Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.03.2012 - 12 ME 270/11
Fundstelle
openJur 2012, 52668
  • Rkr:

1. Es gibt hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Bioaerosole aus Tierhaltungsanlagen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen. Unter Vorsorgegesichtspunkten kann deswegen erwogen werden, eine Erhöhung von Immissionskonzentrationen gegenüber den Hintergrundwerten zu vermeiden oder zu vermindern.2. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung des derzeitigen Erkenntnisstands lässt sich nicht abschließend klären, ob der Einsatz von Abluftreinigungsanlagen bei der Geflügelhaltung bereits dem Stand der Technik entspricht.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob der Antragsgegner der Antragstellerin aufgeben kann, die von ihr geplanten Hähnchenmastställe mit einer Abluftbehandlungsanlage auszustatten und zu betreiben.

Der Antragsgegner erteilte der Antragstellerin unter dem 7. Juli 2011 auf ihren Antrag vom 22. Januar 2010 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer im Wesentlichen aus zwei Stallgebäuden, einem Zwischenbau, drei Futtermittelsilos, einer Abwassersammelgrube und einem Vorplatz bestehenden Anlage zur Aufzucht und zum Halten von Mastgeflügel mit insgesamt 82.786 Mastplätzen bis 1,65 kg auf dem Flurstück F. der Flur G., Gemarkung H.. Neben zahlreichen weiteren Nebenbestimmungen versah der Antragsgegner die Genehmigung mit folgenden Auflagen unter der Überschrift "Vorsorge nach TA-Luft":

"41. A Nach Maßgaben der TA-Luft (2002), Nr. 5.4.7.1 (Keime) und der VDI-Richtlinie 4250 E sind aus Gründen der Vorsorge über die Hintergrundbelastung hinaus erhöhte Bioaerosol-Konzentrationen durch den Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zu vermindern. Insofern dürfen auf den im 500 Meter Radius liegenden Wohngrundstücken keine Zusatzbelastungen durch Bioaerosole (Luftgetragene Partikel biologischer Herkunft wie Pilze, Bakterien, Viren sowie ihre Stoffwechselprodukte und Zellwandbestandteile wie Endotoxine) entstehen. Daher sind die geplanten Hähnchenmastställe mit einer von der Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) zertifizierten Abluftbehandlungsanlage (z.B. MagixX-B, DLG-Prüfbericht 5952) zu betreiben, die Stäube um mindestens 70% reduzieren bzw. durch gleichwertige Abluftbehandlungsanlagen, bei denen vor Einbau die Staubreduzierung von mindestens 70% dem Landkreis Oldenburg durch eine bekanntgegebene Messstelle nach § 26 BImSchG nachzuweisen ist.

42. A Die Abluftbehandlungsanlage muss bis zur Inbetriebnahme der neuen Ställe betriebsbereit sein.

43. A Rechtzeitig vor Einbau der Abluftbehandlungsanlage sind dem Landkreis Oldenburg in zweifacher Ausfertigung die Antragsunterlagen für die Abluftbehandlungsanlage einschließlich einer detaillierten Beschreibung des Herstellers und (soweit erforderlich) der statischen Berechnungen zur Prüfung vorzulegen.

44. A Die Bauausführung der Abluftbehandlungsanlage darf nur nach den von uns geprüften und genehmigten Unterlagen erfolgen."

Gegen die zitierten Auflagen wandte sich die Antragstellerin mit ihrem Widerspruch vom 14. Juli 2011, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist.

Am 28. Juli 2011 beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, die Genehmigung unter teilweiser Aufhebung seines Bescheids vom 7. Juli 2011 in der beantragten Form, d.h. ohne die Auflagen 41. A bis 44. A, zu erteilen. Sie ist der Auffassung, für die - modifizierenden - Auflagen gebe es keine Rechtsgrundlage.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Er ist der Ansicht, die beanstandeten Auflagen fänden ihre Grundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. Nr. 5.4.7.1 TA Luft 2002. Aus Gründen der Vorsorge sei eine Minderung der Konzentration von Bioaerosolen aus der von der Antragstellerin geplanten Stallanlage geboten. Sie sei nach dem Stand der Technik durch den Einbau der verlangten Abluftbehandlungsanlage auch realisierbar.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen stattgegeben und den Antragsgegner verpflichtet, die Errichtung und den Betrieb der mit Bescheid vom 7. Juli 2011 genehmigten Anlage zur Aufzucht und zum Halten von Mastgeflügel ohne Beachtung der Nebenbestimmungen Nr. 41. A bis 44. A vorläufig, d.h. bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache, zu dulden. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die von der Antragstellerin beantragte Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Genehmigung ohne die entsprechenden Auflagen komme nicht in Betracht, weil eine solche Verpflichtung eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde. Da im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur einstweilige Entscheidungen getroffen werden könnten, sei der Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, die Errichtung und den Betrieb der Anlage ohne die Auflagen zu dulden. Die beanstandeten Auflagen entbehrten aller Voraussicht nach einer rechtlichen Grundlage. Nach Auffassung des Antragsgegners bestehe ein möglicher Zusammenhang zwischen Emissionen und Schadenseintritt. Potentiell schädliche Umwelteinwirkungen könnten Anlass für Vorsorgemaßnahmen sein, wenn es hinreichende Gründe für die Annahme gebe, dass Immissionen zu schädlichen Umwelteinwirkungen führten. Die verlangte Vorsorge müsse dem Risikopotential der prognostizierten Immissionen, die sie verhindern soll, proportional sein. Solle Vorsorge - wie hier - durch eine Begrenzung der Emissionen erfolgen, setze das voraus, dass Art, Umfang und Ausbreitungsverhalten der erwarteten Emissionen bekannt oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostizierbar seien und es dem Stand der Technik entsprechende Verfahren zur Risikominimierung gebe. Daran fehle es. Die sogenannte AABEL-Studie 2004 des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts habe sich wegen fehlender verbindlicher Messmethoden auf Explorationsberechnungsmodelle einzelner Bioaerosole beschränkt. Die Verfasser der Studie seien zu dem Ergebnis gekommen, dass für die betrachteten Zielerkrankungen keine Hinweise auf eine Risikoerhöhung bei normal empfindlichen Kindern, auf die maßgeblich abzustellen sei, gefunden werden könnten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der vom Antragsgegner angeführten Internetdokumentation des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Danach existierten gegenwärtig keine anerkannten wirkungsbezogenen Beurteilungsmaßstäbe, mit denen Bioaerosol-Immissionen verglichen und hieraus die möglichen resultierenden gesundheitlichen Wirkungen gesichert beurteilt werden könnten. Derzeit fehlten tragfähige Erkenntnisse darüber, von welcher Wirkungsschwelle an das auch in der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannte, aber nicht quantifizierbare Risiko in eine konkrete Gesundheitsgefahr für bestimmte Personengruppen umschlage. Danach gebe es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Anlage der Antragstellerin zu einer Verschlechterung der bisherigen - gebietstypischen - Situation führen würde. Eine tragfähige Beurteilung der Vorbelastung im Hinblick auf Bioaerosole sei nicht erfolgt. Soweit sich der Antragsgegner zur Begründung der geforderten Abluftbehandlungsanlage darauf berufe, wesentliche Bioaerosole würden mit dem Staub transportiert, der daher zu reduzieren wäre, berücksichtige er nicht hinreichend, dass die Landwirtschaftskammer Niedersachsen in ihrer sachverständigen Stellungnahme vom 4. August 2010 eine Zusatzbelastung durch Schwebstaub aus dem Vorhaben als unterhalb des Irrelevanzwertes von 1,2 Mikrogramm/m3 prognostiziert habe. Auch Nr. 5.4.7.1 der TA Luft biete keine hinreichende Grundlage für die angefochtenen Nebenbestimmungen. Die Vorschrift verweise lediglich im letzten Satz unter der Überschrift "Keime" darauf, dass Möglichkeiten zu prüfen seien, die Emissionen an Keimen und Endotoxinen durch dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zu vermindern. Konkrete Handlungsvorgaben, Grenz- oder Abstandsregelungen enthalte die Vorschrift nicht. Zweifelhaft sei zudem, ob die vom Antragsgegner geforderte Abluftbehandlungsanlage dem Stand der Technik entspreche. Die praktische und wirtschaftliche Eignung der Maßnahme erscheine nicht gesichert. Der Hinweis des Antragsgegners auf die bislang lediglich im Entwurf vorliegende VDI-Richtlinie 4250 E führe nicht weiter. Die Richtlinie enthalte keine weiteren Erkenntnisse, die zur Begründung der verlangten Installation einer Abluftbehandlungsanlage zur Reduzierung der Bioaerosolverbreitung herangezogen werden könnten. Schließlich seien die angefochtenen Auflagen angesichts der damit verbundenen Mehrkosten von ca. 220.000,- EUR auch unverhältnismäßig.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners bleibt ohne Erfolg. Die vom Senat allein zu prüfenden Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) geben keinen Anlass, den angegriffenen Beschluss in seinem Ergebnis zu ändern.

Der Antragsgegner führt zur Begründung seiner Beschwerde aus: Der Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsgefährdung und Bioaerosolen aus Tierhaltungsanlagen sei durch Studien belegt. Das Risikopotential von Bioaerosolen sei insbesondere im Rahmen der Geflügelhaltung erheblich. Bei dieser seien - im Vergleich zur Rinder- und Schweinehaltung - die Anteile des inhalierbaren und alveolingängigen Staubs, dessen Zusammensetzung auch gefährlich sei, am höchsten. Dabei sei ein Gefährdungspotential bei einem Abstand unter 500 m bzw. in einem Radius von teilweise mehreren Kilometern festgestellt worden. Das Verwaltungsgericht habe noch zutreffend erkannt, dass potentiell schädliche Umwelteinwirkungen, wie sie hier anzunehmen seien, Anlass für Vorsorgemaßnahmen sein könnten. Die weitere Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, in einem derartigen Fall müsse es hinreichende Gründe für die Annahme geben, dass Immissionen auch zu schädlichen Umwelteinwirkungen führten, gehe indes zu weit und werde insbesondere dem Grundsatz der raumbezogenen Vorsorge nicht gerecht. Vorsorge im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG sei auch im Falle eines Gefahrenverdachts zulässig, könne auf eine Begrenzung von Immissionen zielen und eine Sicherheitszone unterhalb der Gefahrenschwelle gewährleisten. Die - einzige zertifizierte - Abluftreinigungsanlage "MagixX-B" der Firma I. entspreche dem Stand der Technik. Ihre Wirksamkeit zur Staubreduzierung um mehr als 70 % sei belegt. Die menschliche Gesundheit stelle ein hohes Gut dar. Zu ihrem Schutz seien die getroffenen Auflagen geboten.

13Die angeführten Gründe rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Sollte allerdings das Verwaltungsgericht dahin zu verstehen sein, dass der Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG nicht eröffnet ist, würde der Senat ihm nach der hier im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung nicht folgen können. Vielmehr teilt er die Auffassung des Antragsgegners, dass die Besorgnis, von den geplanten Hähnchenmastställen gingen luftgetragene Schadstoffe wie Stäube, Mikroorganismen (z. B. Pilzsporen) und Endotoxine aus, die geeignet seien, sich nachteilig auf die menschliche Gesundheit auszuwirken, grundsätzlich Anlass zu Vorsorgemaßnahmen geben kann (vgl. auch bereits Beschluss des beschließenden Senats vom 9.8.2011 - 12 LA 55/10 -, RdL 2011, 262, juris Rdn. 10). Im Einzelnen:

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen - wie hier (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 4. BImSchV und Spalte 1 Nr. 7.1 Buchst. c) des Anhangs) - so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen. Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen erfasst dabei mögliche Schäden, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, weshalb noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein Besorgnispotential besteht. Gibt es hinreichende Gründe für die Annahme, dass Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen, ist es Aufgabe der Vorsorge, solche Risiken insbesondere durch Emissionsbegrenzungen unterhalb der Gefahrengrenze zu minimieren (BVerwG, Urteil vom 11.12.2003 - 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329, juris Rdn. 12; Urteil vom 19.12.1985 - 7 C 65.82 -, BVerwGE 72, 300, juris Rdn. 37; Urteil vom 17.2.1984 - 7 C 8.82 -, BVerwGE 69, 37, juris Rdn. 15 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 9.8.2011 - 12 LA 55/10 -, RdL 2011, 262, juris Rdn. 9). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts setzt Vorsorge nicht zusätzlich voraus, dass Umfang und Ausbreitungsverhalten der erwarteten Emissionen bereits bekannt sind oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden können. Vielmehr setzt Vorsorge im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG bereits dort ein, wo für einen vorbeugenden Gefahrenschutz im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG kein Raum mehr ist. Sie trägt damit (auch) dem Umstand Rechnung, dass etwa geltende Immissionsgrenzwerte Restrisiken enthalten, die u.a. auf den noch lückenhaften Kenntnissen über die Schädlichkeit bestimmter Immissionen und ihre Langzeitwirkung beruhen. Sie ist schon geboten, wenn hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, dass Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen und damit - auch wenn sich entsprechende Ursachenzusammenhänge im Einzelnen noch nicht eindeutig feststellen lassen - ein Gefahrenverdacht besteht (BVerwG, Urteil vom 11.12.2003 - 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329, juris Rdn. 12; Beschluss vom 10.1.1995 - 7 B 112.94 -, DVBl 1995, 516, juris Rdn. 6; Urteil vom 17.2.1984 - 7 C 8.82 -, BVerwGE 69, 37, juris Rdn. 15 f. zu § 5 BImSchG a.F.).

Das Vorliegen der letztgenannten Voraussetzungen hat der Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise bejaht. Es gibt hinreichende Gründe für die Annahme, dass Bioaerosole möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen. In seinem - das Rechtsmittel eines Nachbarn gegen eine dem Betreiber erteilte Genehmigung betreffenden, sich zuvörderst mit der immissionsschutzrechtlichen Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG befassenden - Beschluss vom 9. August 2011 (- 12 LA 55/10 -, RdL 2011, 262, juris Rdn. 10) hat der Senat bereits ausgeführt:

"… Es entspricht … dem Stand auch der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass gegenwärtig … Erhebliches dafür spricht, dass von Tierhaltungsbetrieben luftgetragene Schadstoffe, wie insbesondere Stäube, Mikroorganismen (z. B. Pilzsporen) und Endotoxine, ausgehen, die grundsätzlich geeignet sind, nachteilig auf die Gesundheit zu wirken. Wissenschaftliche Untersuchungen und Erkenntnisse darüber, von welcher Wirkungsschwelle an dieses bislang nicht quantifizierbare Risiko in eine konkrete Gesundheitsgefahr für bestimmte Personengruppen umschlägt, sind … derzeit nicht bekannt. Es gibt weder ein allgemein anerkanntes Ermittlungsverfahren noch verallgemeinerungsfähige Untersuchungsergebnisse über die gesundheitliche Gefährdung der Nachbarschaft durch eine landwirtschaftliche oder gewerbliche Tierhaltung. Zwar haben messtechnische Untersuchungen etwa ergeben, dass sich eine Erhöhung bestimmter Parameter, insbesondere von Staphylokokken und Bakterien, an der in Windrichtung gelegenen (Lee-)Seite eines Legehennenstalls (ca. 300 Großvieheinheiten) gegenüber der windabgewandten (Luv-)Seite, die der jeweiligen örtlichen Hintergrundbelastung entspricht, noch in einer Entfernung von bis zu 500 m nachweisen lässt. Entsprechendes ist für eine Schweinemastanlage (ca. 250 Großvieheinheiten) in einer Entfernung von bis zu 350 m ermittelt worden. Daraus folgt aber nicht, dass in diesem Umkreis mit gesundheitsgefährdenden Konzentrationen zu rechnen ist. Die Immissionskonzentrationen lagen nach sachverständiger Ermittlung (Heller/Köllner, Bioaerosole im Umfeld von Tierhaltungsanlagen - Untersuchungsergebnisse aus Nordrhein-Westfalen -, 2007) auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau und erreichten bei weitem nicht die Konzentrationen, wie sie an Arbeitsplätzen gemessen werden. Derzeit liegen zuverlässige Erkenntnisse darüber, bei welchen Entfernungen Schadstoffe aus Tierhaltungsbetrieben größtenteils beeinträchtigend wirken könnten, nicht vor. Auch ein Konsens über zu empfehlende Mindestabstände besteht (noch) nicht. Medizinisch begründete Immissionsgrenzwerte für Bioaerosole existieren zurzeit ebenfalls nicht (vgl. zum Ganzen insbesondere OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.5.2010 - 8 B 92/09 -, juris; Bay. VGH, Urteil vom 24.3.2011 - 22 B 10.2316 -, DVBl. 2011, 773; Senat, Beschluss vom 14.2.2011 - 12 LA 8/09 -, NVwZ-RR 2011, 397; 1. Senat des beschl. Gerichts, Urteil vom 12.1.2011 - 1 KN 28/10 -, juris)."

Der beschließende Senat ist in dem soeben zitierten Beschluss im Weiteren davon ausgegangen, dass es unter Vorsorgegesichtspunkten in Betracht kommt, jede Erhöhung von Immissionskonzentrationen gegenüber den Hintergrundwerten zu vermeiden (im Ergebnis auch OVG NRW, Beschluss vom 10.5.2010 - 8 B 992/09 -, juris Rdn. 64; Beschluss vom 14.1.2010 - 8 B 1015/09 - RdL 2010, 124, juris Rdn. 65). Hieran hält er fest. Auch die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen entkräften nicht den Verdacht einer durch Bioaerosole verursachten Gefahr, sondern bestätigen ihn. So heißt es in der Entwurfsfassung der VDI-Richtlinie 4250 u.a. zur umweltmedizinischen Bewertung von Bioaerosol-Immissionen aus November 2011 in Auswertung auch der von den Beteiligten zitierten niedersächsischen Lungenstudie (NiLS) und des AABEL (Atemwegserkrankungen und Allergien bei Einschulungskindern in einer ländlichen Region) - Projekts auf S. 4 f., 7 etwa:

"Die in der NiLS-Studie festgestellten Befunde geben Hinweise darauf, dass möglicherweise bei einer sehr hohen Dichte an Betrieben der Veredelungswirtschaft die Schwelle zu adversen Effekten für die anwohnende Bevölkerung überschritten wird. Dieser erstmalige Befund von Lungenfunktionseinschränkungen erfordert aber eine weitere wissenschaftliche Überprüfung.

Im sogenannten AABEL-Projekt … zeigen sich einige Tendenzaussagen, die statistisch als grenzwertig signifikant einzustufen sind: Bei familiär prädisponierten Kindern ist für asthmatische Symptome eine Prävalenzerhöhung mit steigender Exposition zu erkennen. Auf der anderen Seite kann ein negativer Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Bioaerosolen aus Ställen und der Wahrscheinlichkeit einer Sensibilisierung gegenüber Inhalationsallergenen aufgezeigt werden, wie dies auch schon in anderen Studien gezeigt wurde. Diese Tendenzen müssen nach Einschätzung der Autoren allerdings noch weiter bestätigt werden und können allein auf der Grundlage einer Querschnittsstudie wie dem AABEL-Projekt keinesfalls kausal interpretiert werden.

Diese umweltmedizinischen Studien zeigen, dass grundsätzlich gleichartige gesundheitliche Wirkungen, wie sie durch Bioaerosole am Arbeitsplatz auftreten, auch bei Umweltkonzentrationen im Einflussbereich von Anlagen vorkommen können. …

Da … wirkungsbezogene Schwellenwerte … bisher nicht ableitbar sind, muss sich ein tolerierbarer Wert immer an der vorhandenen Konzentration von Mikroorganismen oder Substanzen (Hintergrund) orientieren. …

Eine gegenüber der Hintergrundkonzentration erhöhte Bioaerosolkonzentration ist als eine zusätzliche Exposition zu werten. Diese kann nach allgemeinem Kenntnisstand - insbesondere für Risikogruppen wie immuneingeschränkte Personen, Allergiker und Atemwegsvorgeschädigte - mit einem zusätzlichen Gesundheitsrisiko verbunden sein. …

Eine gegenüber der Hintergrundkonzentration erhöhte Bioaerosolkonzentration wird in dieser Richtlinie als umweltmedizinisch unerwünscht definiert … ."

Aus dem Aufsatz von Hoopmann/Csicsaky/Schulze/Hehl/Praml/Nowak/Radon, Gesundheitliche Bewertung von Bioaerosolen aus der Intensivtierhaltung in Niedersachsen, UMID 4/2005, S. 3 ff., folgt ebenso wenig etwas anderes wie aus der Unterrichtung des Bundestags über das Umweltgutachten 2004 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (Drs. 15/3600) und der Untersuchung von Seedorf/Hartung, Stäube und Mikroorganismen in der Tierhaltung (KTBL-Schrift 393).

Ungeachtet dessen ist nach summarischer Prüfung der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts aus folgenden Gründen im Ergebnis rechtmäßig:

Soweit erkennbar ist vorliegend zwar möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, aber nicht geklärt, ob es durch die von der Antragstellerin geplanten Hähnchenmastställe zu einer nach obigen Erkenntnissen ggf. im Wege der Vorsorge zu vermeidenden Erhöhung von Immissionskonzentrationen gegenüber den Hintergrundwerten kommen würde und davon in der Umgebung der Quellen sich nicht nur vorübergehend aufhaltende Personen betroffen wären. Die Entwurfsfassung der VDI-Richtlinie 4250 aus November 2009, auf die sich der Antragsgegner in seinem Bescheid vom 7. Juli 2011 bezieht, sah bei - wie hier - einer Unterschreitung des Abstands von 500 m zu einer Geflügelhaltung vor, dass eine Ausbreitungsrechnung und eine Ermittlung der Zusatzbelastung vorzunehmen sei (S. 8, 15). Nach der Entwurfsfassung der VDI-Richtlinie 4250 aus November 2011 ist z. B. bei "geringe(r) Entfernung Wohnort … zur Anlage" eine Ausbreitungsrechnung, eine Ermittlung der Zusatzbelastung und eine Messung der Hintergrundkonzentration vorzunehmen (S. 9, 15), wobei als Beispiel für einen geringen Abstand < 500 m zu Geflügelhaltungsanlagen genannt wird. Dass Untersuchungen in diese Richtungen angestellt worden wären, ist nicht erkennbar. Ob der Antragsgegner der Antragstellerin die Beibringung entsprechender Gutachten hätte aufgeben können, bedarf aus Anlass des vorliegenden Beschwerdeverfahrens keiner Klärung.

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass Vorsorge, die "insbesondere" - also vorrangig (BVerwG, Urteil vom 21.6.2001 - 7 C 21.00 -, BVerwGE 114, 342, juris Rdn. 20) - durch dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen getroffen werden soll, nicht unbegrenzt gefordert werden kann. Einerseits soll sie unabhängig von Schädlichkeitsgrenzen das an Umweltqualität durchsetzen, was im Hinblick auf ein vorhandenes Potential an Vermeidungstechnologie realisierbar erscheint. Andererseits muss sie proportional zu Umfang und Ausmaß des Risikopotentials der Immissionen sein, die sie verhindern soll (BVerwG, Urteil vom 17.2.1984 - 7 C 8.82 -, BVerwGE 69, 37, juris Rdn. 17 f.; Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing (Hg.), GK-BImSchG, Band I, Stand: Dezember 2011, § 5 Rdn. 449 ff.). Die Proportionalität bzw. die Verhältnismäßigkeit von technischen Vorsorgemaßnahmen wird dabei durch die Anbindung an den Stand der Technik gewährleistet, das zu fordernde Maß der Vorsorge hierdurch also begrenzt (Roßnagel, a. a. O., Rdn. 527 ff.; Sellner/Reidt/Ohms, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 3. Aufl., 2006, 1. Teil, S. 62, Rdn. 181). Dem entspricht auch die Bestimmung in Nr. 5.4.7.1 TA Luft a. E., wonach die Möglichkeiten, die Emissionen an Keimen und Endotoxinen durch dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zu vermindern, zu prüfen sind. Auf die mit der Beschwerde problematisierte Frage, ob Vorsorge auch raumbezogen auf die Begrenzung von Immissionen zielen darf, kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend an, denn der Antragstellerin sind emissionsmindernde Maßnahmen an der Quelle auferlegt worden.

29Nach diesen Maßgaben sind die in Rede stehenden Auflagen nach Aktenlage und summarischer Prüfung bei derzeitigem Erkenntnisstand unverhältnismäßig. Es ist nicht in dem für eine Stattgabe der Beschwerde erforderlichen Maße wahrscheinlich, dass die von dem Antragsgegner geforderte von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) zertifizierte Abluftbehandlungsanlage, mit der die Hähnchenmastställe zu betreiben seien, dem Stand der Technik entspricht. Gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG ist Stand der Technik der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die in der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen (§ 3 Abs. 6 Satz 2 BImSchG). Nach der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG sind bei der Bestimmung des Standes der Technik unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen möglicher Maßnahmen sowie des Grundsatzes der Vorsorge und der Vorbeugung, jeweils bezogen auf Anlagen einer bestimmten Art, insbesondere u.a. folgende Kriterien zu berücksichtigen: vergleichbare Verfahren, Vorrichtungen und Betriebsmethoden, die mit Erfolg im Betrieb erprobt wurden (Nr. 4), Art, Auswirkungen und Menge der jeweiligen Emissionen (Nr. 6) und Notwendigkeit, die Gesamtwirkung der Emissionen und die Gefahren für den Menschen und die Umwelt so weit wie möglich zu vermeiden oder zu verringern (Nr. 10).

Zunächst verbleiben gewisse Zweifel daran, dass das Abluftreinigungssystem MagixX-B zur Begrenzung von Bioaerosolen im Sinne von § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG praktisch geeignet ist. Diese Anlage begrenzt Staub- und Ammoniakemissionen. Nicht ganz geklärt erscheint indessen, ob sich Bioaerosole (nur ?) wie Staub oder wie Gerüche ausbreiten (vgl. insoweit Nds. OVG, Beschluss vom 9.8.2011 - 12 LA 55/10 -, RdL 2011, 262, juris Rdn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 10.5.2010 - 8 B 992/09 -, juris Rdn. 72; zweifelnd Seedorf/Hartung, Stäube und Mikroorganismen in der Tierhaltung, KTBL-Schrift 393, S. 139) und ob etwa bei einer Staubreduzierung um mehr als 70 %, wie der Antragsgegner sie annimmt, in gleichem Maße mit einer Reduzierung auch der Bioaerosolbelastung gerechnet werden kann. Hinzu kommt: Dem DLG-Prüfbericht 5952 zur MagixX-B aus August 2009 ist zu entnehmen, dass sich diese Abluftbehandlungsanlage zur Reinigung von Abluft aus Geflügelkurzmast (bis zu 35 Tagen) bei einer Einstreu aus Getreidestroh oder Holzspänen mit einem Trockenmassegehalt > 70 %, einer Einstreumenge von 0,5 bis 1 kg/m² und einer Partikelgröße < 7 cm, also nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen, zur Abscheidung von Gesamtstaub und Ammoniak eignet. Da auch die hier geplante Stallanlage eine solche zur Geflügelkurzmast ist, könnten diese eingeschränkten Voraussetzungen in der alltäglichen Praxis möglicherweise durchgängig zu gewährleisten sein. Vorgetragen - geschweige denn glaubhaft gemacht - ist dies freilich nicht.

Ungeachtet dessen wird in Fachkreisen im Allgemeinen davon ausgegangen, dass der Einsatz von Abluftreinigungsanlagen bei der Geflügelhaltung noch nicht dem Stand der Technik entspricht. So heißt es auf der aktuellen Internetseite des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (www.ktbl.de, copyright 2010) ungeachtet der aus August 2009 stammenden DLG-Prüfung der MagixX-B, eignungsgeprüfte Abluftreinigungsanlagen seien derzeit nur für die Schweinehaltung verfügbar, ein System für die Geflügelhaltung (gemeint ist wohl ein anderes als MagixX-B) werde derzeit bei der DLG geprüft. Obwohl - wie ausgeführt - eignungsgeprüfte Abluftreinigungsanlagen für die Schweinehaltung verfügbar sind, gelten sie wegen der mit ihrem Einsatz verbundenen hohen Kosten als wirtschaftlich unverhältnismäßig (Nds. OVG, Urteil vom 10.11.2009 - 1 LB 45/08 - BauR 2010, 195, juris Rdn. 82 f.; s. auch Internetseite des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft "Abluftreinigung").

Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass ungeachtet der in Fachkreisen vertretenen - dargestellten - Auffassung der Einsatz von Abluftreinigungsanlagen bei der Geflügelhaltung doch schon dem Stand der Technik entspricht und insbesondere nicht unwirtschaftlich ist, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht. Er hat nicht in der gebotenen Weise substantiiert dargelegt, dass Geflügelmastanlagen der hier in Rede stehenden Art im Allgemeinen ungeachtet der Installations- und Einbringungskosten von voraussichtlich ca. 220.000,- EUR (bei Herstellungskosten einer Gesamtanlage von beispielhaft - wie hier - ca. 941.000,- EUR) sowie der weiteren Kosten des laufenden Betriebs wirtschaftlich betrieben werden können. Auch hat er nicht dazu vorgetragen, dass er ein allgemeines Konzept zur Bioaerosolreduzierung verfolge. Diesen Fragen würde in einem Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen sein. Dies gilt, zumal zweifelhaft erscheint, ob dem Ansatz des Verwaltungsgerichts, das auf eine Gesundheitsgefährdung (nur) von Durchschnittsbürgern abzustellen scheint, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann. Nach Auffassung der Autoren etwa des Entwurfs der VDI-Richtlinie 4250 aus November 2011, die sich auf Ausarbeitungen der WHO stützen, ist nach heutiger Ansicht auch die Sicherheit von empfindlichen Personengruppen zu berücksichtigen. Das entspricht auch der im Immissionsschutzrecht herrschenden Meinung (vgl. nur Jarass, BImSchG, 8. Aufl., § 3 Rdn. 53 m. w. N.). Demgegenüber trägt der zur Begründung der Verhältnismäßigkeit vorgenommene Verweis des Antragsgegners auf "das hohe Gut der menschlichen Gesundheit" für sich genommen ebenfalls nicht. Insofern ist anzumerken, dass dieses Gut wegen der Unsicherheiten in Bezug auf die von Bioaerosolen ausgehenden Gefahren nicht mit seinem gesamten Gewicht in die anzustellende Prüfung der Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen eingestellt werden kann.