OLG München, Urteil vom 11.03.2010 - 23 U 2814/09
Fundstelle
openJur 2010, 398
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 HKO 1743/07
Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 20.03.2009 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 36.926,53 nebst 4% Zinsen hieraus seit 22.05.2008 zu bezahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter und nimmt die Beklagte als alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin in entsprechender Anwendung des Haftungsmodells der Unterbilanzhaftung nach einer Mantelverwendung in Anspruch.

Über das Vermögen der Schuldnerin, der U. Vertriebs GmbH, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn am 08.02.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Schuldnerin war mit notarieller Urkunde vom 03.11.1993 (Anlage K 3) unter der Firma „M. Vertrieb GmbH“ mit Sitz in N. bei ... gegründet worden. Geschäftsgegenstand war der Vertrieb von medizinischen Heil-, Hilfs- und Pflegemitteln sowie der Handel mit Waren aller Art. Die Gesellschaft wurde am 28.12.1993 in das Handelsregister beim Amtsgericht München eingetragen. Am 09.10.1996 übertrugen die Gesellschafter A... A... und Dr. G... T... ihre Geschäftsanteile jeweils auf den dritten Gesellschafter R... K... Nach dem Jahresabschluss zum 31. Dezember 2004 (Anlage K 8) verfügte die Schuldnerin Ende 2003 über keine Aktiva. Am 21.07.2004 beschloss die Gesellschafterversammlung eine Änderung der Firma in „U. Vertriebs GmbH“, eine Verlegung des Sitzes der Gesellschaft nach M. am Inn und eine Änderung des Geschäftsgegenstandes; außerdem wurde R... K... mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen und R. St. zur neuen Geschäftsführerin bestellt (vgl. Urkunde des Notars T... in ..., Anlage K 4). Diese Änderungen wurden zur Eintragung im Handelsregister angemeldet (Anlage K 5) und im Handelsregister des Amtsgerichts Traunstein am 17.09.2004 eingetragen. Ab 21.07.2004 war die Schuldnerin wieder mit erweitertem Geschäftszweck operativ tätig. Am 30.12.2005 hat R... K... den vom ihm gehaltenen Geschäftsanteil in Höhe von DM 50.000,- auf die Beklagte übertragen (Urkunde des Notars K... in ..., Anlage K 7). Am 1. und 21.03.2006 hat die Beklagte als Einlage auf das Stammkapital insgesamt € 25.000,- eingezahlt. Bisher wurden Forderungen in Höhe von € 36.926,53 zur Tabelle festgestellt.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte hafte zumindest in Höhe der bereits festgestellten Forderungen, da die Mantelverwendung durch R... K... entgegen dem Beschluss des BGH vom 07.07.2003 (BGHZ 155, 318) gegenüber dem Registergericht nicht offengelegt worden sei. Stichtag für die Unterbilanzhaftung sei somit derjenige der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 36.926,53 nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie ist der Ansicht, eine Mantelverwendung habe nicht vorgelegen. Mit notarieller Urkunde vom 21.07.2004 seien keine Anteile übertragen worden. Die Schuldnerin sei vielmehr lediglich mit ergänztem und erweitertem Geschäftszweck und demselben Gesellschafter R... K..., im Zeitraum vom 21.07.2004 bis zum 30.12.2005 unverändert am Markt tätig gewesen. Zum Zeitpunkt der Anteilsabtretung an die Beklagte am 30.12.2005 seien keine weiteren gesellschaftsrechtlichen Änderungen erfolgt. Selbst wenn eine Mantelverwendung im Jahr 2004 vorgelegen habe, liege kein Rechtsgrund für die Inanspruchnahme der Beklagten vor, da Gründe, die eine analoge Anwendung von § 16 Abs. 3 GmbHG rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich seien. Andernfalls käme es zu einer unendlichen Haftungsreihe. Bei mehrmaligen Gesellschafterwechseln sei es für den jeweiligen Anteilserwerber nicht ersichtlich, ob er der Gefahr einer Inanspruchnahme aus der Unterbilanzhaftung ausgesetzt ist. Eine dahingehende Überprüfung des Sachverhaltes sei durch Anteilserwerber nicht möglich. Das Risiko, dass es in der Unternehmensgeschichte irgendwann einmal eine Unterbilanzsituation mit möglichen Haftungsfolgen gegeben hat, könne nicht auf einen neuen Gesellschafter abgewälzt werden. Mit der Einzahlung von insgesamt € 25.000,- als Einlage auf die zweite Hälfte des Stammkapitals sei eine Unterbilanzhaftung jedenfalls erloschen.

Das Landgericht Traunstein, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Im Hinblick auf die vorgelegten Urkunden, insbesondere den Jahresabschluss zum 31.12.2004, hatte das Landgericht zwar keine Zweifel, dass der vormalige Geschäftsbetrieb der Schuldnerin eingestellt worden war, so dass mangels einer Offenlegung der Mantelverwendung vor der Insolvenz der Schuldnerin alle Gesellschafter, die nach Wiederbelebung des Mantels bis zur Insolvenz Gesellschafter geworden sind, unbeschränkt haften könnten. Das Landgericht ist jedoch der Ansicht, dass nicht jeder, der nach der wirtschaftlichen Neugründung durch Mantelverwendung einen Geschäftsanteil erwirbt, als Gründer bzw. wiederbelebender Gesellschafter zu behandeln ist. Zur Kenntnis der Beklagten von der Neugründung im Jahr 2004 und der fehlenden Offenlegung habe der Kläger nichts vorgetragen. Die Pflicht zur Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung solle es dem Registergericht ermöglichen, zu überprüfen, ob die Gründungsvoraussetzungen eingehalten wurden. Die wiederbelebenden Gesellschafter sollen nicht die Möglichkeit haben, die Neugründung unter Umgehung der Gründungsregeln vorzunehmen. Der Umgehungsgedanke trifft nach Ansicht des Landgerichts nur auf die unmittelbaren Neugründer und wiederbelebenden Gesellschafter zu, nicht jedoch auf Erwerber von Gesellschaftsanteilen nach Neugründung und Wiederaufnahme des operativen Geschäfts. Die Beklagte hafte auch nicht nach § 16 Abs. 3 GmbHG nach den Grundsätzen der Unterbilanzhaftung. Grundsätzlich hafte zwar der Erwerber nach § 16 Abs. 3 GmbHG auch für Verbindlichkeiten des Veräußerers im Rahmen der sogenannten Unterbilanzhaftung. Dies gelte allerdings nicht für persönliche Verpflichtungen des veräußernden Gesellschafters, die nichts mit den Geschäftsanteilen zu tun haben. Bei der Frage einer Unterbilanzhaftung nach Nichtoffenlegung einer Mantelverwendung handele es sich um einen mit nach § 30 GmbHG verbotenen Zahlungen vergleichbaren Fall.

Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers, der insbesondere rügt, die Rechtsauffassung, es handele sich insoweit um eine persönliche Verpflichtung des veräußernden Gesellschafters, die nichts mit den Geschäftsanteilen zu tun hatte, verkenne den Sinngehalt der vom BGH in seiner Entscheidung vom 07.07.2003 herausgearbeiteten Anwendbarkeit der Gründungsvorschriften auch für den Fall der Mantelverwendung. Wie im Fall einer fälligen, aber nicht erbrachten Stammeinlage handele es sich bei der Unterbilanzhaftung - unbeschadet ob originär oder analog - um eine rückständige Leistung im Sinn des § 16 Abs. 3 GmbHG. Für eine Herausnahme der Rechtsnachfolger eines Mantelwiederbelebers sei demgemäß kein Raum. Die Beklagte habe im Zeitpunkt des Anteilserwerbs Kenntnis über das vorige Schicksal der Schuldnerin gehabt, letztlich komme es darauf jedoch nicht an.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 20.03.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 36.926,53 nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Er beantragt ferner die Zulassung der Revision.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie vertritt die Ansicht, dass die Beschlüsse des BGH vom 09.12.2002 und 07.07.2003 auf den Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung abstellen, also der erstmaligen Mantelverwendung. Ein späterer Zeitpunkt sei irrelevant.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

1. Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass in dem Erwerb des Geschäftsanteils von R... K... an der Schuldnerin durch die Beklagte (Urkunde vom 30.12.2005, Anlage K 6) kein Mantelkauf zu sehen ist, da die Schuldnerin zu diesem Zeitpunkt unstreitig seit ca. eineinhalb Jahren operativ tätig war. Zu Recht sieht das Landgericht jedoch in der Aufnahme der operativen Tätigkeit Mitte 2004 durch den damaligen Alleingesellschafter mit dem gemäß Gesellschafterbeschluss vom 21.07.2004 erweiterten Geschäftszweck eine Mantelverwendung, die nach der Rechtsprechung des BGH dem Registergericht hätte offengelegt werden müssen.

Für die Abgrenzung der Mantelverwendung von der Umorganisation oder Sanierung einer (noch) aktiven GmbH ist entscheidend, ob die Gesellschaft noch ein aktives Unternehmen betrieb, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebes - sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebietes - in irgend einer wirtschaftlichen und gewichtigen Weise anknüpft oder ob es sich tatsächlich um einen leer gewordenen Geschäftsmantel ohne Geschäftsbetrieb handelt, der seinen - neuen oder alten - Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung einer die beschränkte Haftung gewährleisteten Kapitalgesellschaft eine gänzlich neue Geschäftstätigkeit gegebenenfalls wieder aufzunehmen (BGH, Beschluss vom 07.07.2003, Gz.: ZB 4/02 = BGHZ 155, 318 ff.). Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist somit der Umstand, ob die fragliche Gesellschaft im Augenblick ihrer Wiederbelebung überhaupt noch ein Unternehmen betrieb oder bereits tatsächlich stillgelegt war, während es auf einen Gesellschafterwechsel - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht ankommt (vgl. Emmerich in Scholz GmbHG, 10. Auflage, § 3, Rn. 38). Um eindeutige Fälle einer zur analogen Anwendung des Gründungsrechts führenden wirtschaftlichen Neugründung handelt es sich bei der Verwendung eines praktisch vermögenslosen Alt-Mantels für den Betrieb eines neuen Unternehmens in der Rechtsform der GmbH (Ulmer in Ulmer GmbHG, § 3, Rn. 156).

Die Beklagte hat eingeräumt, dass aufgrund betrieblicher Umstände das operative Geschäft der Schuldnerin „ruhiger“ geworden sei. Wie ihre Behauptung, es sei jedoch nicht zu einer Einstellung der Geschäftstätigkeit gekommen, mit den sich aus der Bilanz zum 31.12.2004 ergebenden Zahlen für 2003 vereinbar sein soll, hat die Beklagte nicht dargelegt, so dass dem nur allgemeinen Beweisangebot im Schriftsatz vom 04.07.2007 (Blatt 23 d.A.) nicht nachzugehen war. Die Feststellung des Landgerichts, es habe im Hinblick auf den Jahresabschluss vom 31.12.2004 keinen Zweifel daran, dass der vormalige Geschäftsbetrieb der Schuldnerin eingestellt worden war, wurde im Berufungsverfahren auch nicht mehr angegriffen.

2. Die Verwendung eines zwischenzeitlich leer gewordenen Gesellschaftsmantels ist nach dem Beschluss des BGH vom 07.07.2003 (a.a.O.) gegenüber dem Registergericht offen zu legen. Diese Offenlegung ist mit der - am satzungsmäßigen Stammkapital auszurichtenden - Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 GmbHG zu verbinden. Die Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister vom 21.07.2004 gemäß Urkunde des Notars T... in ... (Anlage K 5) enthält weder eine Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung noch eine Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 GmbHG. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Schuldnerin ist eine Offenlegung dieser wirtschaftlichen Neugründung in der gebotenen Weise unstreitig nicht erfolgt.

3. Nach der Entscheidung des BGH vom 07.07.2003 (a.a.O., Tz. 15) ist die reale Kapitalaufbringung als zentrales, die Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftsvermögen rechtfertigendes Element bei der Mantelverwendung nicht nur durch die registergerichtliche Präventivkontrolle, sondern weitergehend auf der materiell-rechtlichen Haftungsebene durch entsprechende Anwendung des Haftungsmodells der Unterbilanzhaftung - bezogen auf den Stichtag der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht - sicher zu stellen.

a) Aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass die Gesellschafter, wenn sie mit der sofortigen Aufnahme der Geschäfte vor Anmeldung und Offenlegung einverstanden waren, für Verluste eintreten müssen, die bis zu dem genannten Stichtag entstanden sind; dies entspricht dem Unterbilanzhaftungskonzept. Ob dies auch dann gilt, wenn vor der Anmeldung/Offenlegung das neue Projekt scheitert, also die sogenannte Verlustdeckungshaftung oder die Regeln über die unechte Vorgesellschaft gelten sollen, hat der BGH nicht entschieden und am 07.07.2003 auch nicht entscheiden müssen (Goette, DStR 2004, 461, 464).

b) Unterbleibt die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht, an die der BGH als Stichtag anknüpft, führt dies nach Ansicht des Senats grundsätzlich (zu etwaigen Entlastungsmöglichkeiten s. u. unter c) zu einer zeitlich unbeschränkten Haftung der Gesellschafter.

Dies entspricht der Auffassung des Thüringer Oberlandesgerichts (Urteil vom 27.09.2006, Az.: 6 W 287/06, Tz. 18 und Urteil vom 01.09.2004, Az.: 4 U 37/04, Tz. 14), dass bei späteren Vermögensminderungen der GmbH jederzeit die Vorbelastungshaftung eingreifen kann, wenn zum Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung das satzungsmäßige Stammkapital der GmbH zwar uneingeschränkt vorhanden war, jedoch eine Offenlegung unterblieben ist.

Auch in der Literatur wird der Beschluss des BGH vom 07.07.2003 ganz überwiegend dahingehend verstanden, dass er zur Konsequenz habe, Gesellschafter einer Mantel-GmbH, die - aus welchen Gründen auch immer - diesen Beschluss nicht beachten und später mit ihrem Unternehmen scheitern, hafteten entgegen § 13 Abs. 2 GmbHG bis zur restlosen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger persönlich unbegrenzt. Die Rechtsprechung des BGH wird allerdings vor allem wegen dieses Ergebnisses kritisiert (vgl. z. B. Altmeppen, DB 2003, 2050, 2051; Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl., 2009, § 3, Rn. 14c; K. Schmidt, NJW 2004, 1345, 1350; Wicke, NZG 2005, 409, 411).

Nach Ansicht von Schütz (NZG 2004, 746, 748) soll dagegen in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die mit einer nicht offen gelegten wirtschaftlichen Neugründung einhergehenden Satzungsänderungen ins Handelsregister eingetragen wurden, nur eine Unterbilanzhaftung greifen, die auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Satzungsänderungen zum Handelsregister bezogen wird. Dies entspricht der von der Beklagten im Schriftsatz vom 07.02.2008 (Blatt 54 d.A.) vertretenen Meinung, Voraussetzung für eine Unterbilanzhaftung sei eine Differenz zwischen dem Wert des Gesellschaftsvermögens und dem Stammkapital zum Zeitpunkt der Wiederbelebung der Gesellschaft und diese habe der Kläger darzulegen und zu beweisen. Diese Auffassung ist jedoch nicht mit der Rechtsprechung des BGH vereinbar. Nach dem Beschluss des BGH vom 26.11.2009 (Az.: II ZA 15/06), dem ein dem streitgegenständlichen vergleichbarer Fall zugrunde lag, kann nur bei Altfällen aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht an die im Wege der Rechtsfortbildung entwickelte Pflicht zur Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung als Stichtag für die (bis dahin andauernde) Unterbilanzhaftung angeknüpft werden.

c) Die im Schrifttum an der Rechtsfortbildung durch den BGH geäußerte Kritik (z. B. Altmeppen, DB 2003, 2050, 2051 f.), steht einer entsprechenden Anwendung des Haftungsmodells der Unterbilanzhaftung jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen, da den Bedenken gegen eine „unabsehbare Haftung“ nach Ansicht des Senats insbesondere dadurch Rechnung getragen werden könnte, dass es den Gesellschaftern und Geschäftsführern ermöglicht wird, sich durch den Nachweis haftungsbefreiend zu entlasten, dass im Zeitpunkt der Revitalisierung der „GmbH-Hülse“ das statutarische Stammkapital durch Gesellschaftsvermögen gedeckt war (vgl. Altmeppen, DB, 2003, 2050, 2052; Goette, DStR 2004, 461, 465). Auch der von Goette (a.a.O. Fn. 25) zitierte Vorschlag Ulmers, Differenzhaftungsgrundsätze entsprechend § 9 GmbHG heranzuziehen, um so das sich in Jahren sonst u. U. ins Uferlose steigernde Haftungsrisiko des „nichtsahnend“ agierenden Gesellschafters zu beschränken, kommt zur Haftungsbegrenzung in Betracht. Ulmer unterscheidet zwischen der Verwendung eines vermögenslosen Alt-Mantels (einer „leeren Hülse“) und sonstigen Fällen der Wiederverwendung einer zwar nicht nur vorübergehend inaktiven, jedoch noch über eigenes Vermögen verfügenden GmbH für den neuen Geschäftsbetrieb. Seiner Ansicht nach ist auch bei dem letztgenannten Fall zwar an der Pflicht der Anmeldenden zur Offenlegung der Wiederverwendung des Alt-Mantels festzuhalten, er hält es jedoch schon angesichts der Abgrenzungsprobleme gegenüber der den Gesellschaftern freistehenden bloßen Reorganisation einer noch aktiven GmbH unverhältnismäßig, als Sanktion der Nichtoffenlegung zur grundsätzlich unbegrenzten Unterbilanzhaftung der Gesellschafter zu kommen. Es reiche vielmehr aus, die Gesellschafter in derartigen Fällen analog § 9 GmbHG auf die Differenz zwischen Stammkapital und im Zeitpunkt der Anmeldung tatsächlich vorhandenem Gesellschaftsvermögen haften zu lassen. Freilich sollte der Nachweis des bei der Anmeldung der Satzungsänderungen vorhandenen Vermögens und seines Wertes mangels Registerkontrolle Sache der sich hierauf berufenden Gesellschafter sein (Ulmer in Ulmer GmbHG, § 3, Rn. 166). Bei der Verwendung eines praktisch vermögenslosen Alt-Mantels erscheinen Ulmer dagegen die mit der Analogie verbundenen Haftungssanktionen einer zeitlich und höhenmäßig unbegrenzten Unterbilanzhaftung für Gesellschafter und Geschäftsführer sowie die Pflicht zur Offenlegung der Neugründung gegenüber dem Registergericht angemessen (Ulmer in Ulmer GmbHG, § 3, Rn. 156).

Ob die Möglichkeit einer Entlastung oder Haftungsbeschränkung auf die Differenz zwischen Stammkapital und im Zeitpunkt der Anmeldung tatsächlich vorhandenem Gesellschaftsvermögen anzuerkennen ist, kann hier offen bleiben, da sich die Beklagte insoweit auf den pauschalen Vortrag beschränkt hat, eine Differenz zwischen Stammkapital und Wert des Gesellschaftsvermögens habe nicht vorgelegen. Das Landgericht hatte im Beschluss vom 03.04.2008 indes ausgeführt, dass es Sache der Antragsgegner sei, darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass das satzungsmäßige Stammkapital bis zur Eintragung der Neugründung noch voll vorhanden oder wieder aufgefüllt war. Dazu lägen keine substantiierten Angaben der Antragsgegner vor (Blatt 58/59 d.A.).

d) Dass die Beklagte im März 2006 vorsorglich als Einlage auf das Stammkapital insgesamt € 25.000.- gezahlt hat, obwohl die Stammeinlage auf den übertragenen Geschäftsanteil nach Versicherung des Veräußerers R... K... voll eingezahlt war (Vorbemerkung in der notariellen Urkunde vom 30.12.2005, Anlage K 7), führt nicht zu einer Haftungsbefreiung. Der Kläger macht keinen Anspruch auf Erbringung der Stammeinlage geltend. Eine wirtschaftliche Neugründung löst auch keine neuen Einlagepflichten aus. Der BGH spricht in dem Beschluss vom 07.07.2003 von einer entsprechende Anwendung des Haftungsmodells der Unterbilanzhaftung, nicht dagegen von einer entsprechenden Anwendung der §§ 5, 7, 19 GmbHG. Mit der Zahlung der Beträge von € 15.000.- und € 10.000.- war weder eine Offenlegung der bereits 2004 erfolgten wirtschaftlichen Neugründung noch eine Versicherung des Geschäftsführers nach § 8 Abs. 2 GmbHG verbunden.

4. Die Beklagte haftet als Alleingesellschafterin der Schuldnerin. Der Erwerber eines Geschäftsanteils haftet auch für Ansprüche aus Differenzhaftung und Unterbilanzhaftung (Winter/Löbbe in Ulmer GmbHG, § 16, Rn. 33; Winter/Seibt in Scholz GmbHG, 10. Aufl., § 16, Rn. 40). Für die vom BGH im Beschluss vom 07.07.2003 entwickelte entsprechende Anwendung des Haftungsmodells der Unterbilanzhaftung gilt nach Auffassung des Senats nicht anderes.

a) Die Unterbilanzhaftung sichert das Vertrauen der Gläubiger auf den ungeschmälerten Bestand des Stammkapitals im Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft (Geck, DStR 1996, 627, 629). Dementsprechend soll durch die im Beschluss des BGH vom 07.07.2003 festgelegte Pflicht, eine wirtschaftliche Neugründung dem Registergericht offenzulegen und das Vorhandensein des statuarischen Stammkapitals zu versichern, das Registergericht einen Anstoß erhalten zu prüfen, ob für das neue Unternehmen die Kapitalschutzvorschriften beachtet worden sind und die - neuen - Gläubiger gewiss sein können, mit einer Gesellschaft in Beziehungen zu treten, die zumindest im Zeitpunkt der Offenlegung über einen Haftungsfonds und eine Betriebsvermögensreserve in der von den Gesellschaftern selbst festgelegten Höhe verfügt (Goette, DStR 2004, 461, 463). Aus dem mit der vom BGH angeordneten entsprechenden Anwendung der Unterbilanzhaftung verfolgten Zweck ergibt sich, dass nicht nur die Gesellschafter haften, die einen leeren GmbH-Mantel wiederbelebt haben ohne dies offenzulegen, sondern auch neue Gesellschafter.

b) Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (Urteil vom 07.09.2006, Az. 5 U 26/06, Tz. 24; Urteil vom 04.05.2007, Az. 5 U 100/06, Tz. 35) hielt es zwar für fraglich, ob eine derartige Unterbilanzhaftung auch gegenüber einem Erwerber von Geschäftsanteilen geltend gemacht werden kann, weil für den ähnlich gelagerten Fall eine Haftung wegen Auszahlung der Stammeinlage eine Nacherwerberhaftung überwiegend abgelehnt wird, konnte die Frage aber letztlich offen lassen. Nach Ansicht des Senats ist die entsprechende Anwendung der Unterbilanzhaftung jedoch weder mit der Auszahlung der Stammeinlage entgegen § 30 GmbHG noch mit der Gründerhaftung aus § 9 a GmbHG oder Schadensersatzpflichten vergleichbar, die durch schuldhaftes Verhalten entstanden sind. Für letztere haftet nach wohl überwiegender Meinung im Schrifttum (Winter/Löbbe in Ulmer GmbHG, § 16, Rn. 36; Winter/Seibt in Scholz GmbHG 10. Aufl., § 16, Rn. 40; a. A. Geck, DStR 1996, 627, 629) allein der Veräußerer. Während sich die Gründerhaftung nach § 9 a GmbHG nicht unmittelbar aus der Mitgliedschaft, sondern aus einen schuldhaften Verhalten des Gesellschafters ergibt, der falsche Angaben gemacht hat, lässt sich der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur analogen Unterbilanzhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung nicht entnehmen, dass diese Verschulden des Gesellschafters oder Geschäftsführers voraussetzt.

c) Entgegen der Ansicht der Beklagten führt der Umstand, dass sie 2005 den Geschäftsanteil an einer aktiven GmbH erworben hat, nicht ohne weiteres dazu, dass die Grundsätze der analogen Gründerhaftung für sie nicht anwendbar sind. Ihre Argumentation, dem Erwerber eines GmbH-Anteils sei es nicht möglich, alle Veränderungen der Gesellschaft und alle registerrechtlichen Schritte zu überprüfen, greift jedenfalls dann nicht durch, wenn es sich - wie hier - um den auch für Außenstehende leichter erkennbaren Fall einer Wiederbelebung einer vermögenslosen GmbH handelt. Der Beklagten wäre es Ende 2005 ohne weiteres möglich gewesen, sich den Jahresabschluss zum 31.12.2004 vorlegen zu lassen, aus dem sich ergibt, dass die Schuldnerin Ende 2003 über keine Aktiva verfügte.

d) Ob die Beklagte von der im Jahr 2004 erfolgten Mantelverwendung positive Kenntnis hatte, ist unerheblich. Auch die Unterbilanzhaftung nach einer Mantelverwendung setzt nicht voraus, dass sich der Gesellschafter, der eine GmbH wirtschaftlich neu gründet ohne die Rechtsprechung des BGH zu beachten, dessen bewusst ist.

5. Die Beklagte haftet in Höhe der unstreitig festgestellten Forderung in Höhe von € 36.926,53. Hinsichtlich ihrer Behauptung, die vom Kläger fälschlicherweise mit € 4 angesetzten Forderungen in Höhe von rund € 83.000 seien realisierbar, hat die Beklagte keinen Beweis angetreten.

6. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen, weil weder die Frage einer entsprechenden Anwendung der Unterbilanzhaftung bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung noch die Frage der Haftung von Rechtsnachfolgern höchstrichterlich entschieden ist.