OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.04.2009 - 2 SsBs 48/09
Fundstelle
openJur 2012, 48928
  • Rkr:
Tenor

I. Das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 2.12.2008 wird aufgehoben.

II. Das Verfahren wird eingestellt.

III. Die Staatskasse hat die Verfahrenskosten in beiden Rechtszügen zu tragen, ferner die dem Betroffenen jeweils entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I. Der Betroffene war Inhaber eines Trockenbau-Betriebes. Eine Überprüfung des Betriebes am 14.3.2006 mit anschließender Überprüfung der Lohnmeldeunterlagen durch den Zoll ergab, dass der Betroffenen den tariflich zu zahlenden Mindestlohn nicht an seine Arbeitnehmer zahlte. Für Arbeitnehmer das Baugewerbes waren nach dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestlohns im Baugewerbe in Lohngruppe 1 (Helfer) ein Mindestlohn von 10,36 Euro (bis August 2005) bwz. 10,20 Euro (ab September 2005) brutto pro Stunde zu zahlen. Diesen Lohn unterschritt der Betroffene mehrfach, obwohl er bei zumutbarer Sorgfalt die Pflicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes hätte erkennen können und müssen.

Das Hauptzollamt … hat mit Schreiben vom 10.5.2007 ein Aktendoppel der Staatsanwaltschaft Osnabrück vorgelegt, da der Beschuldigte Sozialversicherungsbeiträge inklusive Säumniszuschlägen und Umlage in Höhe von insg. 2.594,68 Euro vorenthalten habe. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat daraufhin unter dem Aktenzeichen 403 JS 23405/07 ein Verfahren gegen den Betroffenen wegen in Betracht kommender Straftaten, insbesondere nach § 266 a StGB, eingeleitet. Mit. Schreiben vom 27.6.2007 hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück gegenüber dem Betroffenen erklärt, dass beabsichtigt sei, das Ermittlungsverfahren gegen Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von 300, Euro gem. § 153 a StPO einzustellen. Am 31.10.2007 hat der Betroffene die Geldauflage erfüllt. Mit Verfügung vom 8.11.2007 hat die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren endgültig eingestellt.

Das Hauptzollamt … hatte das Verfahren wegen Mindestlohnverstoßes weiter geführt. Mit Bescheid vom 30.11.2007 hat es gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 8.000, Euro verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen hin hat das Amtsgericht Osnabrück diesen durch Urteil vom 2.12.2008 wegen fahrlässiger Nichtzahlung des Mindestlohnes in acht Fällen (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG) zur Zahlung folgender Geldbußen verurteilt:

(1) betr. den Arbeitnehmer … 100, Euro,

(2) betr. den Arbeitnehmer … 300, Euro

(3) betr. den Arbeitnehmer … 500, Euro

(4) betr. den Arbeitnehmer … 300, Euro

(5) betr. den Arbeitnehmer … 200, Euro

(6) betr. den Arbeitnehmer … 100,Euro

(7) betr. den Arbeitnehmer … 50, Euro

(8) betr. den Arbeitnehmer … 300, Euro.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene fristgemäß Rechtsbeschwerde eingelegt. Durch Beschluss vom 9.4.2009 hat die Einzelrichterin in den Fällen 1, 5,6 und 7 die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache insgesamt gem. § 80 a auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, in den Fällen 2, 3, 4 und 8 bereits gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zulässig.

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in vollem Umfang Erfolg. Die Handlungen des Betroffenen können nicht mehr als Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden.

15Es kann dabei offenbleiben, ob es sich Nichtzahlung der Differenz zwischen vereinbartem und Mindestlohn (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG) und bei der unterlassenen Abführung der durch diese Differenz begründeten Sozialversicherungsbeiträge (§ 266a StGB) um eine gleichzeitige Handlung im Sinne von § 21 StGB handelt.

16Jedenfalls bilden beide Verstöße nur eine prozessuale Tat, weshalb durch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens und Erfüllung der Auflagen die Verfolgung auch als Ordnungswidrigkeit nicht mehr möglich ist.

17Mehrere sachlich-rechtliche selbständige Handlungen bilden dann eine Tat im prozessualen Sinn, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern nach den ihnen zugrunde liegenden Ereignissen bei natürlicher Betrachtung unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung verschiedenen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (BGH NJW 88, 1800). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es kann dahinstehen, ob generell Verstöße gegen § 266 a StGB und § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG eine prozessuale Tat bilden. Hier jedenfalls sind beide unmittelbar miteinander verknüpft, da beide unterlassenen Handlungen notwendige Konsequenzen der Unkenntnis des Betroffenen davon sind, dass er zur Zahlung eines Mindestlohns - einschließlich darauf zu entrichtender Sozialversicherungsbeiträge - überhaupt verpflichtet war. Es liegt deshalb ein einheitlicher Lebensvorgang, nämlich die Unkenntnis der Mindestlohnpflicht und der daraus folgenden Handlungspflichten, vor, dessen Verfolgung in zwei getrennten Verfahren eine unnatürliche Aufspaltung darstellt.

18Die Würdigung als einheitliche prozessuale Tat hat zur Folge, dass die Einstellung gem. § 153a StPO auch die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit hindert. Anders als bei § 153 StPO kann nicht für das Vergehen § 153 a StPO angewandt und die Ordnungswidrigkeit geahndet werden, da zwar keine Strafe verhängt, aber dennoch eine Sachentscheidung mit strafrechtlicher Sanktion enthält. Die Vorschrift des § 153 a StPO kann auf eine prozessuale Tat nur einheitlich angewendet werden (Löwe-Rosenberg-Beulke, StPO, 26. Aufl., § 153 a Rn. 16). Das nach Erfüllung der übernommenen Pflichten entstandene Verfahrenshindernis erstreckt sich deshalb unstreitig auch auf den rechtlichen Gesichtspunkt der Ordnungswidrigkeit (Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 153 a Rn. 35. Löwe-Rosenberg-Beulke, StPO, 26. Aufl., § 153 a Rn. 27. jew. m.w.N.). Da hier die Verfahren tatsächlich getrennt worden sind, hat die Einstellung gem. § 153 a StPO als erste rechtskräftige Entscheidung Sperrwirkung für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 15. Aufl., Vor § 59 Rn. 50).

Dieses Verfahrenshindernis ist auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu beachten (OLG Jena, NStZ-RR 2006, 319).

Da das angefochtene Urteil somit nicht hätte ergehen dürfen, sondern das Amtsgericht das Verfahren gem. § 206 a bzw. § 260 Abs. 3 StPO hätte einstellen müssen, war das Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen (§§ 354 Abs. 1, § 206 a StPO , § 79 Abs. 3 OWiG). Die Aufhebung des Urteils dient der Klarstellung.

Da das Verfahrenshindernis schon zu der Zeit bestanden hat, als das Amtsgericht mit der Sache befasst wurde, ist es angebracht, der Staatskasse die in beiden Rechtszügen entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen, § 46 Abs. 1 OWiG i.v.m. § 467 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. die Verfahrenskosten waren insgesamt der Staatskasse aufzuerlegen, § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.