LG Aurich, Beschluss vom 27.10.2009 - 4 S 177/09
Fundstelle
openJur 2012, 49655
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag der Beklagten vom 10.07.2009 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Delmenhorst vom 05.05.2009 - 5 a C 6079/08 - wird als unzulässig verworfen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Der Streitwert wird auf 1.306,28 € festgesetzt.

Gründe

Das Amtsgericht Delmenhorst hat durch Urteil vom 05.05.2009 die Klage abgewiesen. Gegen das ihr am 25.05.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte nach eigenen Angaben am 25.06.2009 beim Landgericht Oldenburg Berufung eingelegt. Nachdem das Landgericht Oldenburg die Bevollmächtigten der Beklagten am 26.06.2009 davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass nicht das Landgericht Oldenburg, sondern das Landgericht Aurich als Berufungsgericht zuständig ist, sandte das Landgericht Oldenburg die Berufungsschrift an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zurück.

Am 10.07.2009 hat die Beklagte Berufung beim Landgericht Aurich eingelegt und zugleich beantragt, ihr wegen der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

3Die Berufung ist gemäß § 519 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da die Berufung nicht binnen der einmonatigen Berufungsfrist gemäß § 517 ZPO, die mit der Zustellung des Urteils begann, beim Landgericht Aurich eingelegt worden ist. Das Landgericht Aurich ist gemäß § 72 Abs. 2 S. 3 GVG i. V. m. § 2 a der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung (ZustVO-Justiz) für die vorliegende Berufung in einer wohnungseigentumsrechtlichen Streitigkeit zuständig.

Durch Einlegung der Berufung beim Landgericht Oldenburg hat die Beklagte die Berufungsfrist nicht gewahrt, denn die Berufung ist gemäß § 519 Abs. 1 ZPO beim Berufungsgericht einzulegen (vgl. BGH NJW 2000, 1574 ff.).

Allerdings hat die Rechtssprechung in Kartellsachen ausnahmsweise die Einlegung der Berufung beim "normalen Instanzberufungsgericht" statt beim Berufungsgericht für Kartellsachen für rechtzeitig erachtet. Das beruhte (vgl. BGHZ 71, 361, 374) auf folgenden Erwägungen:

" … Zur Gewährleistung staatlichen Rechtsschutzes gehört, dass der Rechtssuchende in die Lage versetzt wird, die verfahrensrechtlichen Wege zu erkennen, auf denen er sein Recht finden kann. Das gilt auch für die Voraussetzungen, unter denen er eine ihm ungünstige gerichtliche Entscheidung anfechten kann und für das Verfahren, das er bei einer solchen Anfechtung beobachten muss, um eine sachliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zu erreichen. Eine Regelung, die das einzuhaltende Verfahren nur mit erheblicher Unsicherheit erkennen, einen darauf beruhenden Irrtum des Rechtssuchenden aber zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels führen lässt, genügt diesen Anforderungen nicht. Die Zuständigkeitsregelung in § 92 S. 1 a. F. GWB lässt vielfach nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen, ob über eine Berufung das allgemein zuständige oder das Kartelloberlandesgericht zu entscheiden hat … Die Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass im Einzelfall vielfach zweifelhaft ist, ob das Landgericht als für Kartellsachen zuständiges Gericht entschieden hat … Nach allem ist keine Möglichkeit ersichtlich, die Rechtsstreitigkeiten, in denen das Kartelloberlandesgericht für die Entscheidung über die Berufungen zuständig ist, so von den sonstigen Rechtsstreitigkeiten abzugrenzen, dass einerseits dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes genüge getan wird und sich andererseits das zuständige Berufungsgericht in aller Regel zweifelsfrei feststellen lässt. Eine befriedigende Lösung, die sowohl dem Sinn der besonderen Zuständigkeitsregelung für Kartellsachen sowie dem Interesse am Rechtsklarheit Rechnung trägt, lässt sich daher nur in der Weise finden, dass eine Berufung, über die das Kartelloberlandesgericht zu entscheiden hat, fristwahrend auch bei dem allgemein zuständigen Oberlandesgericht eingelegt werden kann … "

Vergleichbare Zweifel über die Zuständigkeit des Berufungsgerichts bestehen in dem vorliegenden Fall nicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in § 72 Abs. 2 S. 3 GVG klar geregelt, dass das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht nur dann zuständig ist, wenn nicht die Landesregierung bzw. die Landesjustizverwaltung ein anderes Landgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts bestimmt hat. Diese Bestimmung ist in § 2 a ZustVO-Justiz bezüglich der Zuständigkeit des Landgerichts Aurich getroffen. Diese Verordnung ist allgemein zugänglich, z. B. in der Textsammlung März, Niedersächsische Gesetze, aber auch beispielsweise im Internet. Auch durch einen Telefonanruf beim Landgericht Oldenburg oder beim Justizministerium in Hannover hätten die Vertreter der Beklagten klären können, ob gemäß § 72 Abs. 2 S. 3 GVG die Landesregierung davon Gebrauch gemacht hat, anstelle des Landgerichts Oldenburg ein anderes Landgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Oldenburg als zuständiges Landgericht für Wohnungseigentums-sachen zu bestimmen.

Aus diesem Grund kann der Beklagten auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gewährt werden, denn Rechtsirrtümer - hier über die Zuständigkeit des Landgerichts - begründen eine Wiedereinsetzung nur dort, wo sich die Partei bzw. ihr Vertreter über Möglichkeiten, Fristen und Formerfordernissen von Rechtsmitteln informiert hat (vgl. Zöller, ZPO, § 233 Rn 23, Stichwort Rechtsirrtum).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert ergibt sich aus dem Betrag der geltend gemachten Hauptforderung.