AG Lüneburg, Urteil vom 14.07.2010 - 13 Cs 137/10
Fundstelle
openJur 2012, 50764
  • Rkr:
Tenor

Die Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten zu tragen hat, freigesprochen.

Gründe

I.

Die Angeklagte war von dem Vorwurf des Erschleichens eines Aufenthaltstitels aus dem Strafbefehl der AG Lüneburg vom 09.06.2010, gegen den rechtzeitig Einspruch eingelegt worden ist, ausrechtlichenGründen freizusprechen, denn das nach der Hauptverhandlung festgestellte Tatgeschehen ist nicht strafbar.

Die Angeklagte wurde mit dem Strafbefehl wie folgt beschuldigt:

" Die Staatsanwaltschaft Lüneburg beschuldigt Sie, in Lüneburg am 6.7.2006 unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht und benutzt zu haben, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen und eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht zu haben.

Ihnen wird zur Last gelegt:

Am 6.7.2006 beantragten Sie bei der Ausländerbehörde der Stadt Lüneburg unter Vorlage des notariellen Vaterschaftsanerkenntnisses vom 7.6.2005, in welchem Sie wahrheitswidrig erklärt hatten, dass Sie während der Empfängniszeit ausschließlich mit dem deutschen Zeugen E...... zusammen gewesen sind, eine Aufenthaltserlaubnis, obwohl Sie mit dem Zeugen E...... keine sexuellen Kontakte gehabt hatten. Diese falschen Angaben machten Sie, um als Mutter eines deutschen Kindes eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen.

Vergehen, strafbar gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz."

II.

Das Gericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

Die Angeklagte ist eine in Lüneburg lebende vietnamesische Staatsangehörige. Sie ist die Mutter des am xx.xx.2005 in Lüneburg geborenen Knaben T......... Am 07.06.2005 erkannte der deutsche Staatsangehörige E...... notariell an, der Vater des zum damaligen Zeitpunkt noch ungeborenen Kindes T........ zu sein. Die Angeklagte stimmte notariell dem Vaterschaftsanerkenntnis zu und erklärte außerdem in der notariellen Urkunde:

"Ich bin während der gesetzlichen Empfängniszeit ausschließlich mit dem Erschienen zu 1) (= E...... Erg. durch das Gericht) zusammengewesen. Nur dieser kommt als Vater meines Kindes in Frage."

Basierend auf dem notariellen Vaterschaftsanerkenntnis wurde für das Kind T........ ein Reisepass ausgestellt, der bescheinigt, dass die Staatsangehörigkeit des Kindes "deutsch" sei.

Am 06.07.2006 beantragte die Angeklagte bei der Ausländerbehörde der Stadt Lüneburg die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Mutter eines deutschen minderjährigen Kindes. Der Ausländerbehörde wurden das notarielle Vaterschaftsanerkenntnis, die Geburtsurkunde des Kindes T........ sowie der Reisepass des Kindes vorgelegt.

Da die Ausländerbehörde argwöhnte, dass E...... nicht der biologische Erzeuger des Kindes T........ sei, wurde über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis jahrelang im Verwaltungsrechtsweg prozessiert.

Auf Betreiben des E...... wurde vom Amtsgericht Lüneburg (Az….) mit Urteil vom 03.06.2009 rechtkräftig festgestellt, dass E...... nicht Vater des am xx.xx.2005 geborenen Kindes T........ ist.

III.

Die Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen, denn sie hat gegenüber der Ausländerbehörde keine falschen Angaben gemacht.

Nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, in der für die Tatzeit maßgeblichen Fassung vom 30.07.2004 (BGBl. IS. 1950) macht sich strafbar, wer "unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel zu beschaffen oder einen so beschafften Aufenthaltstitel wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht".

Den objektiven Tatbestand erfüllen nur solche Angaben, die mit der tatsächlichen Rechtslage nicht in Einklang stehen, also falsch sind (OLG Hamm, Urteil v. 20.11.2007, 1 Ss 58/07 - zitiert nach JURIS).

Da die Strafvorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist, kommt es nicht darauf an, ob die Angaben tatsächlich zur Ausstellung eines Aufenthaltstitels geführt haben oder ob dem Ausländer aus anderen Gründen gleichwohl eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen gewesen wäre (OLG Celle, Urteil v. 24.08.2006, 22 Ss 87/06; OLG Stuttgart, Urteil v. 10.08.2009, 1 Ss 1161/09 - beide zitiert nach JURIS).

Die im Antrag vom 06.07.2006 gegenüber der Ausländerbehörde enthaltene Erklärung der Angeklagten, ihr Kind T........ sei "deutsch" entsprach aber den tatsächlichen rechtlichen Gegebenheiten.

Die vaterschaftsbegründende Wirkung der - zum Tatzeitpunkt wirksamen - zivilrechtlichen Vaterschaftsanerkennung ist auch für die öffentlich rechtlichen Vorschriften des Ausländerrechts verbindlich. Dies folgt bereits aus § 4 Abs. 1 StAG, dessen Satz 2 in Fällen wie dem vorliegenden ausdrücklich auf die Vorschriften zum Vaterschaftsanerkenntnis verweist.

Das nach § 1592 Nr. 2 BGB abgegebene Vaterschaftsanerkenntnis war zum Tatzeitpunkt unabhängig davon wirksam, ob der Anerkennende auch biologischer Erzeuger des Kindes ist. Das wirksame Vaterschaftsanerkenntnis durch einen Deutschen hatte wiederum zur Folge, dass das Kind der ausländischen Mutter mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 1 StAG) erwarb.

Demnach ist es irrelevant, dass erst später nach dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Rahmen der Vaterschaftsanfechtung festgestellt wurde, dass E...... nicht biologischer Erzeuger des Kindes T........ ist.

Die Erklärung der Angeklagten "Ich bin während der gesetzlichen Empfängniszeit ausschließlich mit dem Erschienen zu 1) zusammengewesen. Nur dieser kommt als Vater meines Kindes in Frage.", die sich in dem notariell beurkundeten Anerkenntnis findet, welches der Ausländerbehörde auch bei Antragstellung vorgelegt wurde, könnte in der Tat so interpretiert werden, dass damit gesagt sein soll, dass E...... auch der biologische Erzeuger des Knaben T........ sei.

Es kommt jedoch nicht darauf an, ob den Erklärungen der Angeklagten gegenüber der Ausländerbehörde bei Antragstellung (ausdrücklich oder konkludent) zu entnehmen gewesen wäre, dass E...... auch der biologische Erzeuger des Knaben sei.

Zwar vertritt das OLG Celle (Urteil vom 24.08.2006 a.a.O.) die Ansicht, dass es sich um strafbare unrichtige Angaben i.S.d. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG handele, wenn sich feststellen ließe, dass die die Aufenthaltserlaubnis beantragende ausländische Mutter erkläre, dass der deutsche Mann, der die Vaterschaft anerkannt habe, auch der biologische Erzeuger des Kindes sei.

Dieser Ansicht kann jedoch nicht beigetreten werden. Das OLG geht in der zitierten Entscheidung nach hiesiger Meinung unrichtigerweise davon aus, dass es nicht erforderlich sei, dass die Angaben des Täters zur Beschaffung der Urkunde geeignet waren und stellt entscheidend darauf ab, das es insbesondere auf die subjektiven Vorstellungen des Täters ankäme.

Richtig hieran ist, dass die subjektive Sicht des Täters das Ziel bzw. den Zweck seines Handelns definiert, denn dies schlägt sich in der Strafvorschrift in der Formulierung "um zu" nieder. Jedoch ist nicht bereits jede unrichtige "Erklärung" bereits auch eine strafbare unrichtige "Angabe" im Sinne der Vorschrift, was folgendes - zugegebenermaßen überspitztes - Beispiel erhellt:

Würde eine offenkundig dunkelhäutig pigmentierte ausländische Mutter eines deutschen Kindes einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG stellen und hierbei in den Glauben, dies würde die positive Bescheidung ihres Antrages fördern, erklären, ihre Hautfarbe sei "Lilienweiß", so wäre dies sicher eine objektiv falsche Erklärung. Jedoch würde niemand ernstlich daran zweifeln, dass eine solche Erklärung nicht nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (und auch sonst nach keiner anderen Vorschrift) strafbar ist.

Welche Erklärung nun auch als Angabe im Sinne der Vorschrift taugt, erschließt sich durch Betrachtung von Sinn und Zweck der Strafvorschrift: Danach soll das unredliche Erschleichen eines Aufenthaltstitels durch Kriminalisierung verhindert werden.

So formuliert dann richtigerweise auch das OLG Stuttgart (Urteil vom 10.08.2009 a.a.O.), dass es sich bei den Angaben um ausländerrechtlich erhebliche Angaben handeln muss, die sich im Allgemeinen, d.h. abstrakt, zur Verschaffung eines Aufenthaltstitels eignen.

Um nochmals auf das zuvor eingeführte Beispiel zurückzukommen: Die Erklärung zur Hautfarbe wäre selbstverständlich keine ausländerrechtlich relevante Angabe.

31Bezogen auf den vorliegenden Fall wäre aber auch die Erklärung, dass der nach § 1592 Nr. 2 BGB anerkennende Vater auch der biologische Erzeuger des Kindes ist, ausländerrechtlich nicht erheblich. Diese Angabe ist nämlich zur Verschaffung eines Aufenthaltstitels nicht geeignet, denn nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis der ausländischen Mutter, die die Personensorge über das minderjährige Kind ausübt, zwingend (kein Ermessen) zu erteilen, wenn das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG interessiert aber nicht die biologische Abstammung sondern nur die Staatsangehörigkeit des Kindes. Da der Ausländerbehörde nach der Vorschrift auch kein Ermessen eingeräumt ist, hat die etwaige Behauptung zur biologischen Abstammung keinerlei Einfluss auf die richtige Anwendung des materiellen Ausländerrechts. Die biologische Abstammung ist schlicht im Normprogramm kein vorgesehenes Prüfkriterium, und zwar weder auf der Tatbestands- noch auf der Rechtsfolgenseite der Norm.

Sofern die Ausländerbehörde Zweifel an der biologischen Vaterschaft hegt, mag sie nach neuer Gesetzeslage nunmehr ihr Anfechtungsrecht im Statutsverfahren vor dem Amtsgericht nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ausüben, wobei allerdings die 5-jährige Ausschlussfrist ab Wirksamkeit der Anerkennung der Anfechtungsmöglichkeit eine Grenze zieht.

33Solange jedenfalls eine wirksame Vaterschaftsanerkennung existiert, kann sich die ausländische Mutter gegenüber der Ausländerbehörde auf die durch die Anerkennung vermittelte deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes berufen, ohne dass etwaige zusätzliche falsche Erklärungen zur biologischen Abstammung des Kindes eine Strafbarkeit nach § 92 Abs. 2 Nr. AufenthG begründen.

Aus den vorstehend aufgeführten Gründen kommt auch eine Strafbarkeit nach §§ 271, 276 StGB nicht in Betracht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

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