OLG Celle, Beschluss vom 29.09.2010 - 2 W 266/10
Fundstelle
openJur 2012, 51005
  • Rkr:
Tenor

Auf die am 5. März 2010 beim Landgericht Lüneburg eingegangene sofortige Beschwerde des Klägers vom 2. März 2010 wird der dem Kläger am 22. Februar 2010 zugestellte Kostsetzungsbeschluss I des Rechtspflegers der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 12. Februar 2010 in der Fassung des Kostenfestsetzungs- und Nichtabhilfebeschlusses vom 30. August 2010 teilweise geändert:

Die aufgrund des vollstreckbaren Vergleichs des Landgerichts Lüneburg vom 12. Februar 2010 von dem Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten werden auf 623,74 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 13. November 2009 festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger zu 43 % und die Beklagte zu 57 %. Die vom Kläger zu tragende Gerichtsgebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 517,02 € festgesetzt (Beschwerde des Klägers 290,24 €, Beschwerde der Beklagten 226,78 €).

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Unter dem 16. Januar 2008 hat die durch ihre späteren Prozessbevollmächtigten vertretene P. GmbH & Co. KG einen Mahnbescheid gegen die Beklagte erwirkt, mit dem sie diese aus einer Schlussrechnung vom 31. Dezember 2004 auf Zahlung von 20.289,85 € nebst Zinsen in Anspruch genommen hat. Hiergegen hat die Beklagte anwaltlich vertreten Widerspruch eingelegt. Mit Anspruchsbegründung vom 1. August 2008 hat die P. GmbH & Co. KG den Anspruch aus dem Mahnbescheid weiterverfolgt und die Beklagte darüber hinaus auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 859,80 € (1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 = 839,80 € und 20 € Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG) nebst Zinsen in Anspruch genommen. Eine Weiterleitung der Akte vom Mahn- an das Streitgericht und eine Zustellung der Anspruchsbegründung unterblieb zunächst, weil die zweite Gerichtskostenhälfte nicht eingezahlt wurde. Mit Beschluss des Amtsgerichts Verden (Aller) vom 1. September 2009 wurde über das Vermögen der P. GmbH & Co. KG das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schriftsatz vom 28. November 2008 nahm der Kläger das Verfahren auf, die Anspruchsbegründung wurde der Beklagten zugestellt.

Vor dem Landgericht schlossen die Parteien im Mediationsverfahren einen Vergleich, der auszugsweise wie folgt lautet:

„1. Zur Erledigung der Klageforderung zahlt die Beklagte an den Kläger 8.000 EUR; die Streitverkündete ihrerseits zahlt an den Kläger einen weiteren Betrag von 300 EUR.

2. Mit dieser Vereinbarung sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche der Parteien untereinander, einschließlich der Streitverkündeten, aus diesem Streitverhältnis endgültig erledigt.

3. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streitverkündeten tragen die Beklagte zu 41 %, der Kläger zu 59 %.

