VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.05.1996 - A 13 S 1431/94
Fundstelle
openJur 2013, 10056
  • Rkr:

1. § 53 Abs 4 AuslG (AuslG 1990) erfaßt auch nicht-zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, die sich aus der Anwendung des Art 8 EMRK (MRK) ergeben.

2. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist nach Stellung eines Asylantrages zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs 4 AuslG (AuslG 1990) in Verbindung mit Art 8 EMRK (MRK) sachlich zuständig.

3. Die Abschiebung eines Ausländers kann in dessen Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art 8 Abs 1 EMRK (MRK) eingreifen. Die Zulässigkeit dieses Eingriffs beurteilt sich nach Art 8 Abs 2 EMRK (MRK).

4. Zur Unzulässigkeit der Abschiebung nach § 53 Abs 4 AuslG (AuslG 1990) in Verbindung mit Art 8 EMRK (MRK) im Falle eines im Asylverfahren erfolglos gebliebenen Ausländers, der mit seiner asylberechtigten pflegebedürftigen Mutter in einer familiären Beistandsgemeinschaft im Sinne der zu Art 6 Abs 1 GG ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl Beschl v 18.4.1989, BVerfGE 80, 81 (95); Beschl v 12.12.1989, NJW 1990, 895; Beschl v 25.10.1995, DVBl 1996, 195) lebt.

Tatbestand

Der 1971 geborene Kläger, ein albanischer Staatsangehöriger, begehrt die Feststellung, daß ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 8 EMRK vorliegt, weil seine im Bundesgebiet lebende Mutter krankheitsbedingt auf seine ständige persönliche Betreuung und Versorgung angewiesen sei.

Die Eltern des Klägers gehören zu dem Personenkreis, der im Juli 1990 in der Deutschen Botschaft in Tirana um Schutz nachgesucht hat und mit Billigung der Bundesregierung im Juli 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist ("Botschaftsflüchtlinge"). Sie sind seit Juni 1991 als Asylberechtigte anerkannt und im Besitz unbefristeter Aufenthaltserlaubnisse. Ausweislich der Akten sollen auch noch Geschwister des Klägers im Bundesgebiet leben. Die 1950 geborene Mutter des Klägers ist seit über zwanzig Jahren an einer chronisch paranoiden Psychose erkrankt. Der zunächst in Albanien verbliebene Kläger gelangte im Januar 1991 nach Rumänien. Von dort beantragte er erfolglos die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in der Form des Visums zum Familiennachzug. Auch die vom Sozialamt und Jugendamt der Stadt H. auf Veranlassung des Vaters des Klägers beim Bundesminister des Innern angeregte Erteilung einer Übernahmegenehmigung für den Kläger nach § 33 AuslG wurde abgelehnt.

Ende Juni 1991 reiste der Kläger ohne Reisedokumente in das Bundesgebiet und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mitte Dezember 1991 wurde der zunächst nach Rheinland-Pfalz zugewiesene Kläger nach Baden-Württemberg umverteilt, wo er bei seinen Eltern Wohnung nahm. Seit einiger Zeit erhält der Kläger ebenso wie seine Eltern laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Mit Bescheid vom 8.1.1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Ferner drohte es dem Kläger die Abschiebung nach Albanien an. Dieser Bescheid wurde dem Kläger am 22.1.1993 zugestellt.

Am 25.1.1993 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben, mit der er beantragt hat, die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheides vom 8.1.1993 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise des § 53 AuslG vorliegen. Zur Begründung des Hilfsantrages hat er unter Vorlage nervenärztlicher Atteste des Arztes für Neurologie und Psychiatrie ... ... ... vom 15.2. und 7.10.1993 vorgebracht, daß ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 8 EMRK vorliege, weil seine Mutter aufgrund ihrer psychischen Erkrankung dringend auf seine Pflege und Unterstützung angewiesen sei.

Am 13.10.1993 hat der Kläger bei der Ausländerbehörde der ... ... unter Bezugnahme auf die fachärztlichen Atteste die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung beantragt. Über diesen Antrag wurde bislang nicht entschieden.

Durch Urteil vom 25.4.1994 hat das Verwaltungsgericht die Klage nach Einholung eines amtsärztlich-psychiatrischen Gutachtens der Nervenärztin. ... beim Staatlichen Gesundheitsamt ... vom 8.3.1994 abgewiesen. Zur Begründung der Abweisung des Klageantrages zu § 53 AuslG führt das Verwaltungsgericht aus: Die Pflegebedürftigkeit der Mutter des Klägers und deren Angewiesensein gerade auf seine Fürsorge dürften es nach derzeitigem Erkenntnisstand wohl nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gebieten, den weiteren Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu beenden. Gleichwohl sei ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG nicht gegeben. Denn wie sich aus einer systematischen Zusammenschau mit § 50 Abs. 2 und Abs. 3 AuslG ergebe, würden von § 53 AuslG nur konkret-individuelle Gefährdungen erfaßt, welche einem Ausländer in dem Staat drohten, in den er abgeschoben werden solle, nicht jedoch solche Gefahren, welche bereits im Inland drohten oder die durch den Abschiebevorgang selbst verursacht würden. Letztere seien von der Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, ob dem Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung oder eine Duldung zu erteilen sei. Dies ergebe sich insbesondere aus § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG.

Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluß vom 5.7.1994 (- A 13 S 1078/94 -) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG Streitgegenstand ist.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25. April 1994 - A 12 K 10446/93 - teilweise zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der insoweit entgegenstehenden Feststellung im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8.1.1993 zu verpflichten festzustellen, daß ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 des Ausländergesetzes in Verbindung mit Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegt.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Begründung des Verwaltungsgerichts,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat über die Behauptung des Klägers, seine Mutter sei aufgrund ihrer psychischen Erkrankung weiterhin auf seine ständige Versorgung und Betreuung angewiesen, Beweis erhoben durch Einholung eines amtsärztlich-psychiatrischen Gutachtens des Gesundheitsamtes beim Landratsamt ... Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten der Nervenärztin ... vom 26.9.1995 verwiesen. Ferner hat der Berichterstatter die Ausländerbehörde der ... um Erteilung einer amtlichen Auskunft dazu ersucht, ob dem Kläger zum Zwecke der persönlichen Versorgung und Betreuung seiner Mutter eine Aufenthaltsgenehmigung im Sinne des § 5 AuslG erteilt oder jedenfalls für den Fall des bestandskräftigen Abschlusses des Asylverfahrens zugesichert werden kann, oder ob dem Kläger für den Fall, daß er sich zu einer freiwilligen vorübergehenden Ausreise aus dem Bundesgebiet bereit erklärt, die Erteilung einer (Vorab-)Zustimmung für ein Visum für einen länger als drei Monate währenden Aufenthalt zum Zwecke der persönlichen Versorgung und Betreuung seiner Mutter und für den Fall der Wiedereinreise mit einem solchen Visum die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung im Sinne des § 5 AuslG zu diesem Zweck zugesichert werden kann. Hinsichtlich des Ergebnisses dieses Ersuchens wird auf die Auskunft der ... ... vom 26.3.1996 verwiesen.

In der Berufungsverhandlung wurde der Kläger ergänzend angehört. Ferner hat die Sachverständige ... ... ihr schriftliches Gutachten erläutert. Insoweit wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.

Dem Senat liegen die Akten des Bundesamtes, die den Kläger und seine Mutter betreffenden Ausländerakten der ... und die Gerichtsakten vor. Wegen der Einzelheiten des Sachstandes und Streitstandes wird auf diese Unterlagen sowie die gewechselten Schriftsätze und verwiesen.

Gründe

Der Senat konnte über die Berufung verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten waren. Denn auf diese Folge ihres Ausbleibens sind sie in den ihnen rechtzeitig zugestellten Ladungen hingewiesen worden (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).

Gegenstand der Berufung ist aufgrund ihrer eingeschränkten Zulassung durch den Senat und der Klarstellung des Berufungsantrages durch den Kläger-Vertreter in der Berufungsverhandlung nur das Klagebegehren, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK Streitgegenstand ist. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ist auch bezüglich dieses Streitgegenstandes beteiligungsbefugt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.1995 - BVerwG 9 C 8.95 - und - BVerwG, Urt. v. 27.6.1995 - 9 C 7.95 -, DÖV 1995, 913).

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage, soweit sie die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK zum Gegenstand hat, zu Unrecht abgewiesen. Denn die insoweit statthafte und auch sonst zulässige Verpflichtungsklage ist begründet.

Soweit die Klage die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG zum Gegenstand hat, ist sie als Verpflichtungsklage statthaft. Hat das Bundesamt die Feststellung getroffen, Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG lägen nicht vor, ist grundsätzlich die auf Feststellung des Vorliegens eines solchen Abschiebungshindernisses durch das Bundesamt gerichtete Verpflichtungsklage die zutreffende Klageart. Eine Feststellung des Abschiebungshindernisses durch das Gericht selbst ist nicht zulässig (vgl. hierzu das Senatsurteil v. 13.2.1996 - A 13 S 3702/94 -).

Die Klage ist auch begründet. Das Bundesamt hat es zu Unrecht abgelehnt, festzustellen, daß im Falle des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 8 EMRK vorliegt. Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung, daß im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylVfG) ein derartiges Abschiebungshindernis vorliegt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erfasst § 53 Abs. 4 AuslG auch Abschiebungshindernisse aus der Anwendung der Menschenrechtskonvention, die sich - wie bei Art. 8 EMRK - nicht erst als (mittelbare) Folge der Abschiebung aus im Heimatland des Ausländers drohenden Gefahren, sondern schon unmittelbar durch die Abschiebung aus dem Bundesgebiet ergeben (1.). Das Bundesamt ist zur Feststellung eines solchen Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG auch sachlich zuständig (2.). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats schließlich fest, daß ein solches Abschiebungshindernis im Falle des Klägers vorliegt (3.).

