VG Oldenburg, Beschluss vom 13.01.2010 - 7 B 3230/09
Fundstelle
openJur 2012, 50059
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1. Der nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO zu beurteilende Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner am 2. Dezember 2009 erhobenen Klage (Az.: 7 A 3139/09), die gerichtet ist gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. November 2009, mit dem sie dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen wegen Erreichens einer Gesamtpunktzahl von 18 Punkten im Verkehrszentralregister entzogen hat, bleibt ohne Erfolg.

Nach § 80 Absatz 1 Satz 1 VwGO hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung.

Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch gemäß § 80 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 4 Absatz 7 Satz 2 StVG, wenn eine Fahrerlaubnis entzogen wird, weil der Fahrerlaubnisinhaber 18 oder mehr Punkte nach dem Punktsystem des § 4 StVG erreicht hat.

So liegt der Fall hier. Zutreffende Rechtsgrundlage der Entziehungsverfügung ist § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 zweiter Teilsatz StVG. Damit ergibt sich der gesetzlich angeordnete Sofortvollzug aus § 4 Absatz 7 Satz 2 StVG.

Allerdings stellt die Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid nicht ausdrücklich auf die zutreffende Rechtsgrundlage für den hier einschlägigen Grund der Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Punktesystem des § 4 StVG ab, sondern stützt sich dort auf § 3 Absatz 1 StVG als Rechtsgrundlage der Entziehung. Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, (u.a.) wenn sich jemand allgemein als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrtzeugen erweist; verschiedene Gründe für die Annahme der Ungeeignetheit kämen in Betracht. Damit wäre der spezielle gesetzlich angeordnete Sofortvollzug aus § 4 StVG nicht von vorneherein einschlägig. Wer indessen 18 und mehr Punkte erreicht, gilt per Gesetz allein deshalb bereits als ungeeignet, § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 erster Teilsatz StVG. Spezielle Rechtsgrundlage für die Entziehung ist sodann § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 zweiter Teilsatz StVG und die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt gemäß § 4 Absatz 7 Satz 2 StVG. Diese Vorschriften greifen hier ein. Die Antragsgegnerin meint auch im angegriffenen Bescheid und später im gerichtlichen Verfahren, der Antragsteller sei ungeeignet im Sinne von § 3 Absatz 1 StVG, weil er nach dem Punktesystem des § 4 StVG ungeeignet sei, verweist insoweit zutreffend zur Begründung auf die wegen der aufgelisteten Zuwiderhandlungen eingetragenen Punkte, stellt den Mechanismus von Verwarnung und Aufbauseminar innerhalb des gesetzlichen Punktesystems gemäß § 4 StVG in der hierfür maßgeblichen Historie dar und hält sich für zwingend handlungspflichtig, die Entziehung auszusprechen. So hat sie in unschädlicher Art und Weise zwar nicht die nach Auffassung der Kammer in Fällen vorliegender Art (vgl. Beschluss vom 6. Januar 2010 - 3 B 3281/09 - < die Antragsgegnerin war an jenem Verfahren beteiligt >) unmittelbar anzuwendende Spezialvorschrift des § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 StVG ausdrücklich als Rechtsgrundlage zitiert, aber jedenfalls deren Voraussetzungen und Rechtsfolge richtig herangezogen. Damit ist der Bescheid als richtigerweise nach § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 StVG ergangen anzusehen. Das bloße Übersehen der spezielleren Vorschrift bei gleichzeitigem Beachten derselben Voraussetzungen und Rechtsfolge der allgemeineren Vorschrift (§ 3 Absatz 1 StVG) wirkt sich hier nicht zu Ungunsten der Antragsgegnerin aus und hindert nicht den gesetzlich angeordneten Fortfall der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die angegriffene Verfügung gemäß § 4 Absatz 7 Satz 2 StVG.

Gemäß § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in einem solchen Fall die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bewerten ist.

Bei dieser Interessenabwägung sind Verfahren nach § 80 Absatz 5 VwGO die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung rechtmäßig ist.

Gemessen daran ist der Antrag unbegründet. Die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. November 2009 wird voraussichtlich keinen Erfolg haben. Der angegriffene Bescheid erweist sich als rechtmäßig.

Diese Verfügung begegnet in formeller Hinsicht keinen durchgreifenden Bedenken. Zwar hat die Antragsgegnerin den Antragsteller zuvor nicht mit einem gesonderten, auf ihre Absicht der Entziehung der Fahrerlaubnis aufmerksam machenden Schreiben angehört, wie es an sich und grundsätzlich nach § 28 VwVfG (vgl. § 1 Nds. VwVfG) geboten (gewesen) wäre. Aber mit ihrem (bestandskräftigen) Bescheid vom 12. März 2009 bereits hatte sie den Antragsteller nach Erreichen der Gesamtzahl von 15 seiner im Verkehrszentralregister eingetragenen Punkte nicht nur zur Teilnahme an einem Aufbauseminar verpflichtet, sondern ihn zudem ausdrücklich auf die zwingend zu erfolgende Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen einer Zahl von 18 Punkten hingewiesen (Blatt 64 <65> Beiakte). Zudem hat sie ihn nach dem Inhalt ihrer Vermerke vom 11. November 2009 und vom 19. November 2009 auch tatsächlich (in fernmündlicher Form) angehört (Blatt 87 und 88 Beiakte): dabei hat er indessen ausdrücklich auf dem Erlass der angegriffenen Verfügung bestanden, um den Rechtsweg beschreiten zu können, und Klage angekündigt. Damit ist den bezeichneten Anforderungen der Gewährung rechtlichen Gehörs im vorliegenden Fall Genüge getan. Schließlich hätte sich hier das Fehlen einer solchen Anhörung rechtlich voraussichtlich nicht zum Nachteil der Antragsgegnerin ausgewirkt, da es sich bei ihrer angegriffenen Entscheidung um den Erlass eines gemäß § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 zweiter Teilsatz StVG gebundenen Verwaltungsakts handelt; hier wäre wohl, anders als bei einer Ermessensentscheidung der Behörde, Unbeachtlichkeit des Fehlens einer Anhörung nach § 46 VwVfG anzunehmen gewesen.

Auch in materieller Hinsicht ist die angegriffene Verfügung nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen.

Die Voraussetzungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 StVG sind hier erfüllt. Gemäß § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 zweiter Teilsatz StVG ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich nach dem Punktesystem des § 4 StVG für den Inhaber 18 Punkte oder mehr ergeben, weil er per Gesetz deshalb bereits als ungeeignet gilt, § 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 erster Teilsatz StVG.

Zur Begründung verweist die Kammer im Wesentlichen, mit Ausnahme insbesondere des Hinweises auf die unschädlich falsch bezeichnete Rechtsgrundlage (s.o.), auf die überwiegend zutreffenden Gründe des angegriffenen Bescheides in Verbindung mit der Antragserwiderung vom 16. Dezember 2009 und ihrer Ergänzung vom 4. Januar 2010 (Feststellung entsprechend § 117 Absatz 5 VwGO). Das Gericht folgt diesen Gründen auch, soweit es das Erreichen einer Gesamtpunktezahl von 18 Punkten anbelangt, das in formaler Hinsicht auch vom Antragsteller nicht in Abrede gestellt wird.

Gründe für eine Minderung des Punktestandes, etwa gemäß § 4 Absätze 4 und 5 StVG, werden nicht geltend gemacht. Sie sind auch ansonsten nicht ersichtlich, zumal der Antragsteller im Sommer des Jahres 2009 zwar ein Aufbauseminar, aber erst nach Erreichen einer Gesamtpunktezahl von schon 15 absolviert (§ 4 Absatz 8 StVG iVm. § 4 Absatz 4 Satz 1 StVG) und insbesondere an einer verkehrspsychologischen Beratung (§ 4 Absatz 9 StVG) gerade nicht teilgenommen hat. Letztere allein hätte bei der gegebenen Konstellation innerhalb des dreistufigen Maßnahmesystems von Verwarnung, Aufbauseminar und Beratung noch zu einer für den Antragsteller womöglich hinreichenden Reduzierung um immerhin zwei Punkte führen können (§ 4 Absatz 4 Satz 2 StVG). Auf diese Möglichkeit hatte die Antragsgegnerin den Antragsteller auch zutreffend in ihrem Bescheid vom 12. März 2009 hingewiesen.

Soweit die Beteiligten allerdings um die Frage streiten, ob die Eintragung der ' letzten drei Punkte ' rechtmäßig sei, gilt Folgendes.

Auf den seit dem 8. Oktober 2009 rechtskräftigen Bußgeldbescheid des Landkreises Steinfurt vom 21. September 2009 kam es nach bereits erreichten 15 Punkten zur Eintragung weiterer drei Punkte im Verkehrszentralregister - der ' letzten drei Punkte ' - und damit zum Erreichen der vorliegenden Gesamtzahl von 18 Punkten, dem rechtlichem Auslöser für die angegriffene Verfügung an. Als Zuwiderhandlung lag eine Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstands vor.

Nach den unwidersprochen gebliebenen Bekundungen des Antragstellers sind die Abstandsmessungen mit dem Verkehrskontrollsystem VKS der Firma VIDIT vorgenommen worden. Die Ergebnisse der Messung unterlägen nach Auffassung des Antragstellers einem verfassungsrechtlich gebotenen Beweisverwertungsverbot. Der Verstoß und insbesondere damit die ' letzten drei Punkte ' dürften daher nicht zu seinem Nachteil berücksichtigt werden.

Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen und meint, schon die Rechtskraft des maßgeblichen Bußgeldbescheids führe gemäß § 4 Absatz 3 Satz 2 StVG zur Verwertbarkeit der ' letzten drei Punkte '. Selbst wenn man dieser Herleitung nicht folgen wollte, so sei eine Anerkennung des geltend gemachten Beweisverwertungsverbots im straßenverkehrsrechtlichen Gebiet der Gefahren nicht geboten, was ebenfalls die Verwertbarkeit nach sich zöge.

18Die Kammer tritt für das vorliegende Verfahren der Auffassung der Antragsgegnerin insoweit bei.

Allerdings ist dem Antragsteller dabei zu Gute zu halten, dass die Messmethode, die von ihm behauptet und unwidersprochen geblieben dem hier maßgeblichen Bußgeldbescheid zu Grunde lag, fragwürdig ist und auch in der Rechtsprechung zum straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenrecht schon zu einem im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts beachtlichen Monitum geführt hat, soweit das Oberlandesgericht Oldenburg mit seiner Entscheidung vom 27. November 2009 - Ss Bs 186/09 - Folgendes festgehalten hat (Auszug im Wortlaut, über juris):

"...

Mit Bußgeldbescheid des Landkreises Osnabrück vom 04.06.2009 war dem Betroffenen zur Last gelegt worden, am 19.02.2009 um 12.14 Uhr in R... auf der BAB 1 in Höhe des Kilometers 202,852 in Fahrtrichtung M... als Führer des Pkws … bei einer Geschwindigkeit von 119 km/h den erforderlichen Abstand von 59,5 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten zu haben. Der Abstand habe vielmehr lediglich 17 m und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertes betragen.

Das Messergebnis, auf welches der Erlass des Bußgeldbescheides zurückzuführen war und welches als maßgebliches Beweismittel für die Überführung in Betracht gekommen wäre, wurde durch ein Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 der Firma V... ermittelt. Ausweislich der mit der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen amtsgerichtlichen Feststellungen werden bei Anwendung dieses Meßsystems in der Regel mindestens zwei Videoaufzeichnungen vorgenommen, nämlich eine sog. Tatvideoaufzeichnung, mit welcher die Abstands und Geschwindigkeitsmessung durchgeführt wird, sowie eine Fahrervideoaufzeichnung, welche der Identifikation der Fahrer und der Kennzeichenerfassung dient. Messung und Auswertung werden dergestalt gehandhabt, dass der auflaufende Verkehr in einem bestimmten Fahrbahnabschnitt mit einer Videokamera von einem festen, mindestens drei Meter über der Fahrbahnoberfläche liegenden Kamerastand aufgenommen wird. Während der Aufnahme wird das Videosignal kodiert. Der Kodierer zählt in dem Videosignal die einzelnen Videobilder (Voll und Halbbilder). Der zeitliche Abstand von zwei aufeinander folgenden Videobildern beträgt 1/50 Sekunden. Die Auswertung des so kodierten Videobandes wird mittels eines Computersystems durchgeführt. Bei der so gestalteten Verkehrsüberwachung wird eine durchgängige Aufnahme des fließenden Verkehrs in der Weise angefertigt, dass jeweils die auf der Überholspur befindlichen Fahrzeuge mit Kennzeichen erfasst werden und die Fahrer identifizierbar erkennbar sind.

Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 ( 2 BvR 941/08 ) hat das Amtsgericht diese Art der Messung mit Rücksicht auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage in Niedersachsen als verfassungswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen. Weiterhin ist es zu dem Schluss gelangt, dass der Verwertung des rechtswidrig erlangten Messergebnisses ein Beweisverwertungsverbot entgegenstehe. Mit der Messung sei automatisch und unvermeidbar die Aufnahme einer unüberschaubaren Vielzahl von Personen verbunden, welche sich rechtskonform verhielten und über deren persönliche Information dem Staat ein Erfassungsrecht nicht ohne Gesetz zustehe. Dieser mit dem Messverfahren verknüpfte ungerechtfertigte Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Rechte einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern führe dazu, dass dem Verfahren per se eine Verfassungswidrigkeit innewohne. Die daraus gezogenen Beweismittel könnten auf ordnungsgemäßem Wege nicht mit gleicher Sicherheit erlangt werden. Für eine Differenzierung nach jeweiligen Einzelfällen der Verstöße sei bei einer derartigen Vorgehensweise kein Raum.

Da andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen, hat das Amtsgericht den Betroffenen im Beschlusswege freigesprochen.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft …

Sie rügt zunächst die Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Sie macht geltend, das Amtsgericht habe die bei den Akten befindliche CDROM mit der Videosequenz des verfahrensgegenständlichen Verkehrsvorganges und die ebenfalls bei den Akten befindlichen diesbezüglichen Einzelbilder zum Gegenstand der Beweisaufnahme machen müssen, da im vorliegenden Falle kein Beweisverwertungsverbot bestehe. Das Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der Verkehrssicherheit überwiege das nur wenig beeinträchtigte Individualinteresse des Betroffenen. Die Einhaltung der Abstandsvorschriften erfordere mit Rücksicht auf die hohe Gefährlichkeit von Abstandsunterschreitungen eine konsequente Überwachung. Der Betroffene, auf dessen Person einzig abzustellen sei, sei in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht derart schwerwiegend betroffen, dass das geschilderte Interesse der Allgemeinheit hinter dieser Grundrechtsverletzung zurückzutreten habe. Die Aufnahme betroffener Personen erfolge nur kurzzeitig und lasse erst nach technischer Aufbereitung und unter günstigen Umständen eine Fahrzeug und Fahreridentifikation zu. Weder Intim- noch Privatsphäre seien betroffen, die Einwirkung sei zudem nicht spürbar. Von einem willkürlichen Verhalten könne mit Rücksicht auf die Gutgläubigkeit der mit der Erfassung und Auswertung der Videoaufzeichnung betrauten Polizeibeamten und des Umstandes, dass das Nds. Ministerium für Inneres, Sport und Integration - Landespräsidium für Polizei, Brand und Katastrophenschutz - auf die bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung sofort mit einem den Einsatz der Messgeräte einschränkenden Erlass reagiert habe, nicht ausgegangen werden. Auch habe die Möglichkeit bestanden, das Beweismittel auf ordnungsgemäßem Wege ebenso sicher durch Herbeiführung einer anlassbezogenen Videoaufzeichnung des konkreten Verkehrsvorganges zu erlangen.

Das Amtsgericht hat die ihm obliegende Aufklärungspflicht nicht verletzt, da es zutreffenderweise von Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes ausgegangen ist. Die Aufzeichnung individueller Verkehrsvorgänge durch fest installierte Videoaufzeichnungsanlagen ist, jedenfalls wenn sie unter den vorliegend anzutreffenden Bedingungen erfolgt, mit einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.08.2009 ausgeführt hat. Die Aufzeichnung des Bildmaterials führt zur technischen Fixierung der beobachteten Vorgänge, die später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden können, wobei eine Identifizierung von Fahrer und Fahrzeug beabsichtigt und technisch möglich ist. Derartige Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig, wenn hierfür eine gesetzliche Grundlage vorliegt. Eine solche Ermächtigungsgrundlage existiert nicht, wie auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht.

Die Messdaten, deren Verwertung in Rede steht, wurden mithin unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot gewonnen. Ein solches zieht nach allgemeiner Auffassung im strafprozessualen Bereich nicht zwangsläufig ein Verwertungsverbot nach sich. Diese schwerwiegende verfahrensrechtliche Folge wird vielmehr nur in Ausnahmefällen als gerechtfertigt angesehen. Ein Beweisverwertungsverbot wird lediglich anerkannt, wenn dahingehende ausdrückliche gesetzliche Vorschriften bestehen oder wichtige übergeordnete Gründe dis gebieten. Ob letzteres der Fall ist, bestimmt sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalles. In die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Staates und der Allgemeinheit an der Verwertung aller in Betracht kommenden Beweismittel zum Zwecke der Aufklärung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten einerseits, den durch das Erhebungsverbot geschützten Individualinteressen andererseits sind insbesondere die Art des Erhebungsverbotes, das Gewicht des in Frage stehenden Verfahrensverstoßes und die Bedeutung der im Übrigen betroffenen Rechtsgüter einzustellen.

Vorliegend stellt sich der Verfahrensverstoß als schwerwiegend dar. Die angewandte Messmethode ist mit einem systematisch angelegten Eingriff in die Grundrechte einer Vielzahl von Personen verbunden. Sie war bereits konzeptionell so angelegt, dass sie mit einer über die herkömmlichen, anlassbezogen eingesetzten Abstands und Geschwindigkeitsmessverfahren weit hinausgehenden Gefahr einer Grundrechtsbeeinträchtigung einherging. Die Schwere des Eingriffs wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass er für den einzelnen Verkehrsteilnehmer nur bedingt wahrnehmbar ist, vielmehr bestätigt die mit einer Dauervideoüberwachung verbundene relative Heimlichkeit des Eingriffs dessen Schweregrad (vgl. hierzu Niehaus DAR 2009, 632 , 635). Dass den einzelnen Polizeibeamten als Anwender kein persönlicher Verschuldensvorwurf treffen mag ist insoweit ebenso wenig von durchgreifender Bedeutung wie der Umstand, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf ministerieller Ebene zum Anlass genommen wurde, die rechtswidrige Verfahrensweise einzustellen. Die Verkehrsverstöße, zu deren Ahndung das Messverfahren eingesetzt wird - auch der im vorliegenden Fall in Rede stehende Verstoß - sind in der Regel nur von untergeordneter Bedeutung. Zwar trifft es zu, dass Abstandsmessungen, insbesondere bei starker Verkehrsdichte und hohen Geschwindigkeiten, gefahrträchtig sind und nachhaltiger Verfolgung bedürfen, doch handelt es sich ungeachtet dessen jedenfalls im vorliegenden Falle um eine Ordnungswidrigkeit, welche dem unteren bis mittleren Schweregrad der Verkehrsordnungswidrigkeiten zuzuordnen ist und deren Verfolgung sich im konkreten Fall nicht als derart vordringlich darstellt, dass schwerwiegende Grundrechtseingriffe hinzunehmen wären. Die Frage, ob der Verkehrsverstoß auch bei hypothetisch rechtmäßigem Ermittlungsverlauf hätte gewonnen werden können, kann nicht ausschlaggebend sein. Der Umstand, dass die meisten Verkehrsverstöße auch in ordnungsgemäßer Weise durch den Einsatz entsprechender technischer Mittel nachgewiesen werden können, kann nicht zur Folge haben, dass Verfahrensverstößen in diesem Bereich, welche gerade damit einhergehen, dass mit hoher Streubreite der rechtlich geschützte Bereich einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern berührt ist, eine mindere Bedeutung zugemessen wird.

..."

Es dürfte dabei wohl davon auszugehen zu sein, dass Messgeräte, -methode, -technik und -verfahren im zuvor bezeichneten Verfahren und im vorliegenden Verfahren, soweit vom Antragsteller unwidersprochen bekundet, identisch sind. Die rechtliche Bewertung in bußgeldrechtlicher Hinsicht dürfte dann voraussichtlich ebenfalls identisch sein.

Die Antragsgegnerin hält dazu allerdings für den Fall dessen, dass es darauf ankäme, noch die Prüfung im Einzelfall für erforderlich (Ergänzungsschriftsatz vom 4. Januar 2010, Seite zwei Mitte).

In der Tat kommt es darauf im vorliegenden Verfahren nicht an.

33Zum einen verbleibt es dabei, dass die Behörde gemäß § 4 Absatz 3 Satz 2 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit gebunden ist. Diese Bindungswirkung gilt auch für das Gericht, soweit es die Entscheidung der Behörde nicht beanstanden kann, weil diese - wie hier - die für sie geltende Bindungswirkung beachtet hat (vgl. z.B. BayVGH, Beschluss vom 19. Juni 2009 - 11 CS 09.470 -). Dieser Bezug des Punktesystems nach § 4 StVG auf die Rechtskraft der jeweils zu Grunde liegenden strafgerichtlichen oder ordnungsbehördlichen Maßnahmen ist grundlegend und prägend (Beschluss des Nds. OVG vom 21. Januar 2003 - 12 ME 810/02 -).

Zum anderen hat es der Antragsteller selber in der Hand gehabt, die Eintritt der Rechtskraft des hier maßgeblichen Bußgeldbescheides (zu versuchen) zu verhindern. Das System des § 4 StVG und die Bindungswirkung dienen nicht zuletzt dem Schutz der Betroffenen, die durch die Einlegung von Rechtsbehelfen die Aufhebung der strafgerichtlichen bzw. ordnungsbehördlichen Entscheidungen erreichen bzw. auf den Zeitpunkt des Eintrittes der Rechtskraft erheblich Einfluss nehmen können (Nds. OVG, ebenda).

Schließlich wäre unbeschadet dieser Bindungswirkung hilfsweise auch die Annahme gerechtfertigt, dass die Verwertung des nach Meinung des Antragstellers einem Verwertungsverbot unterliegenden Messergebnisses im straßenverkehrsrechtlichen Gebiet der Gefahrenabwehr für das Punktesystem für die Fälle der Entziehung der Fahrerlaubnis erlaubt sei, da es sich nicht um das repressive Recht handelt, sondern bereichsspezifische Prävention im Vordergrund steht. Insoweit macht sich die Kammer für das vorliegende Verfahren auch die Erwägungen zu eigen, die das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht unlängst mit Blick auf eine ohne richterliche Anordnung gewonnene Blutprobe angestellt und dazu im Wortlaut festgehalten hat (Nds. OVG, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - 12 ME 234/09 -):

"Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung einer körperlichen Untersuchung dem Richter und nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - ihren Ermittlungspersonen zu. …

Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers von einem Verstoß gegen die strafprozessuale Beweiserhebungsvorschrift des § 81a Abs. 2 StPO ausgeht, folgt daraus nicht zugleich ein Verbot für den Antragsgegner, das Ergebnis der Blutuntersuchung im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren zu verwerten. Für den Strafprozess ist anerkannt, dass über das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes - mit Ausnahme ausdrücklich geregelter Verwertungsverbote wie in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO - jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.2009 - 2 BvR 2225/08 -, NJW 2009, 3225-3226 m.w.N. zur Rechtsprechung der Strafgerichte). Im Anwendungsbereich des § 81a StPO, der - wie dargelegt - eine Eilanordnung durch Polizeibeamte ohnehin nicht schlechterdings ausschließt, tritt das staatliche Strafverfolgungsinteresse gegenüber dem Individualinteresse des Einzelnen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zurück, wenn Gefahr im Verzug willkürlich angenommen und der Richtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw. ignoriert wird oder wenn die Rechtslage bei Anordnung der Maßnahme in gleichwertiger Weise verkannt worden ist (OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.10.2009 - 2 SsBs 149/09 -, NJW 2009, 3591-3592; ferner OLG Celle, Beschl. v. 6.8.2009 - 32 Ss 94/09 -, a.a.O., jeweils m.w.N.). Gegen die Annahme eines strafprozessualen Verwertungsverbots spricht hier, …

Selbst wenn man indes ein strafprozessuales Verwertungsverbot annehmen wollte, bedeutete das nicht, dass im vorliegenden Zusammenhang eine entsprechende Beurteilung geboten wäre. Zwar muss die Behörde auch im Verwaltungsverfahren bei ihrer Ermittlungstätigkeit die sich aus Gesetzen, allgemeinen Verfahrensgrundsätzen und Grundrechten ergebenden Grenzen beachten (vgl. Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn 30). Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist aber weder im Straßenverkehrsgesetz noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung ein ausdrückliches Verwertungsverbot für nicht richterlich angeordnete körperliche Untersuchungen bestimmt. Ebenso wie im Strafprozessrecht kann daher ein solches Verbot nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der gegenläufigen Interessen angenommen werden, wobei jedoch in Verwaltungsverfahren, die wie das Fahrerlaubnisrecht der Gefahrenabwehr dienen, nicht ohne Weiteres dieselben Maßstäbe wie im repressiven Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts gelten (vgl. bereits Senat, Beschl. v. 14.8.2008 - 12 ME 183/08 -, VD 2008, 242-244 unter Bezugnahme auf OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.3. 2008 - 1 M 12/08 -, juris; zuletzt Beschl. v. 5.11.2009 - 12 ME 237/09 -; ferner VG Osnabrück, Urt. v. 20.2.2009 - 6 A 65/08 -, juris und VG Braunschweig, Beschl. v. 29.1.2008 - 6 B 214/07 -, juris). Denn im Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis hat die Behörde maßgeblich und mit besonderem Gewicht weitere Rechtsgüter Drittbetroffener und das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor Fahrerlaubnisinhabern, die sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben, zu beachten. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, ein von der Fahrerlaubnisbehörde rechtswidrig angeordnetes Gutachten über die Fahreignung bei der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis zu berücksichtigen, wenn das Gutachten ein eindeutig negatives Ergebnis ausweist (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 14.8.2008 - 12 ME 183/08 -, a.a.O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.3. 2008 - 1 M 12/08 -, a.a.O.). Dieser Gedanke gilt umso mehr, wenn der Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften nicht von der Fahrerlaubnisbehörde selbst zu verantworten ist. Da der Verstoß gegen die strafprozessuale Beweiserhebungsvorschrift des § 81a StPO in Konstellationen wie vorliegend nicht von der für das Verwaltungsverfahren zuständigen Fahrerlaubnisbehörde ausgeht, kann die für das Strafverfahren gültige Überlegung, dass das Interesse des Einzelnen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zu Lasten des staatlichen Strafverfolgungsinteresses bei groben Verstößen durch die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden unter dem Gesichtspunkt einer fairen Verfahrensgestaltung überwiegt, auf das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nicht übertragen werden. Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher im überwiegenden Interesse an dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern in einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsverfahren auch ein unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a StPO gewonnenes Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung berücksichtigen, wenn aus diesem ohne Weiteres eine fehlende Kraftfahreignung des Betroffenen hervorgeht. ..."

Nach Allem kommt es auf die hier vorliegenden ' letzten drei Punkte ' an und hat die Antragsgegnerin diese zu Recht ihrem (auch ansonsten hier nicht weiter zu beanstandenden) Bescheid mit der ermittelten Gesamtpunktezahl von 18 zu Grunde gelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO.

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Absatz 3 Nr. 2, 52 Absatz 1 GKG und orientiert sich an Nr. 46.5 und Nr. 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.). Hiernach ist für den Entzug der Fahrerlaubnisklasse C1 ein Wert von 5.000,00 EUR anzusetzen, der sich durch den gleichzeitigen Entzug der damit verbundenen Fahrerlaubnisklasse E um 2.500,00 EUR erhöht (Klasse drei -alt- und Klasse zwei -alt-, vgl. abgegebener Führerschein, Blatt 89 Beiakte). Für das Hauptsacheverfahren ergibt sich daher ein Streitwert von 7.500,00 EUR. Da im vorliegenden Eilverfahren lediglich eine vorläufige Regelung getroffen wird, ist der Wert gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren.