OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.10.2009 - 1 Ss 126/08
Fundstelle
openJur 2012, 62548
  • Rkr:

1. Zur formgerechten Begründung einer Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungs-urteil bzw. ein die Verwerfung bestätigendes Berufungsurteil reicht es aus, wenn die Revision unter Angaben bestimmter Tatsachen ausführt, das Gericht habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt (sog. allg. Verfahrensrüge).2. Einem Angeklagten steht grundsätzlich kein Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht in Form der unmittelbaren Überlassung bzw. Übersendung der Akten an sich selbst zu; einem Akteneinsichtsantrag eines nicht durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten ist jedoch - soweit dies zur ange-messenen Verteidigung erforderlich ist - Akteneinsicht durch Erteilen von Auskünften und/oder Abschriften aus den Akten oder durch Gewährung von Akteneinsicht bzw. Ermöglichung der Fertigung von Ablichtungen auf der Geschäftsstelle zu genügen.3. Allein die in der Nichtbescheidung eines Akteneinsichtsantrags liegende unrichtige oder unsachgemäße gerichtliche Sachbehandlung reicht zur An-nahme einer genügenden Entschuldigung i.S.d. §§ 412 Satz, 329 Abs.1 Satz 1 StPO nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass dem Angeklagten aufgrund der ihm bekannten und erkennbaren Umstände des Einzelfalles darüber hinaus billigerweise kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er zur Hauptverhandlung nicht erschienen ist.4. Die durch § 265 Abs. 4 StPO eröffnete Möglichkeit und Verpflichtung des Gerichts, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, wenn sich in dieser ergibt, das ohne eine unmittelbare oder nach § 147 Abs. 7 StPO erfolgende Einsicht in die Akten eine sachgerechte Verteidigung des Angeklagten nicht möglich ist, stellt eine ausreichende Kompensation zur Herstellung der gebotenen Waffengleichheit vor Gericht i.S.d. Art. 6 Abs.1 MRK und zur Wahrung der Verteidigungsrechte auch des anwaltlich nicht vertretenen Angeklagten dar.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts A. vom 15. Mai 2008 wird als unbegründet verworfen.Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht A. setzte gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs der Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung durch Strafbefehl vom 01.06.2006 eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 EUR fest. Den hiergegen eingelegten Einspruch verwarf das Amtsgericht gemäß §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO ohne Verhandlung zur Sache am 15.02.2007, da der - anwaltlich nicht verteidigte - Angeklagte zur Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war. Seine hiergegen eingelegte Berufung verwarf das Landgericht B. mit Urteil vom 15.05.2008.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision. Mit der von ihm erhobenen Verfahrensrüge beanstandet er, dass sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung am 15.02.2007 zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen worden sei.II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben ( § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). An die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gegen ein nach §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil oder ein solches bestätigendes Berufungsurteil (sog. allgemeine Verfahrensrüge) sind nämlich grundsätzlich keine strengen Anforderungen zu stellen. Wird in der Revisionsbegründung unter Angabe bestimmter Tatsachen ausgeführt, das Gericht habe das Fernbleiben nicht als unentschuldigt ansehen dürfen, bezieht bereits dieser Vortrag den Inhalt des angefochtenen Urteils und dessen Feststellungen zu einem möglichen Entschuldigungsvorbringen unmittelbar in das zu prüfende Revisionsvorbringen mit ein. Zur formgerechten Begründung einer Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungsurteil bzw. ein die Verwerfung bestätigendes Berufungsurteil reicht es deshalb aus, wenn die Revision unter Angabe bestimmter Tatsachen ausführt, das Gericht habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt (OLG München NStZ-RR 2006, 20; OLG Brandenburg NStZ 1996, 249; OLG Düsseldorf VRS 78, 129; OLG Köln VRS 75, 113; OLG Schleswig SchlHA 2002, 171; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl.2009, § 329 Rn. 48 und § 412 Rn. 11; enger: KG NStZ-RR 2002, 218). Hiervon ist vorliegend auszugehen, da der Angeklagte in seiner Revisionsbegründungsschrift ausdrücklich vorträgt, die Strafkammer habe wegen der unzureichenden Berücksichtigung, dass ihm vor der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung trotz entsprechenden Antrags keine Akteneinsicht gewährt worden sei, den Begriff der nicht genügenden Entschuldigung verkannt.

2. Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist damit allein die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei darauf erkannt hat, dass das Amtsgericht A. den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts A. zu Recht gemäß §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO verworfen hat. Für die Überprüfung des landgerichtlichen Berufungsurteils durch das Revisionsgericht gelten dabei die gleichen Grundsätze wie bei einer Revision gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 StPO (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 412 Rn. 11). Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf die Auslegung und Anwendung des Rechtsbegriffs der nicht genügenden Entschuldigung (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 412 Rn. 6). In tatsächlicher Hinsicht ist das Revisionsgericht dabei an die Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden; es darf sie weder im Wege des Freibeweises nachprüfen noch ergänzen (vgl. BGHSt 28, 384, 387; Thüringer OLG OLGSt StGB § 9 Nr. 3). Insoweit ist jedoch zu beachten, dass im Berufungsverfahren durch das Landgericht ebenfalls schon zu prüfen ist, ob der Einspruch gemäß §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO zu Recht vom Amtsgericht verworfen wurde, und das Landgericht dabei auch neues Entschuldigungsvorbringen des Angeklagten zu berücksichtigen hat, welches dann ebenfalls Grundlage der revisionsrechtlichen Überprüfung wird (BayObLG NJW 2001, 1438).

3. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Verfahrensrüge nicht begründet. Die Bewertung des Landgerichts, das Ausbleiben des Angeklagten in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung am 15.02.2007 sei nicht genügend entschuldigt gewesen, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

a. Die Strafkammer hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

Das Amtsgericht A. setzte durch Strafbefehl vom 01.06.2006 gegen den Angeklagten X. eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15, 00 EUR fest wegen des Vorwurfs der Beleidigung und der vorsätzlichen Körperverletzung. Gegen diesen Strafbefehl legte der Angeklagte rechtzeitig Einspruch ein.

In seinem Einspruchsschreiben vom 08.06.2006 beantragte der nicht verteidigte Angeklagte Akteneinsicht. Über diesen Antrag wurde in der Folgezeit durch das Amtsgericht nicht entschieden und dem Angeklagten keine Akteneinsicht, etwa in der Form der Erteilung von Abschriften oder Auskünften aus den Akten, erteilt.

Das Amtsgericht bestimmte Termin zur Hauptverhandlung auf den 15.02.2007 und ordnete das persönliche Erscheinen des Angeklagten an. Mit Schreiben vom 14.02.2007 (eingegangen am 14.2.2007, aber erst nach der Hauptverhandlung am 15.2.2007 zur Kenntnis des Amtsgerichts gelangt) teilte der zur Hauptverhandlung geladene Angeklagte dem Amtsgericht A. u. a Folgendes mit:

Es ist heute der 14.2.2007, einen Tag vor der angesetzten Hauptverhandlung.

Mein Ausbleiben in dieser ist genügend entschuldigt (§ 230 Abs. 2 StPO). Bereits am 05.06.2006 beantragte ich Akteneinsicht. Dieser Antrag wird durch den erkennenden Richter übergangen. Er wird deshalb wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Auch ist ein Ausbleiben genügend entschuldigt, wenn ich so meinem gesetzlichen Richter entzogen werde.

Das Landgericht Z. sah mein Ausblieben als genügend entschuldigt an. Wenn mir das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 7 StPO verweigert wird.

In der Hauptverhandlung vom 15.02.2007 erschien weder der Angeklagte noch ein Verteidiger. Nach viertelstündiger Wartezeit verwarf deshalb das Amtsgericht A. durch Urteil vom 15.02.2007 den Einspruch des Angeklagten wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Hauptverhandlungstermin.

Hiergegen beantragte der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte gleichzeitig Rechtsmittel ein, das - da eine Revisionsbegründung nicht erfolgte - als Berufung zu behandeln ist.

Durch Beschluss des Amtsgerichts A. vom 23.07.2009 in Verbindung mit der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts B. vom 18.09.2007 wurde der Wiedereinsetzungsantrag rechtskräftig verworfen.

b. Das Ausbleiben eines Angeklagten in der gerichtlichen Hauptverhandlung ist dann - und nur dann - i.S.d. §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO genügend entschuldigt, wenn ihm unter Abwägung aller Umstände des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (OLG München a.a.O.; OLG Brandenburg NJW 1998, 842; OLG Bamberg OLGSt, StPO, § 329 Nr.29; HansOLG Bremen StV 1987, 242; OLG Düsseldorf NJW 1985, 2207). Dabei ist grundsätzlich eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten (BGHSt 17, 391, 397), insbesondere dann, wenn es sich um den ersten Zugang des Angeklagten zum Gericht handelt (vgl. BVerfGE 54, 80 für das Wiedereinsetzungsverfahren). Eine solche Bewertung ist deshalb geboten, weil § 412 Satz 1 StPO i.V.Z. § 329 Abs.1 Satz 1 StPO eine Ausnahme von der Regelung darstellt, dass ohne den Angeklagten bzw. im Strafbefehlsverfahren ohne einen zur Vertretung Berechtigten ( § 411 Abs. 2 StPO) grundsätzlich nicht verhandelt werden darf und eine Verwerfung des Einspruchs die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich birgt. Da der Vorschrift die Annahme zugrunde liegt, der säumige Angeklagte habe an der Durchführung einer Hauptverhandlung und damit an der sachlichen Überprüfung des Urteils bzw. Strafbefehls kein Interesse mehr (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24.03.1999, 1 StRR 67/99, abgedruckt bei juris), ist deren Anwendung nur gerechtfertigt, wenn der Angeklagten tatsächlich nicht entschuldigt ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob er sich entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist (Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 Rn. 18 und § 412 Rn. 6). Bei der gebotenen weiten Auslegung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls und die objektiven und subjektiven Verhältnisse des Angeklagten zu berücksichtigen. Sie sind mit dessen öffentlich-rechtlicher Pflicht abzuwägen, auf ordnungsgemäße Ladung in der Hauptverhandlung zu erscheinen (OLG München a.a.O.).

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dem Angeklagten könne unter Abwägung aller Umstände des Falles wegen seines Ausbleibens in der Hauptverhandlung am 15.02.2007 billigerweise kein Vorwurf gemacht werden.

c. Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich ein Entschuldigungsgrund vorliegend nicht daraus, dass dem Angeklagten entgegen seines Antrags vom 08.06.2006 vor der Hauptverhandlung keine Akteneinsicht gewährt worden war.

Zwar hatte der Angeklagte auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.02.1997 (NStZ 1998, 429 mit Anmerkung Deumeland; vgl. auch BVerfG NJW 2004, 3407) nach § 147 Abs.7 StPO keinen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht in Form der unmittelbaren Überlassung bzw. Übersendung der Akten; ein solches Recht steht nur dem Verteidiger zu (EGMR, Urteil vom 19.12.1989, ÖJZ 1990, 412, und Urteil vom 21.09.1993, EuGRZ 1995, 537; vgl. hierzu auch BVerfGE 53, 207; LG München I, Beschluss vom 13.02.2006, 25 Qs 7/06). Das Amtsgericht hätte den Akteneinsichtsantrag des Angeklagten jedoch bescheiden und, soweit dies zu dessen angemessener Verteidigung erforderlich war, diesem entweder durch Erteilen von Auskünften und/oder Abschriften aus den Akten oder durch Gewährung von Akteneinsicht bzw. Ermöglichung der Fertigung von Ablichtungen auf der Geschäftstelle (LG Düsseldorf StraFo 2008, 505) genügen müssen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 147 Rn. 4). Die Entscheidung, in welcher Form und in welchem Umfang dem Informationsrecht des Angeklagten zu entsprechen gewesen wäre, oblag dem Amtsgericht, welches hierüber nach pflichtgemäßer Beurteilung zu befinden gehabt hätte. Der Senat hingegen vermag dies im Revisionsverfahren nicht zu beurteilen, jedoch ergeben sich aus den Urteilsgründen und dem Revisionsvorbringen auch keine Gründe für die Annahme, durch die beantragte Akteneinsicht hätte der Untersuchungszweck vorliegend gefährdet werden können oder aber der Gewährung von Akteneinsicht stünden überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegen (§ 147 Abs.7 StPO).

Allein die in der Nichtbescheidung des Akteneinsichtsantrags des Angeklagten vom 08.06.2006 liegende unrichtige und unsachgemäße gerichtliche Sachbehandlung reicht zur Annahme einer genügenden Entschuldigung i.S.d. §§ 412 Satz 1, 329 Abs.1 Satz 1 StPO allerdings nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass dem Angeklagten aufgrund der ihm bekannten und erkennbaren Umstände des Einzelfalles deshalb billigerweise kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er zur Hauptverhandlung nicht erschienen ist. Dies ist nach den - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen des landgerichtlichen Urteils vorliegend nicht der Fall.

Grundsätzlich ist ein ordnungsgemäß geladener Angeklagter zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet (§§ 226, 230 Abs. 1 StPO) und kann nicht durch bewusstes Fernbleiben eine ihm genehme Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht erzwingen oder - wie der Revisionsführer meint - eine bis dahin unterbliebene Gewährung von Akteneinsicht sanktionieren. Daher besteht für den anwaltlich nicht verteidigten Angeklagten die Pflicht zum Erscheinen grundsätzlich auch dann, wenn ihm zuvor trotz entsprechenden Antrags Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Originalakten oder in der Form des § 147 Abs.7 StPO nicht bzw. nicht in dem von ihm gewünschten Umfang oder der von ihm gewünschten Weise erteilt wurde. Ergibt sich in der Hauptverhandlung jedoch, dass ohne Kenntnis aller oder einzelner Akteninhalte dem Angeklagten eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich oder eine solche erschwert ist, ist die Hauptverhandlung, falls dem Informationsanspruch des Angeklagten nicht durch deren bloße Unterbrechung genügt werden kann, auf Antrag oder von Amts wegen nach § 265 Abs.4 StPO auszusetzen (OLG Köln VRS 85, 443; Meyer-Goßner, a.a.O., § 265 Rn. 44 und 45; vgl. auch BGHSt 48, 183). Die durch § 265 Abs.4 StPO eröffnete Möglichkeit und Verpflichtung des Gerichts, die Hauptverhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen, wenn sich in dieser ergibt, dass ohne eine im Wege der unmittelbaren oder nach § 147 Abs.7 StPO erfolgenden Einsicht in die Akten eine sachgerechte Verteidigung des Angeklagten nicht möglich ist, stellt eine ausreichende Kompensation zur Herstellung der gebotenen Waffengleichheit vor Gericht i.S.d. Art. 6 Abs.1 MRK und zur Wahrung der Verteidigungsrechte auch des anwaltlich nicht vertretenen Angeklagten dar (vgl. hierzu allgemein Gollwitzer in LR StPO, Art.6 MRK Rn. 193). Dabei ist insbesondere zu sehen, dass eine solche Aussetzung eben nicht nur auf Antrag des Angeklagten, sondern, falls die Gewährleistung eines fairen Verfahrens und die gerichtliche Fürsorgepflicht dies gebieten (BGH NStZ-RR 2002, 270; Meyer-Goßner a.a.O.), auch von Amts wegen stattzufinden hat.

