SG Berlin, Urteil vom 04.04.2012 - S 71 KA 301/10
Fundstelle
openJur 2012, 53213
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen 2) bis 6), die nicht erstattungsfähig sind.

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung als Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit der Zusatzbezeichnung Kinder-Rheumatologie und Immunpathologie.

Die im Jahr 1992 approbierte Klägerin besitzt seit dem 1. November 1995 die Anerkennung für das Fachgebiet Kinder- und Jugendmedizin und verfügt seit dem 25. August 2006 über die Zusatzbezeichnung Kinder-Rheumatologie. Hauptberuflich ist sie als Oberärztin am H.. Klinikum E… v.. B… im Berliner Bezirk S…-Z… tätig.

Mit Schreiben vom 31. August 2009 beantragte sie bei dem Zulassungsausschuss für Ärzte (im Folgenden: Zulassungsausschuss) eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung für bestimmte, in ihrem Antrag näher bezeichnete EBM-Ziffern. Ihren Antrag begründete sie damit, dass die Versorgung von chronisch kranken Kindern und Jugendlichen mit Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis und die große Anzahl möglicher differenzialdiagnostischer Erkrankungen vom betreuenden Arzt spezielle Kenntnisse in der Diagnostik und Therapie erfordere. Über solche verfüge sie aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen und Qualifikationen. Im gesamten südlichen Berliner Raum fehle ein derartig fachlich qualifizierter Ansprechpartner; die Möglichkeit einer kurzfristigen Behandlung sei nicht gegeben. Durch eine Ermächtigungssprechstunde im Klinikum E… v.. B… würde sich die Betreuungssituation für rheumakranke Kinder und Jugendliche im Süden Berlins deutlich verbessern.

Zur Ermittlung des Bedarfs schrieb der Zulassungsausschuss die Berufsverbände der Internistischen Rheumatologen sowie der Kinder- und Jugendärzte Berlin an.

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2009, ausgefertigt am 29. Januar 2010, lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag der Klägerin ab. Es bestehe kein Bedarf für die begehrte Ermächtigung. Dies ergebe sich zum einen aus den eingeholten Auskünften, zum anderen aber auch aus den persönlichen Ausführungen der Klägerin. So habe sie selbst erklärt, Rheuma sei keine häufige Erkrankung bei Kindern, und Patienten aus dem Süden Brandenburgs hätten es sehr weit, zu einem entsprechend qualifizierten Arzt im Norden Berlins zu gelangen. Aus der Versorgungssituation im Land Brandenburg könne jedoch kein Anspruch auf eine Ermächtigung im Land Berlin hergeleitet werden.

Gegen den der Klägerin am 1. Februar 2010 zugestellten Beschluss richtet sich der am 1. März 2010 eingegangene Widerspruch der Klägerin. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, es bestünden im Land Berlin ganz erhebliche Wartezeiten für eine Behandlung rheumakranker Kinder und Jugendlicher. Durch die begehrte Ermächtigung würde sich deren Versorgungssituation deutlich verbessern. Überdies seien Brandenburger Kinder auf eine Inanspruchnahme von Spezialisten in Berlin angewiesen.

Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte in seiner Sitzung vom 28. April 2010 durch am 8. Juni 2010 ausgefertigten Widerspruchsbescheid zurück. Der Verband der Kinder- und Jugendärzte habe mitgeteilt, dass es für rheumatische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen in Berlin ausreichende Behandlungsmöglichkeiten gebe. Auch der Patientenvertreter (Mitglied der Berliner Rheumaliga) habe gegenüber dem Zulassungsausschuss seine Erkenntnisse dahingehend beschrieben, dass ausreichende Behandlungsmöglichkeiten bestünden und lange Wartezeiten nicht mitgeteilt worden seien. Dies sei auch im Hinblick auf die „Anhaltszahlen zum Bedarf an internistischen Rheumatologen, Kinderrheumatologen, Akutkrankenhausbetten und medizinischer Rehabilitation“ der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. nachvollziehbar. Dort werde der Bedarf an Kinderrheumatologen dahingehend beschrieben, dass ein Kinderrheumatologe ausreiche, um 200.000 bis 250.000 Kinder im Alter bis zu 17 Jahren zu versorgen. Ausgegangen werde dabei von 130 Fällen rheumatischer und autoinflammatorischer Erkrankungen pro 100.000 Kinder. Bei einer Kinderzahl von ca. 500.000 in Berlin bestehe ein Bedarf an (rund) zwei Kinderrheumatologen. In Berlin gebe es drei niedergelassene Kinder- und Jugendmediziner mit der Zusatzbezeichnung Kinder-Rheumatologie (Dr. B…, Dr. St…-B…, Dipl.-med. T…). Darüber hinaus verfüge noch ein weiterer Arzt – Herr Dr. S… – über Behandlungsmöglichkeiten bei kinderrheumatologischen Erkrankungen. Zusätzliche Behandlungsmöglichkeiten bestünden in der Abteilung für Kinder-Rheumatologie der Charité, im Klinikum Berlin-Buch und im Vivantes-Klinikum Friedrichshain. Teile des Landes Brandenburg seien in die Beurteilung der Versorgungssituation nicht einzubeziehen.

Am 9. Juli 2010 erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Der Beklagte habe den Sachverhalt nur unvollständig ermittelt und sich nur mit der Frage eines quantitativen Bedarfs - nicht aber auch eines qualitativen Bedarfs – auseinandergesetzt. Alleiniger Anknüpfungspunkt könne insoweit der Umstand sein, dass sie – die Klägerin – auf dem Gebiet der Kinderrheumatologie über eine Zusatz-Weiterbildung verfüge und – damit verbunden – über eine Berechtigung zur Abrechnung der entsprechenden Leistungen. Zudem sei hinsichtlich des ermittelten quantitativen Bedarfs die reale Versorgungslage außer Betracht gelassen worden. Eine – ihrer Auffassung nach – bestehende Wartezeit von 4 bis 6 Wochen sei zu lang. Der Beklagte hätte zur Ermittlung der Versorgungssituation die Vertragsärzte anschreiben müssen, denn nur diese – und nicht die Berufsverbände – wüssten, welche Leistungen sie in welchem Umfang erbringen und ob, bezogen auf die beantragten Leistungen, eine Ermächtigung erforderlich sein könnte. Weiterhin seien die Kinderrheumatologen in Berlin geographisch ungleich verteilt; südlich der Stadtteile Schöneberg und Kreuzberg befänden sich keine entsprechenden Niederlassungen. Diese Lücke könnte sie – die Klägerin – schließen. Zudem befürworte die Rechtsprechung in bestimmten Fällen eine planungsbezirksübergreifende Betrachtung des Versorgungsbedarfs (BSG, Urteil vom 25.11.1998, Az. B 6 KA 81/97, LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 09.02.2005, Az. L 3 KA 290/03). Hochspezialisierte Berliner Ärzte würden angesichts der Zentrumsfunktion der Stadt auch von Patienten außerhalb der Grenzen des Versorgungsgebietes in Anspruch genommen. Insofern müsste in eine Betrachtung auch die Versorgungssituation im Land Brandenburg Eingang finden.

Auf Anregung des Gerichts hin führte der Beklagte weitere Ermittlungen zu der Versorgungssituation im Bereich der Kinderrheumatologie in Berlin durch und schrieb die auf diesem Gebiet tätigen Berliner Vertragsärzte an. Weiterhin bat sie die Beigeladene zu 1) um Mitteilung, wie viele Fallzahlen mit den Abrechnungsnummern EBM 04550 und 04551 im Zeitraum der letzten vier Abrechnungsquartale (rückgerechnet seit Mai 2011) pro Arzt und insgesamt abgerechnet worden seien. Dieser Bitte kam die Beigeladene zu 1) mit an den Beklagten gerichtetem Schreiben vom 4. Oktober 2011, auf dessen Inhalt an dieser Stelle verwiesen wird, nach.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Beklagten vom 28. April 2010 in der schriftlichen Fassung vom 8. Juni 2010 aufzuheben und

den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zur Erbringung der Leistungsinhalte und zur Abrechnung der folgenden EBM-Nummern im Bereich der pädiatrischen Rheumatologie zu erteilen: 01310, 01311, 01600, 01601, 01602, 01435, 01620, 01622, 02101, 02200, 02341, 02360, 01436, 04212, 04550, 04551, 30712, 32042 und 33050.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich zum einen auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid. Ergänzend führt er aus, die vertragsärztlich tätigen Kinderärzte seien nur dann anzuschreiben, wenn sich ein konkreter Anhaltspunkt dafür ergebe, dass die von den Berufsverbänden geschilderten Gegebenheiten sich in der Praxis anders darstellten. Der Amtsermittlungsgrundsatz besage nicht, dass jede auch nur fernliegende Erkenntnismöglichkeit ausgeschöpft werden müsse. Zudem könne eine bloße Verbesserung der Behandlungssituation keinen Anspruch auf eine Ermächtigung begründen. Es sei vielmehr erforderlich, dass eine ausreichende ärztliche Versorgung ohne die Ermächtigung der Klägerin nicht sichergestellt sei. Davon könne hier keine Rede sein. Die auf Veranlassung des Gerichts durchgeführten Ermittlungen hätten bestätigt, dass von Anfang an kein Grund bestanden habe, an einer ausreichenden Versorgung von Kindern mit rheumatischen Erkrankungen zu zweifeln. In Berlin gebe es neben den drei bereits genannten, niedergelassenen Kinder- und Jugendmedizinern mit der Zusatzbezeichnung Kinder-Rheumatologie (Dr. B…, Dr. St…-B…, Dipl.-med. T…) noch einen vierten niedergelassenen Kinder- und Jugendmediziner mit entsprechender Zusatzbezeichnung, und zwar Dr. H…. Damit sei sowohl der quantitative, als auch der qualitative Bedarf gedeckt.

Die Beigeladene zu 1) beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zunächst auf den angefochtenen Beschluss des Beklagten. Ergänzend führt sie aus, neben einer speziellen Dispensaire-Einrichtung, die gemäß § 311 Abs. 2 SGB V an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung teilnehme, seien weitere niedergelassene Kinderärzte berechtigt, kinderrheumatologische Leistungen zu erbringen. Dies sei zum einen Herr Dr. S… und zum anderen Frau Dr. St…. Weiterhin hätten sich die Zulassungsgremien in Berlin mit einer ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung der GKV-Versicherten im Land Berlin und nicht mit der Versorgung der GKV-Patienten aus Brandenburg zu befassen.

Die Beigeladenen zu 2) – 6) haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten des Beklagten, die in der mündlichen Verhandlung vorlagen und Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angegriffene Beschluss des Beklagten vom 28. April 2010 (schriftliche Fassung vom 8. Juni 2010), der alleiniger Gegenstand der vorliegenden Klage ist, weil er den Bescheid des Zulassungsausschusses ersetzt hat (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. zum Beispiel BSG, SozR 3–2500 § 96 Nr. 1; Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 10. Auflage 2012, § 95, Rn. 2b), ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach § 116 Satz 2 SGB V (wortgleich mit § 31a Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV) ist eine Ermächtigung zu erteilen, soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnisse von hierfür geeigneten Krankenhausärzten nicht sichergestellt wird. Diese Regelung entspricht dem Vorrang der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung durch die niedergelassenen Vertragsärzte (und - seit dem 1. Januar 2004 hinzugekommen - die Medizinischen Versorgungszentren); Ermächtigungen kommen nur dann in Betracht, wenn die ambulante Versorgung von den niedergelassenen Ärzten (und den Medizinischen Versorgungszentren) nicht gewährleistet ist ( vgl. z. B. BSGE 70, 167, 173 = SozR 3-2500 § 116 Nr. 2 S 15; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 23 S 102; SozR 3-5520 § 20 Nr. 4 S 42; BVerfG <Kammer> SozR 4-1500 § 54 Nr. 4 Rn. 4, jeweils m.w.N. ). Die Ermächtigung eines Krankenhausarztes gemäß § 116 SGB V und § 31a Abs. 1 Ärzte-ZV erfordert nach der Rechtsprechung des BSG entweder einen quantitativ-allgemeinen (hierzu unter I.) oder einen qualitativ-speziellen (hierzu unter II.) Versorgungsbedarf (ständige Rechtsprechung: z. B. BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 11 S 59; BSGE 73, 25, 29 = SozR 3-2500 § 116 Nr. 4 S 29; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24 S 111 f.). Die gerichtliche Überprüfung ist allerdings insofern begrenzt, als den Zulassungsgremien bei der Prüfung und Feststellung des Versorgungsbedarfs ein der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. z. B BSGE 73, 25, 29 = SozR 3-2500 § 116 Nr. 4 S. 29; SozR 3-2500 § 97 Nr. 2 S. 6; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24 S. 111).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat bei seiner Beurteilung, eine Versorgungslücke bestehe nicht, die für die Bedarfsprüfung maßgeblichen Rechtsmaßstäbe beachtet.

I.

Zum einen ließ sich kein quantitativ-allgemeiner Versorgungsbedarf für die von der Klägerin zur Ermächtigung beantragten Leistungen feststellen: Nach den Ermittlungen des Beklagten ergaben sich in quantitativer Hinsicht, das heißt nach der Zahl der kinderrheumatologisch tätigen Vertragsärzte und der weiteren ambulanten Leistungserbringer im Verhältnis zum rechnerischen Bedarf, keine Anhaltspunkte für ein etwaiges Versorgungsdefizit.

Bei der Prüfung, ob die Versorgung anderweitig sichergestellt ist, kommt es darauf an, ob andere Vertragsärzte die Versorgung bereits in ausreichendem Maße gewährleisten. Diese Prüfung hat umfassend zu erfolgen. In seiner Rechtsprechung hat der für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts zuständige 6. Senat des Bundessozialgerichts zwar hervorgehoben, dass zur Bedarfsermittlung die Befragung der bisherigen für solche Leistungen in Betracht kommenden Leistungserbringer erforderlich ist, und zusätzlich, dass diese Angaben ggf. auch objektiviert und verifiziert werden müssen, z.B. anhand von Anzahlstatistiken (vgl. BSGE 102, 21 = SozR 4-2500 § 101 Nr. 3, Rn. 18, 19, 28; BSG MedR 2009, 560 Rn. 18, 19, 26; BSGE 104, 116 = SozR 4-2500 § 101 Nr. 7, Rn. 16, 31; BSG SozR 4-2500 § 101 Nr. 6 Rn. 16, 24). Dies betraf jedoch jeweils Fälle, in denen die Angaben von vornherein zweifelhaft erschienen oder sich aus dem Vorbringen eines Beteiligten substantiierte Zweifel ergaben (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 29.06.2011, Az. B 6 KA 34/10 R, Juris). Anders stellt sich die Sachlage dar, wenn eine Situation vorliegt, in der die Zulassungsgremien keinen Anlass haben müssen, an der Richtigkeit der ihnen vorgelegten Angaben zu zweifeln. Sofern sich aus der Gesamtlage des Falles keine Bedenken aufdrängen, muss die Behörde einem Tatumstand nicht durch weitere Ermittlungen nachgehen (vgl. z. B. Rixen/Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl. 2011, § 20 Rn. 5 m.w.N). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, dass die Sachverhaltsermittlungen der Zulassungsgremien unzureichend gewesen wären. Die Zulassungsgremien haben Stellungnahmen des Berufsverbandes der Rheumatologen, des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte und des Patientenvertreters der Rheumaliga eingeholt sowie die Anzahl der in Berlin niedergelassenen Kinder- und Jugendmediziner mit der Zusatzbezeichnung Kinder-Rheumatologie und weitere Behandlungsmöglichkeiten ambulanter Leistungserbringer ermittelt. Sie sind danach zu einem übereinstimmenden und eindeutigen Bild zur kinderrheumatologischen Versorgungssituation in Berlin gelangt. Die Kammer sieht insoweit gemäß § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und bezieht sich auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid, die im Wesentlichen auch in dem obigen Tatbestand wiedergegeben sind.

Ein Indiz dafür, dass die Angaben über die Versorgungssituation zutreffen, durfte der Beklagte auch daraus entnehmen, dass die Klägerin keine hinreichend substantiierten Zweifel gegenüber diesen Ermittlungsergebnissen vorbrachte. Beschwerden von Patienten bei Krankenkassen über unzumutbare Wartezeiten waren ebenfalls nicht bekannt. Dem Beklagten konnten mithin unzureichende Sachverhaltsermittlungen nicht angelastet werden. Seine Beurteilung des Bedarfs ist nicht zu beanstanden.

Dessen ungeachtet haben der Beklagte und die Beigeladene zu 1) – auf Anregung des Gerichts - Ermittlungen zu der kinderrheumatologischen Versorgungssituation durchgeführt, die ihr bis dahin gefundenes Ergebnis bestätigt haben: Der Beklagte hat den Berliner Fachärzten, die auf dem Gebiet der Kinder-Rheumatologie tätig sind, einen Fragebogen zur „Feststellung der Versorgungssituation auf dem Gebiet der (internistischen) Rheumatologie“ übersandt. In diesen Fragebögen wurden viermal Wartezeiten, bis ein Termin zur Erstuntersuchung vergeben werden kann, von einer Woche und weniger (teils nur ein Tag) und dreimal solche von über einer Woche bis zu einem Monat angegeben, wobei jedoch durchgehend für dringende Fälle sofortige Behandlungskapazitäten mitgeteilt wurden. Auf die Frage, ob ein zusätzlicher Versorgungsbedarf, ausschließlich beschränkt auf das Gebiet der entzündlich-rheumatologischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen bestehe, wurde ein solcher einmal für das Gebiet des Berliner Südwestens bejaht, hingegen in allen anderen sechs Fällen verneint. Durchgängig wurden weitere, teils erhebliche Behandlungskapazitäten angegeben.

Selbst durch denjenigen Vertragsarzt, der einen weiteren Behandlungsbedarf für den Berliner Südwesten bejahte, wurden freie Kapazitäten für 30 weitere Behandlungen von Kindern und Jugendlichen mit entzündlich-rheumatologischen Erkrankungen mitgeteilt. Berücksichtigt man, dass es auch Versicherten aus dem Berliner Südwesten zugemutet werden kann, sich zur Behandlung in andere Berliner Stadtbezirke – auch solche im Norden der Stadt – zu begeben (siehe hierzu weiter unten), so ist selbst diese – von den übrigen Stellungnahmen auf den ersten Blick inhaltlich abweichende - Stellungnahme im Sinne der Bejahung eines ausreichenden Versorgungsbedarfs zu werten.

Damit hat der Beklagte mit seiner Bewertung, es bestünden keine unzumutbaren Wartezeiten, den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten (zur Problematik von Wartezeiten vgl. BSG SozR 4-2500 § 101 Nr. 6 Rn. 23 f.). Er ist auch unter dem Aspekt des Umfanges noch freier Kapazitäten der anderen kinderrheumatologisch tätigen Vertragsärzte und anderen auf diesem Gebiet tätigen Leistungserbringer beurteilungsfehlerfrei von einer Bedarfsdeckung ausgegangen. Dabei können auch die Angaben des Beklagten zugrunde gelegt werden, dass sich in Berlin bei rund 500.000 Kindern und Jugendlichen jährlich ca. 650 kinderrheumatologische Behandlungsfälle ergeben. Werden von den angeschriebenen Vertragsärzten zugleich noch freie Kapazitäten für mehrere Hundert Behandlungsfälle mitgeteilt, so bieten diese Zahlen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme des Beklagten, eine ausreichende kinderrheumatologische Versorgung sei bereits durch die vorhandenen vertragsärztlichen Leistungserbringer sichergestellt, fehlerhaft sein könnte.

