OLG Celle, Beschluss vom 27.05.2010 - 13 AR 1/10
Fundstelle
openJur 2012, 50529
  • Rkr:
Tenor

Das Amtsgericht Celle ist zuständig.

Die Entscheidung ist gebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen in der Region C./U.. Als solches beliefert sie auch den Beklagten mit Erdgas. Mit der vorliegenden Klage nimmt sie ihn auf Zahlung von offenen Rechnungsbeträgen in Höhe von insgesamt 721,52 € zuzüglich Zinsen für von ihm im Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007 verbrauchtes Erdgas in Anspruch. Sie stützt ihren Anspruch auf den mit dem Beklagten geschlossenen Vertrag (§ 433 Abs. 2 BGB).

Der Beklagte hält die ab dem 1. Oktober 2004 einseitig von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen für unbillig. Er vertritt zudem die Auffassung, das von der Klägerin angerufene Amtsgericht Celle sei sachlich unzuständig, weil gemäß §§ 102, 106 EnWG die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts gegeben sei. Die Klägerin tritt dem entgegen; weder kämen Vorschriften des EnWG als Anspruchsgrundlagen in Betracht, noch liege der Frage der Billigkeit eine energiewirtschaftsrechtliche Vorfrage zugrunde.

Das Amtsgericht Celle hat sich mit Beschluss vom 17. Dezember 2009 (Bl. 176 f.) für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Lüneburg (KfH) verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von einer Entscheidung ab, die nach dem EnWG zu treffen sei. Im Rahmen der gemäß § 315 Abs. 3 BGB vorzunehmenden Billigkeitskontrolle sei nämlich der in § 1 Abs. 1 EnWG verankerte Zweck der möglichst preisgünstigen Energieversorgung betroffen. Ziel des § 102 Abs. 2 EnWG sei es zudem, eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch Konzentration bei einem Spruchkörper – hier der KfH – herbeizuführen. Da die durch das Gericht vorzunehmende Billigkeitsprüfung eine Vielzahl von Verträgen betreffe, habe der Rechtsstreit über den vorliegenden Vertrag hinaus Bedeutung.

Die 7. Zivilkammer (1. KfH) des Landgerichts Lüneburg hat sich mit Beschluss vom 8. April 2010 (Bl. 183 f.) ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Akten dem Oberlandesgericht Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat es auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (4 AR 16/10) Bezug genommen, die einen gleichgelagerten Fall betroffen habe und in der weder eine Einschlägigkeit des EnWG noch die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses angenommen worden sind.

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle, der laut Geschäftsverteilungsplan grundsätzlich zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen ist, hat die Akten unter Hinweis auf die Spezialzuständigkeit des Kartellsenats an diesen abgegeben (Bl. 188).

II.

Das Oberlandesgericht Celle ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Entscheidung zuständig, nachdem sich das Amtsgericht Celle und das Landgericht Lüneburg rechtkräftig für sachlich unzuständig erklärt haben. Funktionell zuständig ist insofern der Kartellsenat, da sich dessen gesetzliche Zuständigkeit für energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung erstreckt (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.05.2009, AR (K) 7/09, zitiert nach juris, Rdnr. 5 m.w.N.).

III.

Die Zuständigkeitsbestimmung war wie tenoriert zu treffen. Sachlich zuständig ist das Amtsgericht Celle, da es sich um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten mit einem unter 5.000 € liegenden Streitwert handelt, für die eine besondere Zuständigkeit nicht gegeben ist (§ 23 Nr.1 GVG). Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Celle ist seine Zuständigkeit weder (sachlich) durch § 102 EnWG noch (im Hinblick auf den Verweisungsbeschluss) durch § 281 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

1. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem EnWG ergeben, die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig. Dasselbe gilt gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Rechtsfrage abhängt, die nach dem EnWG zu treffen ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben:

a) Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommen Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes nicht als Anspruchsgrundlagen in Betracht (§ 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG). Zwischen den Parteien ist hier vielmehr streitig, ob die Klägerin auf der Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsvertrages einseitig Preiserhöhungen durchsetzen kann bzw. ob diese der Billigkeit entsprechen; nicht im Streit ist damit eine sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehung. Dies sieht offenbar auch das Amtsgericht so, das in der Begründung seines Verweisungsbeschlusses hinsichtlich der vorzunehmenden Billigkeitskontrolle zwar auf den in § 1 Abs. 1 EnWG verankerten Zweck der möglichst preisgünstigsten Energieversorgung Bezug nimmt, die Regelung aber nicht als Anspruchsgrundlage qualifiziert.

b) Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt auch nicht ganz oder teilweise von einer energiewirtschaftsrechtlichen Vorfrage ab (§ 102 Abs.1 Satz 2 EnWG). Die Rechtsfrage, ob die Preiserhöhungen der Klägerin der Billigkeit gemäß § 315 BGB entsprechen, ist nicht mit den Regelungen des EnWG zu beantworten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 19.11.2008, VIII ZR 138/07, zitiert nach juris).

Auch § 1 EnWG, auf den das Amtsgericht in seinem Verweisungsbeschluss rekurriert, enthält lediglich eine Zweckbeschreibung, nicht dagegen die Entscheidung einer Rechtsfrage, die für die Beurteilung der Billigkeit der Preise der Klägerin vorgreiflich sein könnte (vgl. insofern auch OLG Celle, Beschluss vom 8. März 2010, 4 AR 16/10, Rechtsprechungsdatenbank der Nds. OLGs, Ziffer II Nr. 2 b, aa; OLG München, a.a.O., Rdnr. 14).

Da das EnWG im Übrigen dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung gibt und damit nur das „Ob“ der Versorgung regelt, nicht dagegen die Einzelheiten der Ausgestaltung des Individualvertrages über die Energielieferungen und die Höhe der Bezugspreise, unterliegt die Entscheidung über die Billigkeit einer Preiserhöhung auch keiner nach diesem Gesetz zu treffenden Entscheidung i. S. des § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG (vgl. OLG Celle, a.a.O.; OLG München, a.a.O., Rdnr. 15 m.w.N.).

c) Die Frage der Billigkeit ist vielmehr auf der Grundlage der berechtigten Interessen beider Parteien an der Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung, etwa durch Weitergabe gestiegener Bezugskosten, zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.2008, a.a.O., Rdnr. 30; auch OLG München, a.a.O., Rdnr. 14).

2. Die Zuständigkeit des Landgerichts Lüneburg ergibt sich auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Celle. Diesem kommt eine Bindungswirkung nicht zu.

15a) Zwar sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich unanfechtbar (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und für das Gericht, an das die Verweisung erfolgt, bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Dies gilt im Grundsatz auch für rechtsirrtümliche oder verfahrensfehlerhafte Verweisungsbeschlüsse (vgl. Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 281 Rdnr. 16 m.w.N.). Jedoch besteht aus rechtsstaatlichen Gründen ausnahmsweise dann keine Bindung, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, sodass sie als objektiv willkürlich erscheint (BGH, Beschluss vom 20.08.2007, X ARZ 247/07, zitiert nach juris, Rdnr. 6; vgl. auch Zöller, a.a.O., Rdnr. 17), oder wenn der Beschluss unter Versagung des rechtlichen Gehörs ergangen ist (BGH, Beschluss vom 27.05.2008, X ARZ 45/08, zitiert nach juris, Rdnr. 6; vgl. auch Zöller, a.a.O., Rdnr. 17a m.w.N.).

b) Eine solche Ausnahme liegt hier vor, da das Amtsgericht mit dem Verweisungsbeschluss das rechtliche Gehör der Parteien verletzt hat:

17aa) Artikel 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (BVerfG, Beschluss vom 26.11.2008, 1 BvR 670/08, zitiert nach juris, Rdnr. 14). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Vorbringen einer Partei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Erst wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrages schließen (vgl. BVerfG, a.a.O.; OLG München, a.a.O., Rdnr. 18 m.w.N.).

bb) Nach diesen Maßstäben muss hier eine Gehörsverletzung angenommen werden.

Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung (Bl. 125 ff.) die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gerügt und unter Hinweis auf zahlreiche, in der Zuständigkeitsfrage widerstreitende und konkret benannte amts-, land-, oder obergerichtliche Entscheidungen dargelegt, dass sich seiner Ansicht nach die vorzunehmende Billigkeitsprüfung nach dem EnWG richte.

Die Klägerin hat sich mit diesem Vorbringen eingehend auseinandergesetzt und mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2009 (Bl. 139 ff.) ihre Auffassung dargelegt, dass und warum es sich hier um eine rein vertragsrechtliche Angelegenheit handele, und dass die Rechtsfrage, ob die Gaspreise der Klägerin der Billigkeit entsprechen, im EnWG keine Antwort finde. Auf den (oben bereits zitierten) Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 15.05.2009 hat sie zum Beleg ihrer Auffassung ebenfalls ausdrücklich Bezug genommen.

Die damit von der Klägerin vorgetragene und für die Zuständigkeitsbestimmung entscheidende Frage der Notwendigkeit einer Heranziehung der EnWG-Vorschriften hat das Amtsgericht ausweislich der Begründung seines Verweisungsbeschlusses in keiner Weise aufgegriffen. Insbesondere ist keine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München und mit den übrigen, von den Parteien zitierten widerstreitenden Gerichtsentscheidungen erfolgt. Das Amtsgericht hat sich einzig auf einen Einzelrichterbeschluss des Landgerichts Lüneburg vom 14.10.2008 (Bl. 166 f.) berufen, in dem wegen angenommener energiewirtschaftsrechtlicher Bezüge eine Verweisung an die dortige KfH erfolgt ist.

22Damit ist das Amtsgericht in keiner Weise dem umfassenden Vorbringen der Parteien und der hier einschlägigen Rechtsprechung gerecht geworden. Insbesondere hat es sich nicht damit auseinandergesetzt, wieso das EnWG hier für die Billigkeitskontrolle der Preiserhöhungen heranzuziehen sein sollte, obwohl dieses dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung gibt und es damit diesem gegenüber nur die Frage des Netzzugangs regelt. Auch die im Verweisungsbeschluss aufgestellte Behauptung, darauf komme es im Hinblick auf den Zweck des § 102 Abs. 2 EnWG, die Rechtsprechung durch Konzentration bei einem Spruchkörper zu vereinheitlichen, nicht an, stellt jedenfalls keine Auseinandersetzung mit der Frage dar, welche Vorschriften des EnWG hier warum für die Entscheidung über die Billigkeit herangezogen werden sollen. Der Umstand, dass das Amtsgericht auf den diesbezüglichen Vortrag - insbesondere der Klägerin - im Wesentlichen gar nicht eingegangen ist, offenbart, dass es sich mit ihm auch nicht im gebotenen Umfang auseinandergesetzt und ihn im Rahmen seiner Verweisungsentscheidung letztlich nicht erwogen hat. Damit hat es den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt. Ob der Verweisungsbeschluss zudem wegen der nicht tragfähigen Begründung auch als willkürlich anzusehen ist, kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben.