VG Hannover, Urteil vom 27.10.2009 - 13 A 2968/09
Fundstelle
openJur 2012, 49614
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, die Rechnung des E. über eine Untersuchung des Blutes des Sohnes des Klägers vom 10.01.2007 als beihilfefähig anzuerkennen und entsprechend dem Kläger eine Beihilfe zu gewähren.

Der Bescheid der Beklagten vom 30.04.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 04.10.2007 werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Beihilfe für ein sog. Neugeborenen-Screening.

Er ist als Beamter des Landes Niedersachsen auch für seinen Sohn V. mit einem Bemessungssatz von 80 v.H. beihilfeberechtigt. Seine Ehefrau ist in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert.

Der Sohn des Klägers wurde am 03.01.2007 geboren. Zur Geburt suchte die Ehefrau des Klägers die D. -Klinik in Langenhagen auf. Bei dieser Klinik handelt es sich um eine sogenannte Belegarztklinik. Nach dem Aufnahmevertrag des Krankenhauses gehören ärztliche Leistungen von Belegärzten, einschließlich der von diesen veranlassten Leistungen von Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses nicht zu den allgemeinen Krankenhausleistungen, die mit den Pflegesätzen abgegolten werden (Bl. 14 der Beiakte A).

Am 05.01.2007 stimmte der Kläger einem Untersuchungsauftrag für das E. zu. Auf diesem Vordruck fehlt die Unterschrift des behandelnden Belegarztes (Bl. 22 der Beiakte A).

Unter dem 10.01.2007 stellte das E. eine Rechnung über 135,01 € über verschiedene Blutuntersuchungen aus, die am 08.01.2007 Blut des Sohnes des Klägers durchgeführt wurden. Als Einsender der Blutprobe, an dem auch der Befund gesandt wurde, wird in der Rechnung genannt: „D. -Klinik/ Belegkrankenhaus, Neugeb.-Station / Dr. F.“. Bei Dr. F. handelt es sich um eine in Langenhagen niedergelassene Kinderärztin, die über Belegarztbetten in der D.Klinik verfügt (www.kinderaerzte-im-netz.de/aerzte/....).

Die gesetzliche Krankenkasse der Ehefrau übernahm die Kosten für die Ehefrau, lehnte eine Kostenübernahme für das Screening jedoch ab, weil der Sohn V. nicht - was unstreitig ist - bei ihr versichert sei (Bl. 21 der Beiakte A, Bl. 27 R der Gerichtsakte).

Der Kläger beantragte beim Beklagten für die oben genannte Rechnung die Gewährung einer Beihilfe. Mit Bescheid vom 30.04.2007 lehnte der Beklagte jedoch eine Beihilfe für diese Rechnung ab. Diese Aufwendungen seien mit dem allgemeinen Pflegesatz abgegolten. Vom Krankenhaus veranlasste Leistungen Dritter seien gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Bundespflegesatzverordnung und Krankenhausentgeltgesetz mit der Fallpauschale für die allgemeinen Krankenhausleistungen abgegolten. Dies gelte auch Laborleistungen, die im Krankenhaus vom Krankenhauslabor selbst nicht erbracht werden können und daraufhin von einem Labor außerhalb des Krankenhauses im Auftrag des Krankenhauses erbracht werden.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein. Eine Fallpauschale für allgemeine Krankenhausleistungen sei nicht erhoben worden. Folglich könnten auch keine externen Laborkosten darin integriert sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2007 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Mit dem Pflegesatz bzw. der Fallpauschale des Krankenhauses seien auch Laborleistungen, die von einem Labor außerhalb des Krankenhauses im Auftrag erbracht werden, abgegolten. Das Neugeborenen-Screening sei Bestandteil der U2-Untersuchung und nach dem SGB V eine Pflichtleistung der Krankenkassen. Damit handele es sich um allgemeine Krankenhausleistungen. Die Aufwendungen für die Geburt einschließlich der Erstversorgung des Kindes seien über die Ersatzkasse abgerechnet worden. Mit dieser von der Ersatzkasse abgegoltenen DRG-Fallpauschale seien auch die vom Krankenhaus in Auftrag gegebenen Laborleistungen Dritter abgegolten.

Der Kläger hat am 31.10.2007 Klage erhoben.

Er trägt vor: Es handelte sich bei dem Screening um eine Maßnahme nach § 10 BhV.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Beihilfe für die Kosten eines Neugeborenen-Screenings zu bewilligen und den zu gewährenden Betrag mit 6 v.H. zu verzinsen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Wenn die Leistung nicht in der Geburtspauschale der Krankenkasse enthalten sei, sei sie auch nicht medizinisch notwendig. Nur der Kläger habe den Untersuchungsauftrag für das Screening unterzeichnet. Es handele sich mithin um eine Leistung lediglich auf Wunsch des Klägers. Eine Beihilfe könne nur gewährt werden, wenn es sich um eine Belegarztleistung handele. Die Kosten für das Screening seien im Übrigen nicht unzumutbar hoch, so dass durch eine Verweigerung der Beihilfe die Fürsorgepflicht nicht in ihrem Wesenskern verletzt sei.

Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Klage ist bis auf die Prozesszinsen begründet. Der Kläger hat Anspruch auf eine Beihilfe iHv. 80 v.H. auf den Rechnungsbetrag des C. in dessen Rechnung vom 10.01.2007

Beihilfefähig sind nach § 120 NBG n.F. iVm. § 87c Abs. 1 NBG in der bis März 2009 geltenden Fassung und iVm. mit § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) nur Aufwendungen, die dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Dazu zählt das hier umstrittene Neugeborenen-Screening. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 BhV sind aus Anlass von Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten nach Maßgabe der hierzu ergangenen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen die Aufwendungen bei Kindern bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres die Kosten für Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, die eine körperliche oder geistige Entwicklung des Kindes in nicht geringfügigem Maße gefährden, ausdrücklich beihilfefähig.

22Der Zweck des Neugeborenenscreenings ist es, Patienten mit behandelbaren, angeborenen Stoffwechselerkrankungen bereits im Neugeborenenalter zu identifizieren, um rechtzeitig eine Behandlung einleiten zu können. Sinn macht ein solches Verfahren vor allem dann, wenn man dadurch die entsprechenden Erkrankungen in einem Alter erkennt, indem eine medizinische Intervention klinische Symptome verhindern oder reduzieren kann. In Deutschland wurde das Neugeborenenscreening Ende der 60er Jahre (1969 BRD, 1971 DDR) als staatlich finanzierte Untersuchung eingeführt. Von daher sind Zweifel des Gerichts an der medizinischen Notwendigkeit dieser Vorsorgeuntersuchung nicht vorhanden. Die entsprechende Einlassung des Beklagten ist nicht ganz nachvollziehbar, zumal er die medizinische Notwenigkeit offenbar dann doch annimmt, wenn diese Untersuchungsleistung vom Belegarzt selbst erbracht wird.

Der Beihilfefähigkeit steht nicht entgegen, dass die Ehefrau des Klägers pflichtversichert ist und damit einen Anspruch auf Kostenübernahme ihrer Behandlungen und Untersuchungen gegenüber ihrer Krankenkasse hat. Die Untersuchung des Sohnes des Klägers im Rahmen des Neugeborenen-Screenings ist durch die Versicherungsleistungen der Krankenkasse für die Ehefrau des Klägers nicht abgedeckt und wurde in diesem Fall dann entsprechend auch nicht von der Ersatzkasse gezahlt. An den Auskünften der Barmer Ersatzkasse bestehen keine Zweifel. Dass der Sohn V. des Klägers nicht über die Mutter pflichtversichert ist, ist im Übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig.

24Das Neugeborenen-Screening zählt im vorliegenden Fall weiterhin nicht zu den sogenannten allgemeinen Krankenhausleistungen. Bei der D. -Klinik handelt es sich um eine sogenannte Belegarztklinik. Nach § 73 SGB V zählen in diesem Fall die Maßnahmen zur Früherkennung, wenn sie vom Belegarzt erbracht werden, zur kassenärztlichen Versorgung. D.h., sie gehören dann nicht zu den allgemeinen Krankenhausleistungen, sondern können vom Belegarzt separat als kassenärztliche Versorgung abgerechnet werden. Nichts anderes kann gelten, wenn es sich um einen Privatpatienten handelt. Dann kann auch hier der Belegarzt bzw. das von ihm beauftragte Labor die Maßnahme gesondert nach der GOÄ berechnen.

Zwar hat der Belegarzt bzw. die Belegärztin hier das Neugeborenen-Screening nicht selbst durchgeführt, sondern die Blutuntersuchung wurde von einem Arzt bzw. von einem unter dessen Aufsicht arbeitenden Laborkraft des C. durchgeführt. Darauf kommt es aber nicht an. Es war jedenfalls eine Untersuchung unter ärztlicher Aufsicht.

Zwar weist der Beklagte zu Recht daraufhin, dass im Auftragsformular lediglich eine Unterschrift des Klägers in der Spalte für die Einverständniserklärung der Eltern vorhanden ist, der Belegarzt bzw. die Belegärztin jedoch dem Auftrag nicht unterschrieben hat. Aus dem Vordruck geht aber hervor, dass die Belegärztin Dr. F. für diesen Auftrag verantwortlich zeichnete. Sie hat dann auch den Befund erhalten. Mithin ist das Gericht davon überzeugt, dass die Belegärztin die Untersuchung veranlasst hat. Insoweit bedarf es hier keiner weiteren Klärung, ob derartige Untersuchungen immer vom Belegarzt veranlasst werden müssen oder ob es nicht für die Beihilfefähigkeit auch ausreicht, wenn sich der Kläger direkt an einen Arzt des Screening-Labors gewandt hätte. Für letzteres könnte jedenfalls sprechen, dass es für die Beihilfefähigkeit nur darauf ankommt, ob die Leistung dem Grunde nach notwendig und in der Höhe angemessen war und nicht, wie viel Ärzte ggf. als Vermittler zwischengeschaltet wurden.

Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB kann der Kläger jedoch - unabhängig von deren Höhe - schon deshalb nicht verlangen, weil es in diesem Verfahren noch nicht um die Zahlung einer bereits bewilligten, jedoch gleichwohl nicht ausgezahlten Summe ging, sondern erst um die Verpflichtung zum Erlass eines entsprechenden Bewilligungsbescheides.

Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Soweit der Beklagte nicht die vom Kläger verauslagten Gerichtsgebühren von sich aus erstattet, mag der Kläger ggf. dann die verauslagten Gebühren ebenso wie etwaige weitere Auslagen und deren Verzinsung im Rahmen eines Kostenfestsetzungsantrages nach § 164 VwGO geltend machen, über den zunächst der Kostenbeamte zu entscheiden hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

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