1. Nach § 53 Abs. 4 AuslG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 686) - EMRK - ergibt, daß die Abschiebung unzulässig ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sich auch aus der Anwendung des Art. 8 EMRK, der den Schutz insbesondere des Familienlebens bezweckt, ein Abschiebungsverbot ergeben (vgl. Hailbronner, AuslR, A 1 § 53 Rn. 57; ders. JZ 1995, 127 (138)). Anders als regelmäßig bei Art. 3 EMRK knüpft ein solches Abschiebungshindernis jedoch nicht an erst im Ausland als (mittelbare) Folge der Abschiebung drohende Gefahren, sondern an eine schon unmittelbar durch die Abschiebung aus dem Bundesgebiet bewirkte Gefährdung des geschützten Rechtsgutes, des Familienlebens, an. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erfasst § 53 Abs. 4 AuslG indes auch solche sich aus der Anwendung der Menschenrechtskonvention ergebenden Abschiebungshindernisse (ebenso: Hailbronner aaO.; a.A. wohl OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.8.1995 - 21 A 4238/95.A - sowie GK-AuslR § 53 Rn. 4 und Rn. 27 (vgl. ders. andererseits aber bejahend bzgl. § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK in Rn. 69 und Rn. 74)). Dies ergibt sich aus folgendem:

Bereits der Wortlaut des § 53 Abs. 4 AuslG spricht für die Einbeziehung jeder unmittelbar oder mittelbar durch eine Abschiebung bewirkten Gefährdung von Rechtsgütern, die durch Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt werden. Denn er enthält in dieser Hinsicht keine Einschränkung. Danach ist allein maßgeblich, ob sich aus der Anwendung der Menschenrechtskonvention ergibt, daß die Abschiebung als solche und nicht die Abschiebung "in einen Staat" (vgl. §§ 51 Abs. 1, 53 Abs. 1, Abs. 2), "in diesen Staat" (vgl. § 53 Abs. 3 AuslG) oder "in einen anderen Staat" (vgl. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) unzulässig ist. Das schließt alle unmittelbar oder mittelbar durch eine Abschiebung bewirkten Rechtsgutsgefährdungen ein, sei es, daß sie im Bundesgebiet, im Zielstaat der Abschiebung oder auf dem Weg dorthin eintreten. Die Gesetzesbegründung zu § 53 Abs. 4 AuslG (BT-Drucks. 11/6321 S. 75) gibt für eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung ebenfalls nichts her. Auch Sinn und Zweck des § 53 Abs. 4 AuslG schließen eine solche Eingrenzung aus. Diese Vorschrift enthält keine eigenständige Regelung von Abschiebungshindernissen. Sie soll lediglich klarstellen, daß bei der Abschiebung die völkerrechtliche Verpflichtung zu beachten ist, die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, die mit Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II S. 685) in innerstaatliches deutsches Recht transformiert wurde und seitdem im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - BVerwG 9 C 15.95 -). Der Vorschrift liegt mithin das Verständnis zugrunde, daß bei einer Abschiebung alle sich aus dieser völkerrechtlichen Verpflichtung ergebenden Abschiebungshindernisse zu beachten sind. Dieser umfassenden Zielsetzung widerspräche es, bestimmte die Unzulässigkeit der Abschiebung begründende Rechtsgutsgefährdungen aus dem Anwendungsbereich des § 53 Abs. 4 AuslG herauszunehmen. Letzteres würde zudem Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Anwendung dieser Vorschrift herbeiführen, die der beabsichtigten "Klarstellung" entgegenstehen. Demgegenüber kommt dem systematischen Gesichtspunkt, daß das Ausländergesetz im übrigen nur ziellandbezogene Rechtsgutsgefährdungen als - zwingende oder fakultative - rechtliche Abschiebungshindernisse besonders regelt (§§ 51 Abs. 1, 53 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 6 Satz 1 AuslG) und bezüglich anderer Umstände, die einer Abschiebung entgegenstehen können, keine besondere Regelung trifft, sondern in § 55 Abs. 2 AuslG nur einen generalklauselartigen Duldungsanspruch begründet, kein ausschlaggebendes Gewicht für die Reichweite des § 53 Abs. 4 AuslG zu. Das gilt auch mit Blick auf die Regelung des § 50 Abs. 3 AuslG. Dieser liegt zwar erkennbar die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, daß § 53 AuslG nur ziellandbezogene - relative - Abschiebungshindernisse erfasst und etwaige Abschiebungshindernisse nach dieser Vorschrift daher dem Erlaß einer Abschiebungsandrohung (bezüglich anderer Länder) nicht entgegenstehen können (vgl. die Begr. des Gesetzentwurfs zu § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG, BT-Drucks. 12/2062 S. 44, wonach § 53 AuslG ebenso wie § 51 AuslG "keine absoluten, sondern relative, auf einen bestimmten Staat bezogene Abschiebungshindernisse" regele, so daß schon daraus folge, daß sie dem Erlaß einer Abschiebungsandrohung nicht entgegenstehen könnten). Aus § 50 Abs. 3 AuslG können jedoch keine Folgerungen für die Auslegung des § 53 Abs. 4 AuslG gezogen werden. Denn § 50 Abs. 3 AuslG wurde erst nachträglich mit Wirkung zum 1.7.1992 (vgl. Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26.6.1992 (BGBl. I S. 1126)) in das Ausländergesetz eingefügt, während § 53 Abs.4 AuslG bereits zum 1.1.1991 in Kraft getreten ist. Die (irrige) Vorstellung des Gesetzgebers über den Umfang der sich aus § 53 Abs. 4 AuslG ergebenden Abschiebungshindernisse bei der Schaffung des § 50 Abs. 3 AuslG könnte daher eine einschränkende Auslegung allenfalls des § 50 Abs. 3 AuslG dergestalt rechtfertigen, daß diese Bestimmung insgesamt oder daß zumindest § 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 AuslG für nicht ziellandbezogene - absolute -Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG keine Anwendung finden. Entgegen der Ansicht des OVG Nordrhein-Westfalen im Beschluß vom 1.8.1995 (aaO.) kann auch nicht den §§ 43 Abs. 3 AsylVfG, 55 Abs. 4 AuslG entnommen werden, daß der in Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierte Anspruch auf Achtung des Familienlebens ausschließlich ausländerbehördlichen Kompetenzen und Schutzpflichten zugeordnet ist. Abgesehen davon, daß die kompetenzrechtliche Frage, welche Behörde zur Anwendung des § 53 Abs. 4 AuslG berufen ist (siehe dazu nachfolgend 2.), für die Bestimmung der materiell-rechtlichen Reichweite dieser Vorschrift nichts hergibt, lassen die vom OVG Nordrhein-Westfalen genannten Bestimmungen diese Schlußfolgerung nicht zu. § 55 Abs. 4 AuslG enthält nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen keine "familiäre" Komponente und ermöglicht die Erteilung einer Duldung im übrigen nur in ganz spezifischen tatsächlichen Situationen. Auch § 43 Abs. 3 AsylVfG ist eine auf eine bestimmte vom Gesetzgeber vorhergesehene Konfliktsituation im familiären Bereich zugeschnittene Spezialregelung. Soweit nach diesen Bestimmungen die Abschiebung mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 8 Abs. 1 EMRK ausgesetzt werden kann, mag das zwar für diese gesetzlich speziell geregelten Sachverhalte den Prüfungsumfang im Rahmen des § 53 Abs. 4 i.V.m. Art. 8 EMRK begrenzen, es kann aber nicht zur Folge haben, daß insoweit auch die von §§ 55 Abs. 4, 43 Abs. 3 AsylVfG nicht erfassten Lebenssachverhalte im familiären Bereich aus dem Anwendungsbereich des § 53 Abs. 4 AuslG ausgegrenzt werden. Im übrigen ist der Schutz von Ehe und Familie auch sonst nicht allein ausländerbehördlichen Kompetenzen zugeordnet, wie die Regelung über das Familienasyl (§ 26 AsylVfG) anschaulich verdeutlicht. Schließlich besteht auch kein hinreichender Grund, den Anwendungsbereich des § 53 Abs. 4 AuslG im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einzuschränken. Eine ergänzungsbedürftige Wertungslücke in dem Sinne, daß die Fälle nicht-ziellandbezogener sich aus der Anwendung der Menschenrechtskonvention ergebender Abschiebungshindernisse aus dem Anwendungsbereich des § 53 Abs. 4 AuslG billigerweise ausgenommen werden müssten, ist nicht erkennbar. Sie würde der gesetzgeberischen Absicht, abschiebungsrelevante Rechtsfolgen, die sich aus der Anwendung der Menschenrechtskonvention ergeben, in § 53 Abs. 4 AuslG abschließend zu erfassen, widersprechen.

2. Das Bundesamt ist für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auch sachlich zuständig. Das folgt aus § 24 Abs. 2 AsylVfG. Danach obliegt dem Bundesamt nach Stellung eines Asylantrages auch die Entscheidung, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Ein solches Abschiebungshindernis (§ 53 Abs. 4 AuslG) macht der Kläger, der einen Asylantrag gestellt hat, geltend. Dem Wortlaut des § 24 Abs. 2 AuslG lassen sich keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung dahingehend entnehmen, daß das Bundesamt nach Stellung eines Asylantrages nur für die Feststellung ziellandbezogener Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG zuständig sein soll. Nichts anderes gilt für die Gesetzesmaterialien. Danach stellt die mit dieser Vorschrift bewirkte Aufgabenverlagerung auf das Bundesamt eine Folgerung aus den Zielvorstellungen des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26.6.1992 (BGBl. I S. 1126) dar (vgl. die Begründung zu § 24 Abs 2 des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 12/2062 S. 32). Diese Zielvorstellungen sind auf eine erhebliche Verkürzung der Dauer der Asylverfahren und der tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts abgelehnter Asylsuchender gerichtet (vgl. die allgemeine Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 12/2062 S. 25ff.). Die Verlagerung der Zuständigkeit zur Feststellung des Vorliegens bestimmter Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG auf die Ausländerbehörden würde dieser Zielsetzung zuwiderlaufen. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat - in anderem Zusammenhang - betont, daß den Rechtsvorschriften des Asylverfahrensgesetzes, die dem Bundesamt die Aufgabe der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG übertragen, der "gemeinsame Leitgedanke" zu entnehmen ist, daß in den Verfahren der Schutzgewährung für Ausländer, die politische Verfolgung geltend machen, "eine umfassende, alle Arten des Schutzes einbeziehende Entscheidung ergeht". Es solle "namentlich nach der Beendigung eines Asylverfahrens nicht offenbleiben, ob und in welcher Form dem Ausländer Abschiebungsschutz gewährt wird" (vgl. Urt. v. 27.2.1996 - BVerwG 9 C 145.95 -, S. 6 des Urteilsabdrucks). Für die Einbeziehung nicht allein ziellandbezogener Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG spricht auch § 25 Abs. 2 AsylVfG. Denn danach hat der Ausländer bei seiner Anhörung durch das Bundesamt (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) neben den Tatsachen, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen (vgl. § 25 Abs. 1 AsylVfG), alle sonstigen Tatsachen und Umstände anzugeben, "die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen". Die Aufklärungspflicht des Bundesamtes (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) erstreckt sich bezüglich der von ihm zu prüfenden Abschiebungshindernisse nach §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG mithin nicht nur auf Tatsachen und Umstände, die einer Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen, sondern auch auf solche, die der Abschiebung aus sonstigen Gründen (generell) entgegenstehen. Auch bezüglich § 24 Abs. 2 AsylVfG besteht keine rechtliche Veranlassung, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einzuschränken. Für eine ergänzungsbedürftige Wertungslücke, welche billigerweise die Einschränkung der Kompetenz des Bundesamtes zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG fordert, könnte zwar sprechen, daß dem Bundesamt für die Beurteilung nicht-ziellandbezogener Rechtsgutsgefährdungen keine bessere (besondere) Sachkunde als der Ausländerbehörde zukommt. Dies allein rechtfertigt eine "teleologische Reduktion" des Anwendungsbereichs von § 24 Abs. 2 AsylVfG im Wege richterlicher Rechtsfortbildung aber nicht. Hiergegen spricht vor allem, daß es im Einzelfall fraglich sein kann, ob auch oder ob nur ziellandbezogene Rechtsgutsgefährdungen in Rede stehen. Denn das birgt die Gefahr von Abgrenzungsschwierigkeiten und Kompetenzkonflikten mit den damit verbundenen zeitlichen Verfahrensverzögerungen in sich. Dies stünde jedoch der Absicht des Gesetzgebers entgegen, die Frage des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG nach Stellung eines Asylantrages im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und einer raschen Beendigung des Aufenthaltes erfolglos gebliebener Asylsuchender abschließend und verbindlich (vgl. § 42 AsylVfG) durch das Bundesamt klären zu lassen. Dieses Interesse rechtfertigt es, dem Bundesamt kraft Sachzusammenhangs auch die Klärung im Einzelfall aufgeworfener Tatsachenfragen und Rechtsfragen zu überantworten, die außerhalb des Sachbereichs liegen, in dem dieser Behörde eine besondere Sachkunde zukommt.

3. Die Abschiebung des Klägers ist nach Art. 8 EMRK unzulässig. Nach dieser Bestimmung hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privatlebens und Familienlebens (Abs. 1). Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts hat eine Verletzung von Art. 8 EMRK zur Folge, es sei denn, er ist eine Maßnahme im Sinne des Eingriffsvorbehalts nach Art. 8 Abs. 2 EMRK (vgl. EGMR, Urt. v. 25.2.1988, EuGRZ 1988, 591 (598, Nr. 59)). Aus der Anwendung des Art. 8 EMRK kann sich hiernach unter bestimmten Voraussetzungen die Unzulässigkeit einer Abschiebung ergeben. Die Vollstreckung der einem Ausländer aufgrund einer ausländerrechtlichen Behördenentscheidung obliegenden Ausreisepflicht kann einen unzulässigen Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen (vgl. EGMR, Urt. v. 26.3.1992, EuGRZ 1993, 556 (557f., Nrn. 67 und 79) = InfAuslR 1993, 86ff; EGMR, Urt. v. 21.6.1988, InfAuslR 1994, 84 (85, Nr. 23); EKMR, Bericht v. 13.10.1992, InfAuslR 1995, 133 (Nr. 36); OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 29.6.1995 - 4 M 55/95 -). Für die hier in Rede stehende zwangsweise Durchsetzung einer asylverfahrensrechtlich begründeten Ausreisepflicht eines Ausländers durch Abschiebung (vgl. § 49 AuslG) gilt nichts anders. Voraussetzung ist jedoch, daß durch die Abschiebung das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens berührt wird (a.) und daß die Abschiebung nicht auf den Eingriffsvorbehalt nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gestützt werden kann (b.). Beides ist hier der Fall:

a. Der Kläger und seine Mutter leben in einer von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Familie. Dieser Begriff ist nicht auf eheliche Beziehungen beschränkt (EGMR, Urt. v. 26.5.1994, EuGRZ 1995, 113 (119) = NJW 1995, 2153). Er erfasst auch das Familienleben zwischen nahen Verwandten (EGMR, Urt. v. 13.6.1979, NJW 1979, 2449 (2452, Nr. 45)) und reicht insoweit sogar über den durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Personenkreis hinaus (BVerwG, Urt. v. 24.6.1982, Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 37 S. 72). Art. 8 Abs. 1 EMRK verlangt jedoch "ein wirkliches Familienleben", was ein hinreichend enges Familienband voraussetzt (EGMR, Urt. v. 18.2.1991, InfAuslR 1991, 149 Nr. 35; BVerwG, Urt. v. 26.3.1982, Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 30 S. 45 m.w.Nachw.). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Kläger hat in der Berufungsverhandlung glaubhaft geschildert, daß er mit seiner Mutter nach wie vor in einer gemeinsamen Wohnung in enger familiärer Gemeinschaft lebt. Der Senat hat keinen Anlaß zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Angaben. Eine Abschiebung des Klägers würde in dieses von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte tatsächliche und enge Familienleben eingreifen.

b. Der mit einer Abschiebung des Klägers verbundene Eingriff in das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht wäre nicht vom Eingriffsvorbehalt nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt.

aa. Der Eingriffsvorbehalt nach Art. 8 Abs. 2 EMRK enthält mehrere Voraussetzungen: Der Eingriff muß "vom Gesetz vorgesehen" sein, ihm muß ein nach Art. 8 Abs. 2 EMRK als rechtmäßig anerkanntes Ziel (nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Moral oder Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zugrundeliegen und er muß "in einer demokratischen Gesellschaft" zum Schutze dieses Zieles "notwendig" sein (vgl. EGMR, Urt. v. 25.2.1988, EuGRZ 1988, 591 (598, Nr. 59 a.E.)). Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes setzt der Begriff der Notwendigkeit in diesem Sinne voraus, daß der Eingriff einem "dringenden sozialen Bedürfnis" entspricht und insbesondere in Bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel im Einzelfall verhältnismäßig ist (EGMR, Urt. v. 25.2.1988, aaO. Nr. 67; EGMR, Urt. v. 21.6.1988, aaO. 86; EGMR, Urt. v. 26.10.1988, EuGRZ 1992, 477 (481, Nr. 41); EGMR, Urt. v. 18.2.1991, aaO. 150 Nr. 43). Insoweit ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geklärt, daß Art. 8 EMRK die Beendigung des Aufenthalts eines Familienangehörigen nicht schlechthin untersagt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.8.1995, InfAuslR 1995, 393 (394)). Dahinstehen kann im vorliegenden Fall, ob Art. 8 EMRK in keiner Hinsicht über Art. 6 Abs. 1 GG hinausgehende aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen entfaltet (so OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.9.1994, NWVBl. 1995, 150 (151) = InfAuslR 1995, 99 (100), und BayVGH, Beschl. v. 8.12.1994, BayVBl. 1995, 375 = InfAuslR 1995, 72 unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschl. v. 12.6.1992, InfAuslR 1992, 305). Denn schon bei Anlegung der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätze für die Prüfung der Frage, ob eine aufenthaltsbeendende Maßnahme mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar und insbesondere in bezug auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig ist, wäre die Abschiebung des Klägers als unverhältnismäßig gegenüber dem mit ihr verfolgten Ziel und daher als nicht "notwendig" im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen (siehe nachfolgend bb.).

Nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen gebietet es Art. 6 Abs. 1 GG zwar regelmäßig nicht, dem Wunsch eines Ausländers nach familiärem Zusammenleben im Bundesgebiet zu entsprechen, wenn sein Verbleib im Bundesgebiet oder der des Familienangehörigen nicht durch eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung aufenthaltsrechtlich auf Dauer gesichert ist oder ein Anspruch auf Einräumung eines Daueraufenthaltsrechts besteht (vgl. BVerfGE 76, 1 (55)). Auch ist die Versagung eines Aufenthaltsrechts für volljährige Kinder aus einwanderungspolitischen Gründen im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG unbedenklich, wenn keine Lebensverhältnisse bestehen, die einen über die Aufrechterhaltung der Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familienrechtlichen Schutz angezeigt erscheinen lassen (BVerfGE 80, 81 (94)). Solche weitergehenden Schutzwirkungen ergeben sich jedoch dann, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitgliedes angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen läßt. Unter diesen Voraussetzungen erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beistandsgemeinschaft als Hausgemeinschaft gelebt wird oder ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden kann. Eine Beistandsgemeinschaft besteht vielmehr, sobald ein Familienmitglied auf Lebenshilfe angewiesen ist und ein anderes Familienmitglied diese Hilfe tatsächlich erbringt. Kann der Beistand nur in der Bundesrepublik Deutschland geleistet werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zuzumuten ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück. In diesen Fällen ist die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern aufenthaltsrechtlich ähnlich zu bewerten wie die Ehe eines deutschverheirateten Ausländers (BVerfG, Beschl. v. 18.4.1989, BVerfGE 80, 81 (95); BVerfG (3. Kammer des 2. Senats), Beschl. v. 12.12.1989, NJW 1990, 895 = InfAuslR 1990, 74; BVerfG, (3. Kammer des 2. Senats), Beschl. v. 25.10.1995, DVBl. 1996, 195; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.2.1995 - 11 S 2954/94 -). Bei dem zuletzt genannten Personenkreis kommt eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Betracht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979, BVerfGE 51, 386 (396ff.); vgl. auch § 48 Abs. 1 Nr. 4 AuslG). Das der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegende öffentliche Interesse muß ein solches Gewicht haben, daß die Anwesenheit des Ausländers trotz seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet nicht (weiter) hingenommen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.9.1978, BVerwGE 56, 246 (250ff.)). Einwanderungspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder die Inanspruchnahme von Sozialhilfe stellen einen derartigen schwerwiegenden Grund nicht dar (BVerwG, Urt. v. 20.5.1980, BVerwGE 60, 126 (132f.)). Für das beachtliche öffentliche Interesse daran, daß Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus ihrem erfolglos gebliebenen Asylantrag hergeleitet hat, das Bundesgebiet nach Abschluß des Asylverfahrens regelmäßig wieder verlassen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 17.5.1982, EZAR 223 Nr. 2, und Urt. v. 15.5.1984, EZAR 223 Nr. 7), kann nichts anderes gelten.

Diese für das Aufenthaltsrecht entwickelten Maßstäbe sind auch bei der Abschiebung zu beachten. Hiergegen wird eingewandt, Angriffe gegen die der Abschiebung zugrunde liegende Ausreisepflicht seien nur im Verfahren über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung geltend zu machen (vgl. Hailbronner, JZ 1995, 127 (138)). Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Auch Vollstreckungsmaßnahmen können in das Recht auf Achtung des Familienlebens eingreifen, wenn dem Ausländer ohne Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung oder aus außerhalb des Ausländergesetzes liegenden Gründen der Aufenthalt im Bundesgebiet und die Begründung einer familiären Lebensgemeinschaft mit nahen Angehörigen tatsächlich ermöglicht worden ist. Schon deshalb sind sie am Maßstab des Art. 8 Abs. 1 EMRK zu messen. Abgesehen davon ist für die hier zu entscheidende Fallgestaltung auch zu berücksichtigen, daß es einem Asylsuchenden nach dem Asylverfahrensgesetz und dem Ausländergesetz regelmäßig verwehrt ist, die durch die Ablehnung seines Asylantrages bewirkte Ausreisepflicht mit nach dem Ausländergesetz aufenthaltsrechtlich erheblichen Einwendungen abzuwenden. Denn nach § 11 AuslG ist die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung vor bestandskräftigem Abschluß des Asylverfahrens außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann möglich, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern. Lehnt das Bundesamt den Asylantrag ab, prüft es vor Erlaß der Abschiebungsandrohung auch nicht, ob dem Asylsuchenden aus asylverfahrensunabhängigen Gründen von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden kann. Maßgebend ist allein, ob er bereits im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung ist (§ 34 Abs. 1 AsylVfG). Auch aus diesen Gründen ist es jedenfalls in den Fällen Asylsuchender, welche die Voraussetzungen des § 11 AuslG nicht erfüllen, rechtlich unbedenklich, bei der Frage, ob ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK vorliegt, der Abschiebung - auch - solche Einwendungen entgegenzuhalten, die gegebenenfalls auch für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung von Bedeutung sein könnten. Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Kläger hat keinen "gesetzlichen Anspruch" (vgl. zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals: BVerwG, Beschl. v. 17.3.1993, Buchholz 402.240 § 11 AuslG 1990 Nr. 2 = InfAuslR 1993, 278 (279)) auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem Ausländergesetz. Auch die sonstigen Voraussetzungen des § 11 AuslG sind nicht gegeben.

bb. Gemessen daran erfüllte eine Abschiebung des Klägers die Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht. Zwar wäre sie eine "gesetzlich vorgesehene" Maßnahme (vgl. §§ 34 AsylVfG, 49, 50 AuslG). Auch läge ihr ein nach Art. 8 Abs. 2 EMRK als rechtmäßig anerkanntes Ziel zugrunde. Denn sie diente der zwangsweisen Durchsetzung der durch die Ablehnung des Asylantrages des Klägers begründeten Ausreisepflicht. Dieser liegt das beachtliche öffentliche Interesse daran zugrunde, daß Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus ihrem erfolglos gebliebenen Asylantrag hergeleitet hat, das Bundesgebiet nach Abschluß des Asylverfahrens regelmäßig wieder verlassen, weil die Fähigkeit der Bundesrepublik Deutschland, Ausländer für Dauer aufzunehmen, zur Vermeidung wirtschaftlicher und sozialer Probleme begrenzt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.5.1982 und v. 15.5.1984, aaO.). Folglich wäre die Abschiebung als eine Maßnahme für das "wirtschaftliche Wohl des Landes" im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.6.1988, aaO. Nr. 26). Die Abschiebung des Klägers wäre nach den oben dargelegten Maßstäben jedoch nicht im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK "notwendig", weil sie in eine zwischen dem Kläger und seiner Mutter bestehende familiäre Beistandsgemeinschaft eingreifen würde und weil es der Mutter des Klägers derzeit nicht zuzumuten ist, das Bundesgebiet mit ihrem Sohn zu verlassen.

Nach dem Ergebnis der vom Verwaltungsgericht und vom Senat eingeholten schriftlichen Gutachten sowie den ergänzenden mündlichen Erläuterungen der Sachverständigen in der Berufungsverhandlung besteht kein Zweifel, daß zwischen dem Kläger und seiner Mutter eine familiäre Beistandsgemeinschaft im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt, weil der Kläger seiner psychisch erkrankten Mutter persönliche Lebenshilfe leistet. Die Mutter des Klägers ist aufgrund ihrer Erkrankung auf die tatsächlich erbrachte ständige Betreuung und Versorgung durch den Kläger angewiesen. Das hat die Sachverständige anhand der von ihr erhobenen Befunde nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt. Danach leidet die Mutter des Klägers unter einem ausgeprägten Verfolgungswahn und Vergiftungswahn, der sich auf ihren - bei aktuellen Krisen der Mutter von dieser zeitweise getrennt lebenden - Ehemann und dessen Familie bezieht. Infolge ihrer Krankheit ist sie selbst nicht in der Lage, allein das Haus zu verlassen oder ohne Hilfe die alltäglichen Dinge des Lebens zu verrichten. Es ist auch eine ständige Aufsicht über die Mutter erforderlich, um sie vor eventuell unsinnigen Handlungsweisen zu bewahren. Der Kläger, auf den die Mutter seit vielen Jahren fixiert ist, kümmert sich darum ebenso wie um die Erledigung aller Alltagsaufgaben, wie Einkaufen, Kochen und Putzen. Auch sorgt er dafür, daß seine Mutter ihre Medikamente einnimmt, die sie ebenso wie das Essen nur von ihm annimmt. Zwischen dem Kläger und seiner Mutter ist insoweit in den vergangenen Jahren eine enge "symbiotische Beziehung" gewachsen, die nach Ansicht der Sachverständigen ihrerseits "fast als pathologisch zu bezeichnen" ist. Schon eine nur vorübergehende Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet würde sich deshalb nach ihrer Auffassung sowohl für die Mutter als auch für den Kläger "katastrophal" auswirken.

Der Mutter des Klägers ist es derzeit auch nicht zuzumuten, das Bundesgebiet mit dem Kläger zu verlassen. Denn aufgrund der bisher nicht wirksam widerrufenen und auch sonst nicht erloschenen Anerkennung als Asylberechtigte genießt sie in der Bundesrepublik Deutschland Asylrecht (Art. 16a Abs. 1 GG) und ist deshalb im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Das schon danach erhebliche und gegen die "Notwendigkeit" der Abschiebung sprechende Gewicht der familiären Gründe wird hier noch dadurch verstärkt, daß die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde nicht bereit ist, dem Kläger nach Abschluß des Asylverfahrens eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, und daß sie sich auch nicht in der Lage sieht, dem Kläger für den Fall einer vorübergehenden Ausreise aus dem Bundesgebiet vorab eine Zustimmung zur Erteilung eines Visums für einen dauerhaften Aufenthalt (vgl. § 11 Abs. 1 DVAuslG), etwa auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 AuslG, zu erteilen (vgl. die vom Senat eingeholte Auskunft der ... ... vom 26.3.1996). Denn dies läßt befürchten, daß eine Abschiebung des Klägers seine dauerhafte Abwesenheit vom Bundesgebiet zur Folge hat. Für den dann eintretenden Fall einer endgültigen Trennung von der Mutter wäre jedoch nach Ansicht der Sachverständigen sogar mit der Gefahr eines Suizids der Mutter zu rechnen. Bei dieser Sachlage und der gebotenen zusammenfassenden Würdigung aller Gesichtspunkte kommt deshalb dem mit der Abschiebung verfolgten öffentlichen Interesse ein deutlich geringeres Gewicht gegenüber dem nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gebotenen Schutz des Familienlebens zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache hinsichtlich der höchstrichterlich noch nicht geklärten Frage, ob § 53 Abs. 4 AuslG oder § 24 Abs. 2 AsylVfG auch nicht-ziellandbezogene Abschiebungshindernisse erfassen, grundsätzliche Bedeutung hat.