OLG Oldenburg, Beschluss vom 07.09.2007 - 1 Ws 481/07
Fundstelle
openJur 2012, 46329
  • Rkr:

Die Soll-Vorschrift des § 463 Abs. 4 StPO in der seit dem 20. Juli 2007 geltenden Fassung ist dahin auszulegen, dass bei einer 5 Jahre deutlich übersteigenden Dauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus jedenfalls dann ein anstaltsfernes Sachverständigengutachten einzuholen ist, wenn ein solches bislang fehlt und die weitere Gefährlichkeit des Untergebrachten für die Allgemeinheit nicht völlig unzweifelhaft ist.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss der 1. großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg vom 27. Juli 2007 aufgehoben.

Die Sache wird an das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Oldenburg zu neuer Entscheidung zurückgegeben.

Gründe

Aufgrund des Urteils des Landgerichts Oldenburg vom 21. Oktober 1998 ist der Verurteilte seitdem nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg hat im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung des Fortbestehens der Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 67e StGB zuletzt am 27. Juli 2007 beschlossen, dass die Unterbringung fortzudauern habe.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig. Sie hat auch in der Sache insoweit jedenfalls vorläufig Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückgabe der Sache an die Strafvollstreckungskammer zu neuer Entscheidung führt.

Gemäß § 463 Abs. 4 StPO in der durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 mit Wirkung vom 20. Juli 2007 eingeführten Neufassung soll das Gericht im Rahmen der Überprüfungen nach § 67e StGB nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen, der nicht im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem sich die untergebrachte Person befindet, arbeiten darf. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll mit der Neuregelung entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 70, 297, 310 f.) durch Hinzuziehung eines anstaltsfremden Gutachters, der eine kritische Distanz zu den bisherigen Gutachten hält, der Gefahr von Routinebeurteilungen vorgebeugt und die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessert werden (BT-Drucksache 16/1110, S. 19).

4Bei der Auslegung dieser Soll-Vorschrift ist zu beachten, dass die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des in der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus liegenden Freiheitsentzuges umso strenger sind, je länger die Unterbringung andauert (vgl. BVerfG NJW 1995, 3048). Jedenfalls bei einer 5 Jahre deutlich übersteigenden Dauer einer Unterbringung, bei der bislang noch kein anstaltsfremdes Sachverständigengutachten eingeholt wurde, und bei der die Erwartung künftiger rechtswidriger Taten und die darauf beruhende andauernde Gefährlichkeit des Untergebrachten für die Allgemeinheit auch nicht - etwa wegen der Art der psychischen Erkrankung - völlig unzweifelhaft vorliegen, ist die genannte Soll-Vorschrift deshalb dahin auszulegen, dass ein externes Sachverständigengutachten eingeholt werden muss.

So liegt es hier. Der Verurteilte befindet sich inzwischen fast 9 Jahre lang in der Anstaltsunterbringung, ohne dass ein Gutachten eines externen Sachverständigen eingeholt wurde. Die Gefahr künftiger rechtswidriger Taten und eine davon ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit sind in seinem Falle auch nicht ganz unzweifelhaft gegeben. Der wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 4 Fällen verurteilte Untergebrachte leidet ausweislich der vorliegenden anstaltsinternen Gutachten an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung und an Pädophilie. Seine bisherige Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus hat zwar keine Heilung bewirkt, ist andererseits aber auch nicht ganz und gar erfolglos gewesen. Eine gewisse Einsicht des Verurteilten in seine Neigung und deren Folgen scheint eingetreten zu sein. Sein andauerndes Sammeln erotischer Fotografien, die er vor den Anstaltsbediensteten zu verstecken sucht, ist zwar bedenklich. Andererseits handelt es sich dabei in den letzten Jahren um Bilder erwachsener Frauen. Auch seine wiederholten Versuche, zu dem Tatopfer Kontakt aufzunehmen sind auffällig, allerdings ist dieses inzwischen erwachsen und dürfte vom Verurteilten schwerlich gefährdet werden. Zu bedenken ist auch, dass das konkrete soziale Umfeld, in dem die Missbrauchstaten geschahen, nicht mehr existiert und vom Verurteilten auch nicht wieder hergestellt werden kann; auch steht es jedenfalls nicht außer jedem Zweifel, ob der Verurteilte, der inzwischen 66 Jahre alt ist, in der Lage wäre, sich neue Tatgelegenheiten zu verschaffen.

Die Sache war daher an die Strafvollstreckungskammer zurückzugeben zur Einholung eines anstaltsfremden Gutachtens und anschließender neuer Entscheidung, bei der die nach § 463 Abs. 4 Satz 4 i. V. m. § 454 Abs. 2 StPO vorgeschriebene Verfahrensweise zu beachten sein wird.

Der vom Verteidiger beantragten Erstreckung seiner Bestellung als Pflichtverteidiger auf das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil die erfolgte Bestellung insoweit fortwirkt.