LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.01.2010 - 3 Sa 324/09
Fundstelle
openJur 2010, 249
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 Ca 723 c/09
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 17.07.2009 – 2 Ca 723 c/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung aus Anlass eines vorgeworfenen Eigentumsdeliktes.

Der Kläger ist am ....1969 geboren, verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Mit Wirkung ab 01.01.1997 nahm er ein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten als Arbeiter in der Endmontage auf. Seine durchschnittliche monatliche Vergütung belief sich zuletzt auf 2.900,-- EUR brutto.

Abgemahnt wurde der Kläger in dem mehr als 12 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnis bisher nicht.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie und beschäftigt 48 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Der Kündigung liegt ein Vorfall vom 27.03.2009 zugrunde, der auf folgendem Hintergrund beruht:

Im Arbeitsbereich des Klägers waren ca. 30 Jahre alte Werkbänke vorhanden, bestehend aus einer Holzplatte nebst Holzfüßen mit Verstrebungen und ein bis zwei Schubladen; ca. 3,60 m lang und ca. 1 m breit. Sie wurden im Jahre 2007 ausgetauscht und ausgesondert. Für die Mitarbeiter bestand die Gelegenheit, für private Zwecke Bedarf anzumelden. Von der Möglichkeit der Mitnahme – ob mit oder ohne Zahlung ist streitig - machte niemand Gebrauch. Daraufhin wurde eine der alten Werkbänke auseinandergeschweißt, zersägt und entsorgt. Da der hierfür verwandte Zeitaufwand unverhältnismäßig war und niemand Bedarf angemeldet hatte, wurden die anderen Werkbänke in einer Ecke des Arbeitsbereichs des Klägers in der Fertigungshalle zum Zwecke der Entsorgung zwischengelagert (Blatt 58 – 60 d. A.).

Im ersten Quartal des Jahres 2009 entstand beim Kläger eine private Nutzungsmöglichkeit eines Teils einer solchen Werkbank in seinem Schuppen. Aus diesem Grunde trat er sowohl an den jetzigen Fertigungsleiter der Beklagten, seinen direkten Vorgesetzten, den Zeugen S... B..., als auch an den die sogenannte Kaffeekasse führenden Betriebsratsvorsitzenden Herrn H... heran, um Bedarf anzumelden und die Mitnahmemöglichkeit absegnen zu lassen. Wie viele Gespräche wegen der Werkbank geführt wurden und welchen genauen Inhalt sie hatten, ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig ist jedoch, dass in der Regel ein Lieferschein zur Dokumentation der Mitnahmeberechtigung erstellt und auch ein zumindest kleiner Obolus in die „Kaffeekasse“ gezahlt wird. Ob nach vorangegangener Ankündigung in der Vergangenheit eine Preisabsprache und die Ausstellung eines Lieferscheins manchmal auch noch nachträglich erfolgten, ist zwischen den Parteien streitig.

Am Freitag, dem 27.03.2009, erschien der Kläger mit einem Pkw nebst Anhänger zur Arbeit. Um die Mittagszeit kann Feierabend gemacht werden. Herr H... war an diesem Tag nicht im Betrieb. Bei einem Rundgang durch die Produktionshalle fiel dem Prokuristen Herrn K... das Fahrzeug des Klägers auf, das an einer Stelle geparkt war, an der das Abstellen privater Fahrzeuge verboten ist. Er erkundigte sich beim Kläger, der zu dieser Zeit noch als einziger in der Fertigungshalle arbeitete, wem das Fahrzeug gehöre. Der Kläger antwortete darauf, dass es sich um sein Fahrzeug handeln würde und wurde auf das Parkverbot hingewiesen. Danach ging Herr K... zu dem Fahrzeug mit Anhänger, um sich beides genauer anzuschauen. Dabei bemerkte er, dass sich auf dem Hänger ein funktionsfähiger Teil der alten Werkbank befand. Herr K... befragte daraufhin den Fertigungsleiter B... und kehrte dann zusammen mit dem Geschäftsführer, Herrn B..., sowie dem kaufmännischen Leiter der Beklagten, Herrn G..., zurück. Der Kläger war gerade dabei, die zwei zu der Werkbank gehörenden Schubladen im Kofferraum seines Fahrzeugs zu verstauen. Er wurde von den drei Personen zu dem Vorgang befragt. Über das Gespräch verfasste die Beklagte einen Vermerk unter dem Datum vom 27.03.2009 (Blatt 55 f d. A.). Der dort niedergelegte Sachverhalt ist im Detail streitig.

Mit Schreiben vom 01.04.2009 (Blatt 12 – 14 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer fristlosen Kündigung, hilfsweise zu einer ordentlichen Kündigung zum 30.09.2009 mit den Kündigungsgründen einer Tatkündigung und einer Verdachtskündigung an. Der Betriebsrat widersprach dem Ausspruch einer Kündigung mit dem Hinweis, der Kläger habe fahrlässig gehandelt. Eine Abmahnung seines Vorgehens sei ausreichend.

Mit Schreiben vom 07.04.2009 (Blatt 5 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.09.2009.

Das Arbeitsgericht hat der hiergegen am 21.04.2009 eingegangenen Kündigungsschutzklage stattgegeben, nachdem zuvor Beweis erhoben wurde über die betrieblichen Praktiken in Bezug auf die Mitnahme von Gegenständen aus dem Betrieb; deren konkrete Anwendung im Umgang mit den 30 Jahre alten Werkbänken sowie den Inhalt der zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten, Herrn B..., geführten Gespräche stattgegeben. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei dem Kläger kein rechtswidriger und vorsätzlicher Diebstahl bzw. Diebstahlversuch des Werkbankteils zur Last zu legen. Aus dem von dem Kläger an den Tag gelegten Verhalten und dem tatsächlich im Betrieb existierenden konkurrierenden System einer Preisabstimmung in Bezug auf mitzunehmende Gegenstände ergebe sich, dass sich der Kläger tatsächlich berechtigt gefühlt haben könnte, den Teil der Werkbank ohne Gegenleistung aus dem Betrieb mitnehmen zu dürfen. Angesichts dessen läge kein Kündigungsgrund vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 17.07.2009, Aktenzeichen 2 Ca 723 c/09, verwiesen.

Gegen diese der Beklagten am 05.08.2009 zugestellte Entscheidung hat sie am 03.09.2009 per Fax/07.09.2009 im Original Berufung eingelegt, die am 02.10.2009 per Fax/06.10.2009 im Original begründet worden ist.

Die Beklagte trägt vor, bereits die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt, jedenfalls aber die hilfsweise fristgemäß ausgesprochene Kündigung. Der Kläger habe versucht, Gegenstände aus dem Eigentum der Beklagten widerrechtlich mitzunehmen. Jedenfalls bestehe insoweit ein entsprechender dringender Verdacht. Der Kläger habe keine Erlaubnis gehabt, die Werkbank mitzunehmen. Insbesondere habe auch der als Zeuge benannte Herr H... eine solche Erlaubnis nicht erteilt. Der Kläger sei auch nicht irrig davon ausgegangen, die Werkbank ohne Gegenleistung aus dem Betrieb der Beklagten mitnehmen zu dürfen. Das ergebe sich bereits u. a. daraus, dass er zuvor sowohl Herrn B... als auch Herrn H... um Genehmigung der Mitnahme gebeten hat und ihm ausweislich der erstinstanzlichen Beweisaufnahme von Herrn B... zweimal gesagt worden sei, er müsse einen Obolus zahlen. Auch Herr H... habe immer einen Obolus verlangt. Dieser habe sich gegenüber dem Kläger jedoch überhaupt nicht zu einem Preis geäußert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 17.07.2009, Aktenzeichen 2 Ca 723 c/09, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Nach seinem Gespräch mit Herrn H... sei er davon ausgegangen, dass er die Werkbank ohne jegliche Zuzahlung habe mitnehmen dürfen. Herr H... habe zu ihm in einem der Gespräche noch gesagt, ob er tatsächlich für diese Werkbank noch etwas zahlen wolle. Er habe Herrn H... noch vor dem 27.03.2009 informiert, dass er die Werkbank mitnehme, und sich dann eine Transportgelegenheit organisiert. Er habe angesichts der betrieblichen Praktiken und der geführten Gespräche kein Unrechtsbewusstsein gehabt, sei vielmehr angesichts der betrieblichen, oft unkonventionellen Praktiken in der Vergangenheit davon ausgegangen, korrekt zu handeln, zur Mitnahme des Teils der ausgesonderten Werkbank berechtigt zu sein, gegen keine Spielregeln zu verstoßen und ggf. den noch fehlenden Lieferschein zur Dokumentation nachträglich zu erhalten, da Herr H... am 27.03.2009 nicht im Betrieb gewesen sei. Deshalb habe er sich beim Aufladen der Werkbank auch nicht heimlich verhalten, ja sogar noch die zwei Schubladen vor den Augen des Prokuristen, Herrn K..., in den Kofferraum verladen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.

Mit ausführlicher Begründung hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird vorab auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend und auch auf den neuen, konkretisierten Vortrag der Parteien eingehend, wird Folgendes ausgeführt:

Unter Berücksichtigung der vorliegenden Einzelfallumstände und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berechtigt das Verhalten des Klägers weder zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB noch zum Ausspruch einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Vor Ausspruch einer Kündigung hätte die Beklagte hier eine Abmahnung aussprechen müssen.

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.04.2009 ist unwirksam. Ein wichtiger Grund zur Kündigung liegt nicht vor.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund darstellt, vollzieht sich zweistufig: Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 – zitiert nach Juris, Rz. 18 m. w. N).

2. Vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte sind regelmäßig geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung strafrechtlich relevante Handlungen gegen das Vermögen seines Arbeitgebers begeht, verletzt damit seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht schwerwiegend und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG auch dann, wenn die rechtwidrige Verletzungshandlung nur Sachen von geringem Wert betrifft (BAG vom 13.12.2007 – 2 AZR 537/08 – zitiert nach Juris, Rz. 16 m. w. N.).

Für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes ist stets der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet.

3. Der Teil der Werkbank, den der Kläger auf den Anhänger verladen hat, stand im Eigentum der Beklagten. Auch die Tatsache, dass diese Werkbank bereits 2007 ausgesondert und zur Entsorgung und Verschrottung vorgesehen war, ändert hieran nichts. Die Beklagte ist Eigentümerin dieses Schrotts geblieben. Der Kläger hat, indem er die Werkbank auf den Anhänger seines Pkw verschaffte, jedenfalls unmittelbar damit begonnen, den Gewahrsam der Beklagten zu beenden und eigenen Gewahrsam zu begründen. Er hat für diesen Werkbankteil nichts in die Kaffeekasse bezahlt. Er hatte auch keinen Lieferschein, der ihn offiziell zu seiner Handlung berechtigte. Dieser Sachverhalt ist an sich ohne weitere besondere Umstände geeignet, einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB abzugeben. Insoweit kommt eine Tatkündigung, aber auch eine Verdachtskündigung in Betracht. Die Beklagte stützt sich auf beide Kündigungsgründe nach vorangegangener entsprechender Betriebsratsanhörung.

4. Aber selbst wenn zugunsten der Beklagten unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme erster Instanz unterstellt wird, dass der Kläger keine ausdrückliche - ggf. mündliche – Erlaubnis dazu hatte, die Werkbank an sich zu nehmen, liegt vorliegend unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sowie unter Abwägung der Interessen beider Parteien keine Handlung des Klägers vor, die es der Beklagten als Arbeitgeberin unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Vorliegend konnte nicht auf eine Abmahnung verzichtet werden.

a) Für eine Kündigung aus Anlass eines bestimmten Verhaltens eines Arbeitnehmers gilt das sogenannte Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (BAG vom 23.06.2009 - 2 AZR 103/08 – zitiert nach Juris, Rz. 32 m. w. N.). Die Abmahnung ist zugleich aber auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt, der durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren hat, ist auch bei Störungen des Vertrauensbereichs zu beachten. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG vom 15.11.2007 – 2 AZR 605/00 -; BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 – Rz. 33). Selbst bei Störungen des Vertrauensbereiches durch Eigentums- und Vermögensdelikte kann es danach Fälle geben, in denen eine Abmahnung nicht ohne weiteres entbehrlich erscheint. Dies gilt etwa, wenn dem Arbeitnehmer zwar die Verbotswidrigkeit seines Verhaltens hinreichend klar ist, er aber Grund zu der Annahme haben durfte, der Arbeitgeber würde dieses nicht als ein so erhebliches Fehlverhalten werten, dass dadurch der Bestand des Arbeitsverhältnisses auf dem Spiel stünde (BAG vom 23.06.2009 – a. a. O.).

b) Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreiem Bestand ein besonderes Gewicht zu. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist auch zu berücksichtigen, wenn eine Kündigung auf ein Vermögensdelikt zu Lasten des Arbeitgebers gestützt wird (BAG vom 27.04.2006 – 2 AZR 415/05 - zitiert nach Juris, Rz. 19 m. w. N.). Ferner können das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung und auch die Frage in Betracht kommen, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können – je nach Lage des Falles – Bedeutung gewinnen (BAG vom 27.04.2006 – a.a.O.).

c) Gemessen hieran ist vorliegend der Ausspruch einer Abmahnung als ausreichend anzusehen, um eine Wiederholung des vom Kläger an den Tag gelegten beanstandeten Verhaltens nachhaltig auszuschließen.

aa) Unter Berücksichtigung des Vorbringens beider Parteien in beiden Instanzen sowie des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme steht für die Kammer fest, dass sich im Laufe der Jahre – ob ohne Wissen der Geschäftsführung sei dahingestellt – im Betrieb der Beklagten mehrere Wege entwickelt haben, die von den Arbeitnehmern gegangen wurden, wenn sie etwas aus dem Eigentum der Beklagten erwerben/für sich privat nutzen wollten. Der ehemalige, aber schon seit längerer Zeit ausgeschiedene Betriebsleiter, der Zeuge L..., hat zwar bekundet, dass nach seinem Handeln und dem Willen der Geschäftsführung dann, wenn Sachen für private Zwecke herausgegeben werden, mindestens ein kleiner Obolus in die Kaffeekasse zu entrichten ist. So soll verhindert werden, dass Gegenstände aus dem Betrieb einfach ohne Bezahlung mitgenommen werden, weil individuell beurteilt wurde, sie würden im Betrieb nicht mehr gebraucht. Der Zeuge hat ausgesagt, deshalb hätte er, wenn ein Mitarbeiter eine Werkbank ohne Entrichtung eines Obolus hätte mitnehmen wollen, dieses nicht erlaubt. Seine Ansicht bezüglich eines solchen betrieblichen Arrangements habe er stets kundgetan. Auf Nachfrage, ob das vom Kläger abgesägte Stück der Werkbank, die Holzplatte, ebenfalls nur gegen einen Obolus hätte mitgenommen werden dürfen, hat der Zeuge ausgesagt, dass er persönlich hierfür keine Obolusleistung erwartet hätte. Bereits hieraus ergibt sich, dass es selbst auf Betriebsleitungsebene Ausnahmen von dem geschilderten Arrangement der Verpflichtung zur Erbringung eines kleinen Obolus in die Kaffeekasse gab.

bb) Zudem ist festzustellen, dass – anders als von der Geschäftsführung der Beklagten gewünscht – tatsächlich im Betrieb der Beklagten nicht nur die Geschäftsführung, nicht nur der Betriebsleiter und auch nicht nur der Zeuge B. die Höhe eines jeweiligen Obolus festgelegt haben, sondern auch der Betriebsratsvorsitzende H.... Dieser hat die Kaffeekasse geführt, nicht die Geschäftsführung und nicht Herr B. . Auch er wurde zum Zwecke der Abwicklung von Wünschen auf Herausgabe von betrieblichen Gegenständen für die private Nutzung angesprochen. Soweit die Beklagte anführt, er habe nur für kleinere Gegenstände Preise festgelegt, ändert nichts an der Tatsache, dass er objektiv angesprochen wurde und werden durfte und dass er tatsächlich auch Preisabsprachen getroffen hat. Was „kleinere Gegenstände“ ist, ist im Übrigen relativ. Letztendlich ist hervorzuheben, dass dem Mitarbeiter H... sogar Blanko-Lieferscheine zur Ausfüllung und zu Aushändigung an die Mitarbeiter bei der Abwicklung erlaubter Mitnahme von Gegenständen zur Verfügung gestellt worden sind.

Insoweit bleibt festzuhalten, dass es keine stringente Handhabung im Betrieb der Beklagten gegeben hat, vielmehr das gelebte Leben die vom Zeugen L... geäußerten klaren Handhabungsvorstellungen aufgeweicht hat, ohne dass seitens der Geschäftsführung der Beklagten klarstellend und explizit regelnd eingegriffen wurde.

cc) Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Kläger den Weg, der sich für die Abwicklung der Mitnahmeberechtigung von Gegenständen aus dem Betrieb eingeschlichen hat, auch eingeschlagen hat, bevor er die Werkbank auf den Anhänger auflud. Er hat sowohl mit seinem Vorgesetzten, Herrn B..., als auch mit dem für die Kaffeekasse zuständigen Kollegen H... darüber gesprochen, dass er einen Teil der ausrangierten Werkbank mitnehmen wolle. Der Kläger hat in diesem Rechtsstreit stets betont, dass er die Werkbank nicht stehlen wollte. Dafür spricht Folgendes: Wenn er einen Diebstahl hätte begehen wollen, hätte er nicht vorher offiziell die zur Absegnung der Herausgabe von Gegenständen zuständigen Personen hierüber informiert, den Vorgang mithin nicht offiziell gemacht. Schon angesichts dieses Verhaltens steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger mit dem Aufladen des Teils der Werkbank letztendlich zwar eine Eigenmächtigkeit begangen hatte, aber keine Bereicherung und auch keine rechtswidrige Entreicherung der Beklagten wollte.

dd) Für die Kammer von Bedeutung ist darüber hinaus, dass dem Kläger im Zusammenhang mit den Gesprächen über seinen Wunsch, den Teil der Werkbank privat mitnehmen zu dürfen, von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt ein Betrag genannt wurde, den er in die Kaffeekasse zahlen müsse. Der Zeuge B... hat ausdrücklich ausgesagt, er habe dem Kläger gesagt, er solle sich überlegen, welchen Betrag er in die Kaffeekasse zahlen wolle. Selbst dem Vorbringen der Beklagten hat auch der Zeuge H... dem Kläger keinen konkreten Betrag genannt, der Bedingung für die Berechtigung zur Mitnahme des Werkbankteils sein sollte. Etwaige Preise blieben in Bezug auf dieses Objekt stets und ständig offen. Das bringt für die Kammer ein hohes Maß an nicht kalkulierbarer Beliebigkeit der betrieblichen Handhabungen zum Ausdruck bringt.

ee) Dass der Kläger nicht von einer Unkorrektheit seines Vorgehens ausging, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer auch daraus, dass er in Ruhe und mit Gelassenheit vor den Augen der Geschäftsleitung die beiden Schubladen in den Kofferraum seines Pkw geladen hat. Auch parkte der Pkw mit Anhänger – wenn auch verbotswidrig - ausweislich der in der Berufungsverhandlung erörterten Skizze von allen Seiten einsehbar, bei Tageslicht, selbst während der Beladung auf dem Gelände der Beklagten vor einem geöffneten Hallentor. Das Handeln des Klägers war ohne weiteres sichtbar.

ff) Bedeutungsvoll ist weiter, dass selbst der Zeuge B. mit dem Kläger bei dessen Äußerung des Wunsches, den Werkbankteil mitzunehmen, über den Satz des Klägers „er erwarte, dass er von der Firma noch etwas dafür bekomme, dass er die Werkbank mitnehme“ geflachst hatte. Diese „flachsige Ebene“ des Gespräches zeigt der Kammer ebenfalls, dass die klaren stringenten Vorgaben, die die Geschäftsführung der Beklagten an sich wünscht, vorliegend in ihrem Betrieb tatsächlich auch von den zuständigen Personen nicht tatsächlich so stringent gesehen wurden.

gg) In Anwendung der zitierten Rechtsprechung des BAG bewertet die Kammer zu Gunsten des Klägers auch, dass der Beklagten objektiv kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Die Werkbänke sind ca. 30 Jahre alt. Sie wurden bereits 2007 ausrangiert. Sie waren nur noch zwischengelagert, weil selbst das Zersägen, Auseinanderschweißen und Entsorgen der Beklagten zu zeitaufwendig und zu teuer war. Der Zeuge L... hat ausgesagt: Wenn die Werkbänke weiterhin dort rumgestanden hätten und er noch weiterhin in seiner Position im Betrieb tätig gewesen wäre, hätte er persönlich sie zu irgendeinem Zeitpunkt wohl entsorgt, denn sonst stünden sie ewig dort herum und störten. Der Zeuge B... hat bekundet, dass er einige Zeit vor dem 27.03.2009 kontrolliert hat, ob die Werkbank nunmehr auf dem Müll gelandet ist. Er hat das abgesägte Holzstück auf dem Müllhaufen gesehen. Er hat weiter ausgesagt, dass er davon ausging, dass in diesem größeren Müllhaufen auch der streitbefangene Teil der Werkzeugbank lag. Auch aus dieser Aussage wird ersichtlich, dass der vom Kläger aufgeladene Teil der Werkzeugbank bis zum Mittag des 27.03.2009 wertloser, lästiger Müll war. Andernfalls hätte der Zeuge B... den Kläger gefragt oder anweisen müssen, den streitbefangenen Werkzeugteil aus dem Müllhaufen wieder auszusortieren.

Erst am Mittag des 27.03.2009 erhält dieser Werkbankteil für die Beklagte wieder materiellen Wert, nämlich zu dem Zeitpunkt, als er auf dem Hänger des Klägers gesehen wird und die Beklagte dieses zum Anlass für den Ausspruch einer Kündigung nimmt. Diesen Wechsel der Sichtweise und Bewertung des bis dahin zur Bedeutungslosigkeit degradierten Gegenstandes kann die Kammer nicht nachvollziehen. Die Kammer kann im Handeln des Klägers keinen Missbrauch des ihm entgegengebrachten Vertrauens feststellen. Die Vorgehensweise der Beklagten widerspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, wonach der Zweck der Kündigung nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung ist, sondern der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen dient. Die Beklagte ahndet jedoch ein Verhalten des Klägers, ohne den Blick in die Zukunft zu richten und eine Prognose zu erstellen, ob eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit angesichts des Verhaltens noch möglich sein wird. Im Kontext der Einzelheiten dieses Falles ordnet die Kammer das Verhalten des Klägers, Mitnahme von Müll ohne Lieferschein, als Eigenmächtigkeit, nicht aber als ein rechtswidriges, gewolltes, vermögensrechtlich relevantes Eigentumsdelikt ein. Die Beklagte hat insoweit bei der Bewertung der Pflichtverletzung und der Stellung der Vertrauensfrage im Wege des Ausspruchs der Kündigung zu wenig differenziert.

hh) Die Kammer gewichtet im Rahmen der Interessenabwägung auch, dass der Kläger, auf den Werkbankteil angesprochen, diesen ohne zu zögern sofort an die Beklagte zurückgegeben hat, sobald die Arbeitgeberin eine etwaige Unkorrektheit seines Verhaltens in den Raum gestellt hat. Der Kläger hat sich demzufolge sofort und mit Erfolg bemüht, einen etwa eingetretenen Schaden wieder gutzumachen, sobald ihm eine etwaige Unkorrektheit seines Vorgehens klar wurde. Sowohl dieses Verhalten als auch die Beschreitung des offiziellen Genehmigungsweges und das Fehlen jeglicher Heimlichtuerei wertet die Kammer als Ausdruck einer auf Korrektheit und Ehrlichkeit ausgerichteten Grundhaltung des Klägers. Soweit er betriebsintern durch das in der Vergangenheit unbeanstandete, gelebte Leben betriebliche Spielregeln im Umgang mit im Eigentum stehenden Gegenständen der Beklagten nicht eingehalten hat, lässt dieses konkrete Fehlverhalten in diesem Fall keine eindeutige Negativprognose zu. Es fehlte im Betrieb die Stringenz von Regelungen und eine ausnahmslos eindeutige Handhabung.

ii) Angesichts dieses Sachverhaltes sowie den Tatsachen, dass der verheiratete, zwei Kindern und seiner Ehefrau unterhaltspflichtige Kläger 12 Jahre lang unbeanstandet seine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht hat, und dass auch sein beanstandetes Fehlverhalten zu der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung keinen unmittelbaren Bezug aufweist, ist vorliegend nicht von einer so nachhaltigen Störung des Vertrauensbereiches auszugehen, die eine Abmahnung entbehrlich erscheinen ließe. Danach ist die außerordentliche Kündigung vom 07.04.2009 unwirksam.

II. Auch die ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, weil sie nicht durch Gründe in dem Verhalten des Klägers im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Auch insoweit fehlt es an der erforderlichen Abmahnung.

III. Nach alledem war der Kündigungsschutzantrag begründet. Der Klage ist zu Recht stattgegeben worden, so dass die Berufung zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.