SG Braunschweig, Urteil vom 13.11.2008 - S 20 SO 13/06
Fundstelle
openJur 2012, 48220
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin ab dem 1. November 2007 Grundsicherungsleistungen zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Die 1946 geborene Klägerin bezieht eine Rente der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Höhe von 357,13 € monatlich. Ihr Ehemann erhält Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch die ARGE Braunschweig in Höhe von 552,79 € (darin enthalten: Kosten der Unterkunft in Höhe von 241,79 €). Weiterhin verfügte der Ehemann der Klägerin über eine im Februar 1974 abgeschlossene Lebensversicherung bei der "B. Lebensversicherung Aktiengesellschaft", die laut Gewinnstandsmitteilung vom 1. März 2005 ein Gesamtguthaben in Höhe von 19.372,21 € aufwies.

Anfang 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung, da sie ihren Anteil an den Wohn- und Heizkosten der Ehewohnung aus ihren Rentenbezügen nicht bestreiten könne. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 2005 mit der Begründung ab, ihr Ehemann verfüge über verwertbares Vermögen in Form der Lebensversicherung, dessen Verwertung keine besondere Härte bedeute und nach Abzug des Schonbetrages vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhaltes einzusetzen sei.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2005 mit der Begründung zurück, bei dem Rückkaufwert der Lebensversicherung handele es sich um Vermögen, das sofort verwertbar sei. Die streitgegenständliche Versicherung diene nicht der zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des § 10 oder des Abschnitts XI des Einkommenssteuergesetzes und ihre Ansammlung werde nicht staatlich gefördert. Einer Verwertbarkeit stehe nicht entgegen, dass die Lebensversicherung nach dem SGB II nicht für den Lebensunterhalt eingesetzt werden müsse, da der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der verschiedenen Sozialleistungen einen Gestaltungsspielraum habe, der es ihm gestatte, die Vermögensfreibeträge für die einzelnen Sozialleistungen unterschiedlich zu regeln.

Am 16. Januar 2006 hat die Klägerin hiergegen vor dem erkennenden Gericht Klage erhoben und trägt zur Begründung vor, für ihren Ehemann stelle es eine Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, zwölftes Buch (SGB XII) dar, seine zur eigenen Altersabsicherung angesparte Lebensversicherung für die Grundsicherung seiner Ehefrau verbrauchen zu müssen, da ihm dann diese Mittel für sein eigenes Rentenalter nicht zur Verfügung stünden und eine eigene soziale Abhängigkeit im Rentenalter die Folge wäre. Die langfristige Lebensplanung würde durch einen Einsatz der Lebensversicherung durchbrochen und stelle insbesondere vor dem Hintergrund, dass ihr Ehemann als Empfänger von Arbeitslosengeld II-Leistungen nur eine kleine Rente zu erwarten habe, eine besondere Härte dar. Eine Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung sei bei einem Verbrauch der Versicherungsleistung nicht mehr gewährleistet.

Auch sei zu beachten, dass sie und ihr Ehemann bereits bei der Eheschließung durch die Vereinbarung von Gütertrennung zum Ausdruck gebracht hätten, dass die streitgegenständliche Versicherung ihres Ehemannes allein für dessen Altersabsicherung gedacht sei. Auch werde ihr Ehemann gegenüber anderen Arbeitslosenhilfeempfängern benachteiligt, da dieser Personengruppe eigentlich durch die Schaffung anderer Freibeträge die Möglichkeit gegeben werden solle, eine Altersabsicherung aus eigener Kraft zu gewährleisten.

Nach Klageerhebung ist die Versicherungssumme in Höhe von 20.601,94 € an den Ehemann der Klägerin ausgezahlt worden.

Hierzu trägt die Klägerin vor, dass ihrem Ehemann zum Auszahlungszeitpunkt der Versicherungssumme nur noch ein Teilbetrag zur Verfügung gestanden habe. Ein Betrag in Höhe von 10.000,- € sollte zur Rückzahlung von Darlehen an den Sohn und die Tochter verwendet werden, die ihnen im Zeitraum Januar 2001 bis September 2002 monatliche Darlehen in Höhe von 300,- bzw. 200,- DM bis zu ihrem Rentenantritt und in Höhe von 5.000,- € für die Anschaffung eines neuen Autos im Jahr 2004 gewährt hätten.

Nach Ablehnung des Grundsicherungsantrages durch die Beklagte sei wiederum eine darlehensweise monatliche Unterstützung durch die Tochter vereinbart worden, woraus sich eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 2.500,- € entwickelt habe. Daneben seien weitere Kosten für die Erneuerung des Bodenbelages in der ehelichen Wohnung und für einen Urlaub zum 60. Geburtstages ihres Ehemannes entstanden, so dass seit Januar 2007 nur noch ein Betrag in Höhe von 3.200,- € aus der Lebensversicherung zur Verfügung stehe.

Am 25. Mai 2007 beantragte die Klägerin erneut bei der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 mit dem Verweis auf den Schonbetrag übersteigendes, vorrangig einzusetzendes Vermögen ab.

Hiergegen legte die Klägerin unter dem 22. November 2007 mit der Begründung Widerspruch ein, dass der vorhandene PKW nach § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII nicht in die Berechnung einzubeziehen sei, da es sich um angemessenen Hausrat handele. Darüber hinaus habe er nur einen Wert von 1.600,- €. Weiterhin habe sich das Barvermögen ihres Ehemannes um 2.200,- € auf Grund von Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber der Tochter verringert.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2008 wiederum mit dem Hinweis auf einzusetzendes Vermögen in Höhe von insgesamt 1.723,19 € zurück. Bei einem PKW handele es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2002 - 7 G 2857/02 -) nicht um angemessenen Hausrat, sondern um einen geldwerten Vermögensgegenstand, der selbst nicht geschützt sei, sondern nur dessen Geldwert bis zur maßgebenden Grenze nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Darüber hinaus sei ihr Ehemann verpflichtet gewesen, seine Mittel zur Deckung ihres Bedarfs einzusetzen, bevor er der Verpflichtung zur Rückzahlung seiner Schulden nachkomme. Die Sozialhilfe diene nicht dazu, einen Hilfesuchenden von seinen Schuldverbindlichkeiten zu entlasten. Wenn Notstände bereits mit anderen Mitteln behoben worden seien, ggf. durch die Aufnahme von Schuldverbindlichkeiten, verpflichte dies nicht zur Hilfeleistung.

Im Rahmen einer Klageerweiterung geht die Klägerin auch hiergegen vor und führt zur Begründung aus, dass die Mietkaution nicht zum verwertbaren Vermögen gezählt werden könne, da sie ihr und ihrem Ehemann zu Lebzeiten nicht zur Verfügung stehen werde und sie keine reelle Möglichkeit habe, dieses Vermögen einzusetzen. Außerdem sei zu beachten, dass ihr Ehemann keine Aussicht gehabt habe, seine Rückzahlungsverpflichtungen zu erfüllen, wenn er dies nicht getan hätte, so lange ihm noch Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Zwangsläufig hätte er dann Privatinsolvenz anmelden müssen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2005 sowie des Bescheides vom 24. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2008 zu verpflichten, ihr Leistungen der Grundsicherung ab Antragsstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie auf den angegriffenen Widerspruchsbescheid und die diesbezügliche Vorlage für den Widerspruchsbeirat Bezug und führt weiter aus, dass die streitgegenständliche Härtefallregelung auf atypische Fälle abstelle. Die Tatsache, dass der Ehemann der Klägerin Bezieher von ALG II Leistungen sei, reiche für das Vorliegen einer besonderen Situation in diesem Sinne nicht aus. Da die inzwischen ausgezahlte Lebensversicherung eine reine Lebensversicherung ohne alternative Möglichkeit einer monatlichen Auszahlung darstelle, sei sie nicht mit einer rentenähnlichen Leistung vergleichbar. Ein eventueller finanzieller Engpass im Rentenalter des Ehemannes der Klägerin, der zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht feststehe, könne vor dem Hintergrund der Versicherungssumme von rund 20.000,- € nicht zur Anerkennung eines aktuellen Bedarfs der Klägerin führen.

Ein Härtefall auf Grund der Fallkonstellation, dass ein Ehepartner Grundsicherung für Arbeitssuchende beziehe und der andere Sozialhilfe nach dem SGB XII beanspruche, sei nicht gegeben. Wegen der Vielzahl solcher Fälle handele es nicht um einen atypischen Fall. Auch wenn der Ehepartner nicht anspruchsberechtigt nach dem SGB II sei, sondern ein - ggf. den Anspruch nur geringfügig übersteigendes - Arbeitseinkommen erziele und der andere Partner Leistungen nach dem SGB XII begehre, könne sich der Ehepartner, der das Erwerbseinkommen erziele, nicht auf die Vermögensfreibeträge nach § 12 SGB II berufen. Auch sein den Schonbetrag übersteigendes Einkommen sei im Rahmen der Bedarfsprüfung des Sozialhilfe beantragenden Ehegatten gemäß § 90 SGB XII vorrangig einzusetzen.

Es stehe der Klägerin und ihrem Ehemann frei, ihr geschütztes Vermögen zur Tilgung von Schuldverbindlichkeiten zu nutzen, es sie jedoch unzulässig, das Vermögen durch Schuldentilgung so zu vermindern, dass keine weiteren Mittel zur Deckung des Lebensunterhaltes zur Verfügung ständen und somit vorsätzlich eine Sozialhilfebedürftigkeit herbeizuführen.

Außer der Gerichtsakte hat die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten und die Sitzungsniederschrift vom 13. November 2008 ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang begründet.

Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind insoweit rechtmäßig, wie der Antrag der Klägerin auf die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2007 abgelehnt wurde, und verletzen die Klägerin insoweit nicht in ihren Rechten.

Sie sind insoweit rechtswidrig, wie der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab dem 1. November 2007 verwehrt wurden. Ab diesem Zeitpunkt hat die Klägerin einen Anspruch auf die beantragten Leistungen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 41 Abs. 2 SGB XII im Zeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2007, da sie in diesem Zeitraum in der Lage war, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

Nach den Vorgaben des gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB XII bezüglich der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen anwendbaren § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhält derjenige Hilfe zum Lebensunterhalt, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen im Sinne des § 90 SGB XII bestreiten kann. Hierbei ist bei nicht getrennt lebenden Ehegatten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB XII das Vermögen beider Ehegatten gemeinsam zu berücksichtigen. Dabei ist es unerheblich, welchen Güterstand die Ehegatten bei der Eheschließung vereinbart haben. Einzusetzen ist nach § 90 Abs. 1 SGB XII das gesamte verwertbare Vermögen.

Der Klägerin stand im genannten Zeitraum verwertbares Vermögen in Form der Lebensversicherung ihres Ehemannes in den Schonbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII übersteigender Höhe zur Verfügung.

Der Ehemann der Klägerin verfügte über eine Lebensversicherung bei der B. Lebensversicherung AG. Im Falle einer vorzeitigen Beendigung des Versicherungsvertrages wäre ausweislich der Gewinnstandsmitteilung vom 1. März 2005 (Bl. 20 d.A.) zu diesem Zeitpunkt ein Betrag in Höhe von 17.917,55 € (Gesamtguthaben abzüglich der Schlussgewinne) zur Auszahlung gebracht worden.

Eine Verwertung dieser Versicherung war nicht nach § 90 Abs. 2 Ziff. 2 SGB XII ausgeschlossen, da es sich nicht um eine staatlich geförderte Form der Altersvorsorge im Sinne dieser Norm handelte.

Einer Verwertung der Versicherung des Ehemannes der Klägerin bis zur Freigrenze stand auch nicht die Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII entgegen, wonach die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung des Vermögens abhängig gemacht werden darf, soweit dies für denjenigen, der das Vermögen einzusetzen hat, und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde.

Die Verwertung stellt nicht bereits deswegen eine Härte dar, weil diese Versicherung nach dem Vorbringen der Klägerin zur alleinigen Altersvorsorge ihres Ehemannes bestimmt war. Kapitallebensversicherungen der vorliegenden Art dienen der Bildung von Kapital, das nach Ablauf der Vertragsdauer dem Versicherungsnehmer ohne jede Zweckbindung frei zur Verfügung steht. Die Absicht, das freiwerdende Kapital zur Altersversorgung zu verwenden, rechtfertigt es nicht, dieses Kapital aus dem verwertbaren Vermögen herauszunehmen (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 12 B 04.3551 -). Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 51/04 R -) zum Verwertungsschutz einer Kapitallebensversicherung bei Beziehern von Leistungen der Arbeitslosenhilfe, der zufolge es im Rahmen der Härtefallprüfung darauf ankommt, ob die Lebensversicherungsverträge nach der subjektiven Zweckbestimmung des Versicherungsnehmers der Altersvorsorge dienen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf das Sozialhilferecht nicht zu übertragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 2004 - 5 C 3/03 -).

Auch der mögliche wirtschaftliche Verlust bei einer vorzeitigen Auflösung der streitgegenständlichen Versicherung hätte keine Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII begründet. Ausweislich der genannten Gewinnstandsmitteilung hätte dieser Verlust lediglich etwa 8% betragen, in der obergerichtlichen Rechtsprechung wird jedoch selbst ein Verlust in Höhe von 45% bis zu 50% als zumutbar angesehen (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 12 B 04.3551 -; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7/96 -).

Von einem Härtefall ist auch nicht deswegen auszugehen, weil der Ehemann der Klägerin, der Leistungen nach dem SGB II bezieht, nach der Maßgabe des § 12 Abs. 2 Ziff. 1 SGB II nicht verpflichtet ist, die vom ihm geführte Kapitallebensversicherung zur Bestreitung seines eigenen Lebensunterhaltes zu verwenden. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die im Anwendungsbereich des SGB II geltenden Vermögensfreibeträge höher sind, um Anreize für die Wiederaufnahme einer Arbeit zu schaffen, und dieser Zweck unterlaufen werden könnte, wenn die Versicherung des Ehemannes zu Gunsten der Klägerin verwertet werden müsse. Es handelt sich bei der vorliegenden Fallkonstellation jedoch nicht um einen atypischen Einzelfall. So ist mit der gegebenen Fallkonstellation die Situation nicht getrennt lebender Ehegatten vergleichbar, bei denen ein Partner Arbeitseinkommen erzielt und keine Leistungen nach dem SGB II bezieht, während der andere Partner dem Anwendungsbereich des SGB XII unterfällt. Auch in einem solchen Fall kann sich der Arbeitseinkommen erzielende Ehepartner im Rahmen des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nicht auf die Vermögensfreibeträge nach § 12 SGB II berufen. Sein Vermögen ist bei der Bedarfsprüfung des Ehegatten, der Sozialhilfeleistungen begehrt, gemäß §§ 19 Abs. 1 Satz 2, 43 Abs. 1, 90 SGB XII zu berücksichtigen. Würden hingegen auch all diese Fälle wie der soeben umschriebene in den Anwendungsbereich des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII einbezogen, würde diese Vorschrift als Härtefallnorm zur Herbeiführung der Einzelfallgerechtigkeit bei atypischen Fallgestaltungen überdehnt. Als Ausnahmevorschrift ist sie aber eng auszulegen (vgl. zum Ganzen SG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2007 - S 51 SO 249/07 ER - zitiert nach juris).

Dass die Klägerin und ihren Ehemann die Verwertung der streitgegenständlichen Lebensversicherung aufgrund individueller Besonderheiten sachlich oder persönlich ungewollt härter träfe als andere Ehepaare in einer vergleichbaren Situation, ist weder dargetan, noch sonst ersichtlich. Gegen das Vorliegen eines atypischen besonderen Härtefalles spricht darüber hinaus, dass von einer erneuten Arbeitsaufnahme des ebenfalls im Jahr 1946 geborenen Ehemannes der Klägerin nicht auszugehen und dem genannten Zweck der erhöhten Vermögensfreibeträge im Rahmen des SGB II daher im vorliegenden Fall kein vorrangiges Gewicht beizumessen ist.

Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass verwertbares Vermögen der Klägerin jedoch nur bis zum 31. Oktober 2007 vorhanden war.

Nach der Auszahlung der Versicherungssumme der streitgegenständlichen Versicherung wurde diese von den Eheleuten zur Begleichung von Schulden gegenüber ihren Kindern, für Renovierungsarbeiten in der Wohnung sowie für eine Urlaubreise anlässlich des 60. Geburtstages des Ehemannes der Klägerin verwendet.

Die Kammer hält es für äußerst zweifelhaft, dass die Klägerin durch diese Ausgaben die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, sie kann dies jedoch dahinstehen lassen, da auch dann, wenn sich jemand seines verwertbaren Vermögens bewusst begeben und dadurch die Sozialhilfebedürftigkeit herbeigeführt hat, ein Anspruch nicht ausgeschlossen ist und dem Sozialhilfeträger nur die Handhabe der §§ 26 Abs. 2 und § 103 Abs. 1 SGB XII zur Verfügung steht (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, Sozialhilfe, Kommentar, § 90 RN. 13).

Nach der dem ablehnenden Bescheid zu Grunde liegenden Vermögensberechnung der Beklagten (Bl. 161 der Verwaltungsakte) stand der Klägerin und ihrem Ehemann zum Zeitpunkt des Bescheides einzusetzendes Vermögen in Höhe von 1.134,93 € zur Verfügung. Dieses berechnete sich wie folgt:

Guthaben Girokonto:                       110,86 €

Mietsicherheit/Kaution:                      964,19 €

Sparbuch:                                       1.228,88 €

Lebensversicherung 1:                      104,00 €

Lebensversicherung 2:                        41,00 €

Kraftfahrzeug:                                 1.900,00 €

Gesamtbetrag Vermögen:              4.348,93 €

Gesamtfreibetrag:                           3.214,00 €

Einzusetzendes Vermögen:           1.134,93 €

Die Berücksichtigung des Wertes des Kraftfahrzeuges als Vermögen ist nicht zu beanstanden. Ein Kraftfahrzeug ist nicht im Rahmen des § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII als angemessener Hausratsgegenstand geschützt (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. April 2003 - 12 A 5156/00 - zitiert nach juris).

Nach der Überzeugung der Kammer kann jedoch die Mietkaution nicht zum verwertbaren Vermögen gerechnet werden.Die Frage der Verwertbarkeit im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII beurteilt sich unter rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten; der Vermögensinhaber muss über das Vermögen verfügen dürfen, aber auch verfügen können. Beide Aspekte verlangen darüber hinaus eine Berücksichtigung des zeitlichen Moments: Der Vermögensinhaber verfügt nicht über bereite Mittel, wenn er diese nicht in angemessener Zeit realisieren kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18. März 2008 - B 8/9b SO 9/06 R - zitiert nach juris). Der Mieter einer Wohnung hat gegenüber dem Vermieter erst zum Zeitpunkt des Auszuges aus der betreffenden Wohnung einen Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der Kaution. Bis zu diesem Zeitpunkt ist er nach dem Mietvertrag nicht berechtigt und im Rahmen der üblichen Vereinbarungen auch tatsächlich nicht in der Lage, über diese Summe zu verfügen. Es ist nach alledem nicht ersichtlich, dass die Klägerin in absehbarer Zeit über den Kautionsbetrag verfügen und diesen zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes verwenden könnte.

Zum verwertbaren Vermögen ist auch nicht der Betrag in Höhe von 1.200, € zu rechnen, den der Ehemann der Klägerin an Frau S. M. am 31. Oktober 2007 überwiesen hat (Bl. 174 der Verwaltungsakte). Dieser Betrag steht der Klägerin bzw. ihrem Ehemann nicht in Form eines Rückforderungsanspruchs gegenüber Frau M zur Verfügung, da es sich nicht um eine Schenkung im Sinne des § 515 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit der Möglichkeit der Rückforderung nach § 528 BGB wegen Verarmung, sondern um die Rückzahlung eines Darlehens handelte. Dies hat Frau Sylvia M bestätigt (s. Bl. 167 der Verwaltungsakte).

Nach Abzug des Wertes der Mietkaution in Höhe von 964,19 € sowie des Betrages der Überweisung an Frau M am 31. Oktober 2007 stand der Klägerin ab dem 1. November 2007 nur noch verwertbares Vermögen in Höhe von insgesamt 2.184,74 € zur Verfügung. Unter Berücksichtigung des Schonbetrages war damit kein vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhaltes einzusetzendes Vermögen mehr vorhanden, so dass ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch der Klägerin auf die Gewährung (ergänzender) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 41 Abs. 2 SGB XII besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.