SG Berlin, Beschluss vom 25.04.2012 - S 55 AS 9238/12
Fundstelle
openJur 2012, 53050
  • Rkr:

1. Zur Überzeugung der 55. Kammer des Sozialgerichts (SG) Berlin sind §§ 19 Abs 1 S 1 und 3, 20 Abs 1, 4 und 5 SGB 2 iVm §§ 28a SGB 12 und 8 Abs 1 Nr 2 RBEG sowie §§ 19 Abs 1 Sätze 1 und 3, 20 Abs 1 und 2 Satz 2 Nr 1, Abs 5, 77 Abs 4 Nr 1 SGB 2 iVm §§ 28a SGB 12, 8 Abs 1 Nr 4, Abs 2 Nr 1 RBEG wegen der Höhe der maßgeblichen Regelbedarfe für als Ehegatten zusammenlebende Erwachsene und für jugendliche Leistungsberechtigte bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres vom Gesetzgeber in verfassungswidriger Weise festgelegt worden.

2. Zur Verfassungswidrigkeit der BAföG-Regelbedarfe

3. Für den durch die Geschäftsanweisung SGB 2 Nr 8 vom 23.02.2012 der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilten durch die Bundesregierung gemäß Art. 16 Buchst b EuFürsAbk erklärten Vorbehalt zur Anwendbarkeit des EuFürsAbk fehlt eine hinreichende Ermächtigung durch Parlamentsgesetz. Das EuFürsAbk bleibt daher als Spezialvorschrift vor § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB 2 für türkische Staatsbürger anwendbar.

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Bundesverfassungsgericht werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Sind §§ 19 Abs 1 Sätze 1 und 3, Abs 3 Satz 1, 20 Abs 1, 4 und 5 SGB II (in der Fassung von Art 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl I vom 29.03.2011, S 453) i.V.m. §§ 28a SGB XII (in der Fassung von Art 3 des Gesetzes vom 24. März 2011, BGBl I vom 29.03.2011, S 453) und 8 Abs 1 Nr 2 RBEG (Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, verkündet als Art 1 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl I vom 29.03.2011, S 453) insoweit mit Art 1 Abs 1 GG i.V.m. Art 20 Abs 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Regelbedarfe für als Ehegatten zusammenlebende erwachsene hilfebedürftige Leistungsberechtigte für das Kalenderjahr 2011 auf einen Betrag von 328,00 EUR und für das Kalenderjahr 2012 durch die Verordnung zur Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 138 Nummer 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2012 (RBSFV 2012) vom 17. Oktober 2011 auf einen Betrag von 337,00 festgelegt wurden?

2. Sind §§ 19 Abs 1 Sätze 1 und 3, Abs 3 Satz 1, 20 Abs 1 und 2 Satz 2 Nr 1, Abs 5, 77 Abs 4 Nr 1 SGB II i.V.m. §§ 28a SGB XII und 8 Abs 1 Nr 4, Abs 2 Nr 1 RBEG sowie die RBSFV 2012 vom 17. Oktober 2011 (jeweils in der zu 1. genannten Fassung) insoweit mit Art 1 Abs 1 GG i.V.m. Art 20 Abs 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Regelbedarfe für hilfebedürftige Leistungsberechtigte ab Vollendung des 15. Lebensjahres bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres für die Kalenderjahre 2011 und 2012 durch die RBSFV 2012 vom 17. Oktober 2011 auf einen Betrag von 287,00 EUR festgelegt wurden?

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2012, wobei die Kläger davon ausgehen, dass die Regelungen der §§ 19 Abs 3 Satz 1, 20 Abs 1, 2 und 4 SGB II über die Höhe der Regelbedarfe für kindererziehende erwerbsfähige Leistungsberechtigte sowie jugendliche erwerbsfähige Leistungsberechtigte von der Vollendung des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres verfassungswidrig sind.

Die Kläger zu 1) und 2) wurden 1965 bzw 1972, der Kläger zu 3) im August 1995 geboren. Sie sind türkische Staatsangehörige türkischer Nationalität. Die Kläger verfügen jeweils über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG). Sie leben gemeinsam in einer Wohnung. Die Miete für die 81,83 m² große Wohnung betrug bis September 2011 einschließlich der Neben- und Heizkosten 677,39 EUR, seit Oktober 2011 insgesamt 707,62 EUR. Warmwasser wird mit dem Haushaltsstrom erzeugt. Eine Nebenkostenerstattung von 1,61 EUR wurde im Oktober 2011 verrechnet. Es handelt sich um eine Dienstwohnung, die an die Hauswarttätigkeit der Klägerin zu 2) für den Vermieter geknüpft ist. Der Lohn der Klägerin zu 2) aus dieser Tätigkeit wird gegen die Miete aufgerechnet.

Der Kläger zu 1) ist schwerbehindert mit einem GdB von 50 (Bescheid vom 08.05.2009). Er bezieht aufgrund des Bescheides der DRV Berlin-Brandenburg vom 23. August 2011 rückwirkend ab 1. September 2008, befristet bis 30. Juni 2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Januar 2011 in Höhe von 686,71 EUR netto (Beiträge zur KVdR 62,67 EUR und zur PV 14,90 EUR monatlich), seit Juli 2011 in Höhe von 693,52 EUR netto (Beiträge zur KVdR 63,29 EUR und zur PV 15,05 EUR monatlich). Die Rente wurde im Hinblick auf die Arbeitsmarktverhältnisse als solche wegen voller Erwerbsminderung befristet gewährt. Erster Monat der laufenden Rentenauszahlung war Oktober 2011. Die Beklagte hat gegenüber der DRV Berlin-Brandenburg für die Zeiträume von September 2008 bis September 2011 eine Erstattungsforderung von insgesamt 27.676,95 EUR (inkl der Beiträge zur GKV und PV) geltend gemacht.

Die Klägerin zu 2) erzielt Lohn aus zwei Hauswarttätigkeiten von monatlich insgesamt 927,99 EUR (brutto) bzw 638,01 EUR (netto). Der Kläger zu 3) ist Schüler an einem Berliner Gymnasium. Für ihn wird Kindergeld in Höhe von 184 EUR gezahlt.

Auf die Weiterbewilligungsanträge vom August 2010, Mai und Dezember 2011 hat die Beklagte den drei Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft der Kläger für die Zeiträume vom 1. Januar 2011 bis Juni 2012 Arbeitslosengeld II gewährt. Aufgrund des Vergleiches, der auf richterlichen Vorschlag vom 17. November 2009 von den Beteiligten geschlossen wurde, gewährt die Beklagte Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung ab Februar 2008 begrenzt auf 542,00 EUR monatlich, stellt jedoch die diesen Betrag übersteigenden Kosten als zweckgebundene Einnahme vom Einkommen der Klägerin zu 2) aus deren Hauswarttätigkeit für den Vermieter anrechnungsfrei.

Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 die Leistungen für den Bewilligungszeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2011 zunächst vorläufig ausgehend von Regelleistungen für zwei zusammenlebende Erwachsene in Höhe von je 323 EUR und einer Regelleistungen für Kinder ab Vollendung des 14. Lebensjahres in Höhe von 287 EUR, sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 542,00 EUR. Diesem Bedarf stellte die Beklagte monatlich Gesamteinkünfte (jeweils Erwerbseinkommen der Eltern + Kindergeld) in Höhe von 436,43 EUR nach Abzug der Freibeträge gegenüber. Es ergaben sich daher Ansprüche für die Kläger zu 1) und 2) von jeweils 405,19 EUR, für den Kläger zu 3) von 228,20 EUR. Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 korrigierte die Beklagte die Leistungshöhe endgültig im Hinblick auf die durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 rückwirkend ab 1. Januar 2011 festgelegten Regelbedarfe. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 7. Juni 2011 stellte die Beklagte die Leistungsansprüche endgültig fest. Dabei wurden die erzielten Einkünfte und auch die Pauschalen für die Kosten der Warmwasserbereitung berücksichtigt. Während als Regelbedarfe nunmehr für die Kläger zu 1) und 2) jeweils 328,00 EUR angesetzt wurden blieb es für den Kläger zu 3) bei 287 EUR. Die nach Freibeträgen angerechneten Gesamteinkünfte betrugen 433,18 EUR. Die Warmwasserbedarfe finden sich im Rechenwerk nicht wieder. Als Ansprüche wurden für die Kläger zu 1) und 2) jeweils 411,24 EUR und für den Kläger zu 3) 229,34 EUR monatlich festgestellt. Die Nachzahlungsbeträge sollten mit einer Erstattungsforderung aufgerechnet werden.

Der vorläufige Bescheid vom 7. Juni 2011 für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2011 berücksichtigte Regelbedarfe und Einkommen wie im Bescheid vom selben Tag für den vorherigen Bewilligungszeitraum. Jedoch wurden hier – als Ernährungsmehrbedarfe ausgewiesen – die Warmwasserpauschalen für die Kläger zu 1) und 2) jeweils von 8,00 EUR und für den Kläger zu 3) von 4 EUR zusätzlich berücksichtigt, so dass sich die Leistungsfestsetzungen um diese Beträge jeweils erhöhten. Der Änderungsbescheid vom 30. August 2011 stellte die Leistungen unter Anrechnung der Erwerbsminderungsrente des Klägers zu 1) ab 1. Oktober endgültig neu fest, so dass den Klägern zu 1) und 2) nur noch jeweils 159,69 EUR und dem Kläger zu 3) nur noch 88,91 EUR bewilligt wurden. Dabei rechnete die Beklagte auf die Rente des Klägers zu 1) als Freibetrag eine Versicherungspauschale von 30,00 EUR an. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2011 lehnte die Beklagte einen Mehrbedarf des Klägers zu 1) für kostenaufwändige Ernährung ab. Für den Zeitraum vom 1. August bis 31. Dezember 2011 erteilte die Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid am 20. Oktober 2011. Durch den Bescheid wurden endgültig Leistungen nunmehr auch für August und September 2011 gewährt. Für den Monat August wurden dabei über die bereits erfolgten Bewilligungen hinaus dem Kläger zu 3) Leistungen für den Schulbedarf in Höhe von 70,00 EUR zuerkannt. Die Leistungsfestsetzung für September 2011 wies die Beträge aus dem Bescheid vom 7. Juni 2011 auf. Es wurde zudem verfügt, dass die für Oktober 2011 im Hinblick auf die erste laufende Rentenauszahlung erst zum Ende des Oktober 2011 noch darlehensweise gezahlte Leistung in bisheriger Höhe monatlich mit 65,60 EUR aufgerechnet würde.

Für den Bewilligungszeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2012 erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Dezember 2011 endgültig Leistungen den Klägern zu 1) und 2) von jeweils 172,38 EUR und dem Kläger zu 3) von 94,34 EUR zu. Sie ging dabei von Regelbedarfen für die Kläger zu 1) und 2) von jeweils 337,00 EUR und für den Kläger zu 2) von 287,00 EUR und Mehrbedarfe für die Kläger zu 1) und 2) von jeweils 8,00 EUR sowie für den Kläger zu 3) von 4,00 EUR aus. Als Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigte die Beklagte 542,00 EUR. Dabei rechnete die Beklagte die Rente des Klägers zu 1) unter Berücksichtigung einer Versicherungspauschale von 30,00 EUR mit einem Wert von 663,52 EUR an. Darüber hinaus rechnete die Beklagte für den Kläger zu 3) Kindergeld von 184,00 EUR und für die Klägerin zu 2) monatliche Einkünfte von 502,62 EUR reduziert um einen Freibetrag von 266,24 EUR (im Ergebnis also: 236,38 EUR) an.

Gegen die Bewilligungsbescheide legten die Kläger jeweils Widerspruch (Widersprüche vom 28.12.2010, 04.07. und 19.12.2011) ein und rügten die Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfsbemessung. Mit den Widerspruchsbescheiden vom 15. Juni 2011, 3. November 2011 und vom 8. März 2012 wies die Beklagte jeweils die Widersprüche zurück und begründete dies damit, dass die Regelbedarfe entsprechend den gesetzlichen Vorgaben in den Bescheiden jeweils korrekt festgesetzt worden seien.

Mit ihren Klagen vom 13. Juli und 7. Dezember 2011 sowie der Klageerweiterung vom 2. April 2012 verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie sind der Auffassung, der Gesetzgeber habe die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 9. Februar 2010 nicht hinreichend umgesetzt. Insbesondere habe der Gesetzgeber zur Ermittlung des Anspruchsumfangs die existenznotwendigen Aufwendungen nicht in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren bemessen. Bei der Festlegung der Referenzgruppen seien die Haushalte mit Nettoeinkommen unter dem Niveau der Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in unzulässiger Weise nicht ausgeschlossen worden. Weder seien Haushalte „verdeckter Armut“, obwohl dies auch für diese Haushalte angemessen möglich gewesen wäre, noch solche mit Erwerbseinkommen, die aufstockende Leistungen nach dem SGB II erhalten, und auch Bezieher von Leistungen nach dem BAföG aus der Gruppe der Referenzhaushalte herausgenommen worden. Dies führe zu vom BVerfG untersagten Zirkelschlüssen. Zudem mache die geringe Stichprobengröße die statistische Zuverlässigkeit fraglich. Insbesondere bei der Erfassung der Bedarfe für langlebige Gebrauchsgüter liefere die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008 keine verlässlichen Ergebnisse, so dass deren Verwendung insoweit mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Dies gelte ebenso für die Bedarfsbemessung bei den Familienhaushalten mit einem Kind.

Das Grunddilemma der EVS als Grundlage für die Bemessung der Regelbedarfe bestehe auch insofern weiter fort, als nur das Konsumverhalten von armen Haushalten ermittelt werde, so dass der tatsächliche Bedarf nicht erfasst werden könne, soweit arme Haushalte relevante Bedarfe tatsächlich nicht abdecken können. Das Transparenzgebot werde verletzt, weil das durchschnittliche Nettoeinkommen der befragten Haushalte und die Ergebnisse der EVS in einzelnen Konsumbereichen mit geringer Fallzahl nicht mitgeteilt würden.

Der Gesetzgeber habe seine methodische Grundlage dadurch unzulässig verlassen, dass er diverse Ausgaben für die Regelbedarfsbemessung herausrechnete, ohne dass dafür teilweise hinreichende statistische Grundlagen vorhanden waren und ohne dass der vom BVerfG verlangte hinreichende interne Ausgleich möglich bleibe. Dies gelte insbesondere für die Kürzungen oder Streichungen der Aufwendungen für alkoholische Getränke, für Tabakwaren, der Ausgaben für Pkw, chemische Reinigungen, Mobilfunk, Prüfungsgebühren, Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen. Die Entwicklung der Stromkosten sei nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Aus der Vielzahl der Fehler folge, dass die Regelbedarfe verfassungswidrig deutlich zu niedrig festgesetzt worden seien. Unter Berücksichtigung der Studie der Diakonie ergebe sich, dass die Regelbedarfe für das Kalenderjahr 2011 für Alleinstehende 487 EUR, für zusammen lebende Partner 438 EUR und für Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres 349 EUR monatlich betragen müssten.

Die fehlerhafte Bemessung der Leistungen habe gravierende Auswirkungen auf die Existenzsicherung der Kläger. Während die Beklagte Gesamtbedarfe (einschließlich für Unterkunft und Heizung) von monatlich 1.485 EUR bzw. 1.505 EUR zuerkannte, würden allein die monatlichen Fixkosten aus Miete, Strom Telefon/Internet Schülermonatskarte Gewerkschaftsbeiträgen, Steuern und Versicherungen insgesamt 1.036,89 EUR betragen. Diese Aufwendungen seien sämtlich existenzsicherungsrechtlich angemessen. Aus Kostengründen hätten die Riester-Verträge der Kläger zu 1) und 2) gekündigt werden müssen. Hinzu kämen regelmäßige monatliche Belastungen von 212,55 EUR für Ratenkäufe für Möbel (98,05 EUR), einen Kühlschrank (37,40 EUR) einen Laptop (26,80 EUR) und Raten für Handy und Playstation (beide zusammen 50,30 EUR). Die neben diesen festen Ausgaben erforderlichen laufenden variablen Kosten für Lebensmittel, Kleidung und Bildungsausgaben seien von dem zur Verfügung stehen Rest praktisch nicht zu decken. Allein im Februar 2012 hätten sich die Ausgaben an Nahrungsmitteln, Bildungsausgaben für den Kläger zu 3), Benzinkosten und Vorsorgeuntersuchungen, z.B. die Augeninnendruckmessung beim Kläger zu 1), auf 720 EUR summiert. Ausschließlich in diesem Bereich finde sich Sparpotenzial der Kläger. Diese würden ganz überwiegend auf Genussmittel verzichten. Seit Januar 2012 habe der Kläger zu 1) erneut den Zigarettenkonsum eingestellt. Die Kläger zu 2) und 3) seien Nichtraucher. Alkohol werde überhaupt nicht konsumiert.