Eine Versorgungslücke besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Erreichbarkeit der kinderrheumatologisch tätigen Vertragsärzte und der anderen auf diesem Gebiet tätigen ambulanten Leistungserbringer: Die Überprüfung des Versorgungsbedarfs unterliegt im Falle des § 119 SGB V - ebenso wie in sonstigen Fällen der Überprüfung einer Versorgungslücke - insofern einer regionalen Beschränkung, als die Annahme, eine ausreichende Versorgung sei bereits anderweitig sichergestellt, nur insoweit gerechtfertigt sein kann, als zumutbar erreichbare Versorgungsangebote bestehen.

Nach der insoweit heranzuziehenden Rechtsprechung des 6. Senats des Bundessozialgerichts zur Erteilung von Sonderbedarfszulassungen ist zu prüfen, ob die betroffenen Leistungen anderweitig angeboten werden und ob die Entfernungen dorthin zumutbar sind sowie ob keine unzumutbaren Wartezeiten bestehen (vgl. dazu im Rahmen der Rechtsprechung zur Erteilung von Sonderbedarfszulassungen BSG SozR 4-2500 § 101 Nr. 6 Rn.23 f; BSG SozR 4-2500 § 101 Nr. 8 Rn. 23 f, 27; vgl. auch BSG vom 8.12.2010 - B 6 KA 36/09 R - SozR 4-2500 § 101 Nr. 9 Rn. 20). Welche Entfernungen zumutbar sind, hängt davon ab, ob es sich um allgemeine Leistungen oder um spezialisierte Leistungen handelt; je spezieller die Leistungen sind, desto größere Entfernungen können den Betroffenen zugemutet werden. Zur sozialpädiatrischen Versorgung hat der 6. Senat des BSG ausgeführt, dass – da hier spezialisierte Leistungen in Frage stehen - kein Anspruch darauf besteht, eine solche Versorgung binnen 25 km erreichen zu können (BSG, Urteil vom 29.06.2011, Az. B 6 KA 34/10 R, Juris). Vielmehr können für spezialisierte Leistungen auch größere Entfernungen zumutbar sein, wie der 6. Senat des BSG auch am Beispiel kieferorthopädischer Leistungen ausgeführt hat (BSG, Urteil vom 09.02.2011, Az. B 6 KA 3/10 R, Juris).

Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Entfernungen haben die Zulassungs- und Berufungsausschüsse als fachkundig-sachverständige Gremien, die die konkreten Gegebenheiten zu bewerten haben, einen Beurteilungsspielraum, in den einzugreifen den Gerichten nur in engem Maße gestattet ist (vgl. dazu BSG SozR 4-2500 § 101 Nr. 9 Rn. 18; im Anschluss an BSG SozR 4-2500 § 101 Nr. 8 Rn. 15-18). Ihnen obliegt bis an die Grenzen der Vertretbarkeit die Beurteilung, welche Entfernungen im konkreten Fall noch zuzumuten sind. Solange den Versicherten keine unzumutbaren Entfernungen auferlegt werden, ist ihr Anspruch gewahrt; Anspruch auf eine an ihren Wünschen ausgerichtete - optimale - Versorgung haben sie nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. dazu z. B. BVerfGE 115, 25, 46 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 Rn. 27 m.w.N; BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr. 16, Rn. 35 am Ende; BSGE 102, 90 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 21, Rn. 28; BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2, Rn. 21, 41; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 24 Rn. 27; BSG vom 10.03.2011 - B 3 KR 9/10 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 33 Rn. 29).

Diesen Rahmen hat der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid eingehalten. Die Annahme des Beklagten, den Versicherten insbesondere aus dem Berliner Südwesten sei es zuzumuten, sich für die Erlangung kinderrheumatologischer Versorgung in die zentrumsnah gelegenen Stadtteile Schöneberg (Praxis Frau Dr. St…-B…) und Friedrichshain (Dispensaire-Einrichtung des Klinikums Friedrichshain) und auch darüber hinaus in nördlich des Zentrums gelegene Berliner Stadtteile (Dr. B…, Dr. H… und Dipl.-med. T…l, alle drei Berlin-B…) zu begeben, ist – insbesondere vor dem Hintergrund des sehr gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehrs in Berlin - nicht zu beanstanden. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass erkrankte und von Krankheit bedrohte Kinder und Jugendliche betroffen sind - und mit ihnen auch Familien, die sich durch die organisatorischen Anforderungen des täglichen Lebens stark belastet fühlen -, hält sich die Bewertung als zumutbar im Rahmen des dem Beklagten zustehenden Beurteilungsspielraums.

Die Auffassung der Klägerin, in eine Beurteilung des Versorgungsbedarfs sei angesichts der Zentrumsfunktion der Stadt Berlin die Versorgungssituation im Land Brandenburg mit einzubeziehen, ist unzutreffend: Der räumliche Bereich, für den zu klären ist, ob ein die vertragsärztliche Versorgung sicherstellendes Versorgungsangebot vorliegt, ist beim quantitativ-allgemeinen Bedarf der Planungsbereich, in dem der Krankenhausarzt praktiziert. Diese Anknüpfung an den Planungsbereich ergibt sich bei der Frage eines quantitativ-allgemeinen Versorgungsgrades aus den Vorgaben des § 101 Abs. 1 Satz 2, 5 und 6 SGB V (vgl. auch BSG, Urteil vom 19.07.2006, Az. B 6 KA 14/05 R, Juris, Rn. 18). Mit ihrer Auffassung, die vorhandenen bzw. nicht vorhandenen Versorgungsangebote in den benachbarten bzw. angrenzenden Bereichen des Landes Brandenburg seien zu berücksichtigen, verkennt die Klägerin die Rechtsmaßstäbe, die der Beklagte als rechtliche Grenzen seines Beurteilungsspielraums zu beachten hat. Die Einbeziehung der in anderen Planungsbereichen bestehenden Versorgungsangebote oder -defizite kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. In dem Fall eines atypisch zugeschnittenen Planungsbereichs hat der 6. Senat des Bundessozialgerichts es abgelehnt, allein auf Grund einer rechnerisch bestehenden Unterversorgung einen quantitativ-allgemeinen Bedarf anzunehmen; eine tatsächliche Unterversorgung bestand nicht, weil die Versorgung durch die Versorgungsangebote eines inmitten gelegenen anderen Planungsbereichs gedeckt wurde und deshalb die im rechnerisch unterversorgten Planungsbereich niedergelassenen Vertragsärzte noch Behandlungskapazitäten frei hatten (BSG SozR 3-2500 § 97 Nr. 2 S. 7). Ein weiterer Fall der Einbeziehung angrenzender Planungsbereiche kann nach der Rechtsprechung des 6. Senats des Bundessozialgerichts möglicherweise dann anzuerkennen sein, wenn der Versorgungsbedarf in einem Planungsbereich von nur geringer räumlicher Ausdehnung ersichtlich durch leicht und schnell erreichbare Versorgungsangebote der angrenzenden Bereiche gedeckt wird (zur Erwägung weiterer Ausnahmen bei besonderen regionalen Strukturen siehe auch BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 10 S. 56 ).

Eine der vorgenannten Fallgruppen liegt hier nicht vor. Die Planungsbereiche im Land Brandenburg sind in der Regel kongruent mit der jeweiligen kreisfreien Stadt oder dem jeweiligen Landkreis. Diese verhalten sich zu der Stadt Berlin geographisch nicht im Sinne der vorangehend beschriebenen Ausnahmekonstellationen, sondern grenzen seitlich an diese an. Überdies ist es zuvörderst Aufgabe der Zulassungsgremien im Land Brandenburg – und nicht derjenigen im Land Berlin – dort eine vertragsärztliche Versorgung in allen ärztlichen Bereichen sicherzustellen bzw. zu überprüfen, ob bzw. inwieweit im Falle spezieller Leistungen mit geringer Nachfrage unter erleichterten Voraussetzungen eine Verweisung auf Versorgungsangebote anderer Bereiche möglich oder gar generell geboten sein kann.

II.

Auch die Voraussetzungen eines qualitativ-speziellen Versorgungsbedarfs liegen nicht vor: Ein qualitativ-spezieller Versorgungsbedarf besteht, wenn bestimmte, für eine ausreichende Versorgung der Versicherten benötigte Leistungen von den zugelassenen Vertragsärzten nicht vorgehalten werden (vgl. z. B. BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 23 S. 102; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24 S. 111).

In diesem Zusammenhang ist die von der Beigeladenen zu 1) erstellte Anzahlstatistik zur Abrechnung der beiden EBM-Ziffern 04550 (Zusatzpauschale pädiatrische Rheumatologie) und 04551 (Zusatzpauschale spezielle kinderrheumatologische Funktionsdiagnostik) zu werten. Entsprechende Abrechnungen erfolgen zum einen in der Dispensaire-Einrichtung in Friedrichshain, zum anderen in der Praxis von Frau Dr. St…-B…, und zwar in einem Umfang von insgesamt zwischen 232 und 306 Fällen pro Quartal. Da die Abrechnung dieser beiden EBM-Ziffern an die Schwerpunktbezeichnung Kinder-Rheumatologie gebunden ist, die erst seit wenigen Jahren ihre Aufnahme in die Weiterbildungsordnung gefunden hat, können die weiteren Kinderärzte und die Rheumatologen, die über eine Qualifikation zur Behandlung rheumakranker Kinder verfügen, diese Gebührenordnungspositionen nicht abrechnen. Frau Dr. St…B… hat indes in dem ihr von dem Beklagten übersandten, oben näher bezeichneten Fragebogen angegeben, noch über weitere freie Behandlungskapazitäten zu verfügen. Zudem erfolgen entsprechende Behandlungen in großem Umfang in der Dispensaireeinrichtung, die eine ausgewiesene Spezialeinrichtung ist und auch noch über weitere Behandlungskapazitäten verfügt. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass bestimmte Leistungen der Kinderrheumatologie, die nur von Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin mit der Zusatzbezeichnung Kinder-Rheumatologie berechnet werden dürfen, von den zugelassenen Vertragsärzten und anderen ambulanten Leistungserbringern nicht vorgehalten würden. Entsprechendes wurde auch von der Klägerin selbst nicht dargelegt.

Der räumliche Bereich, für den zu klären ist, ob ein die vertragsärztliche Versorgung sicherstellendes Versorgungsangebot vorliegt, ist bei dem qualitativ-speziellen Versorgungsbedarf grundsätzlich - ebenso wie beim quantitativ-allgemeinen Bedarf - der Planungsbereich, in dem der Krankenhausarzt praktiziert. Diese Anknüpfung an den Planungsbereich ist auch bei der Ermittlung eines qualitativ-speziellen Versorgungsbedarfs maßgebend (BSG, Urteil vom 19.07.2006, Az. B 6 KA 14/05 R, Juris, Rn. 18, vgl. auch BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24 S. 111 f. ). Insofern gelten die obigen Ausführungen zum Planungsbereich entsprechend, das heißt, auch im Hinblick auf einen qualitativ-speziellen Versorgungsbedarf ist allein auf die Stadt Berlin, nicht jedoch auf das südwestlich angrenzende Brandenburger Umland abzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Kosten der Beigeladenen 2) bis 6) waren nicht erstattungsfähig, da sie keine eigenen Anträge gestellt haben und damit kein eigenes Kostenrisiko eingegangen sind.

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