Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 26.06.2008 - 4 ME 210/08
Fundstelle
openJur 2012, 47662
  • Rkr:
Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss festgestellt, dass die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. Januar 2008 aufschiebende Wirkung hat. Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner von dem Antragsteller einen Beitrag gemäß §§ 91 ff. SGB VIII zu den Kosten der für seine Tochter gewährten Leistungen der Jugendhilfe erhoben. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass dieser Kostenbeitrag nicht zu den öffentlichen Abgaben und Kosten zählt, bei deren Anforderung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt.

Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers festgestellt, da der vom Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Januar 2008 erhobene Kostenbeitrag nach §§ 91 ff. SGB VIII zu den öffentlichen Abgaben und Kosten i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gehört (1.). Der somit nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu beurteilende Antrag des Antragstellers auf Anordnung der nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entfallenden aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen diesen Kostenbeitragsbescheid ist zulässig, aber nicht begründet (2.).

41. Die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. Januar 2008 hat nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Denn der mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 91 ff. SGB VIII erhobene Kostenbeitrag zählt zu den öffentlichen Abgaben und Kosten, bei deren Anforderung die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt. Hierzu hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 10. November 2006 (4 ME 188/06) Folgendes ausgeführt:

„Die Klage des Antragstellers gegen den Kostenbeitragsbescheid des Antragsgegners gemäß §§ 91 ff. SGB VIII vom 30. März 2006 hat nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Nach dieser Vorschrift entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten.

Unter dem Begriff der öffentlichen Abgaben im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind alle hoheitlich geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Geldforderungen zu verstehen, die den Zweck haben, den Finanzbedarf des Hoheitsträgers für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben zu decken. Die Abgabe muss jedoch nicht allein oder primär der Finanzierung dienen, sondern kann daneben - mit gleichem Stellenwert - auch eine Lenkungs-, Antriebs-, Zwangs- oder Straffunktion besitzen (BVerwG, Urteil vom 17.12.1992 - 4 C 30/90 -, NVwZ 1993, 1112; Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 80 Rdnrn. 56-58; Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 80 Rdnr. 57), solange die Finanzierungsfunktion gegenüber den übrigen Zwecken der Abgabe nicht in den Hintergrund tritt und nur noch als Nebeneffekt erscheint (Nds. OVG, Beschluss vom 24.6.1996 - 10 M 944/96 -, NVwZ-RR 1997, 655; Sodan/Ziekow, a.a.O., § 80 Rdnr. 58).

Der nach § 92 Abs. 2 SGB VIII i. d. F. des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe - KICK - vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729) ausschließlich durch Leistungsbescheid festzusetzende Kostenbeitrag nach §§ 91 ff. SGB VIII dient der Finanzierung der öffentlichen Jugendhilfe und ist damit nach obiger Definition eine Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Kostenbeitrag ist hinsichtlich seines Zwecks zu unterscheiden von der Jugendhilfe, zu deren Finanzierung dieser Beitrag erhoben wird. Während die öffentliche Jugendhilfe nicht fiskalischen Interessen dient, hat der Kostenbeitrag in den Fällen, in denen er erhoben wird, zumindest primär Finanzierungsfunktion. Eine besondere Lenkungs-, Zwangs- oder gar Straffunktion dieses Beitrags ist nicht ersichtlich. Dass in bestimmten Fällen unter Berücksichtigung der Zwecke der Jugendhilfe von der Erhebung des Kostenbeitrags abzusehen ist, wie beispielsweise im Falle der Schwangerschaft der Jugendlichen (§ 92 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII) oder wenn sonst Ziel und Zweck der Jugendhilfeleistung gefährdet würden oder sich aus der Heranziehung eine besondere Härte ergeben würde (§ 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII), ändert nichts daran, dass der Kostenbeitrag der Finanzierung der öffentlichen Jugendhilfe dient mit der Folge, dass Widerspruch und Klage gegen einen Kostenbeitragsbescheid nach §§ 91 ff. SGB VIII keine aufschiebende Wirkung haben (so auch ausdrücklich die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 15/3676, Seite 41).

Eine Härtefallregelung, wie sie sich in § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB III findet, ist entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts dem Abgabenrecht auch keineswegs fremd. So kann nach § 227 Abs. 1 AO, der nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 a) NKAG auch auf kommunale Abgaben anzuwenden ist, ein Anspruch aus dem Abgabenschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen werden, wenn dessen Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Härtefallregelung in § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII lässt den Finanzierungszweck des Kostenbeitrages nach §§ 91 ff. SGB VIII daher und aus den oben genannten Gründen ebenso wenig in den Hintergrund treten (a. A. - zur alten Rechtslage - OVG Greifswald, Beschluss vom 3.3.1999 - 1 M 4/99 -, NVwZ-RR 2000, 63) wie der weitere vom Verwaltungsgericht angeführte Umstand, dass die Festsetzung dieses Kostenbeitrages eine individuelle Berechnung (nach § 93 SGB VIII) erfordert. Denn eine solche individuelle Berechnung ist für die Erhebung von Abgaben typisch. Deshalb ist die Annahme von Kunkel (SGB VIII, Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 92 Rdnr. 11 und Anhang Verfahren Rdnr. 58), mit öffentlichen Abgaben im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO seien nur solche Geldleistungen gemeint, die sich “nach leicht erkennbaren Merkmalen ermitteln lassen“ und keine individuelle Berechnung im Einzelfall erfordern, nicht zutreffend. Die zweifelsfrei dem Bereich der öffentlichen Abgaben zugehörigen Straßenausbau- oder Erschließungsbeiträge lassen sich beispielsweise auch nicht “nach leicht erkennbaren Merkmalen ermitteln“, sondern erfordern vielmehr eine oft schwierige individuelle Berechnung im Einzelfall.“

Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss geben dem Senat keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung (so bereits Beschl. d. Senats v. 5.2.2008 - 4 ME 34/08 -). Dass der Gesetzgeber in Kenntnis der streitigen Rechtsauffassungen keine Klarstellung vorgenommen und den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht in das Gesetz aufgenommen hat, führt entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zur Anwendung der Grundregel des § 80 Abs. 1 VwGO. Maßgebend ist vielmehr, dass der Kostenbeitrag nach §§ 91 ff. SGB VIII, wie oben dargelegt worden ist, Finanzierungsfunktion hat, was im Übrigen auch aus der Gesetzesbegründung deutlich wird (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 19.12.2007 - 12 CS 07.2895 -, NDV-RD 2008, 42). Danach ist mit der Neuregelung der Vorschriften der §§ 91 ff. SGB VIII, zu denen die vereinfachte Berechnung der Kostenbeiträge, die stärkere Heranziehung einkommensstarker Eltern und die Heranziehung des Kindergeldes gehört, eine deutliche Senkung des Verwaltungsaufwands sowie eine Steigerung der Einnahmen aufgrund höherer Elternbeiträge bezweckt worden (BT-Drucks. 15/3676 S. 48). Diese Änderungen sollten nachhaltig kostenmindernd wirken und das Leistungssystem stabilisieren (BT-Drucks. 15/3676 S. 45). Dass der Kostenbeitrag auch der Herstellung des Nachrangs der öffentlichen Jugendhilfe dient, schließt seine Finanzierungsfunktion nicht aus. Denn durch die Neuregelung sollte nicht nur im Hinblick auf eine gerechte Lastenverteilung, sondern auch angesichts der Situation der öffentlichen Haushalte der Nachrang ausgebaut und eine stärkere Kostenbeteiligung von Eltern mit höherem Einkommen erreicht werden (BT-Drucks. 15/3676 S. 27). Folglich ist damit gerade auch die Finanzierung der öffentlichen Jugendhilfe bezweckt worden.

2. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, ist zwar zulässig, weil der Antragsgegner den bei ihm gestellten Aussetzungsantrag gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO abgelehnt hat.

Dieser Antrag ist jedoch unbegründet. Denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 16. Januar 2008, die nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen.

Der Antragsgegner hat mit dem angefochtenen Bescheid ab dem 1. November 2007 von dem Antragsteller einen Kostenbeitrag in Höhe von 475 EUR monatlich für die gegenüber seiner Tochter erbrachten vorläufigen Maßnahmen und Leistungen nach dem SGB VIII erhoben. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 91 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 8 SGB VIII werden Kostenbeiträge erhoben für die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen (§ 42 SGB VIII) und für die Hilfe für junge Volljährige, soweit sie den in den Nummern 5 und 6 genannten Leistungen entspricht (§ 41 SGB VIII). Zu den Kosten der in § 91 Abs. 1 SGB VIII genannten Leistungen und vorläufigen Maßnahmen werden gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII auch die nicht mit dem jungen Menschen zusammenlebenden Elternteile herangezogen. Der Beklagte hat die Tochter des Antragstellers am 5. Oktober 2007 nach § 42 SGB VIII in Obhut genommen und dieser ab dem 24. November 2007, als sie volljährig geworden ist, Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII i.V.m. § 34 SGB VIII in Form des betreuten Wohnens gewährt. Zweifel an der tatsächlichen Durchführung dieser Maßnahmen bestehen nicht. Aus der Rechnung des Einrichtungsträgers vom 2. April 2008 ist zu ersehen, dass die Tochter des Antragstellers dort vom 5. Oktober bis zum 23. November 2007 im Rahmen einer Inobhutnahme untergebracht gewesen ist. Zudem ergibt sich aus dem Bescheid des Antragsgegners vom 26. November 2007, dass der Tochter des Antragstellers ab dem 24. November 2007 Hilfe für junge Volljährige in Form des betreuten Wohnens gewährt worden ist.

Soweit der Antragsteller geltend macht, die Hilfe sei zu Unrecht gewährt worden, ist bereits fraglich, ob es in einem Verfahren wegen Erhebung eines Kostenbeitrags nach §§ 91 ff. SGB VIII überhaupt darauf ankommen kann, dass die Jugendhilfe rechtmäßig erbracht worden ist (ablehnend: 12. Senat d. Nds. OVG, Urt. v. 12.6.1995 - 12 L 6009/93 - und Beschl. v. 24.11.1999 - 12 L 4460/99 -; Kunkel, LPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 92 Rn. 9; a.A. Wiesner, SGB VIII, Komm., 3. Aufl., § 91 Rn. 13). Diese Frage kann hier aber dahingestellt bleiben, da das Vorbringen des Antragstellers keine Anhaltspunkte dafür bietet, dass die Hilfegewährung rechtswidrig gewesen sein könnte. Insbesondere war der nicht personensorgeberechtigte Antragsteller nicht an der Entscheidung über die Inobhutnahme seiner Tochter zu beteiligen gewesen. Erforderlich war lediglich nach § 42 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII die unverzügliche Unterrichtung der personensorgeberechtigten Mutter, die der Inobhutnahme nach Angaben des Antragsgegners zugestimmt hat. Die Behauptung des Antragstellers, eine die Inobhutnahme rechtfertigende Gefahrenlage habe nicht vorgelegen, ist durch nichts belegt und angesichts der Zustimmung der personenberechtigten Mutter zu pauschal, um daraus Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme herleiten zu können. Die Inobhutnahme hat entgegen dem Vorbringen des Antragstellers auch nicht über sieben Monate gedauert, sondern ist, wie sich aus der Rechnung des Einrichtungsträgers vom 2. April 2008 ergibt, am 23. November 2007 nach 49 Tagen beendet worden. Gegen die Rechtmäßigkeit der seiner Tochter im Anschluss daran ab dem 24. November 2007 gewährten Hilfe für junge Volljährige nach §§ 41, 34 SGB VIII hat der Antragsteller weder konkrete Bedenken erhoben, noch sind solche ersichtlich.

Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Höhe des festgesetzten Kostenbeitrages. Der Antragsgegner hat auf der Grundlage des nach § 93 SGB VIII maßgeblichen Einkommens des Antragstellers den Kostenbeitrag gemäß § 94 SGB VIII i.V.m. der Kostenbeitragsverordnung ermittelt und auf 475 EUR monatlich festgesetzt.

Dass im vorliegenden Fall gemäß § 92 Abs. 5 S. 1 SGB VIII von der Heranziehung abzusehen gewesen wäre, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach dieser Vorschrift soll von der Heranziehung im Einzelfall ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn sonst Ziel und Zweck der Leistung gefährdet würden oder sich aus der Heranziehung eine besondere Härte ergäbe. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere begründet der vom Antragsteller angeführte Umstand, dass sich durch die Zahlung der Kostenbeiträge sein Lebensstandard negativ verändern würde, keine besondere Härte. Die unterbliebene Beteiligung des nicht personensorgeberechtigten Antragstellers an der Inobhutnahme seiner Tochter entspricht, wie bereits ausgeführt worden ist, den gesetzlichen Bestimmungen und kann daher ebenfalls nicht im Rahmen der Heranziehung zu einem Kostenbeitrag als besondere Härte geltend gemacht werden.

Sonstige Gründe, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides begründen könnten, sind nicht ersichtlich und auch nicht vom Antragsteller geltend gemacht worden.