bb. Trotz der in der Nichtbescheidung des Akteneinsichtsantrages vom 08.06.2006 liegenden objektiv unsachgemäßen Sachbehandlung durch das Amtsgericht kann vorliegend das Ausbleiben des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin am 15.02.2007 nicht als genügend entschuldigt angesehen werden, da dieser nach den ihm konkret bekannten und erkennbaren Umständen vernünftigerweise nicht davon ausgehen durfte, sein Antrag sei von dem erkennenden Richter bewusst übergangen worden und dieser werde ihm auch in der anstehenden Hauptverhandlung das ihm zustehende Recht auf angemessene Akteninformation nach § 147 Abs.7 StPO verweigern. Anders als in dem von dem Angeklagten angeführten Verfahren 25 Qs 7/06 des Landgerichts Z., dessen Sachverhalt dem Angeklagten als unmittelbar von der dortigen Entscheidung Betroffenem naturgemäß bekannt und das mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht vergleichbar ist, bestanden hier nämlich für den Angeklagten bei vernünftiger Bewertung keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die vor dem Amtsgericht Karlsruhe anberaumte Hauptverhandlung - so das Landgericht Z. zur dortigen Sachlage - unter unzureichender Information des Angeklagten und damit nur unzureichend wahrnehmbarem rechtlichen Gehör durchgeführt werden soll (vgl. hierzu auch LG München I, Beschluss vom 13.02.2006 - 25 Qs 7/06 - BA S.14). Anders als in dem genannten Verfahren, in dem der auch dort anwaltlich nicht vertretene Angeklagte sowohl in seiner Funktion als Beschuldigter als auch als nach § 406e StPO Verletzter mehrfach - insgesamt dreimal - schriftlich Akteneinsicht beantragt und die Staatsanwaltschaft ihm diese mit dem - rechtlich unzutreffenden - Hinweis, dass Akteneinsicht nur über einen Rechtsanwalt gewährt werden könne, ausdrücklich verwehrt hatte (LG München I, a.a.O., BA S.4), konnte und musste der Angeklagte nach den ihm bekannten und erkennbaren Umständen vorliegend nämlich vernünftigerweise davon ausgehen und ins Kalkül ziehen, dass die Bearbeitung und Bescheidung seines Akteneinsichtsantrages bislang lediglich versehentlich unterblieben war und dass seinem Informationsanspruch und damit seinem Recht auf angemessene Verteidigung jedenfalls in der Hauptverhandlung Genüge getan werde. Allein aus dem Umstand, dass sein Antrag vom 08.06.2006 bislang nicht beschieden worden war, konnte und durfte er somit nicht auf die endgültige Verweigerung der von ihm begehrten Akteneinsicht schließen, weshalb ihm sein Nichterscheinen zu dem Hauptverhandlungstermin am 15.02.2007 zum Vorwurf gereicht.

cc. Nach dem im landgerichtlichen Urteil festgestellten Sachverhalt liegt auch kein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens vor. Zwar folgt aus diesem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz, dass ein Richter aus eigenen und ihm allein zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für den Beschuldigten ableiten darf (BVerfGE 78, 123 ff., 126). Von einer dem Gericht allein zuzurechnenden Verursachung kann jedoch dann nicht ausgegangen werden, wenn der Beschuldigte und/oder dessen Verteidiger ihnen mögliche und zumutbare Anstrengungen zur Beseitigung des Mangels unterlassen haben (BVerfG NJW 1996, 1811). So liegt der Fall hier, denn - wie oben ausgeführt - konnte und durfte der Angeklagte nicht ohne weiteres davon ausgehen, das Gericht habe seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht bewusst übergangen bzw. wolle und werde ihm auch in der anstehenden Hauptverhandlung sein Recht auf ausreichende und angemessene Akteninformation verweigern. Nach der ihm bekannten Sachlage hätte für ihn vielmehr Anlass und in der Zeit von Juni 2006 bis zur Hauptverhandlung im Februar 2007 auch ausreichend Gelegenheit zur Nachfrage bei Gericht bestanden, warum über sein Akteneinsichtsgesuch vom 08.06.2006 bislang nicht entschieden worden sei.

Diesen ihm obliegenden eigenen Sorgfaltsanforderungen ist der Angeklagte auch mit dem in den Urteilsgründen auszugsweise wiedergegebenen Schreiben vom 14.02.2007 an das Amtsgericht Karlsruhe nicht gerecht geworden. Auch wenn es nicht darauf ankommt, ob der Tatrichter von der Existenz und dem Inhalt dieses noch am 14.02.2007 beim Amtsgericht eingegangenen Schreibens Kenntnis hatte oder ihm dieses - wie vorliegend festgestellt - erst nach der Hauptverhandlung am 15.02.2007 vorgelegt wurde (vgl. OLG Bamberg NStZ-RR 2008, 86; KG NStZ-RR 2002, 218), konnte und durfte der Angeklagte nicht davon ausgehen, dass ihm das Gericht binnen lediglich eines Tages die bislang unterbliebene Akteneinsicht noch gewähren oder ihn aber - ggf. unter Hinweis auf die Möglichkeit der Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs.4 StPO - auf seine Pflicht zum Erscheinen hinweisen konnte. Auf die Möglichkeit einer solchen noch rechtzeitigen Unterrichtung vor dem Termin konnte und durfte er schon wegen der allseits und auch ihm bekannten Postlaufzeiten vernünftigerweise nicht vertrauen.III.

Die Revision des Angeklagten war daher mit der sich aus § 473 Abs.1 StPO ergebenden Kostenfolge als unbegründet zu verwerfen.