OLG Koblenz, Urteil vom 20.10.2005 - 5 U 216/05
Fundstelle
openJur 2012, 135800
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11. Januar 2005 verkündete Teil- und Grundurteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen einschließlich der Kosten, die der Streithelferin entstanden sind.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

(aus Wohnungswirtschaft und Mietrecht WuM)

Die minderjährige Klägerin beansprucht von der Beklagten Ersatz materiellen Schadens (187,46 EUR), ein angemessenes Schmerzensgeld (mindestens 7500 EUR) und sie begehrt darüber hinaus die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz von Zukunftsschäden.

Sie verbrachte Anfang Mai 2002 im Bungalowpark der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Ferienaufenthalt. Am 7. Mai 2002 benutzte sie ein im Park befindliches Karussell; hierbei erlitt sie erhebliche Verletzungen.

Das Karussell ist ein Spielgerät für Kinder mit feststehender Mittelachse. Das Gerät wird bewegt, indem man die auf der Mittelachse aufgesetzte Scheibe umfasst, sich an ihr entlangzieht und das Karussell zum Umlauf bringt. In der Mittelachse befindet sich eine Bolzenschraube. An ihr verwickelte sich der Schnürsenkel des linken Schuhs. Durch die Drehbewegung und die Fixierung des Beins an der feststehenden Mittelachse wurde das linke Bein mehrfach gebrochen.

Die Verletzungen mussten wegen einer Schiefstellung im Wachstumsverlauf auch operativ behandelt werden. Ob Spätfolgen verbleiben, steht noch offen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Bei Spielgeräten bestehe eine starke Beanspruchung der Geräte, was erfordere, dass man sie regelmäßig und in kürzeren Abständen überprüfe. Die Beklagte könne sich nicht dadurch entlasten, dass der TÜV regelmäßig Untersuchungen durchgeführt habe.

Das Landgericht [Trier] ist der Meinung, die Bolzenschraube habe nicht ganz glatt an der Mittelachse angelegen, so dass sich ein Schnürsenkel in dem vorhandenen Spalt habe verfangen können. Unabhängig hiervon sei aber die Bolzenschraube wegen ihrer Breite ungeeignet gewesen. Die Beklagte könne sich nicht auf die technische Untersuchung durch den TÜV berufen; diese sei unzureichend gewesen.

Zahlungs- und Feststellungsantrag seien begründet. Hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs könne nur zum Grund entschieden werden, denn die Höhe hänge davon ab, ob mit nicht zu korrigierenden Wachstumsbeeinträchtigungen zu rechnen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten.

Die Beklagte macht geltend, das Karussell befinde sich seit über zehn Jahren im Ferienpark und bisher sei nie etwas passiert. Die Schraube sei von der Herstellerfirma so angebracht worden und das Gerät habe sich in einem verkehrssicheren Zustand befunden. Durch die Einschaltung des TÜVs habe sie ihrer Überwachungspflicht genüge getan. Im Übrigen habe das Landgericht den Vorgang physikalisch falsch gewertet, denn durch die Zentrifugalkraft werde der gesamte Körper nach außen gedrängt.

Dem ist die Klägerin entgegengetreten.

II. Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, denn ein - objektiv - pflichtwidriges Verhalten der Rechtsvorgängerin der Beklagten ist nicht festzustellen.

Aus diesem Grunde kann es dahinstehen, ob materielle Ansprüche verschuldensunabhängig auch auf Miet- oder Reisevertragsrecht gestützt werden können, wobei für immaterielle Ansprüche nach wie vor § 847 Abs.1 BGB in Verbindung mit den Vorschriften über die unerlaubte Handlung (§ 823ff BGB) zur Anwendung kommt (Art. 229 § 8 EGBGB).

1. Die Verkehrssicherungspflicht ist eine allgemeine Rechtspflicht und hat zum Gegenstand, im Verkehr Rücksicht auf Rechtsgüter anderer zu nehmen und vor allem Gefährdungen und Schädigungen nach Möglichkeit auszuschließen. Sie beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der eine Gefährdungsquelle setzt und beherrscht, die notwendigen Schutzvorkehrungen zu treffen hat. Inhalt, Umfang und Grenzen der Verkehrssicherungspflicht bestimmen sich zum einen nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des Verkehrs und andererseits nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Verpflichteten.

Für Spielplätze hat die Rechtsprechung hinsichtlich des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht schon lange erhöhte Anforderungen gestellt, und zwar deshalb, weil in Bezug auf die Voraussehbarkeit und Erkennbarkeit der Gefahr auf die geringere oder sogar fehlende Einsichtsfähigkeit von Kindern insbesondere im nicht schulpflichtigen Alter abzuheben ist. Kindliche Neugier und kindliches Verhalten sind bei der Anlage und dem Betrieb eines Spielplatzes einzukalkulieren (BGH NJW 1988, 2667). Eltern und Kinder müssen darauf vertrauen dürfen, dass sich die Spielgeräte in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden (BGH NJW 1988, 48).

Jegliches Unfallrisiko auszuschließen ist zwar unmöglich. Spielgeräte dürfen aber nicht mit (verborgenen) Mängeln behaftet sein, die einem spielenden Kind zum Verhängnis werden können (vgl. ausführlich Karle BADK 2003, 27-30 mwN; vgl. auch Rotermund, Haftung der Kommunen für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, 4.Aufl., Rn.154 ff mwN aus der Rechtsprechung).

2. Im vorliegenden Fall folgt der Senat nicht der Auffassung des Landgerichts, dass die Verwendung der Mutter, deren Kanten nicht ganz eng an der feststehenden Mittelachse anlagen, eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellt.

Es ist zu sehen, dass dieser Teil des Spielgeräts sich nicht bewegt und schon von daher keine eigenständige Gefährdung darstellt. Das Verhaken von Schnürsenkeln in der Schraube bzw. deren Herumwickeln um die Mutter ist als Gefährdungsmöglichkeit derart fern liegend, dass man nach realistischer Betrachtung nicht damit zu rechnen hatte. Hierfür spricht auch, dass der TÜV insoweit keine Beanstandungen erhoben hat und dass das Gerät über zehn Jahre lang unfallfrei im Betrieb gewesen ist.

Unter diesen Umständen stellt der bedauerliche Unfall mit den für die minderjährige Klägerin erheblichen Folgen ein schicksalhaftes Ereignis dar, das auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen ist. Hierfür hat die Beklagte haftungsrechtlich nicht einzustehen.

3. Das Urteil des Landgerichts war daher schon vom Grunde her aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Für die Zulassung der Revision fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen.