VG Oldenburg, Urteil vom 25.02.2009 - 11 A 1907/07
Fundstelle
openJur 2012, 48691
  • Rkr:

Der Einbürgerung des Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen steht § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG entgegen, wenn ein Anspruch auf Leistungen nch dem SGB II besteht und Wohngeld bezogen wird (wie VG Oldenburg, Urteil vom 12. Dezember 2001 - 11 A 4238/00 - Nds. Rpfl. 2002, 155).Ein Härtefall im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG ist nur dann anzunehmen, wenn die Unbilligkeit der Verweigerung der Einbürgerung besonders ins Auge fällt. Allein, dass eine Sozialleistungsbedürftigkeit unverschuldet ist, ist hierfür nicht ausreichend.

Tatbestand

Die Kläger sind türkische Staatangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit yezidischen Glaubens. Die Klägerin zu 1) ist am 25. November 1969 geboren, die Kläger zu 2) bis 6) sind ihre zwischen 1992 und 1998 zur Welt gekommenen Kinder. Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der übrigen Kläger ist Herr K. (geboren am 1. August 1973). Dieser stammt ebenfalls aus der Türkei, ist 1992 als Asylberechtigter anerkannt und am 2. Juli 2001 von der Beklagten eingebürgert worden. Die Klägerin zu 1) hat er am 14. April 1993 geheiratet. Aus der Ehe sind weitere vier zwischen 1989 und 1990 sowie in den Jahren 2000 und 2006 geborene Kinder hervorgegangen. Die beiden jüngsten sind bereits aufgrund ihrer Geburt deutsche Staatsangehörige, die 1989 zur Welt gekommene Tochter ist eingebürgert und dem 1990 geborenen Sohn von der Beklagten eine Einbürgerungszusicherung erteilt worden.

Die Klägerin zu 1) reiste am 25. Juni 1986 in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt nach negativem Ausgang ihres Asylverfahrens am 27. Dezember 1990 von der Stadt D. für die Dauer eines halben Jahres eine Aufenthaltserlaubnis nach einer Bleiberechtsregelung. In der Folgezeit ist sie zunächst geduldet worden und hat nach ihrer Heirat am 17. Dezember 1993 vom Landkreis B. eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erhalten, welche mehrfach, zuletzt von der Beklagten bis zum 22. März 2009 verlängert wurde. Die übrigen Kläger besitzen seit dem 26. März 1998 bzw. 25. Januar 2000 Aufenthaltserlaubnisse zum Kindernachzug, welche zuletzt ebenfalls bis zum 22. März 2009 verlängert worden sind.

Am 6. Juni 2006 haben die Kläger bei der Beklagten ihre Einbürgerung beantragt.

Mit Bescheid vom 5. Juni 2007 lehnte die Beklagte dies ab. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden: Die Klägerin zu 1) könne nicht nach § 10 StAG eingebürgert werden, da sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Die Klägerin zu 1) habe selbst angegeben, dass sie weder Lesen noch Schreiben könne. Auf eine Sprachprüfung sei daher einvernehmlich verzichtet worden. Seither habe sie keine Nachweise darüber erbracht, dass sie sich um die Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse bemüht habe. Da eine mündliche Verständigung mit der Klägerin zu 1) möglich sei, sei eine Einbürgerung gem. §§ 8 f. StAG zwar grundsätzlich möglich. Indes sei ihr Lebensunterhalt nicht ohne öffentliche Mittel gesichert. Die Familie der Kläger beziehe seit dem 1. März 2000 durchgehend Wohngeld und erhalte derzeit einen Betrag in Höhe von 471,-- € monatlich. Das Einkommen des Ehemannes bzw. Vaters schwanke, bleibe aber grundsätzlich unter 1.000,-- € im Monat. Es sei daher nicht erkennbar, dass eine nachhaltige Sicherung des Lebensunterhalts ohne öffentliche Mittel möglich sei. Dass die Kläger die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht zu vertreten hätten, sei ohne Bedeutung. Daher könnten auch die übrigen Kläger nicht miteingebürgert werden; auch stehe ihnen kein eigener Einbürgerungsanspruch zu.

Hiergegen haben die Kläger am 5. Juli 2007 Klage erhoben.

Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Die Klägerin zu 1) beherrsche die deutsche Sprache zwar nicht in schriftlicher Form. Sie könne sich aber auf mündliche Art verständigen. Sie sei Analphabetin, aber dennoch in der Lage die Angelegenheiten des täglichen Lebens zu regeln, insbesondere auch Behördengänge zu absolvieren. Unter Berücksichtigung einer einheitlichen Staatsangehörigkeit der Familie sei dies ausreichend. Der Bezug von Wohngeld sei unerheblich. Lediglich Leistungen nach den SGB II und XII stünden einer Einbürgerung entgegen. Eine gegenteilige Entscheidung der erkennenden Kammer sei nicht übertragbar, da es sich um den Fall einer russischen Staatsangehörigen gehandelt habe, die erst drei Jahre in Deutschland gelebt habe. Die Beklagte habe ihr Ermessen nicht zutreffend ausgeübt. Ihr Ehemann bzw. Vater sei bereits eingebürgert. Dieser übe eine Vollzeitbeschäftigung aus. Ein höheres Einkommen könne er aufgrund seiner geringen Qualifikation nicht erzielen. Die Klägerin zu 1) habe minderjährige Kinder zu erziehen, so dass eine Erwerbstätigkeit nicht möglich sei. Sie hätten auch ein Einfamilienhausgrundstück mit einem Verkehrswert von über 200.000,-- €. Dadurch sei der Lebensunterhalt im Alter gesichert. Sie lebe auch schon über 20 Jahre in Deutschland und sei hier integriert. Die übrigen Kläger seien hier geboren und aufgewachsen. Sie beherrschten die deutsche Sprache einwandfrei.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 5. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihnen eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erwidert im Wesentlichen: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts reiche die Fähigkeit, sich in mündlicher Form in deutscher Sprache zu verständigen für eine Einbürgerung nach § 10 StAG nicht aus. Analphabetismus könne nur im Rahmen einer Ermessenseinbürgerung von Bedeutung sein. Die Klägerin zu 1) lebe im Übrigen seit dem 16. Lebensjahr in Deutschland und hätte sich deshalb ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache aneignen können. Sie habe damit den Anspruchsausschluss selbst zu vertreten. Einer Ermessenseinbürgerung stehe entgegen, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht ohne öffentliche Mittel bestreiten könne. In der Rechtsprechung der erkennenden Kammer sei geklärt, dass hierzu auch ein Wohngeldbezug zähle. Eine besondere Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG sei nicht ersichtlich. Es bestehe auch kein eigenständiger Einbürgerungsanspruch der Kläger zu 2) bis 6), da sie noch die türkische Staatsangehörigkeit besäßen. Nach türkischem Recht könnten minderjährige Kinder nur zusammen mit ihren Eltern aus der Staatsangehörigkeit entlassen werden.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet, da die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung haben. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Zu Grunde zu legen sind gem. § 40 c StAG allerdings die §§ 8 bis 14 in der vor dem 28. August 2007 geltenden Fassung des Gesetzes (StAG a.F.), soweit sie günstigere Bestimmungen enthalten. Die Kläger haben ihre Einbürgerung nämlich vor dem 30. März 2007 beantragt.

Die Klägerin zu 1) hat keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG a. F.

15Sie besitzt nicht, wie in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a. F. vorausgesetzt, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 20. Oktober 2005 - 5 C 8.05 - BVerwGE 124, 268 <272 f.>), der die Kammer folgt, ist geklärt, dass auch Kenntnisse der deutschen Schriftsprache erforderlich sind. Trotz der hohen Zahl von 4 Mio. Personen, die in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben können, bildet deren hinreichende Beherrschung die gesellschaftliche Regel und Analphabetismus deshalb ein Integrationshindernis. Angesichts des gesetzgeberischen Spielraums ist es auch mit höherrangigem Recht vereinbar, diesen Normalfall zu Grunde zu legen. Der Einbürgerungsbewerber muss deshalb im familiär-persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden in der Lage sein, schriftlich zu verkehren. Erforderlich ist danach u. a. in deutscher Sprache verfasste Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und den sachlichen Gehalt zumindest von Texten einfacheren Inhalts aufgrund der Lektüre so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet und verständig reagiert werden kann. Diese Anforderungen erfüllt die Klägerin zu 1) ersichtlich nicht. Nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten kann sie zwar die deutsche Sprache sprechen, ist jedoch als Analphabetin nicht in der Lage Texte zu lesen.

Die Klägerin zu 1) hat auch als Ehepartner eines deutschen Staatsangehörigen keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 9 i.V.m. § 8 StAG a.F.

17Zutreffend gehen die Beteiligten zwar davon aus, dass die Einordnung der Klägerin zu 1) in die deutschen Lebensverhältnisse in sprachlicher Hinsicht (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG a. F.) gewährleistet ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. März 1988 - 1 C 55.86 - BVerwGE 79 , 94 <97 ff.>) sind im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie bei deutschen Ehepartnern die Anforderungen insoweit nicht hoch anzusetzen. Der Einbürgerungsbewerber muss sich mit den deutschen Lebensverhältnissen zurechtfinden und ohne nennenswerte Probleme im Alltagsleben verständigen können. Maßgeblich ist dabei vor allem das Sprechen und Verstehen, zumal dann, wenn - wie hier - das Lesen nicht Teil des alltäglichen Lebens ist.

Der Einbürgerung nach §§ 8 f. StAG a.F. steht aber entgegen, dass die Klägerin zu 1) nicht imstande ist, sich und ihre Angehörigen zu ernähren (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG).

19Dies ergibt sich zunächst deshalb, weil die Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1999 - 1 C 16.98 - BVerwGE 109, 142 <143>; Beschluss vom 10. Juli 1997 - 1 B 141.97 - NVwZ 1998, 183; Beschluss vom 5. Mai 1997 - 1 B 94.97 - NVwZ-RR 1997, 738; Urteil vom 27. Februar 1958 - 1 C 99.56 - BVerwGE 6, 207, <209>). Dabei ist zum einen unerheblich, ob dies von dem Betroffenen zu vertreten ist. Denn § 8 StAG sieht, anders als § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG, insoweit keine Ausnahme vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1999 a.a.O.. S. 144; VGH München, Beschluss vom 21. April 2004 - 5 ZB 03.1744 - <juris, Rn. 15>; OVG Berlin, Beschluss vom 9. Oktober 1995 - 5 M 25.95 - <juris>). Zum anderen ist auch nicht maßgeblich, ob tatsächlich Leistungen nach dem SGB II bezogen werden; einer Einbürgerung steht vielmehr bereits ein Anspruch hierauf entgegen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 23. Juli 1998 - 13 S 2212/96 - InfAuslR 1998, 509 <511>). Es wäre anderenfalls möglich, dass nach der Einbürgerung Sozialhilfeansprüche geltend gemacht werden und damit das gesetzgeberische Ziel, eine Einwanderung in die Sozialsysteme zu vermeiden, nicht erreichbar.

Nach ihren Angaben im Schriftsatz vom 12. Februar 2009 und in der mündlichen Verhandlung ergibt sich für die Familie der Kläger ein Bedarf in Höhe von insgesamt 3 539,43 € . Dieser errechnet sich aus den Regelleistungen für zwei volljährige Personen (je 312,-- €), fünf Personen zwischen 14 und 25 Jahren (je 277,-- €) und vier Personen bis 13 Jahren (je 208,-- €). Hinzu kommen Unterkunfts- und Heizungskosten (monatlich 698,43 €). Dem stehen lediglich anrechenbare Einkünfte in Höhe von 3 116,11 € gegenüber. Das durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen des Ehemannes und Vaters der Kläger beträgt derzeit 1394,92 €. Hiervon sind allerdings der Freibetrag für Erwerbstätigkeit gem. §§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6, 30 SGB II in Höhe von 199,49 € und die Pauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II in Höhe von 100,-- € abzuziehen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 - InfAuslR 2009, 8 <10 ff.>). Der Sohn bzw. Bruder der Kläger E. erhält eine monatliche Ausbildungsvergütung in Höhe von 417,-- €, wovon nach den genannten Bestimmungen 163,40 € in Abzug zu bringen ist. Hinzu kommt das monatliche Kindergeld in Höhe von 1668,-- €. Das selbst genutzte Hausgrundstück ist nicht als Vermögen zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II).

Darüber hinaus steht nach der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 12. Dezember 2001 - 11 A 4238/00 - Nds. Rpfl. 2002, 155), an der festzuhalten ist, der Einbürgerung der Wohngeldbezug der Kläger in Höhe von derzeit 664,-- € monatlich entgegen. Wohngeld ist - ähnlich wie Sozialhilfe - eine staatliche Leistung ist, die gewährt wird, wenn das Familieneinkommen bestimmte Höchstgrenzen nicht erreicht, um dem Wohnungsinhaber zur Vermeidung sozialer Härten durch Zuschüsse ein Mindestmaß an Wohnraum und damit einen existenziellen Bedarf wirtschaftlich zu sichern (vgl. auch § 1 Abs. 1 WoGG). Wohngeld wird ebenso wie die Sozialhilfe unter individuellen einkommensabhängigen Bedingungen bewilligt und ist daher eine mit der Sozialhilfe zweckidentische Leistung, die bei Berechnung der Unterhaltsfähigkeit nicht dem Familieneinkommen zugerechnet wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. November 1996 - 1 B 189.96 - InfAuslR 1997, 156 <157>; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Dezember 2005 - 11 ME 373/05 - <juris, Rn. 11>; VGH Mannheim a.a.O.). Es unterscheidet sich damit wesentlich etwa von dem Erhalt von Kindergeld, welches einkommensunabhängig gewährt wird. Es stellt auch keine Sicherungsleistung dar, die wenigstens teilweise auf Leistungen oder erworbenen Rechtspositionen des Anspruchsberechtigten beruht. In systematischer Hinsicht kommt hinzu, dass § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG - anders als § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG - keine Beschränkung auf bestimmte Sozialleistungen enthält. Für die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung spricht auch, dass die Kläger mit dem Wohngeld im Wesentlichen ihren nach dem SGB II noch bestehenden Bedarf decken (vgl. auch VG Trier, Beschluss vom 23. Mai 2006 - 5 K 163/06.TR- <juris, Rn.9>; offen mit Tendenz zur Bejahung: OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. Mai 2004 - 13 LB 134/02 -).

Von der Unterhaltsfähigkeit kann auch nicht gem. § 8 Abs. 2 StAG abgesehen werden. Eine besondere Härte liegt vor, wenn es den Betroffenen unter Berücksichtigung aller persönlichen Umstände erheblich stärker als andere treffen würde, dass die Einbürgerung versagt wird (vgl. Marx in: GK-StAG, Stand: Mai 2006, Rn. 107.11 zu § 8). Dies ist nur in Fällen anzunehmen, in denen die Unbilligkeit der Verweigerung der Einbürgerung besonders ins Auge fällt. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S. 116) ist als Beispielsfall aufgeführt, dass eine Ehefrau aufgrund einer Einbürgerungszusicherung bereits aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen wurde, ihr Ehemann dann jedoch unverschuldet seinen Arbeitsplatz verliert. Allein der Umstand, dass die Bedürftigkeit nicht zu vertreten ist, reicht mithin zur Annahme einer besonderen Härte nicht aus, zumal es sonst nahe gelegen hätte, dass der Gesetzgeber insoweit - wie in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG - einen speziellen Ausnahmetatbestand geschaffen hätte.

Ein solcher atypischer Fall ist hier nicht anzunehmen. Zwar geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin zu 1) die fehlende Unterhaltsfähigkeit nicht zu vertreten hat. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass ihre Einbürgerung nach § 10 StAG - wie ausgeführt - daran scheitert, dass sie die deutsche Schriftsprache nicht erlernt hat. Dies wäre ihr im Laufe ihres langjährigen Aufenthalts jedoch möglich gewesen. Sie ist bereits im Alter von 16 Jahren nach Deutschland gekommen ist. Sie hätte zur besseren Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse etwa einen Alphabetisierungskurs besuchen können. Die übrigen Kläger und damit der überwiegende Teil der Familie sind zudem noch keine deutschen Staatsangehörigen. Die Klägerin zu 1) ist auch noch im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit und daher nicht staatenlos.

Die Kläger zu 2) bis 6) haben dementsprechend keinen Anspruch auf eine Miteinbürgerung (§ 10 Abs. 2 StAG). Sie können aber auch nicht eigenständig eingebürgert werden.

Dem steht § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG entgegen, weil sie noch die türkische Staatsangehörigkeit besitzen und deren Aufgabe derzeit nicht möglich ist. Denn - wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist - können Minderjährige nach türkischem Recht die Entlassung nur zusammen mit ihren Eltern beantragen (vgl. auch VG Stuttgart, Urteil vom 15. Januar 2003 - 7 K 3145/02 - <juris>). Hiervon ist in solchen Fällen auch nicht gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bzw. Nr. 3 2. Fall StAG abzusehen (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 15. Januar 2003 a.a.O. <Rn. 20>; Berlit, in: GK-StAR, Stand: November 2005, Rn. 37 ff und 166 f. zu § 12). Die frühere bis zum 31. Dezember 2004 geltende Regelung des § 87 Abs. 5 AuslG, die in solchen Fällen die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung vorsah, ist nicht in das StAG übernommen worden.

Allerdings wird in der behördlichen Praxis Kindern, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Einbürgerungszusicherung erteilt. Da die Beklagte sich bereit erklärt hat, vor diesem Hintergrund das Einbürgerungsbegehren der Klägerin zu 2), die Anfang des kommenden Jahres das 18. Lebensjahr vollendet, gesondert zu prüfen und ggf. eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen, besteht derzeit jedoch kein rechtlich anerkennenswertes Bedürfnis insoweit eine gerichtliche Entscheidung zu treffen.

Die Kläger zu 2) bis 6) haben aus den oben für die Klägerin zu 1) genannten Gründen auch keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 StAG.