Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.04.2010 - 10 CS 10.1040
Fundstelle
openJur 2012, 107373
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller meldete für den 1. Mai 2010 eine Versammlung in Würzburg mit dem Thema „Freie Völker statt freier Märkte“ mit einer zu erwartenden Teilnehmerzahl von ca. 450 Teilnehmern an.

Mit Bescheid vom 8. April 2010 verbot die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung sowie jede Art von Ersatzveranstaltungen am 1. Mai 2010 in Würzburg unter freiem Himmel (Nr. 1. des Bescheids) und ordnete für den Fall, dass bis zum geplanten Beginn dieser Versammlung durch ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das Versammlungsverbot wieder hergestellt werden sollte, zahlreiche Beschränkungen für die Versammlung an (Nr. 2.). Das Versammlungsverbot wurde im Wesentlichen damit begründet, dass durch die Durchführung der angezeigten Versammlung die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet sei. Bereits durch die radikale Ausrichtung der Teilnehmer dieser Versammlung sei eine derartige Gefährdung indiziert. Nachdem für denselben Tag in Würzburg auch eine Kundgebung des linken Lagers angemeldet sei, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass es anlässlich der Versammlung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Versammlungsteilnehmern und den Anhängern des linksextremen Lagers kommen werde. Solche Ausschreitungen und erhebliche Straftaten könnten trotz eines massiven Polizeiaufgebotes nicht ausgeschlossen werden.

Auf den nur auf das Versammlungsverbot beschränkten Eilantrag des Antragstellers vom 23. April 2010 hin hat das Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschluss vom 27. April 2010 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Nr. 1. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 8. April 2010 angeordnet. Gemessen an den im Fall eines Versammlungsverbots zu stellenden strengen Anforderungen für die Gefahrenprognose erweise sich das angefochtene Verbot als rechtswidrig. Die Erwartung der Teilnahme (einzelner) gewaltbereiter Personen an der Versammlung aus der autonomen rechtsextremen Szene rechtfertige das Verbot nicht. Insoweit habe die Antragsgegnerin schon die hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen nicht belegt. Die aufgrund von Gegendemonstrationen durch gewaltbereite Gruppierungen aus dem linken Lager befürchteten Gefahren rechtfertigten das Verbot ebenfalls nicht. Das Vorliegen eines polizeilichen Notstands könne trotz der bundesweit am 1. Mai erforderlichen polizeilichen Einsätze nicht festgestellt werden. Dies lasse sich auch den polizeilichen Gefahrenprognosen nicht entnehmen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 28. April 2010 mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. April 2010 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.

Zur Begründung der Beschwerde wird vorgetragen, das Verwaltungsgericht habe die vorliegende Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums Unterfranken vom 26. April 2010 verkannt. Danach sei mit gewalttätigen Ausschreitungen sowohl auf Seiten der Rechtsextremen als auch der linksautonomen Szene zu rechnen. Das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend gewürdigt, dass die in Würzburg angemeldete Demonstration nur als Ausweichveranstaltung für den Fall vorgesehen sei, dass die (parallel angemeldete) Demonstration in Schweinfurt scheitere. Zwar bestehe (derzeit) kein polizeilicher Notstand. Aufgrund des „Dynamisierungspotentials“ der beiden in räumlicher Nähe angemeldeten Demonstrationen müsse die Schwelle für ein Verbot hier allerdings niedriger angesetzt werden. Falls Demonstranten aus dem Raum Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg bereits in Würzburg aus dem Zug (Richtung Schweinfurt) stiegen, um sich für die Demonstration in Würzburg zu sammeln, sei der polizeiliche Einsatz in Würzburg nicht mehr steuer- bzw. kalkulierbar. Das Gleiche gelte, wenn sich Demonstranten nach einer missglückten Demonstration in Schweinfurt mit der Bahn nach Würzburg begäben. Bei einer spontanen Verschiebung der Demonstration nach Würzburg könnten entsprechende Polizeikräfte nicht schnell genug dorthin beordert werden.

Der Beschwerde beigefügt ist eine ergänzende Stellungnahme des Polizeipräsidiums Unterfranken vom 28. April 2010 zur polizeilichen Gefahrenprognose anlässlich der Demonstration. Darin wird u.a. ausgeführt, für den Gesamteinsatz in Unterfranken stünden wegen der angespannten Sicherheitslage im Bundesgebiet nur sehr begrenzt Einsatzkräfte zur Verfügung.

Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Angesichts der zeitgleichen Veranstaltungen in Schweinfurt und Würzburg und des jeweils eng gesetzten zeitlichen Rahmens komme ein organisiertes Ausweichen schon rein tatsächlich nicht in Betracht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die beantragte Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und die Ablehnung des Eilantrags des Antragstellers.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin hat das Erstgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Voraussetzungen für ein Verbot der Versammlung in Würzburg nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht vorliegen.

Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung von im Hinblick auf den Schutz der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) zutreffenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Versammlungsverbot, insbesondere auch von der die Behörde für das Vorliegen von Verbotsgründen treffende Darlegungs- und Beweislast (vgl. zuletzt BVerfG vom 4.9.2009 NJW 2010, 141/142 RdNrn. 9 ff. m.w.N.), ausgegangen. Ein Versammlungsverbot scheidet nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zudem aus, solange mildere Mittel und Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie versammlungsrechtliche Auflagen bzw. Beschränkungen und der verstärkte Einsatz polizeilicher Kontrollen nicht ausgeschöpft sind (vgl. BVerfG vom 4.9.2009 a.a.O. S. 143 RdNr. 17).

Die Beschwerdebegründung vermag auch unter Berücksichtigung der aktualisierten polizeilichen Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums Unterfranken vom 28. April 2010 nicht hinreichend substantiiert aufzuzeigen, dass das streitbefangene Versammlungsverbot diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.

Nicht gerechtfertigt werden kann das Verbot insbesondere mit den sicherheitsrechtlichen Bedenken der Antragsgegnerin hinsichtlich der von ihr befürchteten „massiven Auseinandersetzungen“ zwischen „Linksautonomen“ und „Rechtsextremisten“ bei einem Aufeinandertreffen dieser beiden Gruppierungen anlässlich dieser Versammlung. Zwar kommt das Polizeipräsidium Unterfranken in der ergänzenden polizeilichen Gefahrenprognose vom 28. April 2010 zu der nachvollziehbaren Einschätzung, dass aufgrund fortschreitender Mobilisierungen im rechten und linken Lager die Wahrscheinlichkeit gewalttätiger Ausschreitungen zugenommen hat. Angaben über den Anteil gewaltbereiter Versammlungsteilnehmer und Gegendemonstranten fehlen in dieser Einschätzung jedoch ebenso wie konkrete Erkenntnisse und Bewertungen, wie viele gewaltbereiten Personen bei den parallelen Versammlungen in Würzburg und in Schweinfurt jeweils erwartet werden.

Dass das Verbot aufgrund der befürchteten gewalttätigen Auseinandersetzungen unter dem Gesichtspunkt des polizeilichen Notstands (vgl. dazu BVerwG vom 1.10.2008 Az. 6 B 53/08 <juris> RdNr. 5 mit Rechtsprechungsnachweisen) gerechtfertigt ist, wird auch mit der Beschwerdebegründung nicht schlüssig dargelegt. Zum einen wird darin zunächst ausgeführt „Zwar besteht kein polizeilicher Notstand, aber aufgrund dieses Dynamisierungspotentials (der in räumlicher Nähe angemeldeten Demonstrationen) muss die Schwelle für ein Verbot niedriger angesetzt werden…“. Im Folgenden wird dagegen ohne nähere Angaben und Zahlen behauptet, ein polizeilicher Notstand würde allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit entstehen, wenn Demonstranten (z.B. aus dem Raum Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg) schon in Würzburg aus dem Zug stiegen und sich dort für die Demonstration sammelten. Warum in einem derartigen Fall ein Polizeieinsatz in Würzburg „nicht mehr steuer- bzw. kalkulierbar“ sein soll, wird nicht nachvollziehbar begründet.

Die in der polizeilichen Stellungnahme vom 28. April 2010 getroffene Aussage, dass für den Gesamteinsatz (in Würzburg und Schweinfurt) wegen der angespannten Sicherheitslage im Bundesgebiet nur sehr begrenzt Einsatzkräfte zur Verfügung stünden und eine Verlagerung von Einsatzkräften aus Schweinfurt innerhalb kurzer Zeit nicht zu realisieren sei, bleibt letztlich zu vage, um den von der Antragsgegnerin behaupteten polizeilichen Notstand zu begründen. Eine nachvollziehbare und schlüssige Feststellung dazu, dass die Polizei nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe anderer Bundesländer ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit sowohl in Würzburg als auch in Schweinfurt wirksam abzuwehren und gegebenenfalls die bedrohten Rechtsgüter zu schützen, ist weder der Beschwerdebegründung noch der dieser beigefügten ergänzenden aktualisierten polizeilichen Gefahreneinschätzung zu entnehmen.

Allein in dem Umstand, dass die Polizei möglicherweise derzeit noch nicht hinreichend einschätzen kann, wie viele der erwarteten Versammlungsteilnehmer an der Veranstaltung in Würzburg und wie viele an der Demonstration in Schweinfurt teilnehmen werden, sieht der Senat entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kein entsprechendes „Dynamisierungspotential“, das ein Verbot vorliegend gleichwohl rechtfertigen könnte. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen, welche Demonstranten oder Gegendemonstranten an welchem Bahnhof aussteigen oder zwischen den beiden Orten spontan wechseln könnten, sind jedenfalls dafür nicht ausreichend. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Versammlungsbehörden in Würzburg und Schweinfurt - in Abstimmung mit der Polizei - in den jeweiligen Bescheiden einen identischen zeitlichen Rahmen für die Veranstaltungen (13.00 bis 17.00 Uhr) verbindlich vorgegeben haben, um eine Teilnahme an beiden Versammlungen auszuschließen. Aus der gewählten Strategie nun ein „Dynamisierungspotential“ abzuleiten, das ein Verbot rechtfertigt, ist der Antragsgegnerin wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens verwehrt.

Ein quasi vorbeugendes Versammlungsverbot wegen befürchteter Ausschreitungen lediglich einer gewaltorientierten Minderheit ist auf der Grundlage der vorliegenden Gefahrenprognosen nach alledem nicht zulässig.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).