…“

Mit Schriftsatz vom 13. November 2009 hat die Beklagte Kosten zur Ausgleichung angemeldet, mit Schriftsatz vom 16. November 2010 die Klägerin. Dabei hat die Klägerin Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit (wie im streitigen Verfahren) in Höhe von 859,80 € geltend gemacht, 666 € für das Mahnverfahren (1,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 VV-RVG nebst Auslagenpauschale) und 1.753 € für das Hauptverfahren (insbesondere 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG unter Anrechnung der 1,0-Verfahrensgebühr aus dem Mahnverfahren). Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2009 hat die Klägerin sodann auf den Hinweis der Streithelferin, dass bzgl. der Geschäftsgebühr eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr zu erfolgen habe, ihren Antrag bezüglich der außergerichtlichen Kosten geändert und nur noch vorgerichtliche Kosten in Höhe von 439,90 € zur Kostenausgleichung angemeldet. Auf den Hinweis der Beklagten im Schriftsatz vom 7. Januar 2010, dass außergerichtliche Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren nicht ausgleichungsfähig seien, hat die Klägerin sodann mit Schriftsatz vom 4. Februar 2010 erklärt, vorgerichtliche Kosten nicht mehr geltend zu machen, der Kostenfestsetzungsantrag werde beschränkt auf die unter „Mahnverfahren“ und „gerichtliches Verfahren“ geltend gemachten Gebühren und Auslagen.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss I vom 12. Februar 2010, der nur die Kosten des Klägers und der Beklagten berücksichtigt, nicht aber die der Streithelferin, über die mit Kostenfestsetzungsbeschluss II gleichfalls vom 12. Februar 2010 entschieden worden ist, hat der Rechtspfleger die von dem Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 569,12 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 13. November 2009 festgesetzt. Er hat hinsichtlich der von dem Kläger angemeldeten Kosten ausgeführt, die für das Mahnverfahren geltend gemachte Verfahrensgebühr sei nicht gesondert festzusetzen, sie gehe in der Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren auf. Die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren sei nicht in voller Höhe zu berücksichtigen, vielmehr sei wegen der vorgerichtlichen Vertretung die Hälfte der Geschäftsgebühr in Höhe von 419,90 € auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, wodurch sich die Verfahrensgebühr verringere. Wegen der näheren Einzelheiten der Entscheidung wird auf Bl. 315 ff. d. A. Bezug genommen.

Gegen den Beschluss haben sowohl die Beklagte, als auch der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt.

Die Beschwerde der Beklagten richtete sich dagegen, dass das Landgericht die anwaltlichen Kosten für das Mahnverfahren nicht berücksichtigt hat. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 4. März 2010 ausgeführt, dass die Beschwerde der Beklagten berechtigt sei.

Mit seiner Beschwerde macht der Kläger zum einen geltend, die vorgerichtliche Geschäftsgebühr hätte nicht angerechnet werden dürfen. Dies folge aus § 15 a RVG. Die Geschäftsgebühr sei zwar geltend gemacht, nicht aber tituliert worden. Der Vergleichstext lasse einen Schluss hierauf nicht zu. Keiner der Einwendungstatbestände des § 15 a RVG sei gegeben. Die Geschäftsgebühr könne nur insoweit angerechnet werden, wie sie zugesprochen worden sei. Im Streitfall lasse sich aber nicht feststellen, in welchem Umfang dies der Fall sei, und es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der volle Betrag der für die vorgerichtliche Tätigkeit angefallene Gebühr im Vergleich berücksichtigt sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass ein Parteiwechsel vorliege. Die Prozessbevollmächtigten seien vorgerichtlich vom Kläger nicht beauftragt und nicht für diesen tätig geworden. Zum anderen rügt der Kläger mit der Beschwerde die fehlende Berücksichtigung von Gerichtskosten in der Kostenausgleichung. Soweit die Beklagte von der Verpflichtung zur Zahlung von Gerichtskosten befreit sei, führe dies dazu, dass die vom Kläger gezahlten Gerichtskosten in Höhe von 118 € an ihn auszukehren seien. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19. April 2010 erwidert, dass der Vergleich gerade nicht zwischen Haupt- und Nebenforderungen differenziere und alle Anträge aus der Klageschrift umfasse. Dem Umstand, dass der Kläger als Partei kraft Amtes den geltend gemachten Anspruch weiter verfolgt habe, komme keine Bedeutung zu.

Mit Beschluss vom 30. August 2010 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde der Beklagten in vollem Umfang abgeholfen und den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. Februar 2010 dahin geändert, dass es die von dem Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 795,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 13. November 2009 festgesetzt hat. Der Beschwerde des Klägers hat es nicht abgeholfen. Es hat gemeint, Gegenstand des Vergleiches seien auch die klageweise geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung der Geschäftsgebühr, weshalb eine (nochmalige) Berücksichtigung der selben Forderung als Kostenerstattungsanspruch im Kostenfestsetzungsverfahren ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der Gerichtskosten sei die Beschwerde nicht nachvollziehbar. Die Klägerin habe nach der Kostenquote auf sie entfallende 169,92 € zu tragen, der Rest sei an sie zurückgezahlt worden.

