AG Göttingen, Beschluss vom 28.07.2009 - 71 IN 151/07
Fundstelle
openJur 2012, 49279
  • Rkr:

1. Ist ein Gläubiger wegen Interessenkollision befangen, kommt ein Stimmrechtsausschluss entsprechend § 77 InsO wegen „Befangenheit“ in Betracht.2. Eine Befangenheit liegt vor, wenn ein Gläubiger den Insolvenzverwalter ein für die Masse günstiges Erwerbsgeschäft (hier: Ersteigerung eines Grundstückes im Verkehrswert von 43.000 € für 5.000 €) zurück abwickeln lassen will.

Tenor

In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des … wird auf Antrag des Insolvenzverwalters die Stimmrechtsentscheidung der Rechtspflegerin in der Gläubigerversammlung vom 22.07.2009 dahingehend abgeändert, dass das Finanzamt Göttingen nicht stimmberechtigt ist soweit über die "Rückabwicklung des Zuschlagsbeschlusses des AG Hann.Münden vom 24.2.2009" abzustimmen ist.

Es wird gleichzeitig die Wiederholung der Abstimmung angeordnet.

Gründe

I.

Nachdem eine Gläubigerin am 22.11.2007 beantragt hatte, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, hierbei hatte sie dargelegt, eine Forderung gegen den Schuldner auf Zahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehr als 12.000 € zu haben, beantragte die jetzige Mehrheitsgläubigerin, das Finanzamt Göttingen, am 18.09.2008 gleichfalls das Insolvenzverfahren zu eröffnen, wobei sie hier den Antrag auf rückständige Abgaben im Gesamtbetrag von ca. 181.000 € stützte. Ein vom jetzigen Insolvenzverwalter als damaligem Sachverständigen erstattetes Gutachten aus April 2009 kommt zum Ergebnis, dass zwar zur Eröffnung des Verfahrens eine voraussichtliche Insolvenzmasse in Höhe von über 10.000 € zu erwarten sei, dem jedoch Forderungen in Höhe von ca. 276.000 € gegenüber stünden.

Mit Beschluss vom 06.05.2009 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und den Insolvenzverwalter bestellt. Gleichzeitig hat das Amtsgericht die beiden anhängigen Verfahren verbunden.

Nachdem der Schuldner hiergegen Rechtsmittel eingelegt hatte, ist durch Beschluss des Landgerichts vom Mai 2009 die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen worden.

Zuvor hatte der Schuldner ein Grundstück durch Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Hann. Münden vom 24.02.2009 ersteigert, ohne den damaligen (schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalter, bestellt durch Beschluss vom 10.12.2007, von dem Vorgang zu informieren.

Dieses selbige Grundstück hat der Schuldner mit notariellem Vertrag vom 04.05.2009 an eine weitere Vermögensverwaltungsgesellschaft (LTD) verkauft, an der er beteiligt ist.

Mit Beschluss des Insolvenzgerichtes vom 13.05.2009 ist hinsichtlich dieses Grundstücks ein Insolvenzvermerk eingetragen worden, gleichzeitig zahlte der Insolvenzverwalter für den Schuldner die Grunderwerbssteuer. Mit dieser Zahlung beabsichtigte der Insolvenzverwalter, den Vermögensgegenstand für die Gläubigergemeinschaft zu sichern, denn das Grundstück war für 5.000 € ersteigert worden, der Verkehrswert bemisst sich auf ca. 43.000 €. In der Gläubigerversammlung vom 22.07.2009 sind neben dem Schuldner und dem Insolvenzverwalter mehrere Gläubiger bzw. deren Vertreter erschienen. Nach dem Bericht des Insolvenzverwalters und seiner Bestätigung durch die Gläubigerversammlung hat die Versammlung ferner beschlossen, den im Zwangsversteigerungsverfahren vor dem Amtsgericht Hann. Münden ergangenen Zuschlagsbeschluss vom 24.02.2009 rückgängig zu machen und ggf. durch Einlegung des zulässigen Rechtsmittels eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu erlangen, gleichzeitig ist der Insolvenzverwalter beauftragt worden, die aus der Masse gezahlte Grundsteuer zurückzufordern.

Dieser Beschluss wurde mit dem Stimmrecht des Finanzamtes Göttingen in Höhe von 242.408,99 € gegen einen weiteren Gläubiger mit Stimmrecht in Höhe von 498,46 € gefasst. Diese Stimmrechte hatte die Rechtspflegerin zuvor festgesetzt und einen Ausschluss des Stimmrechts des Finanzamtes Göttingen nach § 77 InsO abgelehnt, weil weder ein so genanntes In-Sich-Geschäft vorliege, noch das Finanzamt Göttingen nach Fakten- und Aktenlage in sonstiger Weise gegenüber anderen Gläubigern durch die Rückabwicklung des Grundstücksersteigerungsgeschäfts einen besonderen Vorteil genieße.

Gegen diese Stimmrechtsentscheidung haben sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Schuldner Rechtsmittel eingelegt. Die Rechtspflegerin hat daraufhin festgestellt, dass sich die Stimmrechtsfestsetzung auf das Ergebnis der zuvor genannten Abstimmung auswirkt, allerdings den Rechtsmitteln aus den Gründen des gefassten Beschlusses nicht abgeholfen und den Termin auf den kommenden Donnerstag vertagt.

II.

Die Stimmrechtsentscheidung ist auf Antrag des Insolvenzverwalters gem. § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG i. V. m. § 77 InsO abzuändern, das Stimmrecht neu festzusetzen und die Wiederholung der Abstimmung anzuordnen, denn das Finanzamt Göttingen war im Rahmen der Beschlussfassung zur Frage der Rückabwicklung des Zuschlagsbeschlusses in dem Zwangsversteigerungsverfahren bei dem Amtsgericht Hann. Münden und der Rückforderung der Grunderwerbsteuer entsprechend § 77 InsO wegen der Befangenheit des Finanzamtes von der Abstimmung auszuschließen.

Grundsätzlich besteht gegen die Stimmrechtsentscheidung mangels gesetzlicher Regelung keine ausdrückliche Beschwerdemöglichkeit, § 6 Abs. 1 InsO, auch § 11 Abs. 3 Satz 3 RPflG versagt die Einlegung der Erinnerung gegen die Entscheidung des Rechtspflegers, jedoch können sowohl der Insolvenzverwalter als auch anwesende, stimmberechtigte Gläubiger beantragen, dass das Gericht seine Entscheidung ändert. Hat der Rechtspfleger die Stimmrechtsentscheidung getroffen, wie im vorliegenden Fall, und hat sich diese Entscheidung auf das Ergebnis der Abstimmung ausgewirkt, besteht nach § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG die Möglichkeit einer Überprüfung durch den Insolvenzrichter. Voraussetzung hierfür ist zunächst ein Antrag eines Gläubigers oder des Insolvenzverwalters bis zum Ende der Gläubigerversammlung, wobei eine spätere Nachholung im schriftlichen Verfahren unzulässig ist. Dem Schuldner selbst ist eine entsprechende Antragstellung versagt, woraus hier folgt, dass der Schuldner im vorliegenden Fall gegen die Stimmrechtsentscheidung keinen Rechtsbehelf einlegen konnte.

11Die vom Insolvenzverwalter eingelegte (grundsätzlich unzulässige) Erinnerung in der Gläubigerversammlung ist hier als ein Antrag nach § 18 Abs. 3 Satz 2 RpflG auszulegen, dieser Antrag ist zulässig und hat auch Erfolg, denn er ist mündlich zu Protokoll gegeben worden. Im Übrigen liegen hier entgegen der Ansicht der Rechtspflegerin die Voraussetzungen entsprechend § 77 InsO für eine Befangenheit der Mehrheitsgläubigerin vor (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit der analogen Anwendung § 77 InsO in derartigen Fällen: FK-InsO/Kind, § 77 Rz. 21, MüKo-InsO/Ehricke, § 77 Rz. 35). In Literatur und Rechtsprechung werden dabei generell Fälle des In-Sich-Geschäftes und des Verbotes, Richter in eigener Sache zu sein, genannt. Einigkeit besteht aber auch, dass hier die Grenzen grundsätzlich weit zu ziehen sind. Generell wird ein Gläubiger auszuschließen sein, wenn bei ihm eine Interessenkollision erkennbar ist. Hierunter fallen auch die Fälle, in denen ansonsten teilnahmeberechtigte Gläubiger nicht mit stimmen dürfen, weil die Gefahr besteht, dass sie aufgrund des Abstimmungsergebnisses einen Sondervorteil erhalten (BGH ZIP 1985, 423; Pape ZIP 1991, 845; grundsätzlich dazu HK-Preß, § 77, Rz. 11 ff.). So liegt es im vorliegenden Fall.

Der auf Antrag der Mehrheitsgläubigerin gefasste Beschluss, den Zuschlag im Versteigerungstermin des Amtsgerichts Hann. Münden „rückabzuwickeln“, widerspricht bereits auf den ersten Blick den Gläubigerinteressen im hiesigen Insolvenzverfahren, denn unwidersprochen hat der Insolvenzverwalter in seinem Bericht festgestellt, dass das vom Schuldner ersteigerte Grundstück sehr günstig unter Verkehrswert ersteigert worden ist, so dass die Zahlung der Grundsteuer durch den Insolvenzverwalter zur Erfüllung dieses Übertragungsvorgangs sinnvoll und zum Wohle der Gläubigergemeinschaft geboten erscheint. Die Gläubigergemeinschaft gewinnt dadurch als Insolvenzmasse eine über den gezahlten Betrag von 5.000 € hinausgehende Masse, die der Durchführung des Insolvenzverfahrens und der Befriedigung der Gläubiger dient.

13Wenn denn nun das Finanzamt als Großgläubiger in diesem Verfahren durch Antragstellung und Abstimmungsverhalten diesen Massegegenstand wieder rück- abwickeln lassen will, verfolgt es insolvenzfremde Interessen, die nur damit erklärt werden können, dass offenkundig aus der gewünschten Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hinsichtlich des Zwangsversteigerungsverfahrens vor dem Amtsgericht Hann. Münden dem Finanzamt als dortigem Gläubiger Vorteile erwachsen sollen.

Damit ist im vorliegenden Fall eine Interessenkollision zwischen den Interessen des Großgläubigers, hier des Finanzamtes, und der Gläubigergemeinschaft klar erkennbar, so dass das Finanzamt bei der Stimmrechtsfeststellung für die Frage der Beschlussfassung auszuschließen war.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch der juristische Sinn der Beschlussfassung "Rückabwicklung Ersteigerung des Grundstücks" nicht erkennbar ist, denn das Verfahren vor dem Amtsgericht Hann. Münden dürfte in unanfechtbarer Weise bestandskräftig abgeschlossen sein, worin hier "Wiedereinsetzungsgründe" liegen sollen, bleibt unerfindlich. Damit dürfte der Auftrag an den Insolvenzverwalter auch auf eine rechtlich unmögliche Handlung hinauslaufen.

Gem. § 18 Abs. 3 Satz 3 RPflG war die Wiederholung der Abstimmung anzuordnen (vgl. AG Frankfurt NZI 2009, 441).