Trotz größter Sparsamkeit seien die Kläger gezwungen, ihren Dispositionskredit regelmäßig vollständig auszuschöpfen sowie zusätzlich Darlehen im privaten Umfeld aufzunehmen. Ein Privatkredit von 700 EUR könne derzeit nicht zurückgezahlt werden. Größere erforderliche Anschaffungen als Ersatz für verschlissene langlebige Güter könnten nur im Wege der teureren Ratenkäufe erfolgen, weil ein Ansparpotenzial auf Grund der sich wiederholenden Erstattungsforderungen der Beklagten, insbesondere für die jährlichen Einkommenssteuererstattungen, nicht zur Verfügung stehe.

Die Ausgaben der Familie erfolgten unter Beachtung größter Sparsamkeit im Rahmen einer sehr bescheidenen Lebensführung. Die Ausgaben für ein Handy für den Sohn und die Unfallversicherung für diesen seien im Hinblick auf die Gefährdungslage bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus Sicht der Kläger erforderlich. Die Anschaffung des preisgünstigen Computers sei im Rahmen der schulischen Entwicklung des Klägers zu 3) und im Hinblick auf seine künftigen beruflichen Chancen zwingend notwendig. Dazu gehöre auch die Nutzung des Internets. Dieses, Computerspiele/Spielekonsolen sowie die Mitgliedschaft in einem günstigen Sportstudio seien für die Altersklasse des Sohnes unverzichtbarer Teil des kulturellen und sozialen Lebens. Um diese Aktivitäten zu finanzieren, würden die Eltern in großem Umfange auf eigene Ausgaben für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verzichten. Insbesondere die Leistungen zur Teilhabe seien im Regelbedarf für Jugendliche völlig unzureichend berücksichtigt. So sei der Kläger zu 3) über mehrere Jahre Mitglied in verschiedenen Fußballvereinen gewesen. Auch wenn bei diesen Vereinen lediglich relativ geringe Mitgliedsbeiträge in Höhe von 10 bis 15 EUR monatlich angefallen seien, sei es der Familie der Kläger nicht möglich gewesen, die Kosten für die teilweise weiten Anfahrten zu Trainingsstätten und Auswärtsspielen zu tragen. Das Training im Fitnessklub sei ein guter Kompromiss, einerseits sportliche Aktivität und, soziale Teilhabe mit Gleichaltrigen sicherzustellen und andererseits ausreichend Zeit für die schulischen Verpflichtungen zu gewährleisten. Die Beklagte habe für die Mitgliedschaft und Fitnessklub Leistungen nach § 28 SGB II abgelehnt, so dass eine Finanzierung vollumfänglich aus den begrenzten Mitteln des klägerischen Haushalts erfolgen müsse.

Die Kläger beantragen,

1.den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2011 zu ändern,2.die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2011 unter Anrechung von Einkommen, wie von der Beklagten im Bescheid vom 7. Juni 2011 berechnet, dem Kläger zu 1) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 438,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,67 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 8,00 EUR, der Klägerin zu 2) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 438,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,67 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 8,00 EUR sowie dem Kläger zu 3) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 349,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,66 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 4,00 EUR zu gewähren,3.die Bescheide der Beklagten vom 7. Juni 2011 in der Form der Bescheide vom 30.August und vom 20. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 zu ändern,4.die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2011 unter Anrechung von Einkommen, wie von der Beklagten in den unter 3. genannten Bescheiden berechnet, dem Kläger zu 1) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 438,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,67 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 8,00 EUR, der Klägerin zu 2) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 438,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,67 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 8,00 EUR sowie dem Kläger zu 3) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 349,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,66 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 4,00 EUR zu gewähren,5.den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2012 zu ändern,6.die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2012 unter Anrechung von Einkommen, wie von der Beklagten im Bescheid vom 5. Dezember 2011 berechnet, dem Kläger zu 1) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 446,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,67 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 8,00 EUR, der Klägerin zu 2) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 446,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,67 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 8,00 EUR sowie dem Kläger zu 3) auf der Grundlage eines Regelbedarfs von 355,00 EUR, eines Unterkunftsbedarfs von 180,66 EUR und eines Warmwasserbedarfs von 4,00 EUR zu gewähren.Die Beklagte hält die Entscheidungen für zutreffend und beantragt,

die Klagen zurückzuweisen.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung den Bescheid vom 7. Juni 2011 auch für den Juli 2011 für endgültig erklärt.

Der Kammer haben außer den Prozessakten auszugsweise die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze, die Niederschrift und den Akteninhalt Bezug genommen.

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