II.

1. Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde des Klägers, über die der Senat nach der Abhilfe der Beschwerde der Beklagten durch das Landgericht nur noch zu entscheiden hat, ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Zwar ist die sofortige Beschwerde dem Wortlaut nach („legen wir“) durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers im eigenen Namen eingelegt worden und nicht namens und in Vollmacht des Klägers. Da die sofortige Beschwerde aber auf die Verringerung der Kostenlast der Klägerin gerade auch im Hinblick auf angeblich nicht berücksichtigte Gerichtskosten abzielt und insoweit kein eigenes Gebühreninteresse der Prozessbevollmächtigen des Klägers an der Einlegung des Rechtsmittels im Vordergrund steht, kann die sofortige Beschwerde bei verständiger Würdigung als eine solche ausgelegt werden, die namens und in Vollmacht des Klägers eingelegt worden ist.

2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde teilweise Erfolg.

a) Der Rechtspfleger des Landgerichts hat zu Unrecht eine Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens vorgenommen und bei der Festsetzung der von dem Kläger zu erstattenden Kosten die Geschäftsgebühr hälftig auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens angerechnet.

aa) Der Rechtspfleger führt bereits zu Unrecht in der angefochtenen Entscheidung aus, die anwaltlichen Kosten für das Mahnverfahren seien nicht zu berücksichtigen, weil sie in der Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens aufgehen würden und die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren sei um die Hälfte der entstandenen vorgerichtlichen Geschäftsgebühr zu reduzieren. Der Rechtspfleger verkennt grundlegend, welche Gebühren nach der gesetzlichen Regelung auf welche Gebühren angerechnet werden.

Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG wird die wegen desselben Gegen-stands verdiente Geschäftsgebühr zur Hälfte auf die Geschäftsgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Nachdem auch das Mahnverfahren entgegen der Annahme des Rechtspflegers ein gerichtliches Verfahren ist, in dem nach Nr. 3305 VV-RVG eine Verfahrensgebühr entsteht, reduziert sich also die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens um die Hälfte der für die vorgerichtliche Tätigkeit in derselben Angelegenheit verdienten Geschäftsgebühr. Hinsichtlich der für die Tätigkeit im Mahnverfahren verdienten Gebühr bestimmt die Anmerkung zu Nr. 3305 VV-RVG ausdrücklich, dass diese Gebühr auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits angerechnet wird. Nach der gesetzlichen Regelung kann daher, wenn der Anspruchsteller in gleicher Angelegenheit zwischen vorgerichtlicher Auseinandersetzung und streitigem gerichtlichen Verfahren bei durchgängiger anwaltlicher Vertretung ein Mahnverfahren betrieben hat, eine Anrechnung der vorgerichtlich verdienten Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG niemals in Betracht kommen.

bb) Dies verkennt auch der Kläger, wenn er rügt, die hälftige Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG könne schon deshalb nicht auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG angerechnet werden, weil im Laufe des Rechtsstreits ein Parteiwechsel stattgefunden habe. Die Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit ist auf die Verfahrensgebühr für das Mahnverfahren anzurechnen, nicht auf diejenige für das streitige Verfahren. Sowohl vorgerichtlich, als auch im Mahnverfahren war Gläubigerin und Anspruchstellerin die spätere Insolvenzschuldnerin, die P. GmbH & Co. KG. Die Eröffnung des Insolvenzverwalters und die Bestellung der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ist erst zeitlich später erfolgt und vermag deshalb die Anrechnung insoweit nicht mehr zu beeinflussen.

Hinzu kommt, dass ein Parteiwechsel im kostenrechtlichen Sinne gar nicht stattgefunden hat. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat die Schuldnerin ihre Prozessführungsbefugnis verloren und an ihrer Stelle hat der Insolvenzverwalter den Rechtsstreit nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften aufgenommen und ins streitige Verfahren übergeleitet. Es handelt sich um einen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft, der Insolvenzverwalter tritt lediglich an die Stelle des Insolvenzschuldners. Kostenrechtlich hat sich dieser Parteiwechsel daher nicht ausgewirkt. Bei einem aufgenommenen Rechtsstreit in derselben Instanz findet eine Kostenaufteilung in vor und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Kosten nicht statt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008, IX ZB 68/06 m. w. N.).

21cc) Jedoch rügt der Kläger mit der Beschwerde mit Recht, dass die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG überhaupt zur Hälfte auf eine Verfahrensgebühr angerechnet worden ist. Das Landgericht hätte im Streitfall von der Anrechnung einer hälftigen Geschäftsgebühr im Rahmen der Kostenfestsetzung absehen müssen, weil keiner der in § 15 a Abs. 2 RVG genannten Tatbestände erfüllt ist.

Die Vorschrift des § 15 a RVG ist nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof auch auf sog. Altfälle, d. h. die Fälle unbedingter Auftragserteilung vor Inkrafttreten des § 15 a RVG anwendbar (vgl. BGH -II. Zivilsenat- ZIP 2009, 1927; BGH -XII. Zivilsenat- AGS 2010, 106); BGH - IX. Zivilsenat - Beschluss vom 11. März 2010 - IX ZB 82/08 - sowie BGH -V. Zivilsenat - NJW-Spezial 2010, 605). Der Senat hat deshalb mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des XII. Zivilsenats des BGH (a. a. O.) mit Beschluss vom 6. April 2010 - 2 W 79/10 - (NdsRpfl 2010, 332) entschieden, dass er an seiner früheren abweichenden Rechtsprechung nicht mehr festhält.

aaa) Eine Anrechnung auf der Grundlage von § 15 a Abs. 2 Alt. 2 RVG (Bestehen eines Vollstreckungstitels wegen eines der Gebührenansprüche) kommt nicht in Betracht.

In der Rechtsprechung ist umstritten, ob eine Titulierung der klageweise geltend gemachten vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auch dann vorliegt, wenn die Parteien in einem Prozessvergleich eine Regelung treffen, wonach mit der Erfüllung der Forderung aus dem Vergleich alle streitgegenständlichen Ansprüche abgegolten werden.

Das Oberlandesgericht Saarbrücken (AGS 2010, 60 ff. = JurBüro 2010, 194 ff. = Beck RS 2010, 01777) vertritt die Auffassung, dass eine Anrechnung zu erfolgen habe, weil durch den Begriff der „Abgeltung“ hinreichend zum Ausdruck gebracht werde, dass mit der vereinbarten Zahlung eben auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten abgegolten würden, d. h. die Zahlung diene auch der Erfüllung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr und sei somit Gegenstand des titulierten (Zahlungs-)Anspruches.

26Demgegenüber vertritt die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung die Auffassung, dass eine Anrechnung in den vorgenannten Fällen nicht zu erfolgen habe (vgl. OLG München MDR 2009, 875 ff., OLG Naumburg, Beck RS 2010, 05632 = RVG report 2010, 603 f; OLG Koblenz Beschluss vom 24. August 2010, Az. 14 W 463/10, zitiert nach ibr-online). Das Oberlandesgericht München (und ihm folgend das OLG Naumburg) stellt maßgeblich darauf ab, dass von einer Titulierung durch Vergleich nur dann ausgegangen werden könne, wenn der Vergleich eine unmissverständliche Regelung enthalte, wonach auch die Höhe der titulierten Gebühr zu entnehmen sei.

27Jedenfalls für die Fälle, in denen sich der Vergleich nicht ausdrücklich dazu verhält, inwieweit auch die Geschäftsgebühr mit abgegolten worden ist (zu der anderen Konstellation, dass die Abgeltungsklausel ausdrücklich die Geschäftsgebühr mit umfasst siehe OLG Stuttgart, Beschluss vom 16. Juli 2010 (Az.: 8 W 317/10), zitiert nach JURIS sowie OLG Koblenz, Beschluss vom 24. August 2010, Az.: 14 W 460/10, zitiert nach ibr-online), schließt sich der Senat der zuletzt genannten überwiegenden Rechtsprechung an.

Gemäß § 15 a Abs. 2 RVG kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur dann berufen, „soweit“ wegen eines der Gebührenansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht. Durch die einleitende Formulierung „soweit“ macht der Gesetzgeber deutlich, dass er ersichtlich davon ausgeht, dass der Titel die Geschäftsgebühr als eigenen bezifferten Gegenstand ausweist, weil nur dann konkret festgestellt werden kann, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr auf die entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Denn durch § 15 a Abs. 2 RVG soll sichergestellt werden, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz oder Erstattung in Anspruch genommen wird, den der Rechtsanwalt seinerseits von seinem Auftraggeber verlangen kann (so ausdrücklich Bundestags-Drucksache 16/2717 S. 67 f.).

bbb) Auch die Tatbestandsalternative des § 15 a Abs. 2 Alt. 1 RVG (Erfüllung) ist nicht einschlägig.

Was unter dem Rechtsbegriff der Erfüllung zu verstehen ist, ergibt sich aus Titel 1 Abschnitt 4 des zweiten Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 362 bis 371 BGB). Erfüllung i. S. des Bürgerlichen Rechts ist in erster Linie das Erlöschen der Leistung durch Bewirken der geschuldeten Leistung (vgl. § 362 Abs. 1 BGB). Zwar erlischt das Schuldverhältnis gem. § 364 Abs. 1 BGB auch dann, wenn der Gläubiger eine andere als die geschuldete Leistung an Erfüllung statt annimmt, wobei dies Leistungen jeder Art umfasst, so dass auch eine Novation (Schuldumschaffung) vereinbart werden kann (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 78 Aufl., § 364 Rz. 3). Der Abschluss eines Vergleiches wirkt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jedoch regelmäßig nicht schuldumschaffend (vgl. BGH NJW 2002, 1503; Palandt/Sprau, a. a. O., § 779 Rz. 11; Staudinger/Marburger, BGB, Stand: 2009 § 779 Rz. 38). Dies gilt auch für Prozessvergleiche (vgl. BGH NJW 2003, 3345, 3346). Der Bundesgerichtshof verweist darauf, dass der Zweck, ein anhängiges Verfahren zu beenden und einen Vollstreckungstitel zu schaffen, es nicht erforderlich mache, eine neue selbstständige Grundlage für das Rechtsverhältnis zu schaffen. Vielmehr sei jeder titulierte Anspruch gleichermaßen nachträglichen Einwendungen ausgesetzt, die beispielsweise zu Vollstreckungsgegenklagen führen können, wobei der Einfluss derartiger späterer Veränderungen sich meist nur unter Berücksichtigung auch des ursprünglichen Schuldverhältnisses zutreffend beurteilen lasse (BGH, a. a. O.). Es bedarf daher weiterer konkreter Anhaltspunkte dafür, dass beide Parteien dem Prozessvergleich eine weitergehende Bedeutung beigemessen haben. Dafür ist aber vorliegend nichts ersichtlich oder vorgetragen.

In Anbetracht dessen vermag auch die Begründung des Oberlandesgerichts Stuttgart in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2010 (Az.: 8 W 317/10) nicht zu überzeugen, in der von der Anwendbarkeit des § 364 Abs. 1 BGB im Hinblick auf einen zustande gekommenen Prozessvergleich ausgegangen worden ist.

§ 15 a Abs. 2 Alt. 1 RVG kommt auch nicht deshalb zur Anwendung, weil die Beklagte ihrer im Vergleich niedergelegten Zahlungspflicht später nachgekommen ist. Zwar stellt diese Zahlung eine Erfüllungshandlung in Bezug auf die im Vergleich niedergelegte Verpflichtung dar. Die erste Variante des § 15 a Abs. 2 RVG kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn der Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr erfüllt worden ist.

Beim Abschluss eines Vergleiches, der deutlich hinter der Hauptforderung zurückbleibt und der nachfolgenden Zahlung fehlt es an einer Erfüllung i. S. der §§ 362 ff. BGB. Denn die Reduzierung der Zahlungsforderung im Rahmen des Vergleiches stellt allenfalls einen Erlassvertrag i. S. von § 397 BGB dar, der seinerseits schon im Umfang des Erlasses zu einem Erlöschen des Schuldverhältnisses geführt hat. Einen solchen Fall hat der Gesetzgeber aber ersichtlich bei Abfassung des § 15 a RVG nicht im Auge gehabt. Es bleibt nämlich völlig offen, ob und in welcher Höhe von dem Teilerlass auch und gerade der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr umfasst ist. Das Erlöschen eines Gebührenanspruches durch eine Kombination aus Erlass und Erfüllung kann schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht als eine Erfüllung i. S. von § 15 a Abs. 2 Alt. 1 RVG angesehen werden, wenn der im Vergleich liegende Erlassvertrag nicht hinreichend deutlich macht, in welchem Umfang die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr hiervon berührt ist (im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe NJW-Spezial 2010, 379, wonach ein Vergleich, der die Zahlung eines bestimmten Betrages zur Abgeltung der Klageforderung vorsehe, lediglich einen Verzicht der Klägerseite darstelle, nicht aber dahingehend ausgelegt werden könne, dass mit der Vergleichssumme die geltend gemachten Ansprüche in voller Höhe erfüllt gelten.).

ccc) Eine Anrechnung ergibt sich schließlich auch nicht aus § 15 a Abs. 2 Alt. 3 RVG. Diese Vorschrift kann nicht so verstanden werden, dass eine Anrechnung bereits dann zu erfolgen hat, wenn im Erkenntnisverfahren eine Geschäftsgebühr klageweise geltend gemacht und sodann im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren die Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht worden ist. So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 15 a RVG u. a. wie folgt:

„ Danach kann sich auch ein Dritter auf die Anrechnung berufen, wenn beide Gebühren im gleichen Verfahren - etwa in der Kostenfestsetzung - gegen ihn geltend gemacht werden.“

Diese Formulierung legt nahe, dass die Verfasser der Bundestagsdrucksache auch den Fall vor Augen hatten, dass die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr entweder gemeinsam im Erkenntnisverfahren oder aber gemeinsam im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden. Dies Verständnis zu Grunde gelegt würde die Vorschrift im Hinblick auf die Geschäftsgebühr in zivilrechtlichen Streitigkeiten zwar weitestgehend leerlaufen. Denn die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr können bei materieller Betrachtung niemals gleichzeitig Gegenstand des Kostenfestsetzungverfahrens nach Abschluss eines zivilrechtlichen Verfahrens sein, weil vorgerichtlich entstandene Rechtsverfolgungskosten wie z. B. die Geschäftsgebühr nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht zu den Kosten des Rechtsstreits zählen und daher auch nicht im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103, 104 ZPO festgesetzt werden können (vgl. BGH JurBüro 2006, 586 f.; JurBüro 2006, 140 f.; BGH, Beschluss vom 14. August 2008, Az. I ZR 103/07; Beschluss vom 22. Januar 2008, Az. VIII ZB 57/07). Ebenso wenig können die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr gleichzeitig Gegenstand einer Klage sein, weil im Hinblick auf die Verfahrensgebühr ausschließlich ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch besteht. Denn für einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch besteht grundsätzlich kein Raum, soweit es um Kosten geht, die durch Einleitung oder Führung eines Prozesses ausgelöst werden. Die Erstattung solcher Kosten richtet sich ausschließlich nach prozessrechtlichen Gründsätzen (vgl. BGH WM 1987, 247 ff., zitiert nach JURIS Rdz. 30). Jedenfalls würde einer Klage auf Zahlung einer Verfahrensgebühr z.B. als Verzugsschaden das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlen (vgl. Musielak/Wolst, ZPO, 7. Aufl., vor § 91 Rz. 16). Gleichwohl sieht sich der Senat im Hinblick auf die eindeutigen Äußerungen in den Motiven zu § 15 a RVG daran gehindert, die Vorschrift so auszulegen, dass eine Anrechnung bereits dann zu erfolgen hat, wenn im Erkenntnisverfahren eine Geschäftsgebühr klageweise geltend gemacht worden ist und sodann im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren die Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht wird.

