OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.12.2011 - 2 Ws 43/11
Fundstelle
openJur 2012, 67572
  • Rkr:

Zur Fortdauer der Sicherungsverwahrung in einem "Altfall" nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011 (2 BvR 2333/08).

Tenor

Die Sicherungsverwahrung aus dem Urteil des Landgerichts C. vom 20. März 1990 wird für erledigt erklärt.

Es tritt Führungsaufsicht ein, deren Dauer auf fünf Jahre festgesetzt wird.

Der Untergebrachte wird der Bewährungshilfe unterstellt.

Er hat sich am Tag nach seiner Entlassung bei der örtlich zuständigen Bewährungshilfe zu melden.

Die nähere Ausgestaltung der Führungsaufsicht wird der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts D. übertragen.

Die Kosten des gesamten Beschwerdeverfahrens gegen den Beschluss des Landgerichts D. vom 13. Januar 2011 und die dem Untergebrachten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Mit Urteil des Landgerichts C. vom 20.3.1990 wurde der Untergebrachte A., wegen sexueller Nötigung in vier Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der neben zahlreichen Delikten wie Diebstahl, gefährlicher Körperverletzung usw. insbesondere wegen Totschlags und sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung vorverurteilte Untergebrachte hatte in mehreren Fällen einen ... 20-Jährigen zum Analverkehr gezwungen. Zuvor war der Untergebrachte mit Urteil vom 22.12.1977 wegen Tötung eines 13-Jährigen aus Eifersucht nach homosexuellem Verkehr zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Rund vier Monate nach Teilverbüßung dieser Jugendstrafe hatte er unter Würgen und Todesdrohung einen 19-Jährigen zum Anal- und Oralverkehr gezwungen und war deshalb mit Urteil vom 25.2.1982 wegen sexueller Nötigung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Nachdem die Reststrafe aus diesem Urteil zum 1.9.1987 zur Bewährung ausgesetzt worden war, hatte er im April 1989 die verfahrensgegenständlichen Straftaten begangenen. Gestützt auf ein Gutachten des Sachverständigen Dr. E. ging die Strafkammer von einer neurotischen Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen aus, die sich allerdings auf die Schuldfähigkeit nicht ausgewirkt habe.

Nach einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt F. vom 9.6.1994, aus der sich ergibt, dass der Untergebrachte am 6.3.1991 in die Sozialtherapie verlegt, bereits am 24.4.1991 wegen Therapieunwilligkeit aber zurückverlegt worden war, lehnte das Landgericht G. mit Beschluss vom 1.7.1994 die bedingte Aussetzung der Restfreiheitsstrafe ab. Das Strafende war - nach Verbüßung auch des o.g. Strafrests nach Bewährungswiderruf - am 12.9.1996 erreicht. Seither befindet sich der Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung, deren Vollziehung mit Beschluss des Landgerichts G. vom 6.12.1996, der sich auf ein kriminalprognostisches Gutachten der Sachverständigen Dr. H. vom 11.9.1996 stützte, angeordnet wurde. Mit Beschluss des Landgerichts D. vom 29.7.1999 wurde der Untergebrachte nach Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. I. am 31.5.1999 in den Vollzug in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus überwiesen. Nach kurzem Aufenthalt im PLK J. wurde er am 27.9.1999 in das örtlich für ihn zuständige PLK K. eingewiesen. Bereits am 29.2.2000 stellte die Anstalt einen Antrag auf Abbruch der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, dem das Landgericht L. mit Beschluss vom 17.4.2000 entsprach. Seit dem 19.6.2000 befindet sich der Untergebrachte wieder in der JVA D.. Einem neuerlichen Antrag auf Überweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus lehnte die Strafvollstreckungskammer nach gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen Prof. M. vom 24.5.2005, 15.8.2005 und 28.2.2006 sowie des Sachverständigen Dr. N. vom 24.1.2006 am 11.4.2006 ab.

Zehn Jahre der Sicherungsverwahrung waren am 12.9.2006 vollstreckt.

Mit am 9.7.2010 eingekommenen Schriftsatz seines Verteidigers beantragte der Untergebrachte die Erledigung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 (StV 2010, 181ff.). Dem gab die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts D. nicht statt, sondern ordnete - gestützt auf ein unter dem Datum vom 23.9.2010 erstelltes Gutachten der Sachverständigen Dr. O. - mit Beschluss vom 13.1.2011 die die Fortdauer der Sicherungsverwahrung an. Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten hat der Senat mit Beschluss vom 18.3.2011 bis zum Abschluss des mit Anfragebeschluss des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 9.11.2010 (BGHSt 56, 73ff.) eingeleiteten Verfahrens nach § 132 GVG das Ruhen des Verfahrens angeordnet und im übrigen das Rechtsmittel des Untergebrachten als unbegründet verworfen, da weiterhin eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten sei (vgl. BGHSt 56, 73ff.). Mit Beschluss vom 7.6.2011 hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen und gleichzeitig den Sachverständigen Prof. P. mit der Erstellung eines Gutachtens, das sich mit der Kriminalprognose und der Frage des Vorliegens einer psychischen Störung befassen sollte, beauftragt.II.

1. Die Sicherungsverwahrung ist für erledigt zu erklären. Zwar folgt diese Erledigung nicht - wie vom Senat früher vertreten (vgl. NStZ-RR 2010, 322) - aus dem Umstand, dass in sog. Altfällen, zu denen auch der vorliegende zählt, in konventionskonformer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB unter Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 (StV 2010, 181ff.) das Rückwirkungsverbot mit der Folge einer zehnjährigen Befristung der ersten Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs.1 StGB gilt. Nachdem diese Rechtsprechung des Senats mit bindendem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23.5.2011 (NJW 2011, 1981f.) für rechtsfehlerhaft erklärt wurde, liegt ein Vollstreckungshindernis nicht vor, so dass eine Erledigung der Sicherungsverwahrung aus diesem Grund nicht in Betracht kommt.

2. Doch kam eine Fortdauer der unter Berücksichtigung des vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4.5.2011 (NJW 2011, 1931ff.) geforderten strikten Verhältnismäßigkeitsgebots nicht mehr in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil die Regelung des § 67d Abs. 3 S. 1 StGB für unvereinbar mit dem Freiheitsgrundrecht der Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 104 Abs. 1 S. 1 GG und, soweit sie wie hier zur Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus auch dann ermächtigt, wenn die Anlasstaten vor dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten u.a. vom 26.1.1998 begangen worden waren, mit den Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 20 Abs. 3 GG erklärt. Die Vorschrift darf allerdings bis zu einer spätestens am 31.5.2013 zu schaffenden Neuregelung durch den Gesetzgeber nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiter angewandt werden. Danach ist eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus in diesen Fällen nur dann zulässig, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualdelikte aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne des ThUG leidet.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

a) Der Untergebrachte leidet an keiner relevanten psychischen Störung.

Bei der Voraussetzung einer psychischen Störung, deren Vorliegen zuverlässig nachgewiesen werden muss (OLG Hamm B. v. 9.6.2011, 4 Ws 207/10; OLG Celle, B. v. 19.7.2011, 2 Ws 380/10; EGMR EuGRZ 1979, 650, 654; Entscheidung vom 20.5.2003, Nr. 50272/99; vom 13.1.2011, Nr. 17792/07), handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der vom Richter auszufüllen ist (BVerfG StraFo 2011, 416). Dieser hat sich dabei an Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. e EMRK zu orientieren. Denn mit dem Erfordernis des Vorliegens einer psychischen Störung für die Fortdauer der Unterbringung soll der Rechtsprechung des EGMR Rechnung getragen werden, der in seiner Entscheidung vom 17.12.2009 (StV 2010, 181ff.) den sonst die Freiheitsentziehung bei Straftätern erlaubenden Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. a EMRK für die weitere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bei nachträglichem Wegfall der 10-Jahres-Frist nicht ausreichen lässt, so dass in diesen sog. Altfällen die fortwährende Freiheitsentziehung nur auf die Grundlage des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. e EMRK gestützt werden kann. Eine Ausweitung des Begriffs der psychischen Störung über Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. e EMRK hinaus hätte wiederum eine Verletzung der EMRK zur Folge (vgl. auch Pfister in: Nedopil, Die Psychiatrie und das Recht - Abgrenzung und Brückenschlag, S. 58, 71).

Den in der EMRK verwendeten Begriff der unsound mind (un aliéné), der im Ratifizierungsgesetz für die MRK mit Geisteskrankheit übersetzt wird (vgl. weiteren englischen Begriff Dittmann in: Nedopil, Die Psychiatrie und das Recht - Abgrenzung und Brückenschlag, S. 131, 147), haben die Organe der EMRK bisher allerdings nicht abschließend definiert, um dem Wandel des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Verständnisses psychischer Störungen Rechnung zu tragen (EGMR EuGRZ 1979, 650, 653; Renzikowski ZIS 2011, 531, 536 mit ausf. Nachw.; Dittmann in: Nedopil, Die Psychiatrie und das Recht - Abgrenzung und Brückenschlag, 131, 144f.). Eine im engen Sinne psychiatrische Erkrankung wird deshalb nicht verlangt. Vielmehr sind darunter auch charakterliche Anomalien, was nach neuerer Nomenklatur einer Persönlichkeitsstörungen entsprechen dürfte, subsumiert worden (EKMR, Entscheidung vom 12.7.1976, Nr. 7493/76). Damit kann tatsächlich das Vorliegen einer dauernden schweren Störung der Verstandestätigkeit, des Willens oder des Gefühls- und Trieblebens genügen (Renzikowski ZIS 2011, 531, 537 m.w.Nachw.; BT-Drs. 17/3403 S. 54). Dagegen reicht ein normabweichendes Verhalten nicht aus, um eine Störung anzunehmen (EGMR EuGRZ 1979, 650, 653). Ebensowenig genügt die Feststellung eines abnorm aggressiven und ernsthaft unverantwortlichen Verhaltens (vgl. aber BT-Drs. 17/3403 S. 53; BVerfG StraFo 2011, 416), da nach der sich im Tatbestand der Entscheidung des EGMR vom 20.2.2003 (Nr. 50272/99) zu findenden Formulierung die Störung sich in dem umschriebenen Verhalten äußern muss (manifested), so dass dieses eine psychische Störung nicht definiert, sondern voraussetzt.

Damit rechtfertigt die Rechtsprechung der Konventionsorgane es, eine psychische Störung auch bei Persönlichkeitsstörungen - einschließlich der dissozialen Persönlichkeitsstörung - anzunehmen (vgl. BVerfG NJW 2011, 1931ff.; StraFo 2011, 416; BGH NJW 2011, 2744ff.; auch OLG Hamm B.v. 9.6.2011, 4 Ws 207/10; EKMR, Entscheidung vom 12.7.1976, Nr. 7493/76; vgl. aber EGMR, Entscheidung vom 13.1.2011, Nr. 17792/07), wenn sie über eine bloße Persönlichkeitsprägung oder ein sozial abweichendes Verhalten hinausgehen, ohne dass sie den Grad erreichen müssten, bei dem von einer Einschränkung der Schuldfähigkeit nach den §§ 20, 21 StGB auszugehen ist (BVerfG NJW 2011, 1931ff.; StraFo 2011, 416; BGH StV 2011, 485; NJW 2011, 2744ff.). Die geforderte zuverlässige Feststellung einer solchen Störung kann aber nur in Anlehnung an die Begriffswahl der anerkannten Diagnoseklassifikationen ICD 10 und DSM IV erfolgen, wobei die dort umschriebene Symptomatik - auch um eine Abgrenzung zur Persönlichkeitsakzentuierung zu ermöglichen - für den Betroffenen mit einer Beeinträchtigung auf der individuellen, aber auch kollektiven und sozialen Ebene verbunden sein muss, die über das Begehen von Straftaten hinausgeht (BT-Drs. 17/3403 S. 54; BVerfG StraFo 2011, 416; OLG Hamm B. v. 9.6.2011, 4 Ws 207/10; vgl. auch OLG Celle B. v. 19.7.2011, 2 Ws 380/10).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. P. in seinem Gutachten vom 14.10.2011, das er in der Anhörung vom 23.11.2011 auf Fragen der Verfahrensbeteiligten näher erläutert hat, lässt sich eine spezifische bzw. kombinierte Persönlichkeitsstörung nicht objektivieren. Der Untergebrachte sei bei seiner Exploration durch den Sachverständigen im wesentlichen konturiert, gefasst und verbindlich aufgetreten. Dissoziale Absichten habe er nicht zur Sprache gebracht. Von Gewalttätigkeiten habe er sich distanziert. Emotionale Instabilität, aggressive Aufladung oder Erregung seien ebensowenig erkennbar gewesen wie ein narzisstisches Agieren. Über das Verhalten einzelner Beamter habe er einen differenzierten Bericht abgegeben. Destruktive Tendenzen habe er nur im Hinblick auf suizidales Verhalten geäußert. Von den im ICD 10 genannten Kriterien für die dissoziale Persönlichkeitsstörung konnte der Sachverständige - neben der bereits Jahrzehnte zurückliegenden deliktischen Vorgeschichte - allenfalls das Kriterium der Unfähigkeit zum Erleben von Schuldgefühlen und Lernen aus der Bestrafung als erfüllt ansehen. Merkmale für eine emotional instabile Störung vom impulsiven oder Borderlinetypus konnte der Sachverständige bei dem Untersuchten nicht feststellen. Auch die Beschreibungen einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die nach DSM IV zu erfassen sei, träfen auf das aktuelle Befinden und Verhalten des Untergebrachten nicht zu. Im Übrigen räume der Untergebrachte selbst Cannabismissbrauch ein. In welchem Umfang dieser stattfinde, sei nicht geklärt. Dies sei aber unschädlich, da der Untergebrachte Cannabis nur zur Beruhigung einnehme.

Mit diesen Ausführungen weicht der Sachverständige allerdings von früheren Gutachten ab, mit denen er sich ausführlich und nachvollziehbar kritisch auseinandergesetzt hat. Diese weisen ihrerseits keineswegs übereinstimmende Einschätzungen auf, wobei nach der Bewertung des Sachverständigen - sehe man von der Begutachtung im Verfahren vor dem Landgericht R. im Jahr 1977 ab, in dem dem Untergebrachten eine eingeschränkte Schuldfähigkeit zugebilligt wurde, den seit der letzten Verurteilung erstellten Gutachten eine Steigerung der Pathologie zu entnehmen sei. Die Sachverständige Dr. H. habe 1996 eine emotionale Instabilität, mangelnde Impulskontrolle und dissoziale Verhaltensweisen festgestellt, gleichzeitig aber schon darauf hingewiesen, dass der Untergebrachte ruhiger und verträglicher geworden sei, wenn sich auch die Persönlichkeitsstruktur nicht geändert habe. Auch der Sachverständige Dr. I. sei im Jahr 1999 - neben einer Neigung zu aggressiven Reaktionen und einem kompensatorischen Geltungsbedürfnis - von emotionaler Instabilität ausgegangen. Der Sachverständige Prof. M. habe im Jahr 2005 zwar keine psychopathischen Störungen erkennen können, den Untergebrachten aber als stark persönlichkeitsgestört eingestuft, was widersprüchlich sei. In dem ersten Gutachten des Sachverständigen Dr. N. aus dem Jahr 2006 werde er einerseits als gesund, nämlich ohne psychische Erkrankung im engeren Sinne, andererseits als unbehandelbar beschrieben. Explizit von einer - kombinierten - Persönlichkeitsstörung, die in Verbindung mit einer Polytoxikomanie sogar das Merkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit begründen solle, sei - unter Berücksichtigung absurd vieler Testverfahren, die in der Untersuchungszeit gar nicht hätten durchgeführt werden können - dann Dr. E. in seinem handwerkliche Fehler aufweisenden Gutachten ebenfalls aus dem Jahre 2006 ausgegangen, obgleich der dargelegte psychische Befund einen durchschnittlich gesunden Menschen beschreibe. Einschränkungen habe Dr. E. allein im Bereich einer gewissen Herabgestimmtheit, einer Logorrhoe und der Projektion persönlicher Probleme und Konflikte auf Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt erkennen können. Dass dies die genannte Diagnose begründen könne, sei nicht ersichtlich. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sei dann von Dr. N. bei seiner Begutachtung im Jahre 2008 aufgegriffen worden, der diese als dissoziale und narzistische umschrieben und um eine wahnhafte Störung ergänzt habe. Demgegenüber habe sich Frau Dr. O. in der Folgebegutachtung eher zurückhaltend geäußert, indem sie formuliert habe, dass man die Persönlichkeitsauffälligkeiten des Untergebrachten am ehesten als kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Anteilen fassen könne. Auch habe sie lediglich noch einen Verdacht auf eine wahnhafte Störung für möglich gehalten. Er selbst habe keinerlei Anzeichen für eine wahnhafte Störung gefunden. Der Langzeitverlauf spreche vielmehr eindeutig gegen eine solche Erkrankung. Die frühere Diagnose lasse sich möglicherweise mit dem Umstand erklären, dass der Hungerstreik, in dem sich der Untergebrachte zum Untersuchungszeitpunkt befunden habe, sich euphorisierend auf sein Verhalten ausgewirkt habe. Zwar hätten dissoziale und emotional instabile Züge tatsächlich früher vorgelegen. Doch seien diese nicht mehr erkennbar. Dies gelte auch für das narzistisch geprägte Auftreten des Untergebrachten, das bei der Begutachtung durch die Sachverständigen Dr. N. und Dr. O. ersichtlich noch virulent gewesen sei.

Damit läge keine Diagnose nach den Klassifikationssystemen des ICD 10 oder DSM IV vor. Eine Persönlichkeitsstörung, die über eine gewisse Persönlichkeitsakzentuierung hinausgehe, sei nicht (mehr) festzustellen.

Nach diesen überzeugenden Ausführungen, der sich der Senat in Kenntnis der Vorgutachten und nach eingehender Überprüfung angeschlossen hat, liegt damit nach dem oben genannten rechtlichen Maßstab eine psychische Störung im Sinne des ThUG nicht vor.

b) Es besteht zudem auch keine auf gegenwärtige und konkrete Umstände in der Person oder im Verhalten des Untergebrachten gestützte, durch die psychische Erkrankung bedingte hohe Rückfallgefahr.

Das Erfordernis der hochgradigen Gefahr, deren Vorliegen positiv festzustellen ist (vgl. schon BVerfG NJW 2004, 739, 742; Senat NStZ-RR 2006, 93f.; auch BGHSt 56, 73ff.), verlangt eine hohe Wahrscheinlichkeit (eine Steigerung zu hoch ist dem Begriff hochgradig nicht zu entnehmen) neuer Straffälligkeit. An diese Gefährlichkeitsprognose, die an konkreten und gegenwärtigen (BVerfG NJW 2004, 739, 742f.) Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen ansetzen muss (BVerfG NJW 2011, 1931ff.; BGHSt 56, 73ff.), sind höhere Anforderungen zu stellen als an die bisher vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage geforderte Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten (BGH StV 2011, 672). Da allgemeine Erwägungen und die schlichte Fortschreibung unwiderlegter Gefährlichkeitshypothesen zur Begründung einer ungünstigen Prognose nicht genügen (BVerfG NJW 2004, 739, 742), kann nicht allein auf die begangenen Straftaten abgestellt werden, die zwar zum Verhalten des Untergebrachten zählen, dieses aber nicht erschöpfend beschreiben. Vielmehr müssen sich positive Hinweise im Verhalten und in der Person des Untergebrachten dafür ergeben, dass die durch eine psychische Störung begründete Gefährlichkeit, die sich in den Anlasstaten ausgewirkt hat, unverändert und aktuell fortbesteht und sich deshalb bei Wegfall des gesicherten Vollzugsrahmens zu konkretisieren droht. Für diese Bewertung können u.a. das Vollzugsverhalten, die Rückfallgeschwindigkeit nach früheren Strafvollstreckungen sowie der soziale Empfangsraum herangezogen werden (vgl. OLG Celle B.v.21.6., 2 Ws 150/11). Eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Untergebrachte nach einer Entlassung alsbald mit Sexualdelikten rückfällig werden wird, besteht vorliegend nicht.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. P. geht von dem Untergebrachten keine Gefahr von Gewalt - oder Sexualdelikten aus. Diese mit den früheren Prognosebeurteilungen in Widerspruch stehende Bewertung stützt der Sachverständige auf den klinischen Eindruck und die kritische Durchsicht der Akten. In früheren Begutachtungen sei die ungünstige Prognose insbesondere auf die massiven psychischen Auffälligkeiten und die rasche Rückfälligkeit gestützt worden. Wende man - wie einige dieser Vorgutachten - rein aktuarische Prognosekriterien an, so werde man schon wegen der deliktischen Vorgeschichte immer eine ungünstige Kriminalprognose annehmen müssen. Auch statistisch gehöre der Proband zu der Gruppe mit hohem Rückfallrisiko. Allerdings hätten Untersuchungen ergeben, dass 50% der dieser Gruppe Zugehörigen sich als falsch positiv darstellen, weshalb immer eine klinische Diskussion des Einzelfalls nötig sei. Das größte Problem sei bisher darin gesehen worden, dass der Untergebrachte seine Straftaten weithin bestreite und damit auch eine Auseinandersetzung mit den Taten nicht stattgefunden habe. Eine Deutungssicherheit, warum der Untergebrachte die Vortaten leugne, könne nicht gewonnen werden. Entscheidend sei aber, dass ein Zusammenhang zwischen Leugnen der Tat und Rückfallgefahr wissenschaftlich nicht belegt sei, so dass allein aus der Tatleugnung keine ungünstigen Prognosen abgeleitet werden könnten. Die klinische Befundlage habe sich bei seiner Begutachtung deutlich günstiger als früher dargestellt. Der Angeklagte sei älter und reifer geworden. Er sei nicht mehr so impulsiv, insgesamt ruhiger geworden und gehe - soweit seine Gesundheit dies zulasse - regelmäßig der Arbeit nach. Der Suizidversuch im Frühjahr diesen Jahres zeige, dass er bei Konflikten eher gegen sich selbst als gegen andere agiere. Mit seiner desaströsen Primärsozialisation habe er sich abgefunden. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die beobachtete Verbesserung der Impulskotrolle durch die eingenommenen Antidepressiva bedingt sei, so dass man bei deren Absetzen eine Verhaltensänderung befürchten müsse. Denn Antidepressiva hätten gerade keine dämpfende Wirkung. Ebensowenig müsse befürchtet werden, dass die in einer Entlassungssituation möglicherweise auftretenden Belastungen zu einer relevanten Veränderung im Verhalten des Untergebrachten führen werden. Denn dieser verbinde mit einer Entlassung keine besonderen Erwartungen mehr, was die beste Möglichkeit sei, mit den Belastungen und möglichen Enttäuschungen zurecht zu kommen. Insgesamt sei von einer deutlichen Nachreifung der Person auszugehen, was gegen die Erwartung spreche, dass er weiterhin gefährlich sei.

Auch diesen Ausführungen des Sachverständigen, die der besonderen Tragweite und dem Ausnahmecharakter der richterlichen Entscheidung nach § 67d Abs. 3 StGB Rechnung tragen (BVerfG NJW 2004, 739, 742f.), hat sich der Senat angeschlossen. Eine hohe Wahrscheinlichkeit neuer Straffälligkeit, die sich auf konkrete und gegenwärtige Umstände in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen stützen könnte, ist danach nicht positiv festzustellen.

Die Maßregel der Sicherungsverwahrung war deshalb nach § 67d Abs. 3 StGB für erledigt zu erklären.

Es tritt nach § 67d Abs. 3 S. 2 StGB Führungsaufsicht ein. Die nähere Ausgestaltung der Führungsaufsicht hat der Senat wegen der Sachnähe der Strafvollstreckungskammer übertragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.