeugen Ri. , er befinde sich auf dem Parkplatz der Klägerin und zahle an diese, aufrechterhalten habe. Die entsprechenden Angaben der als Zeugen 2 vernommenen Eheleute Ri. , an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln kein An- lass bestehe, seien glaubhaft. Die vom Zeugen Mü. gemachten Angaben seien demgegenüber in sich widersprüchlich, mit den sonstigen Umständen unvereinbar und insbesondere auch im Hinblick auf das Verhalten dieses Zeugen bei seiner Vernehmung und auf sein mittelbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits unglaubhaft. Der Zeuge Mü. habe den Zeugen Ri. zudem im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG irregeführt. Aus diesem Grund greife auch der vom Beklagten erhobene Uncleanhands-Einwand nicht durch. Der Schadensersatzanspruch in Höhe von 50 € ergebe sich aus § 9 UWG, weil der Zeuge Mü. die Klägerin durch sein Verhalten zum Verzicht auf ihren An- spruch auf Zahlung des mit dem Zeugen Ri. vereinbarten Parkentgelts her- ausgefordert habe.

Die vom Beklagten eingelegte Berufung hat zur Abweisung der Klage geführt. Das Berufungsgericht ist dabei - ohne weitere Beweisaufnahme - im Gegensatz zum Landgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin den Beweis für ein wettbewerbsrechtlich zu beanstandendes Verhalten des Beklagten nicht geführt habe, weil die Würdigung der erstinstanzlichen Zeugenaussagen zu einem non liquet führe und dies zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin gehe.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO). In der Sache ist sie ebenfalls begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dieses hat die erstinstanzlich vernommenen Zeugen entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO nicht erneut vernommen, obwohl es deren Aussagen anders gewürdigt hat als das Landgericht. Diese rechtsfehlerhafte Anwendung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4; Beschluss vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515 Rn. 6 und 8; Beschluss 5 vom 24. März 2010 - VIII ZR 270/09, BauR 2010, 1095 Rn. 5, jeweils mwN). Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist daher zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO).

1. Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm als glaubhaft angesehenen Bekundungen der Eheleute Ri. mit Recht einen Unterlassungs- anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus §§ 8, 3, 4 Nr. 10 UWG unter dem Gesichtspunkt des Verleitens zum Vertragsbruch in Form der Verstärkung eines Irrtums über die Person des Leistenden (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 4 Rn. 10.36a und 10.38) und aus §§ 8, 3, 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 UWG in Form der Verstärkung des Irrtums des Zeugen Ri. über die Person des Unternehmers, der ihm gegenüber die Dienstleistung erbrachte, bejaht. Die Haftung des Beklagten für den der Klägerin durch das Verhalten des Zeugen Mü. entstandenen Schaden folgte zwar nicht aus § 8 Abs. 2 UWG, wohl aber aus § 831 Abs. 1 BGB (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 9 Rn. 1.7). Der Beklagte, der insoweit nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB die Darlegungs- und Beweislast trägt, hat nicht vorgetragen, dass er bei der Auswahl des Zeugen Mü. , der die in Rede stehende geschäftliche Handlung für ihn vorgenommen hat, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre.

2. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Nach ständiger Rechtsprechung muss das Berufungsgericht die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen insbesondere dann regelmäßig nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es deren Aussagen anders würdigen will als die Vorinstanz. Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe 7 des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5; BKR 2010, 515 Rn. 9; BauR 2010, 1095 Rn. 6 f., jeweils mwN).

3. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung nicht vor.

a) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Klägerin den direkten Beweis dafür, dass der Zeuge Mü. die ihm vom Zeugen Ri. überge- bene bzw. vorgehaltene Buchungsbestätigung als eine solche der Klägerin erkannt hat, nicht geführt hat und auf eine solche Kenntniserlangung allenfalls aus den vom Landgericht in seinem Urteil dargelegten Umständen geschlossen werden kann. Danach ist für die Revision davon auszugehen, dass die Klägerin den ihr insoweit obliegenden Hauptbeweis (zumindest indirekt) geführt hat.

b) Das Berufungsgericht hat sodann aber ein non liquet mit der Begründung angenommen, die Aussage des Zeugen Mü. habe die aufgrund der Aussagen der Eheleute Ri. etwa gewonnene Annahme erschüttert, dem Zeugen Mü. sei durch Einsichtnahme in die vom Zeugen Ri. mitgebrach- te Buchungsbestätigung positiv bekannt geworden, dass es sich um eine Bestätigung der Klägerin gehandelt habe. Es hat hierzu ausgeführt, die Aussage des Zeugen Mü. sei entgegen der Ansicht des Landgerichts weder in sich wider- sprüchlich noch aus sonstigen Gründen unglaubhaft, sondern im Gegenteil jedenfalls nicht weniger glaubhaft als die Aussagen der Eheleute Ri. . Eine solche Beurteilung der Widerspruchsfreiheit und Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen Mü. , die insoweit ganz erheblich von der Beurteilung dieser Fra- gen abweicht, die das Landgericht auf der Grundlage des von ihm erhobenen Zeugenbeweises und der dabei gewonnenen Eindrücke vorgenommen hat, konnte das Berufungsgericht nach der vorstehend unter II 2 angeführten Rechtsprechung nicht ohne eigene Vernehmung der drei bei dem in Rede stehenden Vorgang anwesenden Zeugen vornehmen. 9 III. Das angefochtene Urteil beruht danach auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die drei Zeugen selbst erneut vernommen hätte.

Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

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LG Dresden, Entscheidung vom 25.01.2011 - 42 HKO 88/10 -

OLG Dresden, Entscheidung vom 24.05.2011 - 14 U 166/11 - 12