b) Mit Recht hat das Landgericht im Nichtabhilfebeschluss vom 30. August 2010 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde des Klägers unverständlich ist, soweit sie geltend macht, „dass die von Klägerseite bereits gezahlten Gerichtskosten in Höhe von 118,08 Euro ebenfalls an die Klägerseite auszuzahlen sind.“

Der Kläger hat entgegen seiner Annahme keine Gerichtskosten in Höhe von 118,08 € bezahlt. Ausweislich der nach Beendigung des Rechtsstreits erstellten Kostenrechnung des Landgerichts vom 29. Oktober 2010, auf die der Kläger in der Beschwerdeschrift Bezug nimmt, sind Gerichtskosten in Höhe von 288 € entstanden. Diese haben nach dem Anteil ihres jeweiligen Obsiegens und Unterliegens der Kläger zu 59 % zu tragen, also 169,92 €, und die Beklagte zu 41 %, also 118,08 €. Nachdem auf Klägerseite an Vorschüssen insgesamt 864 € bezahlt worden waren, ist der Differenzbetrag aus den geleisteten Vorschüssen und dem auf den Kläger entfallenden Anteil von 694,08 € an den Kläger ausbezahlt worden. Im Ergebnis hat die Beklagte, da sie von der Zahlung von Gerichtsgebühren befreit ist, gar keine Gebühren in Höhe von 118,08 € zu tragen und der Kläger lediglich 169,92 €, die bereits gezahlt sind. Insofern hat der Rechtspfleger in der angefochtenen Entscheidung mit Recht gemeint, dass Gerichtskosten in der Kostenausgleichung nicht zu berücksichtigen sind.

Nichts anderes ergibt sich aus der vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung des BGH vom 18. Dezember 2002 (JurBüro 2003, 268), der einen gänzlich anders gelagerten Sachverhalt betrifft und in der eine vollkommen andere Rechtsfrage geklärt wird. Der BGH hat in der dortigen Entscheidung zu Recht gemeint, dass der teilobsiegenden Partei, die einen Anspruch auf teilweise Erstattung der verauslagten Gerichtskosten gegen den Prozessgegner nicht geltend machen kann, weil dieser von der Verpflichtung zur Zahlung von Gerichtskosten befreit ist, in diesem Umfang ein Erstattungsanspruch gegen die Landeskasse zusteht. Genau dies ist aber im Streitfall erfolgt. Die Landeskasse hat an den Kläger auch diejenigen Gerichtskosten ausgekehrt, die eigentlich die Beklagte zu tragen gehabt hätte und dem Kläger damit alle Kosten, außer denjenigen, die der Kläger nach der Kostengrundentscheidung zu tragen hatte, erstattet.

c) Aus Vorstehendem folgt, dass an außergerichtlichen Kosten des Klägers in die Kostenausgleichung ein Betrag in Höhe von 2.419 € einzustellen ist, nämlich für das Mahnverfahren 666 € und für das streitige Verfahren 1.735 €, wie der Kläger dies auch mit Schriftsatz vom 16. November 2010 beantragt hat. Daraus folgt weiter, dass sich der vom Kläger an die Beklagte zu zahlende Betrag auf 623,74 € beläuft.

III.

Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten aus § 92 Abs. 1 ZPO. Nachdem die Beklagte mit ihrer Beschwerde voll obsiegt hat, war sie zur Tragung von Gerichtskosten nicht verpflichtet. Wegen des Teilobsiegens des Klägers hat der Senat es für angemessen gehalten, die Gerichtskosten nach billigem Ermessen nach Nr. 1812 VV-RVG auf die Hälfte zu reduzieren.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 574 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO.